500 Jahre menschengemachtes Artensterben

(Sydney, 29. Januar, 2021, desinformémonos).- Laut einer am 15. September 2020 im „Nature Scientific Reports“ erschienenen Untersuchung sind seit Beginn der Kolonisierung mehr als 56% der Säugetiere der Neotropis-Region ausgestorben. Besonders betroffen ist die Spezies der Huftiere, zu der auch der Tapir (Tapirus terrestris) und der Weißbartpekari (Tayassu peraci) gehören. Durch exzessive Jagd, beabsichtigte und unbeabsichtigte Brände sowie durch die Einfuhr von invasiven Spezies und das Einschleppen von Krankheiten trage der Mensch erheblich zum Verschwinden vieler Tierarten bei, so der Bericht. Zwar sei der Rückgang der Artenvielfalt und die Verringerung ihres Lebensraums seit dem 16. Jahrhundert konstant vorangeschritten, doch insbesondere in den letzten 50 Jahren seien die Schäden ausgesprochen hoch, berichtet Carlos Peres, Co-Autor der Studie und Professor für Ökologie und Tropenschutz der University de East Anglia (UEA) im Vereinigten Königreich. „Mit dem Bau der ersten großen Straße quer durch ganz Brasilien in das Amazonas-Gebiet ging ein massiver Verlust von Lebensraum einher. Bis 1971 war dieser Teil des Landes vom Rest Brasiliens abgeschnitten; der Abholzung der tropischen Wälder hat der Straßenbau erheblichen Vorschub geleistet.“

Brände, Jagd und die Zerstörung von Lebensraum setzen den Tieren zu

Die von Forscher*Innen der UAE und der Universidad de Sao Paulo durchgeführte Studie wertet Bestandsaufnahmen von Tieren an 1029 Forschungspunkte in 23 Ländern von Mexiko bis Chile und Argentinien aus. Diese Daten wurden zwar vorwiegend in den letzten 30 bis 40 Jahren erhoben, erlauben aber trotzdem Rückschlüsse auf die europäische Kolonialisierung. Die Analyse ergab, dass der von Menschen ausgeübte Druck, die Zerstörung von Lebensraum und die exzessive Jagd die Hauptursachen für das Aussterben der Tiere und das langfristige Schrumpfen der Körpergröße der Tiere gewesen sind. „Jede Spezies, die aus einer Artengruppe verschwindet, hinterlässt eine ökologische Lücke, die das Funktionieren des Ökosystems beeinträchtigt“, erklärt Juliano Bogoni, Studienautor und Postdoktorand der UEA. „Beispielsweise hat der Verlust eines großen Fruchtfressers zur Folge, dass sich die Dynamik der Waldzusammensetzung und die Gewichtung der Baumarten ändert, da die Verteilung der Samen und die Regeneration der Bäume beeinträchtigt werden. Das Aussterben eines dominierenden Raubtiers verändert die Fortpflanzungssituation seiner Beutetiere, oder es entstehen Lücken bei der Kontrolle von Erregerreservoirs. Durch das Aussterben einer lokalen Spezies verliert das Ökosystem seine genetische Wandelbarkeit und Teile seiner ökologischen Rolle, das heißt, seine funktionale Vielfalt nimmt ab“.

Auch kleine und mittelgroße Tierarten sind vom Aussterben bedroht

Peres, der in den letzten 40 Jahren die kommerzielle Jagd in den amerikanischen Tropen untersuchte, zeigt sich von den Resultaten überrascht: „Ich habe die Wildtiere im brasilianischen Amazonas untersucht wie kein anderer Biologe, ich bin es gewohnt, dass es in den von uns analysierten Lebensräumen die großen Spezies sind, die aussterben. Unsere Studies zeigt aber, dass auch viele mittelgroße Tiere vom Aussterben bedroht bzw. betroffen sind“, staunt Peres. Die Forscher*innen hoffen, dass die Studie dazu beitragen  könnte, die Ökosysteme in den Neotropen – speziell im Amazonas und den trockenen Gebieten des Pantanal, dessen Fauna bisher noch intakt ist – zu erhalten. Jedoch sind Regionen wie der atlantische brasilianische Regenwald und die Catinga (nordöstliche Landschaft in Brasilien) so geschädigt, dass sie in der Studie als „leere Ökosysteme“ bezeichnet werden.

Die Situation erfordert entschlossenes Handeln

In Zukunft müsse eine „wirksame Umsetzung und Durchsetzung von Gesetzen in den Schutzgebieten“ erfolgen,  der „politische Druck, diese Gebiete aufzulösen“  müsse ein Ende haben, betont Bogoni. Außerdem müssten Maßnahmen getroffen werden, um illegale Jagd, Abholzung und durch Menschen verursachte Brände zu verhindern. „Aktiver Naturschutz kann dazu beitragen, die intakten Ökosysteme des Amazonas und des Pantanal zu erhalten, die gegenwärtigen Brände haben jedoch verheerende Auswirkungen auf wild lebende Tiere und ihre Lebensräume“, warnt Peres. „Dass ausgerechnet die Region des Pantanal geradezu in Flammen versinkt, ist wirklich arg. Immerhin handelt es sich um ein Sumpfgebiet. Im Pantanal hat es seit vielen, vielen Jahren nicht gebrannt. Es gibt also viel Biomasse, viel Treibstoff zum Verbrennen. Die Menschen wissen Bescheid über die vielen toten Tiere und das Artensterben. Was im Pantanal geschieht, ist sehr schlimm, und es ist immer noch nicht zu Ende.“ Während die Resultate der Studie bestätigen, dass die Menschen zum Artensterben in den Neotropen beigetragen haben, schließt der Artikel mit einem Aufruf zum Handeln – und bietet einen Funken Hoffnung: „Seit den Anfängen der Jagd  in der Altsteinzeit vor drei oder vier Millionen Jahren,  als noch Werkzeuge aus Stein benutzt wurden, haben Menschenaffen und andere Tiere in friedlicher Koexistenz zusammengelebt, eine lange Zeit also “, schreiben die Autoren. „Der Verlust der Biodiversität hat erst kürzlich, mit Beginn der industriellen Revolution ein atemberaubendes Tempo an den Tag gelegt. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass der schlimmste Teil nun hinter uns und nicht vor uns liegt, andernfalls sieht es für die neotropische Säugetiere sehr, sehr schlecht aus“.

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