Morde an Journalist*innen nehmen weiter zu

von Kristin Gebhardt und Wolf-Dieter Vogel

(Berlin, 27. Juli 2010, npl).- Pedro Matías wird diese Nacht nie vergessen. „Sie bedrohten mich mit einer Waffe, zwangen mich, aus dem Wagen zu steigen und mich auszuziehen“, berichtet der mexikanische Journalist von jenem 25. Oktober 2008, an dem Unbekannte ihn in seiner Heimatstadt Oaxaca entführten. Dann hätten sie ihn in den Kofferraum geworfen und seien kreuz und quer durch die Gegend gefahren. „Immer wieder drohten sie, mich zu vergewaltigen und zu töten. Sie schossen in die Luft und drückten mir Flaschen ins Gesicht, damit ich ruhig bleibe. Ich dachte, sie bringen mich um.“ Zehn Stunden lang hatten ihn die Entführer in ihrer Gewalt, erst am nächsten Morgen ließen sie den Journalisten wieder frei.

Bis heute weiß der 45jährige nicht, wer hinter der Tat steckt und was die Täter von ihm wollten. Sie seien von den Zetas, einer Killertruppe der Drogenmafia, hatten sie ihm erklärt. Das aber will der Journalist nicht glauben. Noch nie hat er über die kriminellen Geschäfte der Capos berichtet. Pedro Matías hat einen anderen Verdacht. Schließlich schreibt er in regierungskritischen Zeitungen über brutale Polizisten, korrupte Richter*innen und einflussreiche Großgrundbesitzer*innen. In Oaxaca erlebte er, wie im Jahr 2006 Lehrer*innen, Indigene und Student*innen auf die Barrikaden gingen. Und wie sie von paramilitärischen Gruppen verfolgt wurden, die dem umstrittenen Gouverneur Ulises Ruiz nahe standen. „Wenn es deine Arbeit ist, die Regierung zu kritisieren, die Menschenrechte einzuklagen oder darauf hinzuweisen, dass noch immer sieben Menschen verschwunden sind, dann wird man zum Hindernis“, erklärt Matías. Deshalb geht er davon aus, dass die Verantwortlichen in der Regierung sitzen. Aber er hat keine Beweise.

Angriffe auf Medienschaffende bleiben unaufgeklärt

Pedro Matías hat die Entführung zwar bei der Polizei gemeldet, große Hoffnungen auf Aufklärung macht er sich aber nicht: „Die Behörden sind so verflochten mit der organisierten Kriminalität, dass es sehr gefährlich ist, ein Delikt anzuzeigen.“ Tatsächlich sind die Chancen gering, dass die Strafverfolger die Entführer dingfest machen. Praktisch kein Angriff auf Medienschaffende wird aufgeklärt. Mexiko ist für Journalist*innen zu einem der gefährlichsten Länder weltweit geworden. Im letzten Jahr zählte die mexikanische Nichtregierungsorganisation Zentrum für soziale Kommunikation CENCOS (Centro Nacional de Comunicación Social) 244 Angriffe auf Medienschaffende, die lateinamerikanische Journalistenorganisation FELAP (Federación Latinoamericana de Periodistas) sprach Anfang Juli von 43 toten Pressearbeiter*innen in den 43 Monaten der Regierungszeit des Präsidenten Felipe Calderón. 12 Journalist*innen sind nach FELAP-Angaben verschwunden.

Vor einigen Wochen traf es Rodríguez Ríos, Korrespondent der Tageszeitung El Sol aus Acapulco, und María Elvira Hernández Galeana, die Herausgeberin der Wochenzeitschrift Nueva Línea. Die beiden wurden am 28. Juni in ihrem eigenen Internetcafé im Bundesstaat Guerrero erschossen. Ríos, der auch lokaler Leiter der JournalistInnengewerkschaft Sindicato Nacional de Redactores de Prensa war, hatte kurz zuvor einen Beitrag über den 15. Jahrestag des Massakers von Aguas Blancas gemacht. Im Jahr 1995 ermordeten Polizisten dort 17 Bauern. Wenige Tage später, am 6. Juli dieses Jahres, traf es in Apatzingan im Bundesstaat Michoacán Hugo Olivera, den Herausgeber der Zeitung El Día de Michoacán.

Guerrero und Michoacán zählen zu den besonders gefährlichen Gegenden, betroffen sind jedoch Journalist*innen in vielen Regionen des Landes, erklärt Luís Hernandez von der linken mexikanischen Tageszeitung La Jornada: „Gefährlich sind Gegenden, die von autoritären lokalen Mächten regiert werden. Zum Beispiel die Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca.“ Risikoreich seien aber auch Regionen, die vom so genannten Krieg gegen die Drogenmafia gezeichnet sind. „Dort müssen Journalisten sehr vorsichtig sein, wenn sie über die Kartelle oder die Verbrechen der Armee und der Polizei an der Zivilbevölkerung berichten“, erklärt der Redakteur.

Konsequenzen auf redaktionelle Arbeit

Viele Opfer gehen auf das Konto krimineller Banden. Regelmäßig werden Reporter*innen regionaler Zeitungen ermordet, die über das Treiben der Drogenbarone berichten. Seit Präsident Calderón 2006 der Mafia den Krieg erklärt und damit eine Welle der Gewalt ausgelöst hat, haben auch die Angriffe auf Journalist*innen zugenommen. Auf die tägliche Arbeit hat das Konsequenzen: „Unsere redaktionelle Linie in dieser Frage ist sehr klar“, sagt Hernández. Die Zeitung bemühe sich, seine Korrespondent*innen nicht zu exponieren. Wenn Artikel über die Drogenmafia Journalist*innen gefährden können, unterzeichne man diese Beiträge nicht mit Namen. Zudem vermeide es die Jornada, Fotos zu veröffentlichen, die von der Mafia zu Propagandazwecken benutzt werden könnten. Denn häufig wollen die Kartelle beispielsweise mit der Art, wie Menschen ermordet werden, eine Botschaft an den Gegner*innen vermitteln. Auch wenn große Transparente auftauchen, in denen ohne Unterschrift bestimmte Politiker*innen oder Militärs als Mitglieder der Mafia bezeichnet werden, drucke man diese Bilder nicht, erklärt Hernández. „Hinter diesen Transparenten stecken die Kartelle. Wenn wir die Quelle der Aussagen nicht bestätigen können, verbreiten wir die Information nicht.“

Aus Angst vor Angriffen berichten viele Medien erst gar nicht über das Thema. Dabei bestimmt der sogenannte Drogenkrieg das Leben im Land. Auf den Straßen tobt ein blutiger Kampf, jeden Tag sterben durchschnittlich 20 Menschen, insgesamt sind seit Calderóns Amtsantritt bis Juli dieses Jahres etwa 25.000 Menschen ums Leben gekommen. Hinter den vielen Morden verschwindet der einzelne Fall. „Über all diese Toten sagt man, dass sie in Auseinandersetzungen gestorben sind. Aber es wird nicht ermittelt“, kritisiert Edgar Cortéz vom mexikanischen Menschenrechtsnetzwerk Todos los Derechos para todas y todos. „Wir wissen nicht, was passiert ist und wer die Täter sind.“

Gefahr für Journalisten wird größer

Übergriffe von Soldaten blieben also ebenso ungesühnt wie Angriffe auf Journalist*innen, erklärt Cortez. Es werde nie geklärt, ob Pressearbeiter*innen von der Mafia ermordet oder etwa Opfer eines politisch motivierten Angriffs wurden. „Wir haben kein einziges konkretes Ergebnis, obwohl es seit zwei Jahren eine Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen an Medienschaffenden gibt.“ Die Konsequenz sei eindeutig, so der Menschenrechtsverteidiger: „Journalisten leben immer gefährlicher.“

Auch Pedro Matías ist sich bewusst darüber, dass die Straflosigkeit sein Berufsrisiko erhöht. Ein Jahr lang nahm er sich eine „Auszeit“ und lebte als Stipendiat der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in Deutschland. Im vergangenen Juni kehrte er nun nach Mexiko zurück. Während der Zeit außerhalb des Landes konnte er durchatmen – und er nutzte sie, um auf die verheerenden Zustände in seiner Heimat aufmerksam zu machen.

[Dieser Artikel ist Teil unserer Crossmedialen Kampagne „Menschen. Rechte. Stärken!“. Den dazugehörigen Audiobeitrag findet ihr hier: http://www.npla.de/de/onda/content/1081]

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