Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 25. Februar 2003

Inhalt


VENEZUELA

BOLIVIEN

URUGUAY

ARGENTINIEN

PARAGUAY

MEXIKO

HONDURAS

GUATEMALA

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

HAITI


VENEZUELA

Vier Tote und ein festgenommener Unternehmerführer

(Caracas, 20. Februar 2003, adital-poonal).- Wegen Landesverrats, Anstiftung zum Aufstand, Verwüstung und Gewalt gegen die Öffentlichkeit wurde der Präsident des venezolanischen Unternehmensbundes Fedecámaras Carlos Fernández nach einer Entscheidung des 34. Gerichtes von Caracas gegen Mitternacht des 20. Februar festgenommen. Die Maßnahme richtet sich auch gegen den Präsidenten des Gewerkschaftsverbandes CTV (Confederación de Trabajadores de Venezuela), Carlos Ortega, der sich momentan versteckt hält.

Der Entscheid des 34. Gerichtes wurde am Dienstag auf ein Gesuch der Staatsanwältin Luisa Ortega Díaz hin getroffen. Sie führt seit Januar aufgrund von Anzeigen von Privatleuten eine Untersuchung der negativen Folgen des Generalstreikes durch. Vor drei Wochen wurden Carlos Ortega und Carlos Fernández von der Staatsanwaltschaft als Zeugen vorgeladen. Nach dieser ersten Anhörung wurde Fernández erneut vorgeladen, dieses Mal als Beschuldigter. Zu diesem Treffen kam es nie.

Fernández, ein spanischer Unternehmer, führte zusammen mit Ortega seit dem 2. Dezember vergangenen Jahres den Generalstreik an, der den Rücktritt des verfassungsmäßig gewählten Präsidenten Hugo Chávez forderte. Die Protestaktionen führten zu einer Sabotage der Ölindustrie und zu schweren Verluste für die nationale Wirtschaft.

Carlos Ortega sei seinerseits nie vor dem Gericht erschienen und befinde sich momentan im Untergrund, erklärte am Donnerstag der ehemalige Generalsekretär der Demokratischen Bewegung (Acción Democrática) Rafael Marín. Nach der Festnahme von Fernández hatte die Staatsanwaltschaft 48 Stunden Zeit, um ihn vor Gericht zu stellen.

Der Führer des CTV Ortega sagte aus dem Untergrund, er sei auf diese Entscheidung vorbereitet gewesen. Er werde sich keinem Gericht stellen, da es keine Garantie für einen gerechten Prozess gebe. Außerdem verstecke sich hinter dem Haftbefehl ein Komplott, ihn zu töten, ließ Ortega die Öffentlichkeit wissen.

Mehrere Juristen der Opposition lehnten die Verhaftung des Präsidenten von Fedecámaras ab. Die ehemalige Präsidentin des höchsten Gerichtes des Landes, Cecilia Sosa, erklärte, dass die Vorwürfe gegen Fernández irrelevant seien und keine juristische Untersuchung verdienten. Es handle sich um eine politische Verfolgung.

Das ehemalige Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung Hermann Escarrá kritisierte die Entscheidung als einen Verstoß gegen die juristische Ordnung. „Diese Maßnahme zielt auf einen Kollaps der Ordnung ab, außerdem versucht sie die Glaubwürdigkeit des Verhandlungstisches zu beschädigen,“ sagte er. Escarrá rief die Generalstaatsanwaltschaft dazu auf zu intervenieren, die Untersuchungshaft gegen Fernández aufzuheben und weiterhin verfassungsmäßig zu handeln.

Indes wurden in der vergangenen Woche in Caracas drei Soldaten sowie eine Frau tot aufgefunden. Die Opfer wurden Medienberichten zufolge vor ihrem Tod misshandelt. Alle vier gehörten der Opposition an und beteiligten sich regelmäßig an Aktionen gegen die Regierung. Die drei ermordeten Soldaten zählten zu den aufständischen Militärs, die dem Präsidenten Chávez die Gefolgschaft verweigert hatten. Zwar hat die Polizei bisher keine Spur zu den Tätern, in Militärkreisen werden die Morde jedoch als Signal an abtrünnige Armeeangehörige gewertet.

BOLIVIEN

Goñi wechselt das Kabinett, nicht aber seine Politik

(La Paz, 20. Februar 2003, adital-poonal).- Der bolivianische Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada, auch Goñi genannt, begegnet den Forderungen nach seinem Rücktritt mit der Auswechslung seines Kabinetts. Unzählige Bürger drückten daraufhin in Interviews in Radio und Fernsehen ihre kategorische Ablehnung der derzeitigen Regierung aus. „Que se vayan todos, incluido Sánchez de Lozada“ – Sie sollen alle abhauen, mit samt dem Präsidenten – , war der Tenor, mit dem der Rücktritt der 18 Minister am 18. Februar kommentiert wurde.

Nach den Massakern an Kokabauern, Polizisten und der Zivilbevölkerung rückte der ehemalige Ministerstab im letzten halben Jahr enger um seinen Präsidenten zusammen. Dieser Zeitraum war geprägt von der Verschärfung der wirtschaftlichen Krise und der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung. Auf den Schultern des Präsidenten und seines ersten Kabinetts lastet die Verantwortung für die sozialen Auseinandersetzungen, die ein Saldo von 53 Toten, 233 Verletzten und beinahe 500 Festnahmen allein seit Jahresbeginn hinterließen. Diese Zahlen veröffentlichte das regierungsunabhängige Institut für Rechtsfragen CEJIS (Centro de Estudios Jurídicos e Investigación).

Das neue Kabinett von Sánchez de Lozada wird von zwölf Ministern und einem Sonderbeauftragten für Erdöl und Energie gebildet. Die neuen Minister sind wie ihre Vorgänger Vertreter aus Unternehmerkreisen und Funktionäre der in der Regierungskoalition vertretenen neoliberalen Parteien. So wird ein grundsätzlicher Wechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wohl ausbleiben, der mit Nachdruck von der arbeitenden bürgerlichen Bevölkerung gefordert wird.

Schlimmer noch, diese Politik wird sich nicht im Geringsten ändern – schließlich wurden sowohl die Minister im Wirtschaftsressort, die für die Steuererhöhungen verantwortlich zeichneten, als auch der Verteidigungsminister, der für die Gewalttaten des Militärs verantwortlich war, in ihren Ämtern bestätigt. Ausgewechselt wurden der Innenminister und der Minister im Präsidialamt, Carlos Sánchez Berzaín, die für die Repression hauptverantwortlich waren. Letzterer wurde zwar vom Präsidenten gebeten, sein Amt weiter zu bekleiden, trat jedoch zurück, um weiteren Schaden von Sánchez de Lozada abzuwenden.

Sánchez Berzaín wird von der politischen und gewerkschaftlichen Opposition als rechter Arm Goñis und graue Eminenz der Repression betrachtet. Nach seinem Rücktritt wird er wieder Generalsekretär der Nationalrevolutionären Bewegung (MNR) werden, die die größte Partei in der Regierungskoalition ist. In seiner Rede zum Amtsantritt des neuen Kabinetts hob Sánchez de Lozada die bisherige Arbeit seiner Mitarbeiter hervor, kündigte jedoch keine Veränderungen seiner Wirtschaftspolitik an. Auch die umkämpften Steuererhöhungen wurden von ihm nicht angesprochen. Geschweige denn die Themen Koka und Gas. Er sagte lediglich, dass das neue Kabinett effizienter sein und weiterhin den Dialog mit der Gesellschaft suchen werde, um die großen Probleme der Bolivianer zu lösen.

Der wichtigste Führer der Bewegung zum Sozialismus MAS (Movimiento Al Socialismo), Evo Morales, bezeichnete die Regierungsumbildung als ein Manöver, um die Aufmerksamkeit von der wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes abzuwenden. Im Anschluss an die Amtseinführung der neuen Minister der Regierung des Präsidenten de Lozada wiederholte der Kokabauernführer seine Kritik an der Haltung des Staatsoberhauptes, der angesichts der Massenproteste keinen klaren Wechsel seiner Politik vollzogen habe. Auch der Verbleib des ehemaligen Ministers im Präsidialamt, Carlos Sánchez Berzaín, im präsidialen Umfeld wurde von Morales scharf kritisiert.

URUGUAY

Polizei und Justiz auf den Spuren von Neonazis

(Montevideo, 15. Februar 2003, comcosur-poonal).- In Montevideo treten wieder Gruppen mit nationalsozialistischer Tendenz auf. Wie die Tageszeitung „La República“ am 9.Januar gemeldet hatte, haben diese Gruppen in verschiedenen Vierteln der Stadt Wandparolen gegen die jüdische Gemeinschaft angebracht.

Nachdem die Gruppe „Toleranz Ja“ dies öffentlich gemacht hatte, übergab der Minister für Erziehung und Kultur die Angelegenheit an den uruguayischen Geheimdienst. Das Nationale Amt für Information und Nachrichten ermittelte die mutmaßlichen Täter. Nach Angaben der zitierten Zeitung hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Richter Jorge Imaz leitete die Fahndung nach den Verdächtigen.

Am 5. Februar wurden dann in den Stadtvierteln Prado und Pocitos Hausdurchsuchungen vorgenommen. Dabei wurden drei Jugendliche im Alter zwischen 16 und 17 Jahren festgenommen. Die Polizei fand dabei einen Revolver, Kaliber 22, Sprühdosen, zwei Computer und Naziliteratur, darunter „Mein Kampf“ von Adolf Hitler und Unterlagen der Gruppe „Jugend für Nationalistische Wiederauferstehung“ (Juventud por el Resurgir Nacionalista – JRN).

Aufgrund der Ermittlungen wurden verschiedene Nazigruppen mit Namen wie „Schwadron 88“, „Stolz“, „Skinhead“, „X-Klan“, „Blut und Ehre“ und „Weiße Macht“ entdeckt. Gegen einige dieser Gruppen richteten sich schon einmal Untersuchungen. Mitglieder dieser Gruppen wurden deshalb vorgeladen und verhört. Einige bestritten aber jede Beteiligung an den Wandschmierereien.

Bei der Vernehmung gaben die Jugendlichen zu, an Versammlungen teilgenommen zu haben, bei denen sie ideologisch geschult und konkrete Aktionen geplant worden seien. Sie gaben zu, die Urheber der beleidigenden Parolen gegen Juden und den ehemaligen Wirtschaftsminister Albert Bensión zu sein. Sie bestritten jedoch, den Ex-Wirtschaftsminister seit seinem Amtsrücktritt bedroht zu haben. Außerdem wurden mindestens noch zwei weitere Jugendliche ermittelt, die an einem Treffen zur „Ehrung des Führers“ teilgenommen hatten. Diese wiesen aber die Anschuldigung zurück, an den Parolenmalereinen beteiligt gewesen zu sein. Dies wurde von den anderen Festgenommenen bestätigt.

Da die Beschuldigten noch nicht volljährig sind, wurde der Fall an einen dafür zuständigen Richter abgegeben, der die Festgenommen ihren Eltern übergab. Über eine Ladung soll später entschieden werden. Nach den von „La República“ veröffentlichten Informationen stammen die Jugendlichen aus der gehobenen Mittelklasse. Es wird nach einem inzwischen untergetauchten Erwachsenen gefahndet, der sie geschult haben soll. Die Wohnung dieser Person wurde am 5. Februar durchsucht. Die Fahndung der Polizei dauert an. Währenddessen werden mögliche Verbindungen zwischen den ermittelten Gruppen und einigen „Mutterorganisationen“ untersucht.

ARGENTINIEN

Arbeiter*innen besetzter Fabriken halten gemeinsame Versammlung ab

(Buenos Aires, 15. Februar 2003, pulsar-poonal).- Mit der Teilnahme von fast 300 Personen hat eine offene Versammlung in der unter Arbeiterkontrolle stehenden Fabrik Brukman weit die Erwartungen der Organisatoren überschritten. Die Versammlung wurde von den Arbeiter*innen von Zanon und weiteren besetzten Fabriken einberufen.

Während des Treffens wurden verschiedene Vorschläge diskutiert, die von den Basisversammlungen der Teilnehmer*innen und den Organisatoren eingebracht worden waren.

Die Arbeiter*innen von Zanon schlugen vor, für sichere Jobs für alle Arbeiter*innen zu kämpfen und forderten die Öffnung der geschlossenen Fabriken. Darüber hinaus schlugen sie die Umsetzung eines Planes öffentlicher Arbeiten unter Kontrolle der Arbeiter*innen vor.

Die Arbeiter*innen von Brukman schlossen sich den Vorschlägen an und ergänzten diese mit der Forderung nach endgültiger Enteignung der besetzten Fabriken und dem Aufbau von Berufsschulen, um den arbeitslosen Kollegen Arbeit zu verschaffen.

Außerdem wurde die Errichtung eines Handelsnetzes vorgeschlagen, um den Vertrieb der verschiedenen Produkte der sich im Kampf befindlichen Fabriken zu organisieren. Die Beteiligten bekräftigten zudem die Notwendigkeit eines Nationalen Kongresses für Arbeiter*innen, Arbeitslose, Bürgerversammlungen, besetzte Fabriken, Student*innen und politische Parteien mit Delegierten und Basismandaten.

Drohungen gegen Bürgerrechtsbewegung in Esquel

(Montevideo, 16. Februar 2003, comcosur-poonal).- Die Nachbarschaft von Esquel (Provinz Chubut), die seit vergangenem Dezember Demonstrationen organisiert, um zu verhindern, dass sich in ihrer Region die Bergbaufirma Meridian Gold niederlässt, wurde mit vielen Drohungen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert. In den letzten 48 Stunden haben diese noch an Qualität und Quantität zugenommen.

Dem Dozenten Lucas Fosatti, der schon zuvor zu Hause bedroht worden war, wurde die Haustür gewaltsam beschädigt und sein Auto angefahren. Leonardo Ferro, einer der ersten aus der Nachbarschaft, der zur Selbstorganisation gegen die Firma aufgerufen hatte, informierte darüber, dass er ständig Drohanrufe erhalte. Zweimal seien Anspielungen auf seine zwei Töchter gemacht worden.

Diese neuen Einschüchterungen kommen zu den Todesdrohungen hinzu, die drei Dozenten der Universidad Nacional San Juan Bosco (mit Sitz in Esquel) und eine Stadträtin erhalten haben, die öffentlich ihre Opposition in Sachen Bergbau bekundet hatten. Die Drohungen wurden schon den Gerichten, Menschenrechtsorganisationen und Landesabgeordneten gemeldet, damit die Fälle in der Region bekannt werden. Weiterhin fand am 25. Februar eine Demonstration statt. Bereits bei der letzten Demo beteiligten sich über 4 000 Personen.

Die selbstorganisierten Nachbarn hatten wegen dieser Mobilisierung schon vorab Drohungen erhalten, laut denen während der Demonstration gewalttätige Akte durch eingeschleuste Personen ausgeführt würden, um sie als illegale Organisation anklagen und auf sie das Gesetz zur Verteidigung der Demokratie anwenden zu können. Außerdem werfen die Nachbarn der Firma vor, Umfragen durchführen zu lassen. Personen gehen demnach von Tür zu Tür. Aus deren Fragen werde deutlich, dass es darum gehe, die oppositionellen Gruppen gegen das Bergbauprojekt zu identifizieren und zu charakterisieren.

Drohungen gegen Radio und Journalisten aus Neuquén

(Montevideo, 16. Februar 2003, comcosur-poonal).- In der Nacht zum vergangenen Donnerstag (7. 2.) wurde die gesamte Fassade des kooperativ geführten Universitätsradios FM 103,7 Radio Universität (CALF) mit Parolen wie „Marcel, lass Sobisch in Ruhe“, „Marcel du Lügner“, „Marcel verschwinde, du schwuler Idiot“ beschmiert. CALF ist der Name der Elektronik-Kooperative von Neuquén, der Zahl der Mitglieder nach die größte im ganzen Land ist.

Der genannte Journalist Carlos Marcel moderiert zusammen mit seinem Kollegen Marcelo Pascuccio die Sendung „La palangana“ („Der Schwätzer“). Beide erfahren große Anerkennung in der gesamten Provinz wegen ihrer scharfen und beißenden Kritik an der Amtsführung der Provinzregierung unter Gouverneur Jorge Omar Sobisch von der Volksbewegung Neuquéns (Movimiento Popular Neuquino), die diese Provinz seit 42 Jahren regiert. Die Regierung Sobisch befindet sich in ihrer zweiten Amtszeit.

Die Regierung hat diese von zwei jungen Journalisten aus der Gegend moderierte Sendung schon einmal genau beobachtet und sich ganz außerordentlich aufgeregt über die Dinge, die darin gesagt wurden. Bereits im Januar 2002 wurde offizieller Druck auf die Leitung von LU5 Radio Neuquén ausgeübt, den Sendeplatz zu streichen, auf dem „La palangana“ seit mehr als zwei Jahren gesendet hatte. Damals waren gerade vier oppositionelle Gewerkschaftsführer vom Regionalverband Neuquén des CTA (Central de Trabajadores Argentinos) verhaftet worden. LU5 ist das Mittelwellenradio, das lokal am meisten gehört wird.

Während die Kritiken immer schärfer wurden, wuchs auch der Ärger vieler an der Macht beteiligter Politiker. Schon Ende vergangenen Jahres hatte Marcel erste telefonische Drohungen gegen sein Leben erhalten. Die Anrufer stellten sich zwar nicht vor, warnten aber deutlich, „dass die Justiz auf Seiten der Regierung steht“. Und nun die Schmierereien an der Außenwand des Radios.

PARAGUAY

Radios Comunitarias im Dialog

(Asunción, 13. Februar 2003, pulsar-poonal).- Die Vertreter der kommunalen Radios von COMUNICA, „Asociación Paraguaya de Radiodifusión Comunitaria“ und „Red de Radios Populares“ haben ihre erste Versammlung mit dem neuen Vorsitzenden der nationalen Kommission für Telekommunikation abgehalten. Auf diesem Treffen entwarfen sie die Planung zur endgültigen Legalisierung der Radios Comunitarias.

Die Vertreter der Radiomacher*innen zeigten sich über die Handhabung dieses Themas besorgt und beantragten die Schließung der Piratensender (der Begriff „Piraten“ bezieht sich in diesem Fall auf Privatsender ohne Erlaubnis), welche das Land überschwemmen. Einige dieser Sender bezeichnen sich sogar selbst als kommunal und verursachen so ein großes Chaos im Radio-Spektrum.

Der Präsident der nationalen Kommission für Telekommunikation hat angekündigt, dass ab der nächsten Woche die Interventionen gegen die Piratensender begännen und hat weiterhin versprochen, dieses Problem nun endgültig zu lösen.

Gemäß Mirian Candia, Präsidentin von COMUNICA, ist der zur Diskussion stehende Vorschlag darauf gestützt, dass die Kommunalradios von Central und Asunción ohnehin schon autorisiert seien, da sie die Frequenzen seit mehr als fünf Jahren nutzten und dabei immer mit denselben technischen Charakteristika arbeiteten. Diese hätten keinerlei Störung an irgendeiner Radiostation im Umkreis verursacht.

COMUNICA und „Red de Radios Populares“ arbeiten seit zehn Jahren für die Entwicklung von kommunalen, volkseigenen, assoziierten, erzieherischen, pluralistischen und unabhängigen Radiosendern, welche über die Kommunen zur Demokratisierung der Kommunikation in Paraguay beitragen.

MEXIKO

Gefangene Indígenas im Hungerstreik

(Mexiko-Stadt, 24. Februar 2003, poonal).- Mit einer „Dringenden Eilaktion“ machte das Menschenrechtszentrum „Centro de Derechos Humanos Tepeyac“ aus Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca vergangene Woche auf einen Hungerstreik im Gefängnis von Tehuantepec aufmerksam. Seit dem 17. Februar verweigern vier inhaftierte Männer aus der zapotekischen Gemeinde Guevea de Humboldt/Oaxaca für unbefristete Zeit die Nahrungsaufnahme. Vor den Gefängnistoren haben sich neun Familienangehörige der Aktion angeschlossen.

Die Zapoteken wurden verhaftet, nach dem der ehemalige Kommunalpräsident Heriberto Orozco Ramos am 30. Dezember 2000 in einem Hinterhalt ermordet worden war. Sie sollen für den Mord verantwortlich sein, Beweise hierfür gibt es nach Worten der Menschenrechtsorganisation nicht.

Orozco Ramos war in seinem Amt von der Partei der Institutionalisierten Revolution (Partido Revolucionario Institutional, PRI) unterstützt, jedoch bei Wahlen im Jahr 1995 von der Gemeindeversammlung nach „usos y costumbres“ (Gewohnheiten und Sitten) abgewählt worden. Der machthabende Kazike hatte sich damals geweigert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um aus seinem Amt zu scheiden und somit Beschlüsse der Gemeindeversammlung ignoriert. In der Folge kam es zu Streitigkeiten zwischen dem Präsidenten und der Mehrheit der Gemeindebewohner, die mit Anzeigen u.a. gegen die jetzigen Gefangenen endeten.

Einzig diese Vorkommnisse dienten nach Angaben des Centro Tepeyac der Justiz von Tehuantepec, um nun neun Zapoteken des Mordes an Orozco Ramos anzuklagen. Entlastungszeugen würden im gegenwärtig laufenden Prozess nicht gehört und Personengegenüberstellungen nicht vorgenommen, kritisieren die Menschenrechtler.

Die Gefangenen hätten sich dafür eingesetzt, das System der Wahl der Gemeindepräsidenten nach den „usos y costumbres“ zu erhalten. Um davon abzulenken, verschleppe das Gericht die Untersuchungen und fabriziere Schuldige. Das Centro Tepeyac fordert deshalb die sofortige Freilassung der „Gesinnungsgefangenen“ sowie „Respekt und Anerkennung“ der Rechte unserer „indigenen Völker“.

Droht ein Massaker in San Juan Chamula?

(San Cristóbal de las Casas, 14. Februar 2003, alc-poonal).- „Jeden Moment kann ein Massaker geschehen“ erklärte der evangelische Pastor und Menschenrechtsanwalt Esdras Alonso Gonzàlez. Damit bezog er sich auf die Situation in San Juan Chamula im südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas.

Die traditionellen Kaziken, die Dorfgewaltigen der ländlichen Gemeinden der Region, rufen nach Angaben von González gegenwärtig zur Verfolgung der evangelischen Christ*innen, die Angehörige der indigenen Bevölkerungsgruppen Tzotzil und Tzeltal sind, aber auch der katholischen Christ*innen auf, die nicht bereit seien, von den Kaziken regiert zu werden.

Gonzàlez kritisiert, dass weder die Presse, noch der mexikanische Staat verstehen würden, was in Chiapas im Moment geschehe. „Sie [Presse und Staat] kritisieren die evangelischen Christen dafür, dass sie sich bewaffnen. Sie wissen nicht, dass in Chamula viele verschiedene Gruppen existieren – Anhänger des katholischen Bischofs Samuel Ruiz, Militante der PRD (Partei der demokratischen Revolution), Zapatisten – alle kämpfen um die politische Macht. Diese Gruppen werden nicht von der Presse angeklagt, sondern es wird permanent die evangelische Kirche verantwortlich gemacht“, sagte er.

González ist Pastor der Kirche Alas de Águila, einem unabhängigen Netzwerk von Kongregationen, das vor sechs Jahren gegründet wurde und 2200 Mitglieder hat. 1993 kam er nach San Cristóbal, wo er mit den Tzotzil und Tzeltal in Kontakt kam und von der Verfolgung erfuhr, unter der diese zu leiden hätten. Die Mehrheit dieser indigenen Bevölkerungsgruppe, berichtete er im Interview, seien seit 40 Jahren der willkürlichen Behandlung durch die traditionellen Kaziken ausgesetzt.

González erwähnte, dass die evangelischen Protestant*innen von den Katholik*innen der Diözese von San Cristóbal und von der damit verbundenen Menschenrechtsorganisation Fray Bartolomé de las Casas unterstützt werden.

Er hob hervor, dass dennoch das Interesse bestehe, die evangelische Kirche als Sündenbock zu benutzen und die Evangelisierung zu behindern. „Es gibt Banden in Chamula, die ein Interesse daran haben, Konflikte anzuzetteln, um zuerst die Regierung zu destabilisieren, und dann besondere Interessensgruppen zu schaffen“.

Nach Worten des Präsidenten der Nationalen Brüderlichkeit der Christlichen Evangelischen Kirchen (CONFRATERNICE) Arturo Farela Gutiérrez haben katholische Traditionalist*innen und Kaziken aus San Juan Chamula 30 000 Pesos (2.500 US-Dollar) geboten, um einen evangelischen Führer zu ermorden.

HONDURAS

Ausmaß der Gewalt gegen Kinder weiterhin alarmierend

(Tegucigalpa, 19. Februar 2003, adital-poonal).- Nach wie vor ist Honduras Schauplatz von tödlicher Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Diese Problematik fand allein im Januar mit 59 Todesopfern unter 23 Jahren ihre traurige Fortsetzung. Statistische Auskunft darüber erteilte die Einrichtung Programa de Apoyo Legal der Casa Alianza Honduras.

Casa Alianza zufolge waren fünf Prozent der Opfer (3) sechs- bis zwölfjährige Kinder; bei 34 Prozent der Fälle (20) handelte es sich um Jugendliche der Altersspanne von zwölf bis 18 Jahren, während mit 54 Prozent die meisten (32) der Todesopfer der Altersgruppe der 18 bis 23jährigen angehören; in vier Fällen (7 Prozent) ließ sich das Alter nicht ermitteln.

Tegucigalpa und Comayaguela sind die Orte, in denen die meisten Opfer solcher Verbrechen verzeichnet wurden. Dabei ist der Gebrauch von Schusswaffen ganz besonders hoch; 88 Prozent der Todesfälle wurden dadurch verursacht; Hieb- und Stichwaffen machten acht Prozent aus, und in vier Prozent der Fälle waren es andere Waffen.

Was die Täterschaft anbelangt, handelt es sich offensichtlich in 84 Prozent der Fälle um bislang unbekannte Personen (darin einbegriffen acht Prozent sogenannter „Killerautos“), bei 14 Prozent um Banden und zwei Prozent der Mordfälle werden privaten Sicherheitskräften zugeschrieben. 92 Prozent der Opfer waren männlichen, acht Prozent weiblichen Geschlechts.

Weitere neun solcher statistischer Berichte zum Mord an Kindern reichte Casa Alianza jetzt im Januar bei der Abteilung zur Ermittlung von Morden an Minderjährigen in der Obersten Kriminalbehörde ein. Dort sind weitere 24 Fälle beschrieben. Bis heute ist jedoch bedauerlicherweise nur eine einzige Festnahme erfolgt.

GUATEMALA

OAS besorgt über die Situation der guatemaltekischen Presse

(Guatemala, 17 Feb 2003, cerigua-poonal).- Der Referent für Meinungsfreiheit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Eduardo Bertoni, hat Besorgnis geäußert, weil in Guatemala Journalisten, die sich gegenüber der Regierung kritisch zeigen, mit rechtlichen Schritten gedroht wird.

Der argentinische Anwalt Bertoni besuchte Anfang Februar Guatemala und erklärte bei dieser Gelegenheit, dass die fortgesetzten Angriffe auf Journalisten und unabhängige Presseorgane ihm Sorge bereiten würden. Er erklärte, seine Abteilung habe verschiedene Beschwerden entgegengenommen, die vom Belegen von Journalisten mit Strafen bis zu Verboten gingen, die sie an der Ausübung ihres Berufes hinderten.

Die gesetzlichen Schritte, die gegen die Presseleute eingeleitet würden, wenn sie Kritik an der Regierung üben, können sogar zu Haftstrafen führen. Dazu komme, dass die Journalisten juristisch unter Druck gesetzt würden, damit sie ihre Quellen preisgeben. Das verstößt laut Bertoni gegen die Prinzipien der Meinungsfreiheit.

Der Fall Mack: Staat macht sich der Missachtung schuldig

(Guatemala, 20. Februar 2003, cerigua-poonal).- Die Stiftung Myrna Mack beschuldigte den guatemaltekischen Staat der Missachtung, der Versäumnisse, der Verweigerung und der Aufgabe der Verteidigung. Der Grund: die Regierungsvertreter haben sich vom Verfahren gegen den Staat wegen des Mordes an der Anthropologin Myrna Mack beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte CIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) zurückgezogen.

Am zweiten Tag der Anhörung am Sitz der internationalen Institution in San José, Costa Rica, entschlossen sich die Verteidiger der Regierung zum Rückzug aus dem Prozess. Sie begründeten dies mit dem Argument, dass sie nicht länger Zeugenaussagen anhören könnten, die den Staat Guatemala und sein Justizsystem schwächen würden.

Die Vertreter des Staates verließen den Prozess, nachdem die zuständigen Richter den Antrag des Außenministers Edgar Gutiérrez zur Einstellung des Verfahrens abgelehnt hatten. Im Gegenzug zur Einstellung hatte man angeboten, die institutionelle Verantwortlichkeit für diesen Fall anzuerkennen und die „beklagenswerte“ Funktionsweise des Sicherheits- und Justizsystems zu ändern.

Die Myrna-Mack-Stiftung versteht diesen Entschluss der Staatsrepräsentanten als Versuch, alle bisherigen Verfahren vor den Gerichten, die den Staat wegen seiner institutionellen Verantwortung für den Mord an der Anthropologin und späteren Verweigerung der Justiz schuldig gesprochen hatten, zu ignorieren.

In einer Pressemitteilung wies die Stiftung darauf hin, dass eine Regelung des Gerichtshofes vorsehe, dass das Gerichtsverfahren unverändert weiterzuführen sei, auch wenn eine der Parteien sich zurückziehen sollte. Dies bedeute, dass der Prozess ebenso wie das zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte Urteil der Richter seine Gültigkeit bewahren werde, obwohl die Anwälte des Staates nicht mehr im Prozess anwesend seien.

Seit Prozessbeginn am vergangenen Dienstag haben die Richter des Interamerikanischen Gerichtshofes mehrere Zeugenaussagen gehört, die die Arbeit der Anthropologin in verschiedenen Gemeinden sowie die Mechanismen zur Behinderung der Justiz näher erläuterten und Daten über den Mord anführten.

Es ist das erste Mal in der Geschichte des Interamerikanischen Gerichtshofes, dass sich eine Partei vom Verfahren zurückzieht. Das Verhalten der Vertreter des guatemaltekischen Staates in diesem Prozess wegen Verweigerung der Justiz im Mordfall Myrna Mack wird nun mit der Haltung Perus unter der Regierung Alberto Fujimoris verglichen. Auch diese hatte sich geweigert, bei einem Prozess zu erscheinen.

Myrna Mack wurde am 11. September 1990 durch 27 Messerstiche ermordet. Drei Jahre danach wurde Noel de Jesús Beteta Álvarez, eine Spezialist der Präsidentengarde EMP, des Verbrechens schuldig gesprochen und zu 30 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober vergangenen Jahres hat eine Gericht Oberst Juan Valencia Osorio wegen geistiger Urheberschaft zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt.

In den Armenvierteln regiert die Gewalt der Straßenbanden.

Von Andreas Boueke

(Guatemala-Stadt, Februar 2003, npl).- Brav sitzen sie auf ihren Stühlen. Dreißig Jungen und Mädchen nehmen an einem Seminar zur Vorbeugung von Jugendgewalt teil. Veranstalterin ist die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ. Die Jugendlichen leben in Armenvierteln am Rand der Hauptstadt des mittelamerikanischen Landes Guatemala. Dort regiert die Gewalt der beiden größten Jugendbanden des Landes.

Der Konflikt zwischen der Mara 18 und der Mara Salvatrucha fordert nahezu täglich Todesopfer. „Ich habe schon viele Leichen auf der Straße liegen sehen,“ erzählt der achtzehnjährige Carlos vom Alltag in seinem Barrio Mezquital. „Die Krankenwagen sausen vorbei oder Polizisten rennen mit gezogener Pistole. Raub und Mord sind Teil unseres Lebens, genauso wie die Angst. Trotzdem wohne ich gerne dort. Es ist ein faszinierender Ort.“

Zu Beginn des Seminars stellen sich die Jungen und Mädchen gegenseitig Fragen über ihre Hobbys und Geburtstage. Mitten drin steht die sechzehnjährige Jessica. Sie trägt enge Jeans und fühlt sich offensichtlich wohl in der Gruppe. Mit einem koketten Lächeln flirtet sie mit den Jungen. Und sie stellt klar, dass sie nicht so enden wolle wie einige der Mädchen in ihrer Siedlung: „Diejenigen, die sich einer Mara anschließen, müssen für die Jungen das Essen besorgen und ihre sexuellen Wünsche erfüllen. Manche machen bei Straßenkämpfen mit. Das ist sehr gefährlich. Dabei sind schon einige Mädchen ermordet worden.“

Die Seminare sind Teil einer Vorbeugungsstrategie des GTZ-Projektes PRO JOVEN, das von der deutschen Entwicklungsexpertin Heidrun Gilde koordiniert wird. Die Jugendlichen sollen erkennen, dass sie einen positiven Einfluss auf ihr Umfeld nehmen können. Der Umgang mit Gewalt ist in Gildes Job alltäglich: „Oft gibt es am Wochenende oder in der Nacht Schießereien. Einige Jugendliche, mit denen wir gearbeitet haben, sind nicht mehr am leben. Wir fragen uns oft, was wir wirklich dazu beitragen können, diese Situation zu verbessern. Zumindest kurzfristig ist das sehr schwer.“

Die Zahl der Opfer von Jugendgewalt steigt ständig. In Guatemala-Stadt werden Tag für Tag rund ein Dutzend Menschen ermordet. Knapp fünfzig Prozent der Bevölkerung sind noch keine zwanzig Jahre alt. Der guatemaltekische Staat reagiert mit Repression auf die Zunahme der Jugendgewalt. Vor allem in wohlhabenden Siedlungen greift die Polizei hart durch. Dort werden Jugendliche schon deshalb festgenommen, weil sie sichtbare Tatoos tragen, die als typische Merkmale von Bandenmitgliedern gelten.

In Armenvierteln hingegen hält sich die Polizei zurück. Die Schülerin Jessica meint, in ihrem Barrio könnten sich die Mitglieder der Maras ungehindert bewegen: „Nach einer Schießerei kommt zuerst die freiwillige Feuerwehr, um die Toten und Verletzten zu bergen. Die Polizisten haben Angst. Sie kommen erst drei, vier Stunden später, wenn längst alles vorbei ist.“

Über ein Drittel der Bevölkerung von Guatemala-Stadt lebt in Armenvierteln, in denen oft ein Mangel an grundlegender Versorgung herrscht. Es gibt keine Kanalisation, keine Straßenbeleuchtung und kein fließend Wasser. Auch um Programme für die Jugend kümmert sich die Stadtverwaltung nur unzureichend. In diesem Bereich engagieren sich vor allem Nichtregierungsorganisationen.

Auch ein Projekt zur Reintegration jugendlicher Straftäter wird vorwiegend von UNICEF finanziert. Der Direktor des Projekts, Durley Montufar, meint, die gewalttätigen Maras seien längst über das Stadium kleiner Straßengangs hinausgewachsen. Sie haben ein Netz internationaler Beziehungen geflochten: „Die Mara Salvatrucha zum Beispiel stammt aus Kalifornien. Dort haben sich vor allem Migrantenkinder aus El Salvador organisiert, um sich besser gegen Übergriffe durch weiße Nordamerikaner verteidigen zu können. Einige der Jugendlichen werden straffällig, von der US-Polizei gefasst und nach Mittelamerika deportiert. Hier gründen sie neue Banden, deren Anführer weiterhin direkte Anweisungen aus Los Angeles erhalten.“

In Guatemala gehören bis zu 20 000 Jugendliche und junge Erwachsene den Jugendbanden an. Somit sind die Maras die größten Jugendorganisationen des Landes. Vor wenigen Jahren bestand noch die Möglichkeit, ihre Energie und Motivation für positive Entwicklungsansätze zu nutzen. Doch die Verteufelung der Maras durch die Medien, die Diskriminierung durch die Polizei und die Instrumentalisierung durch Drogenkartelle haben eine Explosion der Gewalt und Rebellion gefördert, die nahezu unkontrollierbar geworden ist.

Der zwanzigjährige Jiaron versucht seit kurzem, den Absprung zu schaffen. Sein Körper ist übersät mit Tatoos und Narben von Schusswunden. An den Mundwinkeln hat er sich vor sechs Jahren die Ziffern 1 und 8 eintätowieren lassen. Sie stehen für den Namen seiner Bande, die „Mara 18“. Jetzt lässt er sich die Tatoos in einem schmerzhaften Prozess entfernen: „Für die Mara 18 sind diese beiden Ziffern heilig,“ erläutert Jiaron. „Schon wenn jemand nur einen Witz über sie macht, spielt er mit seinem Leben. Als meine Kameraden erfahren haben, dass ich meine Tatoos wegmachen lasse, haben sie mich mit einem 'green light' versehen. Das bedeutet, dass mich jeder töten darf. Die von der Mara Salvatrucha wollen mich schon lange umbringen, und jetzt auch meine eigenen Leute von der Mara 18. Nichts von dem, was ich für sie getan habe, zählt mehr. Ich habe für sie gemordet, auch wenn sich sonst niemand getraut hat. Trotzdem wollen sie mich töten.“

Jiarons Name der Straße war „Wicked“, das englische Wort für böse. „Einmal habe ich die Tochter eines Salvatruchas vor seinen Augen erschlagen. Sie war zwei Monate alt. Ich wollte, dass er besonders leidet. Heute tut mir das alles leid.“

Jiaron glaubt an eine bessere Zukunft für die Jugend Guatemalas. „Wenn mir der Herrgott erlaubt, in zehn Jahren noch am Leben zu sein, werden wir die Gewalt bestimmt überwinden. Mein Bekenntnis und das Zeugnis vieler anderer junger Menschen, die bereit sind, sich zu rehabilitieren, werden dazu führen, dass sich etwas ändert. Wenn einer wie ich das schaffen kann, können andere es auch.“

Als ehemaliges Bandenmitglied hoffte Jiaron auf eine bessere Zukunft. Er – der in seinem kurzen Leben mehrere Menschen getötet hat – wünschte sich eine gewaltfreie Jugend für die kommende Generation. Selbst wird er die Entwicklungen der nächsten Jahre aber nicht mehr miterleben. Wenige Tage nach dem Interview wurde seine verstümmelte Leiche in einer Seitenstraße nahe der städtischen Müllhalde gefunden.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Menschenrechtsaktivistin erhält Amnesty-Preis

(Santo Domingo, 23. Februar 2003, textosdom-poonal) Die dominikanische Menschenrechtsaktivistin Sonia Pierre erhält den diesjährigen „Ginetta Sagan“-Preis. Die US-Sektion von amnesty international ehrt damit seit 1997 Personen, die sich für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen.

Der Preis wird nach Angaben von Sonia Pierre am 30. März in New York übergeben. Die im August des Jahres 2000 gestorbene Namensgeberin des Preises Ginetta Sagan war jahrelang führendes Mitglied von amnesty international. Im Alter von 20 Jahren war die Italienerin Sagan von deutschen Soldaten während der Besetzung Italiens festgenommen und gefoltert worden.

„Ich kann es kaum glauben“, sagte Sonia Pierre, nachdem sie telefonisch die Nachricht aus New York erhalten hatte, dass sie die diesjährige „Ginetta Sagan“-Preisträgerin sein wird. Sonia Pierre wurde in einem von haitianischen Zuckerrohrarbeitern bewohnten Ghetto in der Nähe der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo im Jahre 1963 geboren. Bereits mit 13 Jahren begann sie sich politisch zu aktivieren. Mit zwanzig Jahren war sie eine der Gründerinnen des „Bewegung Dominikanisch-Haitianischer Frauen“ Movimiento de Mujeres Dominico-Haitiana (MUDHA), deren Vorsitzende sie heute ist.

MUDHA organisiert nicht nur Frauen in den Bateys genannten Ghettos haitianischer Migranten, sondern versucht für die fest in der Dominikanischen Republik lebenden Einwanderer die Staatsbürgerschaft zu erstreiten. Nach dominikanischem Recht sind alle in den Grenzen des Landes Geborenen Staatsbürger, sofern sie sich nicht „im Transit“ befinden. Ein Recht, dass ihnen offiziell abgesprochen wird. Nach wie vor weigern sich Standesbeamte, in der Dominikanischen Republik geborene Kinder von aus Haiti stammenden Einwanderern offiziell zu registrieren.

Im vergangenen Jahr erregte MUDHA dadurch Aufsehen, dass der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte eine Kommission ins Land entsandte, um den Fall eines jungen Mannes zu untersuchen, der im gleichen Batey wie Sonia Pierre geboren wurde. Ihm wurde eine Geburtsurkunde verweigert. Dadurch hatte er keine Möglichkeit zu studieren. MUDHA hatte eine Klage eingereicht. Nachdem die Kommission eine Unterredung mit dem Staatspräsidenten des Landes, Hipólito Mejía, hatte, wurde der junge Mann eingebürgert. Tausende andere Kinder haitianischer Eltern warten allerdings noch immer auf einen solchen Schritt.

Sonia Pierre ist verheiratet und Mutter von vier Kindern. „Ich kämpfe für die Menschenwürde und nicht nur für die Interesse der Dominikaner*innen haitianischer Abstammung“, sagte Pierre in einem Gespräch mit textosdom-poonal in Santo Domingo. Von dem Preisgeld in Höhe von 10 000 Dollar will sie den 127 Kindern in „ihrem“ Batey „La Lecheria“ Schuluniformen kaufen. „Mit meiner Mutter und ihren Enkeln werde ich nach Haiti reisen, damit sie die Orte ihrer Kindheit wieder sieht“, versprach Pierre. Und eine dringend notwendige Operation der Mutter wird jetzt endlich finanzierbar sein.

HAITI

Zahlreiche Journalisten bedroht

(Port-au-Prince, 18. Februar 2003, alterpress-poonal).- Die Nachrichten fielen am 18. Februar bei Radio Métropole aus. Die kommerzielle Radiostation in Port-au-Prince protestierte damit gegen die Drohungen, denen die Journalisten des Senders ausgesetzt sind. Erst kürzlich, in der Nacht vom 14. auf den 15. Februar, wurde das Haus des Mitarbeiters Goudou Jean Numa angegriffen. Unbekannte Täter steckten ein Auto in der Garage in Brand und Numa musste sich in Sicherheit bringen.

Anstelle der Nachrichten verlas Rotchild Francois Junior, Nachrichtenchef von Radio Métropole, ein Protestschreiben. Darin nannte er mehrere Einschüchterungsversuche, die sich gegen die Journalisten seit den gewaltsamen Auseinandersetzungen vom 17.Dezember 2001 richteten.

Von Basisanhängern der Familie Lavalas (Fanmi Lavalas), der Organisation des Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, bedroht, hätten mehrere Reporter von Radio Métropole bereits das Land verlassen müssen, sagte Rotchild Francois Junior. „Franceline Léonard, die als Korrespondentin in Cayes arbeitete, Mayard Jean Marie in St. Marc, Manio Colas und Teshler Dimanche in Mirebalais sind derzeit im Exil in den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Rotchild Francois Junior verwies auch auf die öffentlichen Androhungen gegen seine eigene Person durch den von Regierungsanhängern aus dem Gefängnis befreiten Amiot Métayer. Zwischen November 2002 und Februar 2003 seien zudem mehrere Journalisten von Radio Métropole angegriffen oder eingeschüchtert worden, insbesondere der Chefredakteur Louis Marie Achille, dessen Auto dreimal in Folge von Kugeln durchsiebt worden sei.

Sieben Journalisten hätten die Stadt Gonaives im mittleren Westen des Landes fluchtartig verlassen müssen und sähen sich in Folge wiederholter Drohungen durch den gewalttätigen Teil der von Métayer angeführten „Armée Cannibale“ gezwungen, das Land zu verlassen.

Auch das freie Radio „Stimme Claudy Museua“ in der südlich gelegenen Stadt Cayes gab am 18.Februar Einschüchterungsmanöver bekannt, die von regierungsnahen Gruppierungen ausgingen. Im Sommer 2002 sei eine freie Radiostation von der Polizei in Limonade (im Norden des Landes) verwüstet worden. Ein Verantwortlicher des Senders habe sich in Sicherheit bringen müssen, nachdem er von einem Bürgermeister angegriffen worden war.

Im April 2002 wurde die Gemeinde von Cayes-Jacmel im Südosten von tagelangen Spannungen erschüttert, als der Bürgermeister Ernst Fils versuchte, sich der freien Radiostation Radio Flambeau für Propagandazwecke zu bemächtigen.

Der Vereinigung der haitianischen Journalisten AJH (Association des Journalistes Haitiens) zufolge flüchteten zwischen dem 17.Dezember 2001 und Mitte Februar diesen Jahres mehr als 30 Journalisten aus Haiti.

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