Pinselstriche aus Cajamarca

von Paul Maquet*

(Berlin, 06. Juli 2012, la mula-poonal).- Nachdem ich zehn Tage in Cajamarca verbrachte, davon sieben während des unbefristeten Streiks und drei während des Ausnahmezustandes, konnte ich ein paar persönliche Schlüsse ziehen. An erster Stelle gilt es zu sagen, dass die Losung „Conga kommt nicht“ (“Conga no va”) keine Parole einer kleinen radikalisierten Gruppe ist, sondern die Klage des Volkes.

Von technischer Seite her kann man das Projekt sicher diskutieren und immer wieder diskutieren, offizielle und alternative Gutachten bemühen, das Projekt in Frage stellen oder Verbesserungen vorschlagen. Aber jenseits der technischen Aspekte ergibt sich für mich der Eindruck, dass eine deutliche Mehrheit der Menschen in Cajamarca Conga nicht will – und vor allem auch Newmont Mining, den US-amerikanischen Bergbaukonzern und Mehrheitseigner von Yanacocha und Conga, nicht will.

„Es kommt nicht, sagt man“

Ich kam am 26. Juni in Cajamarca an und als erstes fragte ich einen Taxifahrer, der mich fuhr:
– “Und Meister, kommt Conga oder kommt Conga nicht?” Im typischen Stil des ausweichenden andinen Spanischs antwortete er mir:
– “Es kommt nicht, sagt man”.
– “Und ihre Familie, ist sie dafür oder dagegen, oder gibt es geteilte Meinungen?”
– “Nein, alle sind dagegen”.
– “Und weshalb?”
– “Nun ja, was werden wir denn ohne Wasser machen? Wozu wird uns das Gold nützen, wenn es kein Wasser geben wird, wenn wir keines zu trinken haben? Und Yanacocha schenkt man keinen Glauben mehr, die Regierung muss Yanacocha verpflichten, die Sachen gut zu machen”, schloß er seine Antwort und ließ damit die Tür einen Spalt offen.

Während unserer Unterhaltung lauschten wir einer Sendung von “Radio Líder”, wo die Zuhörer*innen anrufen und ihre Meinung kund tun konnten. Von den zehn Anrufen, die während der Fahrt ausgestrahlt wurden, sprach sich meiner Erinnerung nach keiner für die Realisierung des Conga-Projekts aus. Alle – in unterschiedlichen Tonfällen und Nuancen – lehnten das Projekt ab oder zweifelten an den Worten von Unternehmen und Regierung.

Handgeschriebene Plakate

Dies war der erste Eindruck. Als ich dann zu Fuß durch die Straßen der Stadt lief, verstärkte sich diese Empfindung. Überall waren Plakate zu sehen mit Aufschriften wie “Conga kommt nicht“, „Wasser ja, Gold nein“, “Ollanta Verräter”, “Newmont raus aus Cajamarca”. Aber diese Plakate waren keine einheitlichen, gedruckten Exemplare, die den Eindruck machten, von einer einzigen Organisation verteilt oder angebracht worden zu sein: Sie waren sehr unterschiedlich gestaltet, mit der Hand, geschrieben, mit verschiedenen Buchstabenarten, mit Rechtschreibfehlern, mit einfallsreichen Sprüchen wie “Ollanta Wachiturro, du bist starrköpfiger als mein Esel” oder “Yanacocha: Cajamarca schenkt dir die Oxidationsbecken” – gemeint sind die Becken der Abwasserreinigungsanlage von Cajamarca.

Die Plakate waren obendrein nicht einheitlich an Wände geklebt, ganz im Gegenteil. Sie befanden sich auch am Wagen einer Frau, die Ceviche verkauft, am Zeitungskiosk eines Mannes, an der Tafel eines Lebensmittelgeschäfts und des Geldwechslers, in einem Minibus der als Taxi fungiert, am Heck eines Mototaxis, im Laden eines Käsegeschäftes, am Haupttor des zentralen Marktes, der zur Unterstützung des Streiks geschlossen war, in Spezialfahrzeugen technischer Dienste…

Von den Fenstern und Balkonen unzähliger Häuser der Stadt hingenTransparente mit dem Spruch “Conga no va” herunter. Und wenn die Ronderos, die Mitglieder der bäuerlichen Selbstverteidigungsgruppen bzw. Wachen durch die Straßen zogen, was sie seit Beginn des Streiks täglich taten, dann wurden sie von den Passant*innen nicht abgelehnt, sondern sie erhielten Applaus und die Bevölkerung signalisierte auf verschiedene Art und Weise ihre Unterstützung.

All dies ist nicht das Produkt der Manipulation durch eine Organisation mit politischen Absichten: Die normale, arbeitsame Bevölkerung von Cajamarca ist in ihrer Mehrheit gegen das Projekt. Dies zumindest ist der Eindruck, den ich hatte, als ich durch die Straßen der Stadt lief.

Irreführende Werbetafeln der Regierung

Darüber hinaus waren die einzigen Demonstrationen zugunsten des Projektes Conga deutlich sichtbar von institutioneller Natur. Ein Plakat, unterzeichnet durch das berühmte „Kollektiv für Cajamarca“ (“Colectivo por Cajamarca”) fand sich, einheitlich an die Wände geklebt, an verschiedenen Stellen in Cajamarca. Ich sah auch ein paar weitere Plakate von anderen politischen Gruppierungen. Am offensichtlichsten war wohl die gigantische Reklametafel der Regierung, die sich an zwei Wegen befindet, auf denen man in die Stadt gelangt. Den einen Weg nimmt man, wenn man vom Flughafen nach Cajamarca hinein will, den anderen, wenn man von der Bezirkshauptstadt Baños del Inca kommt. Auf dem Schild steht: “Der Staat garantiert einen Bergbau, der Entwicklung fördert. Neuer Bergbau, neue Regeln.“ Das erregte meine Aufmerksamkeit, weil es sich hierbei um betrügerische Werbung handelt. Denn bisher gibt es keine einzige neue Regelung im Bergbausektor, nicht ein Gesetz, nicht eine neue Regulierungsvorschrift oder ähnliches.

Die wenigen Schriftzüge in den Straßen, die ich sah und die sich für das Projekt Conga aussprachen, waren an die Wänden gesprayt und hatten offensichtlich nur eine oder zumindest wenige Hände als Urheber. Zudem waren es auch nicht gerade Schriftzüge, bei denen es “Klick” macht im Kopf und die die Mehrheit der Menschen emotional erreichen. Eines lautete zum Beispiel “Conga sí va, serranos de mierda” („Conga kommt auf jeden Fall, beschissene Bergbewohner“). Bei keiner Bekundung gegen das Projekt fand ich dieses Niveau an verbaler Gewalt.

Ökologische und religiöse Argumente gegen Conga

Natürlich sage ich nicht, dass die Einwohner*innen Cajamarcas zu 100 Prozent gegen das Projekt sind. Es gab verschiedene Ansichten. Menschen, die mir sagten, dass das Projekt kommen müsse, weil es Arbeitsplätze schaffe. Auch jener Mensch tauchte auf, der sagte, die Gegner*innen des Projektes seien ein paar Agitator*innen mit politischen Zielen. Infolge des vielen Fragens blieb bei mir ein ums andere Mal die Empfindung, dass ein großer Teil der Einwohner*innen, besonders aber die einfache Bevölkerung – Leute die im Transportsektor arbeiten, ambulante Verkäufer*innen, Händler*innen – gegen das Projekt ist. Jene, die dafür waren, zeigten zumindest fehlendes Vertrauen in das Unternehmen und forderten eine „harte Hand“ des Staates gegenüber der Bergbaufirma.

Eine zweite Schlussfolgerung: Unter den zentralen Argumenten aus der Bevölkerung gegen das Projekt Conga befinden sich nicht nur politische – “der Neoliberalismus”, “die neue Verfassung”, das “transnationale Unternehmen“ – oder Umverteilungsargumente, wie „bei uns kommt der Reichtum nicht an“ oder “für Leute aus der Region gibt es keine Arbeit”. Nein, gewichtige Argumente sind präsent, die einerseits tiefgründiger ökologischer Natur oder auch stark religiös gefärbt sind. Ich erinnere mich an die Bekundungen eines Demonstraten im Lokalfernsehen: „Diese Seen hat Gott gemacht, und wir können nicht gestatten, dass der Mensch sie zerstört”, „Wir können sterben, aber dort oben werden sie beurteilen wie wir das, was Gott geschaffen hat, verteidigt haben.”

Besonderes soziales und religiöses Umfeld

Ich erinnere mich wie es war, als der Ausnahmezustand verhängt und eine Mahnwache für die Toten organisiert wurde: Als die Polizei eintraf, um die Kundgebung aufzulösen, warfen sich viele der Teilnehmenden auf den Boden, um zu beten. Die Franziskaner in ihrem braunen Umhang mit dem weißen Seil als Gürtel sind mir in Erinnerung geblieben, wie sie mit den Polizisten diskutierten, die wiederum wie Robocops wirkten.

Es wäre ein Fehler zu glauben, all dies zeige den Einfluss von Marco Arana in den Protesten. Die gesamte soziale Organisation von Cajamarca ist ursprünglich stark beinflusst durch das, was sich als „progressive Kirche“ bezeichnen lässt. In der Tat erklärte man mir, dass auch Goyo Santos, der amtierende Präsident der Regionalregierung, ein Rondero sei, der durch die Kirche geformt worden und Katechist gewesen sei. Es scheint, dass all dies mit der Wirkungszeit von Bischof Dammert zusammenfällt, der als Leiter der Diözese Cajamarca eine enorme Anstrengung unternahm, damit sich soziale Räume und katholische Kirche annähern konnten. Nicht Arana ist der “Schuldige” für den religiösen Ton des Protests, sondern – ganz im Gegenteil – der Protest ist Produkt eines besonderen sozialen und religiösen Umfeldes.

Ich bin nicht sicher, was dies wirklich bedeutet, ob es positiv oder negativ einzuschätzen ist. Aus meiner Sicht wäre eine soziale Bewegung wünschenswert, die sekulärer ist. Aber eines ist mir klar: Die Protestierenden sind nicht dort, halten Schläge und Kugeln aus, weil sie irgendeinen wirtschaftlichen Nutzen erwarten oder weil sie hinsichtlich der Frage der Wassermenge manipuliert worden sind: Viele von ihnen verleihen der Existenz der Seen einen höheren Sinn, in gewisser Weise verbunden zu dem was ‚tiefer Ökologismus‘ genannt wird und wo den Ökosystemen einen Wert zuerkannt wird, der über die Nützlichkeit für den Menschen hinaus geht. Und deshalb ist es nicht so einfach diese Leute davon zu überzeugen, dass die Seen, Moore und Feuchtgebiete einfach durch künstliche Wasserreservoire ersetzt werden können. An diesem Punkt treffen verschiedene Wertesysteme aufeinander.

Schon jetzt kein Wasser in Cajamarca

Eine dritte Feststellung: In Cajamarca gibt es kein Wasser! Im Großteil der Stadtgebiete von Cajamarca haben die Menschen nur für wenige Stunden am Tag Wasser. So war ich in einem Haus, wo man mir erklärte, dass es fließendes Wasser nur morgens um 10 Uhr gibt. Niemand kann eine technische Erklärung zu diesem Punkt geben, doch sind alle schon daran gewöhnt, mit diesem Wassermangel zu leben. Nach mehr als 15 Jahren Bergbau sowie den Bildern des Reservoirs von San José, das völlig leer ist – errichtet durch die Bergbaufirma Yanacocha und eingeweiht durch den vorherigen Präsidenten Alan Garcia – ist es sehr schwer die Bevölkerung von Cajamarca davon zu überzeugen, dass ihnen das Projekt Conga „mehr Wasser“ garantieren wird.

Viertens: Der Streik ist völlig friedlich. Während der ersten sieben Tage vom 26. Juni bis zum 2. Juli dieses Jahres gab es keinerlei Probleme in irgendeiner Hinsicht. Die Demonstrant*innen versammelten sich die meiste Zeit im Innenhof der Kirche San Francisco, die sie unterstützte, so auch mit einem grünen Banner, dass in der Hauptkuppel befestigt wurde.

Zwei bis drei Mal täglich marschierten sie durch die Stadt und riefen ihre Losungen. Einige Geschäfte, wie der zentrale Markt, unterstützten die Aktion und waren daher geschlossen. Die Tafel am Tor des Marktes war wortgewandt: “Ohne dass uns jemand zwingt, sind wir geeint mit demselben Ziel: die Verteidigung des Wassers.“ Aber der Rest der Geschäfte öffnete völlig normal. Ich konnte mich frei bewegen und ohne irgendein Problem zu den wichtigsten touristischen Zielen der Stadt und im Umland gelangen – denn eigentlich war ich aus persönlichen und touristischem Interesse heraus in die Stadt gereist.

Der Ausnahmezustand in der Provinz Cajamarca war völlig unnötig. In Celendin hätte man diskutieren können über die gewalttätigen Ereignisse, das Inbrandsetzen einer öffentlichen Institution, die Auseinandersetzung mit der Polizei. Aber in Cajamarca war der Protest stark und pazifistisch. Es gab keinerlei Grund, nicht die mindeste Ausrede, für die Repression.

Direkte Absprachen zwischen Yanacocha und Polizei

Eine fünfte Festellung ist, dass die in Cajamara eingesetzten Polizisten eng mit dem Bergbauunternehmen zusammenarbeiten. Sie werden nicht nur in Bussen mit dem Logo der Mine Yanacocha transportiert, nicht nur in Geländewagen, die den Subunternehmen von Yanacocha gehören. Wir erhielten obendrein die direkte Bestätigung von einer Gruppe Polizeieinsatzkräfte, die aus El Callao herangefahren wurden. Diese erzählten uns, sie würden am kommenden Tag vom Bergbauunternehmen hergefahren um sich die Beine zu vertreten, da sie bereits “mürrisch” seien. Alle in der Stadt wissen dies. Ein weiterer Grund für Ablehnung und Empörung.

Festzustellen ist sechstens, dass das Verhalten der Polizei unverhältnismäßig war und eine generelle Ablehnung durch die Einwohner*innen von Cajamarca verursacht hat, unabhängig von einer politischen Position. Eine Bekannte erzählte, dass sie am ersten Tag des Ausnahmezustandes den Hauptplatz der Stadt überquerte, um etwas zu erledigen. Eine Gruppe Polizisten begann sie mit ihren Stöcken zu schlagen und rief „Geh weiter, du Hündin!“. Ein anderer Bekannter erklärte, „Ich bin politisch rechts und ich glaube an Ordnung und Hierarchien. Aber die Polizei verhält sich wie eine Horde Wilder. Sie schießt auf alles, was sich bewegt, ohne jeden Respekt.“ Eine lokalen Reporterin einer Fernsehstation wurde nicht nur am Kopf verletzt, man nahm ihr auch die Kamera und das Handy ab.

Schießwütige Robocops statt „Ordnungshüter“

Ingesamt heißt dies: All die rohe Gewalt, welche die Demonstrierenden während ihres 30 Tage währenden friedlichen Streiks nicht gezeigt haben, hat die Polizei in drei Tagen des Ausnahmezustandes an den Tag gelegt. Wenn man die Polizisten in ihren Autos herumfahren sieht, befällt einen das Gefühl, dass dort Robocops sitzen, die bereit sind, zu schießen. Sie wirken nicht wie staatliche “Ordnungskräfte”, die in einer chaotischen Stadt Ordnung schaffen, sondern wie eine Besatzungsarmee die geschickt wurde, um die Menschen in Cajamarca zu schikanieren und zu demütigen.

Während der wenigen Tage, die ich in Cajamarca zu Besuch war, kann ich sagen, ich habe am eigenen Körper miterlebt, was der Ausdruck bedeutet, das Projekt Conga ist “sozial nicht durchführbar” (inviabilidad social). Es wäre an der Zeit, dass Präsident Ollanta Humala sich vor Ort blicken lässt.

*Der Autor Paul Maquet ist ein peruanischer Universitätsdozent, Aktivist und Journalist, der sich auf Umweltthemen spezialisiert, .

 

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