von Raúl Zibechi
(Mexico-Stadt, 21. Februar 2014, la jornada).- „Dies ist ein Sieg für das brasilianische Agrarbusiness“ erklärte die Präsidentin Dilma Rousseff mit einem Lächeln. Umgeben von Politiker*innen und Manager*innen industrieller Agrarunternehmen in Lucas do Rio Verde im Bundesstaat Mato Grosso gab sie den Startschuss für die Getreideernte. Die Freude der Präsidentin ist der Tatsache geschuldet, dass Brasilien eine Ernte von 193 Millionen Tonnen erreichte und zum weltweit größten Sojaexporteur aufstieg. Das Land überflügelte die USA, die bisher an erster Stelle standen. Dilma Rousseff eröffnete die Ernte auf einem Mähdrescher und warf gentechnisch verändertes Sojasaatgut in die Luft.
Landlosenbewegung kritisiert Stillstand der Agrarreform
Kaum 48 Stunden zuvor hatte Rousseff am Regierungssitz in Brasilia eine Delegation von 30 Aktivist*innen der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Sem Terra) empfangen, die ihren sechsten Kongress abhielten. Die MST-Mitglieder beschwerten sich bei der Präsidentin über den Stillstand der Agrarreform. Die aktuelle Regierung habe mit gerade einmal 13.000 Familien pro Jahr so wenige Familien angesiedelt wie seit der Militärdiktatur (1964-1985) nicht mehr. Die Bewegung kritisierte die bedingungslose Unterstützung der Regierung für das Agrarbusiness sowie die transnationalen Unternehmen, die seine Basis bilden. Dagegen sei dies gegenüber der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt, nicht der Fall.
Als Rousseff die Sojaernte eröffnete, buhten sie Dutzende streikender Postangestellter aus, weil sie entschied, die Gesundheitsleistungen auszulagern. Die Rufe der Arbeiter*innen wurden durch Applaus und andere Rufe übertönt. Diese kamen von rechten Politiker*innen und Agrarunternehmer*innen, die mit der regierenden Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) verbündet sind und ihren Enthusiasmus für die Präsidentin nicht verbargen.
Schauderhaftes Drehbuch
Es scheint sich um Szenen aus einem schauderhaften Drehbuch zu handeln. Doch es handelt sich um die widersprüchliche und komplexe Realität, die wir in unserer Region erleben. Die Regierungen begünstigen mit millionenschweren Aktionen oder Subventionen die Geschäfte der Multis. 2013 bewilligte die brasilianische Entwicklungsbank (BNDES) Kredite über 190 Milliarden Reales (etwa 80 Milliarden US-Dollar). 30 Prozent dieser Summen waren für Infrastrukturmaßnahmen bestimmt, um den Warenexport zu „ölen“. Dazu gehört die Asphaltierung der Fernstraße BR 163, die von Rio Grande del Sur bis nach Belén do Pará führt und Teil der neuen Sojaexport-Route ist.
Bisher wurden Soja und Mais der Zentralregion – ein Drittel der Gesamternte – nach einem LKW-Transport von mehr als 2.000 Kilometern über die Häfen im Süden ausgeführt. Mit der asphaltierten Straße zwischen dem Zentrum Mato Grossos (mit besonderer Bedeutung des Landkreises Lucas do Rio Verde) und dem Hafen von Miritituba am Ufer des Tapajós, einem Nebenfluss, wird das Getreide in Barkassen bis in die Häfen von Belén, Santarem und Santana gebracht. Diese Häfen sind die Türen zum Atlantik. So werden ein paar Tage Zeit und Millionen US-Dollar Frachtkosten eingespart.
Neue Amazonasroute für Soja-Export
Die neue Amazonasroute für Soja wird der größte Korridor für Brasiliens Getreideexporte werden. Durch ihn können laut Bloomberg (vom 10. Januar 2014) jährlich 40 Millionen Tonnen bewegt werden. Die US-Multis Cargill und Bunge sowie die brasilianischen Konzerne Hidrovias do Brasil und Cianport investieren bis zu zwei Milliarden Dollar in den Bau von Terminals, Umschlagplätze, Kais, Lager und eine Flotte von Frachtbarkassen, um den Getreidetransport zu beschleunigen.
Die Regierung hat ihrerseits – über die Investition in Straßen hinaus – angekündigt, für die kommenden fünf Jahre eine Kreditlinie von 10,4 Milliarden US-Dollar für den Bau von Silos zur Verfügung zu stellen, damit die Ernten ohne Verzug gelagert werden können.
Zusammen genommen wird der Mercosur mehr als 150 Millionen Tonnen Soja ernten. 90 Millionen entfallen auf Brasilien, 55 Millionen auf Argentinien, fast 10 Millionen auf Paraguay und vier Millionen auf Uruguay. Alle Länder stehen untereinander auf denselben Märkten im Wettbewerb. Alle Länder versuchen, die Frachtkosten über den Staatshaushalt zu finanzieren. Wenn wir die Bergbauexporte und die Ausfuhren fossiler Brennstoffe hinzurechnen, wird ein komplexes Panorama vervollständigt: Große multinationale Konzerne kontrollieren den Handel der lateinamerikanischen Länder und machen die regionale Integration unmöglich.
Lateinamerikanischer Binnenhandel hat wenig Gewicht
Betrachten wir den interregionalen Handel in Lateinamerika und vergleichen wir ihn mit der Europäischen Union, wird das Bild noch düsterer. Am Ende der zurückliegenden Dekade (2000-2010) fanden 66 Prozent des europäischen Handels auf dem EU-Binnenmarkt statt. Zu dieser Zeit erreichte der lateinamerikanische Binnenhandel kaum 18 Prozent: dreieinhalbmal weniger. Das Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist ähnlich. Der Handel auf dem EU-Binnenmarkt erreicht einen Wert von 20 Prozent des BIP der Europäischen Union. Auf dem lateinamerikanischen Binnenmarkt macht der Handel nur drei Prozent des lateinamerikaweiten BIP aus.
Zwei Zahlen mehr. Im Fall Brasiliens werden nur 8,6 Prozent seines Außenhandels mit dem Mercosur abgewickelt. Während die BNDES jährlich Kredite von 80 Milliarden US-Dollar vergibt – mehr als das PIB von fünf südamerikanischen Ländern – stellt sich die Frage: Wer erinnert sich an die Banco del Sur? Um große Bauprojekte durchzuführen, ziehen viele Regierungen eines Finanzierung über die BNDES vor, obwohl dies die Bedingung einschließt, brasilianische Baufirmen zu beschäftigen.
Ich schließe Böswilligkeit der Regierungen aus. Die Einrichtungen der regionalen Integration können sich aber nicht darauf beschränken, die destabilisierende Rechte zu verurteilen, auch wenn dies absolut notwendig ist. Es ist alles andere als zufällig, dass die Kommunen, Provinzen und (Bundes-)Staaten in denen das Soja-Agrarbusiness vorherrscht, fast immer rechte Regierungen aufweisen.
Das Agrarbusiness ist viel mehr als der Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut, um Verpflegungsrationen zu produzieren. Es ist ein politisches, ökonomisches, kulturelles und soziales Geflecht, das eine Verbindung anti-demokratischer Kräfte schafft und ökologisch nicht haltbar ist. Es sind derartige Beziehungsgeflechte auf diesen Territorien, welche die Nährböden für die politische und mediale Rechte bereiten, die Marktputsche und möglicherweise Staatsstreiche ersinnen. Von ähnlicher Logik sind die Erträge im Bergbau- und Erdölsektor bestimmt.
Es ist zugegebenermaßen nicht einfach, aus diesem Modell auszusteigen. Unter anderem, weil es in der Bevölkerung eine Einstellung erzeugt hat, die einem konsumorientierten und entpolitisierten Lebensmodell, das die Ernährungssicherheit nicht berücksichtigt, positiv gegenübersteht. Darum ist es notwendig, dieses Modell zu diskutieren, es zu konfrontieren. So wie es die Landlosenbewegung MST macht, selbst wenn damit das Risiko einer gewissen Isolierung verbunden ist. Das Modell abzufeiern, wie es Dilma Rousseff tat und es ein bedeutender Teil der Regierungen zelebriert, arbeitet der Rechten in die Hände.
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