Organisationen prangern falsche Klimalösungen an

falsche Klimalösungen
Rind auf der kolumbianischen Hacienda San José. Die „nachhaltige“ Rinderfarm hat Gelder vom Green Climate Fund erhalten, obwohl sie ihre Herde von 9.000 auf 750.000 Tiere aufstocken will. Foto: Flickr.com/ilri (CC BY-NC-ND 2.0)

(31. Mai 2024, rebelión/poonal).- Mehrere lateinamerikanische Umweltorganisationen haben eine Landkarte entwickelt, die einen Überblick über „die Dynamik und die verlogene Sprache der Scheinlösungen“ bieten soll. Diese ermögliche es „den großen Verschmutzern“, Zuwendungen zu erhalten, „um ihre Aktivitäten fortzusetzen und zur globalen Erwärmung beizutragen“, sagte die Präsidentin der ecuadorianischen Umweltschutzorganisation Acción Ecológica, Ivonne Yánez, gegenüber der globalisierungskritischen Nachrichtenagentur IPS.

Die Karte, die von dem Umweltschutz-Netzwerk „Plattform Lateinamerikas und der Karibik für Klimagerechtigkeit“ erstellt wurde, prangert Dutzende von Umweltschutzprojekten als „falsche Lösungen“ an. Dazu gehören Projekte für grüne Energie für die Kohlenstoffspeicherung in Wäldern, anderen Ökosystemen und landwirtschaftlichen Systemen. Hinzu kommen Geoengineering-Projekte zur Vermeidung des Klimawandels, bzw. wie sich Ökosysteme oder Infrastrukturprojekte an den Klimawandel anpassen könnten.

Die Karte wurde im Mai vom venezolanischen Observatorium für politische Ökologie veröffentlicht und sei ein pädagogisches Werkzeug, das unterschiedliche Akteur*innen wie Akademiker*innen, NGOs und Aktivist*innen zusammenbringe, so Liliana Buitrago, eine Forscherin am Observatorium. Das Netzwerk, das bei der Erstellung der Karte geholfen hat, halte Übergangslösungen von regionalen Initiativen und Gemeinschaften für dringend notwendig, die nicht den Zwängen der grünen Wirtschaft und dem Greenwashing unterworfen sind, so Buitrago.

Der grüne Kapitalismus versuche nicht nur, sich die Fähigkeit der Natur anzueignen, sich selbst zu reinigen und neues Leben zu schaffen, ergänzte Ivonne Yánez bei der Vorstellung der Karte. Sondern „mit falschen Lösungen“ eigne er sich auch das an, was Indigene und Bäuer*innen seit Jahrtausenden täten, nämlich die Wälder zu schützen oder den den Boden zu pflegen. Und das einzig, „um die Eskalation der Ausbeutung fossiler Brennstoffe fortzusetzen“, so die Aktivistin.

REDD+ führt zu wenig ambitionierten Klimazielen

Auf der ersten Karte werden 83 Fälle vorgestellt, weitere 100 sollen in den nächsten Ausgaben erscheinen. Eine Analyse dieser ersten Fälle zeigt, dass 70 Prozent der Finanzierung von Scheinlösungen für die Klimakrise aus dem Privatsektor kommen und dass die am stärksten betroffenen Gemeinschaften indigene und bäuerliche Gemeinschaften sind.

Bei den meisten dieser Scheinlösungen, nämlich 50 Prozent, handelt es sich um Projekte zur Kohlenstoffspeicherung in Wäldern, anderen Ökosystemen und der Landwirtschaft. 33 Prozent machen REDD+-Projekte (Minderung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigungen) aus. Die Grundidee von REDD+ ist, finanzschwache Länder dafür zu belohnen, dass sie Wälder schützen und damit Emissionen des Treibhausgases CO2 vermindern. Doch die Einsparung von CO2-Emissionen wird im Rahmen von REDD+ auf arme Länder abgewälzt, anstatt die reichen Industrienationen in die Pflicht zu nehmen. Dies führt zu weniger ambitionierten Zielen zur Reduktion von Treibhausgasen bei den Hauptverursachern der Klimakrise. Windenergieprojekte und neue Forstplantagen, die mit Kohlenstoffbindung begründet werden, machen zehn bzw. elf Prozent der Projekte auf der Karte aus.

Beispiele Trinidad und Tobago und Brasilien

Ein Beispiel für Kritik bietet der Karibikstaat Trinidad und Tobago, wo Erdöl gefördert wird. Die Plattform kritisiert die kürzliche Einführung von „Blue Carbon Credits“ (Anleihen zur Finanzierung von Projekten zur Erhaltung von Ökosystemen) für Arbeiten im Südwesten der Insel Tobago und im Caroni-Sumpf in Trinidad und Tobago als „Greenwashing“. Und im brasilianischen Portel-Pará im nördlichen Bundesstaat Pará werden vier Projekte durchgeführt, um Kohlenstoff in 7.000 Quadratkilometern Wald und anderen Ökosystemen zu speichern, durch Landverhandlungen und Vereinbarungen zur Begrenzung der Abholzung mit Gemeinden.

Die lateinamerikanische Plattform Alianza Biodiversidad kritisiert, dass diese Projekte Kohlenstoffkredite gutschreiben, die von großen Unternehmen gekauft werden, die weiterhin die Umwelt verschmutzen, wie Repsol (Öl), Air France, Delta Airlines und Boeing (Luftfahrt), Amazon und Aldi (Handel) oder Samsung und Toshiba (Technologie).

Vertreibung der Bevölkerung und Umweltverschmutzung

Im Norden beginnt die Karte der falschen Lösungen in Mexiko mit dem Lithiumabbau in 13 Standorten in den Bundesstaaten Zacatecas und San Luis Potosí (Nord-Zentral-Mexiko) durch das kanadische Unternehmen Advance Gold Corp. Dieses Projekt führte zur Vertreibung der Bevölkerung, zur Umweltverschmutzung und zu Veränderungen von Landbesitz und Landnutzung.

In Guatemala (Quetzaltepeque) und Honduras (Namasigüe) werden Projekte für Photovoltaik-Solarkraftwerke von privaten Konsortien mit Kapital der norwegischen Firma Scatec betrieben. Das hat zur Vertreibung von Bäuer*innen und Fischerfamilien sowie dem Verlust von Lebensräumen und biologischer Vielfalt geführt.

In Kolumbien hat das Rinderzuchtunternehmen Hacienda San José vom Green Climate Fund und niederländischen Banken Gelder erhalten, um ihr Rinderzuchtprojekt im östlichen Departement Vichada auszudehnen. Dort soll die Rinderherde von 9.000 Tieren auf 8.000 Hektar auf 750.000 Tiere auf 180.000 Hektar aufgestockt werden. Das Unternehmen wird vom Fonds dafür ausgezeichnet, dass es mehr Kohlenstoff bindet, als es erzeugt. Die Plattform stellt jedoch den Beitrag der Rinderzucht zum Klima in Frage und weist auf die Risiken für ein angrenzendes Schutzgebiet der indigenen Sikuani hin.

Gefälschte Genehmigungen in Costa Rica, Extraktivismus in Jamaica

Ein weiteres Beispiel aus Costa Rica: Im südwestlichen Kanton Pérez Zeledón wurde 2013 der Versuch unternommen, ein Wasserkraftwerk zur Erzeugung „grüner Energie“ zu errichten. Das Projekt litt unter unvollständiger Dokumentation, der Fälschung von Landnutzungsgenehmigungen durch das Rathaus und der zu erwartenden Umweltverschmutzung sowie dem Verlust von Lebensräumen und Biodiversität. Die staatliche Umweltbehörde erteilte eine Notfallgenehmigung, doch angesichts der öffentlichen Kritik und Ablehnung zog die Regierung das Projekt zurück.

In Jamaika, 90 Kilometer westlich der Hauptstadt Kingston, wird seit 2016 ein von den USA und Kanada finanziertes „grünes Energie“-Projekt mit einem Windpark aus elf Windturbinen umgesetzt, das drei Prozent des Strombedarfs der Insel decken und die CO2-Emissionen von jährlich 66.000 Tonnen reduzieren soll. Gleichzeitig vergibt Jamaika Konzessionen für den Abbau von Bauxit und Aluminium, die für die Energiewende von entscheidender Bedeutung sind, deren Produktion aber zu Wüstenbildung und Krankheiten führt und den Extraktivismus verstärkt.

In der Dominikanischen Republik befindet sich die größte Photovoltaikanlage der Antillen. Der Solarpark Girasol in der südlichen Gemeinde Yaguate besteht aus 268.200 Solarmodulen, die nach einer Investition von 100 Millionen Dollar durch das auf den Cayman Islands ansässige Unternehmen Haina Investment installiert wurden. Die Karte zeigt die Veränderungen der räumlichen Dynamik und die Auswirkungen in den Gebieten, in denen die Mineralien für die installierte Technik abgebaut werden.

Gletscher mit Plastik abdecken

Das Erdöl produzierende Venezuela hat 2006 ein Projekt für Zuckerfabriken zur Herstellung von Ethanol aus Zuckerrohr entworfen, das auf 300.000 Hektar im südwestlichen Tiefland angebaut werden sollte. Dieses Projekt wurde nie umgesetzt, zeigt aber, dass man Monokulturen für Treibstoff bevorzugt, anstatt einen vielfältigeren Anbau von Nahrungsmitteln zu fördern.

Venezuela hat zudem vor kurzem ein Projekt gestartet, um das Verschwinden seines letzten Gletschers in über 4.000 Metern Höhe auf dem Humboldt-Gipfel in den südwestlichen venezolanischen Anden zu verlangsamen, indem er mit Polystyrol abgedeckt wird. Das Projekt ignorierte die Empfehlungen der Universidad de Los Andes bezüglich der Risiken bei der Durchführung, der Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden durch Plastik und der Tatsache, dass es das Abschmelzen des Gletschers aufgrund der globalen Erwärmung nicht verhindern wird.

Der in Luxemburg ansässige und in sieben Ländern des Südens tätige Arbaro-Fonds hat in drei Provinzen Ecuadors 1080 Hektar Land gekauft und plant, weitere 500 Hektar mit Monokulturen zu bepflanzen, die theoretisch die Umwelt schützen und CO2 binden sollen.

Derselbe Fonds hat 9000 Hektar im paraguayischen Departement San Pedro erworben und will zwei Drittel davon mit Eukalyptus bepflanzen. Die Plattform kritisiert dieses Projekt als Legalisierung von Landraub mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt sowie auf bäuerliche und indigene Gemeinschaften.

Rund 100 zivilgesellschaftliche Organisationen haben den Green Climate Fund bereits 2020 auf die Schäden aufmerksam gemacht, die Kleinbäuer*innen durch Landnutzungsänderungen und Umweltverschmutzung sowie durch den Verlust von Lebensräumen und Biodiversität erleiden, obwohl der Arbaro-Fonds 25 Millionen Dollar für seine Plantagen erhielt.

Ecuadorianer*innen wollen Verbot der Erdölförderung

Im Gegensatz zu den auf der Karte dargestellten „Scheinlösungen“ stehen Initiativen wie die des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro, der die Abhängigkeit seines Landes von fossilen Brennstoffen zeitlich begrenzen will, oder die Ablehnung bestimmter Erdöl- und Bergbauaktivitäten, die die ecuadorianische Bevölkerung in einem Referendum beschlossen hat. „Die Entscheidung der Bevölkerung, das Öl im Boden zu lassen, ist ein klarer Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, ebenso wie die Entscheidung, den Bergbau in der an Biodiversität reichen Andenregion Chocó zu verbieten“, so Yánez.

Bei der Befragung am 20. August des vergangenen Jahres hatten 59 Prozent der Ecuadorianer*innen für ein Verbot der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark im Amazonasgebiet gestimmt, in der Hauptstadt sprachen sich 68 Prozent gegen den Abbau von Gold und Kupfer in der Andenregion Chocó westlich von Quito aus.

Scheinlösungen seien weit davon entfernt, Lösungen für das Problem zu sein, sondern dienten dazu, „das extraktivistische und ausbeuterische Modell der Anhäufung aufrechtzuerhalten, das die Klimakrise verursacht hat“, betonte Buitrago. Und Yánez ergänzte, die Karte solle durch die Kritik an den falschen Lösungen auch zeigen, „dass andere Organisationen die wahren Lösungen sichtbar machen können“.

Übersetzung: Deborah Schmiedel

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