Widerstand gegen das EU-Mercosur-Abkommen

Freihandelsabkommen EU Mercosur Protest
Protest gegen das EU-Mercosur-Abkommen vor dem Bundeswirtschaftsministerium (Foto: Ute Löhning)

Am Dienstag, den 24. Juni, versammelten sich Aktivist*innen vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin, um gegen das geplante Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur zu protestieren. Anlass war eine zeitgleich stattfindende öffentliche Anhörung im Handelsausschuss des EU-Parlaments.

Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay). Nach rund 20-jährigen Verhandlungen wurde 2019 eine politische Einigung erzielt, doch die Ratifizierung steht weiter aus. Die Europäische Kommission drückt aufs Tempo: Möglichst bald will sie das Abkommen den Regierungen der Mitgliedsstaaten zur Prüfung übermitteln. Bereits im September könnte es dem EU-Rat zur Ratifizierung vorgelegt werden – Anfang 2026 stünde dann die finale Abstimmung im Europäischen Parlament an. Danach müssten die Mitgliedstaaten das Abkommen noch ratifizieren. In trockenen Tüchern ist das EU-Mercosur-Abkommen also noch nicht.

„Wir stehen heute hier, weil die Kommission angekündigt hat, das Abkommen noch diese Woche an die Bundesregierung weiterzuleiten“, erklärt Bettina Müller von der NGO Powershift. Als Referentin für Handels- und Investitionspolitik sieht sie die Bundesregierung nun in der Verantwortung: „Sie muss entscheiden, ob sie zustimmt oder nicht.“ Auch Elias Bernhard von Powershift betont, dass der Protest Teil einer europaweiten Kampagne ist – mit parallelen Aktionen in Wien und Brüssel.

Erleichterte Marktbedingungen und Zugang zu Rohstoffen

Kern des Abkommens sind erleichterte Marktzugangsbedingungen: Die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wollen erleichtert Agrarprodukte und Rohstoffe exportieren, im Gegenzug sollen europäische Industriegüter, Autos und Medikamente bessere Bedingungen im Süden erhalten. Europa will sich zudem über Freihandelsabkommen wie dieses den Zugang zu wichtigen Rohstoffen sichern. Die Verhandlungen liefen über zwei Jahrzehnte, dominiert von wirtschaftlichen Interessen auf beiden Seiten.

Doch die Kritik wächst – nicht nur in Europa, sondern auch in Südamerika. Adhemar Mineiro, Ökonom und Berater des brasilianischen Netzwerks REBRIP (Rede Brasileira pela Integração dos Povos), warnt, dass das Abkommen die industrielle Entwicklung in der Region blockiere: „Es verhindert eine echte Reindustrialisierung in Brasilien und Argentinien. Statt regionaler Kooperation erleben wir Wettbewerb – etwa beim Export von Soja oder Fleisch.“ Das Abkommen basiere auf einer Spezialisierung, die für Südamerika eine „produktive Rückentwicklung“ bedeute, so Mineiro.

Druck auf Kleinbäuer*innen und niedrigere Umweltstandards befürchtet

Zivilgesellschaftliche Gruppen wie REBRIP kritisieren nicht nur die ökonomische Einseitigkeit, sondern auch die ökologischen Folgen: Der Druck auf Kleinbäuer*innen und Umweltstandards würde zunehmen. Das spiegelte sich auch in der Berliner Protestaktion wider: In einer Performance steht neben Giftmüllfässern und Südfrüchten ein Demonstrant mit Gasmaske und Schutzanzug mit einem Aufdruck der Bayer AG, eine Demonstrantin mit BASF Emblem auf ihrer Schutzkleidung wedelt mit Geldscheinen.

Die chemische Industrie sei eine der gefährlichsten Nutznießerinnen eines EU-Mercosur-Abkommens, wart Bettina Müller von Powershift: „Pestizide, die in der EU verboten sind, könnten durch das Abkommen günstiger in die Mercosur-Staaten exportiert werden. Dort befeuern sie Monokulturen und Entwaldung – und landen über Reimporte letztlich wieder auf unseren Tellern.“

Auch innerhalb der EU wächst der Widerstand. In Frankreich formiert sich Protest vor allem aus der Landwirtschaft: Viele Landwirt*innen fürchten die Konkurrenz durch billig produziertes Fleisch, Zucker und Soja aus Brasilien, wo Umwelt- und Tierschutzstandards oft niedriger sind. Präsident Emmanuel Macron nannte das Abkommen bei einem Staatsbesuch in Brasilien im vergangenen Jahr „ein sehr schlechtes Abkommen – für Frankreich und für Brasilien“. Besonders kritisierte er das Fehlen verbindlicher Regeln zu Biodiversität, Klima- und Umweltschutz. Über 600 französische Parlamentarier*innen fordern sogenannte „Mirror Clauses“, also Importregeln, die den EU-Standards entsprechen, sowie eine „Notbremse“ für Agrarimporte bei Marktstörungen.

Widerstand auch innerhalb der EU

Auch Österreich bleibt skeptisch. Elias Bernhard, gebürtig aus Wien, verweist auf einen verbindlichen Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2019 gegen das Abkommen: „Der Druck kam damals aus der Zivilgesellschaft.“ In der neuen Regierung zwischen ÖVP und SPÖ gebe es allerdings Uneinigkeit – industrienahe Stimmen in der ÖVP befürworteten das Abkommen, während die landwirtschaftlich geprägten Teile weiterhin ablehnten.

Neben Frankreich und Österreich hat auch Polen angekündigt, das Abkommen in seiner derzeitigen Form nicht zu unterstützen. Ob das Abkommen überhaupt ratifiziert wird, bleibt offen. Brasiliens Präsident Lula da Silva hält den Vertragsentwurf von 2019 für einseitig zugunsten der EU. Die von Brüssel geforderten Umweltauflagen sieht er als protektionistisch. Argentiniens Präsident Javier Milei wiederum wünscht sich ein eigenes Abkommen – außerhalb des Mercosur, den er als hinderlich empfindet.

Doch mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat sich die globale Lage verändert. Trump droht mit Strafzöllen und schwächt internationale Handelsinstitutionen – viele Mercosur-Staaten orientieren sich nun stärker in Richtung USA. In diesem Kontext präsentieren EU-Diplomat*innen das Mercosur-Abkommen als geopolitisches Gegengewicht.

Nach bisheriger Rechtslage müssten alle EU-Staaten zustimmen – Frankreich und Österreich hätten also faktisch ein Vetorecht. Um das zu umgehen, schlagen Befürworter*innen eine Aufsplittung des Abkommens vor: Der reine Handels- und Zollteil könnte dann ohne Zustimmung aller Mitgliedsstaaten verabschiedet werden. Investitionsschutz und Nachhaltigkeitskapitel würden in ein zweites Abkommen ausgelagert – mit ungewissem politischem Gewicht. Kritiker*innen sprechen von einem taktischen Manöver der Industrie-Lobbys. Der Fokus liege nicht auf nachhaltigem Handel, sondern auf möglichst reibungslosem Freihandel – um jeden Preis.

Bundesregierung will das Abkommen ratifizieren

Die Bundesregierung befürwortet das Abkommen ausdrücklich. Bundeskanzler Friedrich Merz sprach sich Anfang Mai in Paris für eine „schnellstmögliche Ratifizierung“ aus. Schon im Vorjahr hatte er gewarnt, Handelsabkommen dürften „nicht mit innenpolitischen Zielen wie dem Arbeits- oder Umweltschutz überfrachtet“ werden. Für viele Gegner*innen ein fatales Signal: Nachhaltigkeit und demokratische Kontrolle scheinen zweitrangig zu sein.

Die kommenden Monate könnten entscheidend werden. Denn im September soll das Abkommen dem EU-Rat vorgelegt werden – schon Anfang 2026 könnte es im Parlament zur Abstimmung kommen. Was also tun? Elias und Bettina von Powershift motivieren dazu, sich einzumischen: „Auf unserer Website stopeumercosur.org gibt es Materialien, ein Aktionshandbuch und Hinweise für lokale Gruppen“, sagt Elias. Bettina ergänzt: „Man kann auch direkt an EU-Abgeordnete schreiben. Auf der Seite von Powershift gibt es dafür extra ein E-Mail-Tool. Jede Stimme zählt, damit dieses Abkommen nicht einfach durchgewunken wird.“

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