von Andrés Gaudin
(Lima, 08. Juli 2010, noticias aliadas).- Nur wenige Themen verbinden verschiedene Länder so sehr wie die Gefährdung der Ernährungssicherheit, die vom Klimawandel ausgeht. Die vier Mercosur-Vollmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gehören zu den Staaten, in denen dieser Prozess aufmerksam beobachtet wird. Wie der uruguayische Agronom Fernando Queirós Armand Ugon erläutert, begann die Entwicklung zu Zeiten der industriellen Revolution und verstärkte sich gegen Mitte des letzten Jahrhunderts durch seine „Verbindung zu einem Produktionsmodell, das auf dem Raubbau an natürlichen Ressourcen beruht und durch ein kurzsichtiges und räuberisches Konsumverhalten motiviert ist“.
Alexander Schejtman ist chilenischer Forscher am Lateinamerikanischen Zentrum für die ländliche Entwicklung RIMISP (Centro Latinoamericano para el Desarrollo Rural) mit Sitz in Santiago de Chile. Schejtman prognostiziert bis 2030 einen Anstieg der Nachfrage für Lebensmittel von 50 Prozent und befürchtet, dass durch den Klimawandel die Zahl der unterernährten Menschen in Lateinamerika von 40 auf 170 Millionen steigen wird. „Der gestiegene Bedarf an Lebensmitteln durch die wachsende Weltbevölkerung hat in den letzten Jahrzehnten zum Entstehen einer Landwirtschaft und Viehzucht in großem Stil geführt. Weder wird diese kontrolliert, noch werden ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt“, fügt er hinzu.
Laut Schejtman sei die Viehzucht für den Ausstoß von mehr Treibhausgasen verantwortlich ist als das Transportwesen, etwa für 18 Prozent des Ausstoßes an Kohlendioxid, und damit ein Hauptverursacher der Zerstörung von Böden und Wasservorräten. Diese Zahlen zitiert er aus dem Bericht „Der große Schatten der Viehzucht – sozioökologische und alternative Aspekte“ der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO).
„Auch wenn der FAO-Bericht die gesamte Welt behandelt, hat er besondere Relevanz für die Länder des Mercosur, die vor allem Nahrung produzieren – Fleisch, Milchprodukte, Pflanzenöle, Getreide und Früchte“, ergänzt Queirós Armand Ugon.
Räuberische Viehzucht
Die FAO-Studie erklärt, dass der Mensch im Zuge des wachsenden Wohlstands immer mehr Fleisch und Milch konsumiert. Die weltweite Produktion von Fleisch, dies betrifft insbesondere Mercosur, werde sich von 229 Millionen Tonnen zwischen 1999 und 2001 auf 465 Millionen Tonnen im Jahr 2050 verdoppeln. Im selben Zeitraum werde die Milchproduktion von 580 Millionen Tonnen auf 1.043 Millionen ansteigen.
Laut der FAO werden derzeit 30 Prozent der Oberfläche des Planeten für Viehzucht, zumeist als Weiden, verwendet. Ein Drittel des gesamten kultivierbaren Landes dient demnach allein zur Produktion von Futtermitteln. Ein Großteil dieser Gebiete ist durch Rodung entstanden. Dies betrifft insbesondere Lateinamerika, wie der emblematische Fall des Amazonasgebietes zeigt: 70 Prozent der in der Lunge des Planeten gerodeten Wälder werden als Weiden verwendet.
Aber auch die Landwirtschaft hat nicht weniger negative Auswirkungen auf das Klima. In Bezug auf Lateinamerika erklärt der Spanier Ferrán García Moreno von Tierärzte ohne Grenzen: „Der interkontinentale Transport von Lebensmitteln, die intensive Monokultur, die Zerstörung von Böden und Wäldern und die Verwendung von Chemikalien führen dazu, dass die Landwirtschaft sehr viel Energie verbraucht und klimaschädliche Gase ausstößt“. García Moreno erinnert daran, dass 18 Prozent des Ausstoßes an Klimagasen durch eine „veränderte Nutzung des Bodens“ verursacht würden, während intensive Landwirtschaft und Viehzucht für 14 Prozent des Ausstoßes verantwortlich seien.
Eine Studie der US-amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences der Universität in Stanford hat festgestellt, dass allein „zwischen 2001 und 2004 in den neun brasilianischen Bundesstaaten des Amazonasgebiets die industrielle Landwirtschaft auf 36.000 Quadratkilometer Land gestiegen ist und 93.700 Quadratkilometer Land gerodet wurden“. Laut dem Bericht wird die Expansion der industriellen Landwirtschaft für die Produktion begehrter Nahrungsmittel wie Soja auf Kosten der Abholzung des Amazonasgebietes ermöglicht.
In Argentinien geht eine Studie der Journalistischen Agentur des Mercosur von 2008, einer von dem Handelsblock unabhängigen Organisation, einen Schritt weiter: „Durch die Störung des weltweiten ökologischen Gleichgewichts wird nicht nur die Umwelt gefährdet, sondern auch alles andere, selbst ganze Kulturen. Wenn man von Land und Kultur spricht, muss man unweigerlich an die Naturvölker denken, die von der Pachamama (der Mutter Erde) abhängig sind. Diese Völker sind die ersten Opfer des Klimawandels. Durch die Veränderung des Lebenszyklus der Gemeinschaften, die unmittelbar von der Natur abhängig sind, wird ihr Überleben bedroht und der Zerstörung uralter Kulturen der Weg geebnet“.
Das Vordringen der Soja
Zurück in Uruguay warnt der Ingenieur Queirós Armand Ugon vor dem Problem der Monokulturen von Exportpflanzen. So sei die Anbaufläche von Soja von 8.000 Hektar im Jahre 1998 auf derzeit 700.000 Hektar angestiegen „und in dem Maße, wie sich die Anbaufläche vergrößert, verstärken sich auch die durch die Landwirtschaft verursachten Umweltschäden und sozialen Konflikte“.
Nach einer Studie der Fakultät für Agrarwissenschaft der staatlichen uruguayischen Universität wurden in den letzten zehn Jahren 47 Prozent der Milchproduzenten durch Sojaanbau verdrängt. Demnach wurden im Jahr 2007 150.000 Hektar Land von der Milchproduktion auf Soja umgestellt. Dabei seien 92 Prozent der Sojaanbaufläche Pachtland, so dass „die Unternehmer keine Verpflichtung zur Bewahrung unserer natürlichen Ressourcen haben. Die Sojaproduktion wird vorangetrieben, bis der Boden ausgelaugt ist, und dann weichen sie auf andere Anbaugebiete aus“.
Neben anderen Verursachern des Klimawandels stellt Queirós Armand Ugon die Rolle der Pflanzengifte heraus: „Im Jahr 2000 wurden 6.778 Millionen Tonnen Pestizide nach Uruguay importiert, im Jahr 2008 bereits die dreifache Menge. Alle diese Gifte wurden auf verschiedene Pflanzungen angewendet, insbesondere auf die genetisch manipulierte Soja. Diese Gifte wurden zur Bekämpfung von Plagen, Krankheiten und Unkraut verwendet und sind damit tonnenweise in unser Ökosystem (Flüsse, Schluchten, Böden und Feuchtbiotope) gelangt. Nicht nur waren die Landarbeiter*innen und die Dorfbevölkerung den Pflanzengiften ausgesetzt, sondern sie gelangten auch in unsere Nahrungsmittel: Reis, Weizen, Mais, Milch, Fleisch, Früchte und Gemüse“.
Der argentinische Umweltschützer Jorge Rulli von der Gruppe für die ländliche Perspektive (GPR) verwendet seine ganze Energie, um schwere Umweltvergehen aufzuzeigen, insbesondere aber die „Sojaisierung“ der Mercosur-Staaten. In einem in der argentinischen Zeitung Tiempo veröffentlichten Artikel schlägt Rulli vor, dass der Staat der Ernährungsmittelproduktion erste Priorität einräumen sollte, auch wenn andere Wirtschaftszweige rentabler sind. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, „die den Sojaanbau begrenzen, um zu vermeiden, dass die industrielle Landwirtschaft in den Norden des Landes vordringt, wo es weiterhin kleinere landwirtschaftliche Betriebe gibt, und wo einige ursprüngliche Gemeinschaften überlebt haben“.
Rulli schreibt: „Wir schlagen eine nachhaltige Preispolitik für diejenigen Kulturpflanzen vor, die für die althergebrachte, einfache Ernährungsweise der Bevölkerung notwendig sind, so dass die alten Anbauflächen wieder durch Familienbetriebe bewirtschaftet werden könnten“. Laut Rulli würde die Rettung dieser „Grüngürtel“ nicht nur die Produktion von frischen und gesunden Nahrungsmitteln ermöglichen, sondern auch Arbeitslosigkeit abbauen.
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