„Die Stadt Iquitos selbst liegt auf einem Ölfeld“

von Paolo Moiola

(Lima, 02. Oktober 2011, noticias aliadas).- „Es ist unmöglich, diese Stadt zu beschreiben, wenn man sie noch nie gesehen hat. Iquitos ist wie eine Insel, die vom Rest der Welt abgeschnitten ist. Hierhin gelangt man nur auf dem Luftweg. Oder über den Fluss, aber das dauert sehr lange. Es gibt keine Straßen, die hierher führen. Deswegen ist Iquitos sehr teuer, verglichen mit dem restlichen Peru. Deswegen gibt es keine Industrien und es ist auch sehr schwer, Produkte zu exportieren. All das führt zu einer wichtigen Konsequenz: Es gibt nicht genug Arbeit für alle. Und deswegen gibt es einen sehr großen informellen Markt: Ein und dasselbe Produkt wird drei oder viermal gekauft und wieder verkauft, bis es beim Endverbraucher anlangt.“

Wenig Arbeit und viel Geldwäsche

Miguel Fuertes gehört dem Augustinerorden an. Der Spanier arbeitet seit 1983 im Urwald von Loreto. In den ersten 14 Jahren arbeitete er in Dörfern entlang des Río Marañón, einem Zufluss des Amazonas. Danach begann er in Iquitos zu arbeiten, wo er heute das Amt eines Vikars ausübt. Iquitos, die größte Stadt des peruanischen Amazonasgebietes, hat mit sozialen und ökologischen Problemen zu kämpfen. Das Klima und der Fluss bestimmen das Leben der Menschen, die offen, und warmherzig sind. Aber diese positive Grundeinstellung schützt sie nicht vor den Problemen.

Rita Ruck ist eine junge Anwältin der Menschenrechtskommission des Vikariats. Ihr Büro, so erzählt sie, hat hauptsächlich mit familiären Problemen (nicht bezahlter Unterhalt, ausgesetzte Kinder, körperliche und psychische Gewalt gegen Frauen) und mit sexuellem Missbrauch zu tun, oft auch an Minderjährigen.

„Der Mangel an Arbeit, oder gar an einer würdigen Arbeit, löst mehrere Kettenreaktionen aus“, erklärt Fuertes. „Eine davon ist die familiäre Gewalt, bei der die Frauen den höchsten Preis zahlen. Die innerfamiliäre Gewalt überträgt sich auf die Gesellschaft, in der man auf sehr unethische Mittel wie Raub und Kriminalität zurückgreifen muss, um zu überleben.“

Die Straßen im Zentrum von Iquitos sind voll von Elektronikgeschäften, Pfandhäusern, Banken und Spielcasinos. Da die Stadt über keine Industrien verfügt, reicht der Tourismus allein als Erklärung für ihre Existenz nicht aus.

„Wie es aussieht, dienen die meisten dieser Etablissements dazu, schmutziges Geld zu waschen, das aus dem Drogenhandel stammt, hauptsächlich mit Kokain. Iquitos war schon immer eher ein Umschlagplatz als ein Produktionsstandort. Wobei sich der lokale Konsum auf Subprodukte des Kokablattes beschränkt.“ Allerdings gibt es in Iquitos einen noch schlimmeren Geschäftszweig: den Menschenhandel.

Menschenhandel und Kinderprostitution

Die lokale Tageszeitung „La Región“ berichtet von einer jungen Frau, die an die Küste reisen wollte, um zu studieren und in einer Familie zu arbeiten. Stattdessen endete sie in einem Bordell.

„Ja, der Menschenhandel ist ein weiteres schlimmes Problem“, bestätigt der Missionar. „Es ist bekannt, dass der Menschenhandel, nach dem Drogen- und Waffenhandel, weltweit am meisten Geld bewegt. Junge Leute werden gesucht, vor allem Mädchen und Heranwachsende von, sagen wir, 14 Jahren, um sie an die Küste und in andere peruanische Städte zu bringen und dort zur Prostitution zu zwingen. Sie werden mit falschen Versprechungen angelockt (‚du wirst dort in einer Familie arbeiten und studieren können’), manchmal sogar mit dem Einverständnis der Eltern.“

Wie in vielen anderen Städten dieser Welt beschränkt sich der lukrative Sexmarkt auch in Iquitos nicht auf den Menschenhandel. Läuft man durch die Stadt, entdeckt man gegenüber dem Eingang zu einem Heim ein Wandbild gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Die Zeichnungen zeigen zwei weinende Kinder, ein vermummtes Monster und einen Erwachsenen mit einem fiesen Gesicht. Vor dem Wandbild steht ein kleines Kind, wie es regungslos die Zeichnungen betrachtet. Eine symbolische Szene. Iquitos ist das Ziel für Sextourismus mit Minderjährigen, vor allem von Ausländern.

„Auf dem Hauptplatz, dem Malecón, und selbst auf dem Flughafen gibt es Mädchen, die sich anbieten; manchmal machen das auch ihre eigenen Mütter“, so Fuertes. „Wenn die Armut inakzeptable Ausmaße erreicht, ist es schwierig, von Ethik zu sprechen. Es ist zweifellos auch ein familiäres Problem: Wenn beide Elternteile fehlen (was oft vorkommt), können es die großen Brüder sein, die ihre jüngeren Schwestern dazu bringen, sich zu prostituieren. Man sagt ja, dass das die sexuellen Verhaltensweisen in den Tropen anders sind; ich glaube jedoch, dass die Armut der Hauptgrund ist.“

Umwelt: Einige gewinnen, die meisten verlieren

Die 360-Grad-Aussicht vom Glockenturm der Kirche ist hervorragend; der Fluss und der Wald umgeben die Stadt überall. Die Natur wirkt immer noch stark und vorherrschend und Umweltprobleme scheinen weit weg zu sein. Doch leider sei dem nicht so, meint Fuertes:

„Es gibt ein sehr großes Umweltproblem, doch die wenigsten Menschen sind sich dessen bewusst. Es ist zum Beispiel schwer, im Wald zu leben und zu argumentieren, dass das Holz knapp wird. Oder das es immer weniger Fischbestände gibt. Als ich vor einiger Zeit gewarnt habe, dass es bald keinen Arapaima mehr geben würde (auch als Paiche bekannt; einer der größten Süßwasserfische der Welt) haben mich die Leute fast ausgelacht und gesagt, dass ich doch bloß ein Gringo sei, der keine Ahnung vom Fluss hat. Aber leider ist das Problem jetzt offensichtlich: Es gibt jetzt in Iquitos viel weniger Fisch, dafür mehr Hühnchen. Industrielle Hühnchen, von der Küste importiert. Früher kam das Fleisch von hier und vor allem viel Fisch“, so Fuertes.

„Trotz der zahlreichen Anzeichen sind hier nur wenige Umweltgruppen und die sind klein; es sind kirchliche Gruppen oder NGOs. In der Stadt gibt sich fast niemand die Mühe, Papier in den Mülleimer zu werfen und wenige machen sich darüber Gedanken, was mit dem Fluss passiert“, erzählt Fuertes weiter. „Schauen wir uns die Holzindustrie an: Dort wird mehr illegal als legal gearbeitet. Niemand kontrolliert, ob jemand Konzessionen hat, so dass inzwischen einige Edelhölzer in Gefahr sind, auszusterben.“

Trotzdem werden die schlimmsten Umweltschäden von den Firmen verursacht, die Bodenschätze abbauen. Diese Firmen haben Konzessionen für 75 Prozent des peruanischen Amazonasgebietes. Das Gebiet ist ein Kreuzworträtsel von Ölgebieten, die Dutzenden ausländischer Unternehmen zugeschlagen worden sind: Pluspetrol, Petrobras, Repsol, Perenco, Talisman, ConocoPhillips, Gran Tierra und andere.

Diese Industrie bewegt riesige Mengen an Geld, und Korruption ist an der Tagesordnung. Schmiergelder werden bezahlt, um Konzessionen zu bekommen oder nicht kontrolliert zu werden. Deswegen erhalten lokale und nationale Politiker beträchtliche Summen, während die einfachen Leute nicht mal ein Almosen bekommen, und darüber hinaus eine Umwelt, die immer mehr verseucht wird.

„Ex-Präsident Alan García hat die indigenen Gruppen und die Kirche beschuldigt, gegen den Fortschritt im Urwald zu sein. Und er hat ihr Land verkauft, ohne sich um sie Gedanken zu machen. Doch hier in Iquitos ist nichts vom Wohlstand zu sehen, nur ein bisschen mehr Beton und Asphalt, und natürlich die Läden zur Geldwäsche“, betont Fuertes. „Abgesehen von einigen Gewinnen für ein paar lokale Unternehmer*innen und einige Arbeiter*innen – die wegen der Verbreitung der Maschinen immer weniger werden – haben die Leute von diesen Firmen nichts bekommen.“

„Alan García und seine Leute haben ganz Peru in Fördergebiete aufgeteilt und an den Meistbietenden verscherbelt. Die Stadt Iquitos selbst liegt auf einem Ölfeld. Deswegen kann es passieren, dass eines Tages die Ölförderung auf dem Hauptplatz beginnt!“

Das klingt wie ein Witz, ist aber keiner: Die kanadische Firma Gran Tierra Energy besitzt die Konzession für das Fördergebiet Nummer 122, zu dem auch die Stadt Iquitos selbst gehört.

Marginalisierte Indigene

Nur wenige Minuten mit dem Mototaxi vom Zentrum von Iquitos entfernt, befindet sich der Stadtteil Belén. Er liegt mit seinen schwimmenden Häusern bzw. jenen auf Stelzen am Río Itaya, einem Amazonas-Zufluss. Das Viertel zieht Tourist*innen wegen seiner Exotik an, doch es ist ein Ort der Armut. In Belén trifft man auf viele Indigene, die dort leben oder jeden Morgen mit Booten kommen, um ihre Waldprodukte auf dem Markt zu verkaufen.

„Immer wieder heißt es: ‚Unsere indigenen Brüder’, doch das ist purer Paternalismus. In Wirklichkeit, wenn sie in der Stadt sind oder ihre Dienste anbieten, werden die Indigenen mit tausend Ausreden marginalisiert: Sie sprechen nicht gut Spanisch, ihre Haut ist nicht weiß genug, sie haben andere Gebräuche. In Peru gibt es viel Rassismus“, empört sich Fuertes.

Abschließend sagt er: „Das alles hat dazu geführt, dass sie ihre Rechte nicht kennen, dass sie von ihren Ländereien vertrieben werden – und dass das Ökosystem zerstört wird, in dem sie leben und zu dem sie eine besondere Beziehung haben, der für den westlichen Rationalismus unverständlich ist.“

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