(Berlin, npla, 15. November 2019).- Amazonien, die grüne Lunge der Erde, wird systematisch zerstört. In diesem Jahr wurden besonders viele Brände dokumentiert, die maßgeblich auf Brandstiftung zurückzuführen sind. Doch die Gefahren für den Regenwald liegen tiefer. Nicht nur in Brasilien brannte es, auch in Paraguay, Bolivien, Kolumbien und Peru. Und die Brände sind nur das sichtbarste Zeichen eines komplexen Zerstörungsprozesses der Natur, der im Namen von Fortschritt und Entwicklung seit Jahrzehnten voranschreitet – und von dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro befördert wird.
„Amazonien wird zur Zeit im Blut der Indigenen gebadet“, ruft Alessandra Korap bei der Abschlusskundgebung des globalen Klimastreiks im September 2019 in Berlin in das Mikrofon. Die Vertreterin der indigenen Munduruku aus dem brasilianischen Amazonasgebiet ist nach Deutschland gereist, um auf die bedrohliche Situation der indigenen Gemeinden aufmerksam zu machen. Die Natur werde zerstört, Menschen, die vor Ort dagegen aktiv vorgingen, würden in Brasilien zunehmend bedroht. Koraps Befürchtungen spiegeln sich in konkreten Zahlen wider: Der Jahresbericht des Missionswerks der Katholischen Kirche in Brasilien (CIMI) spricht für 2018 von einer deutlichen Zunahme von Morden an Indigenen (135 Morde gegenüber 110 im Vorjahr). Für 2019 ist ein weiterer Anstieg zu befürchten. Unterstützt werden die Gewalttäter durch die Rhetorik des rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro, der Viehzüchter, Goldschürfer und allerlei andere fragwürdige Glücksritter ermutigt, immer weiter in Schutzgebiete und indigene Territorien vorzudringen.
Big Business im Amazonas
Jair Bolsonaro war schon als Abgeordneter ein bekennender Lobbyist für die Legalisierung des Goldbergbaus auf indigenen Territorien. Bisher sei Bergbau dort zwar verboten, stelle aber schon heute ein großes Problem dar, berichtet Alessandra Korap: „Unsere Böden und unser Wasser werden durch die Goldgewinnung mit Quecksilber vergiftet. Und nun wird ein Gesetz diskutiert, das in den eigentlich geschützten indigenen Gebieten den zerstörerischen Abbau legalisieren soll.“ Möglich ist dies durch die brasilianische Verfassung, die den Indigenen die Gebiete oberhalb der Erdoberfläche zusichert, die Gebiete unterhalb der Erdoberfläche allerdings als Eigentum des Staates deklariert.
Tatsächlich ist die Bedrohungslage für die Natur komplex und kommt von verschiedenen Seiten. „In Itaituba, wo ich lebe, gibt es viele Großprojekte. Am Fluss Tapajós liegen sechs Häfen, von dort aus wird Soja nach Europa exportiert“, erklärt Alessandra Korap im Gespräch. Es gebe aber noch andere Projekte, wie eine Eisenbahntrasse oder Staudämme. Die Eisenbahnstrecke solle dem Abtransport von Holz dienen; allein am Tapajós und kleineren Flussarmen in der Nähe seien bis zu 46 Staudämme geplant, von denen bereits vier gebaut seien. Mit den Staudämmen wird nicht nur Strom für energieintensive Industrien erzeugt, sondern es werden auch Stromschnellen geflutet, um die Flüsse schiffbar zu machen – sie sind die Vorhut für die weitere Zerstörung Amazoniens.
Trotz allem: die grüne Lunge der Erde
Auch wenn sich die Alarmsignale zunehmend mehren, sind noch immer große Bereiche Amazoniens weitgehend intakt. Vor allem indigene Territorien und Schutzgebiete, die immerhin ca. 45 Prozent des Regenwaldes ausmachen, konnten noch in vielen Gegenden vor der Zerstörung bewahrt werden. Das größte Tropenwaldgebiet der Erde beherbergt heute etwa 10 Prozent der Artenvielfalt sowie ein Viertel der Reserven an Süßwasser weltweit. Die existentielle Bedeutung des Regenwaldes für das globale Klima ist unbestritten. Amazonien bietet zudem Lebensraum für rund 33 Millionen Menschen. Zwei Drittel von ihnen leben in den urbanen Zentren wie Manaus oder Belém. In der Region liegen aber auch fast 400 registrierte indigene Gemeinschaften, meist auf indigenen Territorien oder Schutzgebieten.
Ein neues Phänomen ist die wirtschaftliche Ausbeutung, ob legal oder illegal, nicht. Doch die Rhetorik des Präsidenten Bolsonaro schafft zunehmend ein Klima, das die Lage für die Bewohner*innen bedrohlicher werden lässt und der Zerstörung Tür und Tor öffnet.
Unterstützung aus Deutschland: Fehlanzeige
An wirtschaftliche Sanktionen denkt die deutsche Regierung angesichts der aktuellen Situation allerdings nicht. Anders als europäische Nachbarn wie Österreich oder Frankreich treibt sie die Verhandlungen des EU-Mercosur-Abkommens weiter voran, das durch Liberalisierung des Handels die größte Freihandelszone der Welt schaffen würde. Die EU-Kommission hält ebenfalls an dem Abkommen fest und argumentiert, dass im Nachhaltigkeitskapitel, das ebenfalls Teil des Vertragstextes ist, ein klares Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen und nachhaltige Waldbewirtschaftung festgeschrieben seien. Dies sei ein Druckmittel, das die EU nicht einfach aus der Hand geben solle, um weiter auf die Regierung Bolsonaro einwirken zu können. Dass bei Nichteinhaltung keine Sanktionen drohen, wird dabei geflissentlich übergangen.
Auch die Ankündigung der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze im Sommer 2019, die Zahlungen des Amazonas-Fonds von vielen Millionen Euro einzufrieren, ist ein stumpfes Schwert. Die brasilianische Regierung reagierte lapidar und versicherte, dass sie nicht auf die Zahlungen angewiesen sei.
Die Munduruku-Vertreterin Alessandra Korap prangert auf ihrer Deutschlandreise nicht nur die fortschreitende Zerstörung der Lebensgrundlage für die Bewohner*innen im Amazonas an, sie hat auch klare Forderungen im Gepäck: „Ich wünsche mir von solidarischen Menschen in Deutschland, dass sie gemeinsam mit uns die Situation öffentlich machen und kritisieren“. Doch die Suche nach internationaler Unterstützung gestaltet sich schwierig. Zu schwer wiegen für Deutschland und andere Staaten die wirtschaftlichen Interessen.
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Amazonien in Gefahr von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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