Fuera Milei – Proteste von Queers und Rentenbeziehenden

Kryptowährung LGBTIQ Community Renten Armut LIBRA CPAC Kettensäge
Kundgebung in Berlin in Solidarität mit Protest gegen Milei in Buenos Aires, 1.2.2025. Foto: Ute Löhning

(Berlin, 06. März 2025, npla).- Rund zwei Millionen Menschen haben am 1. Februar gegen die autoritäre Regierung des argentinischen Präsidenten Javier Milei demonstriert. Durch die argentinische Hauptstadt Buenos Aires zog eine von der LGBTIQ+ Community organisierte antifaschistische und antirassistische Pride-Demonstration. Über alle Kontinente solidarisierten sich Menschen, und auch in Berlin kamen einige Hundert Personen zu einer Solidaritäts-Kundgebung am Brandenburger Tor zusammen. Sie riefen Parolen wie „Fuera Milei“ („Milei verschwinde“); sie sangen und tanzten, hielten Transparente und malten Plakate gegen Faschismus. „Mit dieser Kundgebung unterstützen wir die große Demonstration, die heute in Argentinien stattfindet“, sagt Paula von der Asamblea de Solidaridad con Argentina – der Versammlung in Solidarität mit Argentinien, die die Berliner Kundgebung organisiert hat. „Wir protestieren gegen die hetzerische und inakzeptable Rede, die Milei in Davos gehalten hat, die voller Hass war, vor allem gegen die LGBTIQ-Community“.

Beim Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos im Januar hatte der rechts-libertäre argentinische Präsident besonders aggressiv Hass und Hetze gegen Minderheiten und Medienschaffende geschürt, Andersdenkende als „Ratten“ beschimpft und LGBTIQ-Personen in den Kontext von sexualisierter Gewalt und Kindesmissbrauch gestellt. „Dieser Hass bleibt nicht nur bei Worten, sondern daraus werden Taten“, erklärt Paula. Das sei sehr gefährlich, denn manche Menschen nähmen hetzerische Reden als Rechtfertigung für Gewalttaten. „Deshalb müssen wir uns gegen diese hetzerischen, rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Reden stellen“, so Paula.

Inzwischen steht Milei in Argentinien auch wegen seiner Verwicklung in einen Skandal um die Kryptowährung LIBRA unter Druck. Kurz nach deren Einführung warb Milei auf der Socialmedia-Plattform X für die Kryptowährung, sie werde die argentinische Wirtschaft und kleine Unternehmen stärken. Zu diesem Zeitpunkt hatten vier Personen aus dem Umfeld der Erschaffer der Kryptowährung aber bereits 80 Prozent der verfügbaren LIBRA zum Wert von jeweils weniger als einem Cent erworben. Als über 100.000 Personen weitere LIBRA kauften, schnellte deren Kurs binnen 42 Minuten auf fünf Euro. Die größten Halter der Kryptowährung verkauften ihre LIBRAS und strichen einen Gewinn von 86 Millionen US-Dollar ein. Der Kurs der Kryptowährung brach abrupt ein, die anderen Investoren verloren teils mehr als 100.000 USD.

Wenige Stunden später löschte Milei seinen Tweet mit der LIBRA-Werbung auf X und entschuldigte sich lapidar, er habe die genaueren Umstände des Projektes nicht gekannt. Ob bei Milei naive Ignoranz zum Tragen kam oder er das alles bewusst geplant hatte? Beides stellt die Regierungskompetenz des Ökonomen und selbsternannten Anarcho-Kapitalisten Milei grundsätzlich in Frage. Die argentinische Justiz führt inzwischen strafrechtliche Ermittlungen gegen Milei und andere Personen wegen Betrugs und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.

Davon versucht Milei abzulenken. Mitte Februar war er bei einem Treffen der CPAC, der extrem-rechten Conservative Political Action Conference, in Washington D.C. zu Gast. Auf großer Bühne vor laufenden Kameras überreichte er dem Tech-Milliardär und Besitzer der Socialmedia-Plattform X, Elon Musk, eine Kettensäge. „Das ist die Kettensäge für die Bürokratie“ rief Musk feixend und mit röhrender Musik im Hintergrund.

Mit einer Kettensäge als Symbol für den Kahlschlag an staatlichen Institutionen und öffentlicher Daseinsvorsorge war Milei im Wahlkampf 2023 bekannt geworden. Er steht in der Tradition des österreichischen Ökonomen Friedrich August Hayek, der als Vordenker des Neoliberalismus und des rechten Libertarismus gilt, dem Markt oberste Priorität einräumt und jegliche staatliche Eingriffe in die Ökonomie ablehnt. Seit Mileis Amtsantritt im Dezember 2023 wurden in Argentinien mehr als 37.000 Staatsbedienstete entlassen, die Hälfte der Ministerien geschlossen und viele Staatsbetriebe privatisiert. Die Mietpreisbremse wurde aufgehoben, Unterstützungsangebote für Opfer sexualisierter Gewalt geschliffen, Sozialprogramme und die Finanzierung von Suppenküchen gestrichen.

Elon Musk und seine „Abteilung für Regierungseffizienz“ DOGE setzen eine ähnliche, am „Project 2025“ und dem „Mandate for Leadership“ orientierte Politik in noch größerem Stil gerade in den USA durch. In Argentinien ist das renommierte öffentliche Bildungssystem durch eine De-facto-Kürzung um 30 Prozent beschädigt. Die Armutsrate steigt, etwa 20 Prozent der Bevölkerung gelten als extrem arm, ihr Einkommen reicht nicht für den täglichen Nahrungsmittelbedarf.

Aufständische Rentner*innen

Kryptowährung LGBTIQ Community Renten Armut LIBRA CPAC Kettensäge
„Jubilados Insurgentes“ – „Aufständische Rentner“, fordern würdige Lebensbedingungen für ältere Menschen. Foto: Ute Löhning, 20.12.2024, Buenos Aires

Die Rentner*innen haben unter dem rabiaten Sparkurs besonders zu leiden. Jeden Mittwoch demonstrieren die „Jubilados Insurgentes“ – die „aufständischen Rentner*innen“ – rund um das Kongressgebäude. „Wir fordern eine Grundsicherung von 1000 Dollar für ältere Menschen. Heute bekommen 75 Prozent der Rentner*innen aber nur die Mindestrente von 250 Doller“, sagte die Seniorin Virginia am Rande einer größeren Kundgebung am 20. Dezember 2024, zu der die Jubilados Insurgentes zusammen mit Gewerkschaften und anderen Organisationen aufgerufen hatten. Virginias Genossin Zulema fordert, dass „die Menschen, die arbeiten, das Land am Laufen halten und Reichtum generieren“, genug haben sollten, um „von ihrer Kindheit bis ins Alter selbst auch ein würdevolles Leben führen zu können“. Die Regierung dürfe nicht einfach die Hälfte davon kappen und die Alten wie Müll behandeln.
„Seit diesem Jahr müssen wir auch für unsere Medikamente kämpfen“, sagt Zulema. „Das ist ja kein Geschenk, sondern wir haben ein Anrecht darauf, weil wir jahrelang in das staatliche Sozialsystem PAMI eingezahlt haben.“ Viele Medikamente, die Rentner*innen früher kostenlos zur Verfügung standen, wurden nun aus dem Katalog der Substanzen gestrichen, die per Rezept kostenfrei verschrieben werden können. Darunter sind auch Medikamente gegen schwere oder chronische Krankheiten wie Diabetes und Krebs. „Viele Rentner*innen, die sowieso zu wenig Rente bekommen, müssen davon jetzt auch noch Medizin bezahlen“, sagt Zulema und kritisiert, dass, wer kein Geld hat, sogar Gerichtsprozesse führen muss, um Medikamente gegen Krebs zu bekommen.

Allerdings, so betonen Zulema und Virginia, hatten sie auch schon vor der Regierungszeit Mileis Grund zum Protest. Schon unter den Vorgängerregierungen des neoliberalen Mauricio Macri und der Mitte-Links-Regierung unter Alberto Fernández waren ihre Rentenzahlungen knapp.

„Seit acht Jahren protestieren wir jeden Mittwoch“, sagt Virginia. Früher sind sie als Demonstration immer einmal um das Kongressgebäude herum gelaufen.„Die jetzige Regierung hat ein Protokoll erlassen, nach dem wir die Straße nicht mehr betreten dürfen“, berichtet Zulema. „Die Polizei steht da in Doppelreihen, vor ein paar Monaten haben sie uns vom Platz geräumt, jetzt schubsen sie uns von der Straße.“ Sollte es zu massiveren Protesten kommen, kann inzwischen auch bei internen Auseinandersetzungen das Militär eingesetzt werden. Im Dezember 2024 hat die Regierung das am Kongress vorbei per Dekret beschlossen. Weil das argentinische Parlament Milei trotz großer Proteste der Zivilgesellschaft mit der „Ley de Bases“ im Juni 2024 Vollmachten eingeräumt hat, kann Milei ein Jahr lang Dekrete ohne parlamentarische Zustimmung erlassen. „Es hat uns Blut, Schweiß und Tränen gekostet zu erreichen, dass das Militär sich nach den Diktaturen in unserem Land nicht in zivile Angelegenheiten einmischen durfte“, beklagt Virginia. „Jetzt erleben wir einen bitteren Rückschlag.“

Noch verzeichnet Milei hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Mit seinem fast flächendeckenden Ausgabenstopp konnte er die monatliche (!) Inflation von 25 auf 2,5 Prozent verlangsamen – wenngleich das alles andere als nachhaltig ist. Da Milei harte Einschnitte offen angekündigt hatte, scheinen viele Menschen noch bereit, diese auszuhalten. Doch das kann sich ändern. Und vielleicht waren die antifaschistischen LGBTIQ+ Proteste vom 1. Februar ja schon ein Anfang.

Ihr könnt diesen Beitrag auch anhören

CC BY-SA 4.0 Fuera Milei – Proteste von Queers und Rentenbeziehenden von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert