Von Ana de Ita
(Mexiko-Stadt, 13. Mai 2017, la jornada).- Wie immer alle drei Jahre, ist die Wahl der Gemeindevertreter*innen in der Lacandonen-Gemeinde (Comunidad Lacandona) am 16. Mai dadurch gekennzeichnet, dass dabei eine Reihe sehr gegensätzlicher und mächtiger Interessen aufeinandertreffen. Meist sind es nicht die Interessen der indigenen Völker, die den Lacandonen-Urwald im Bundesstaat Chiapas bewohnen.
Konfliktgeladene Umverteilung von Land und Rechten per Regierungsdekret
Die Comunidad Lacandona stand seit ihrer Gründung per Präsidentendekret im Jahr 1971 in dem Ruf, „Streikbrecherin“ gegenüber den indigenen Bewegungen und Organisationen zu sein – Regierungsentscheidungen jedoch bedingungslos ergeben zu sein. Sechsundsechzig Familien bekamen damals 614.321 Hektar Land zugesprochen Das Dekret schuf die größte Agrargemeinde des Landes, eine Art Kollektivlatifundium. Gleichzeitig hatten dadurch mehr als 3.000 Familien der Chol und Tseltal, die den Urwald bewohnten, kein Land und keine Rechte mehr. Viele von ihnen waren legal als Ejidos konstituiert, die sich auf präsidentielle Resolutionen stützten, die aus der Zeit vor dem Dekret stammten.
Sieben Jahre später musste die Regierung diejenigen Tseltal und Chol als legitime Eigentümer*innen anerkennen, die vor den Lacandones in der Region lebten und zur Umsiedlung gezwungen worden waren. Sie hatten die Gemeinden Nueva Palestina und Frontera Corozal neu gegründet. Die Zahl der Gemeindebauern und -bäuerinnen (comuneros) erhöhte sich auf 1.678, nur 13 Prozent von ihnen sind heute Lacandones. Trotzdem sie zahlenmäßig die breite Mehrheit bildeten, waren Tseltal und Chol nur comuneros zweiter Klasse, denn nach dem alten und diskriminierenden Gemeindestatut musste die Amtsgewalt immer bei den „echten Lacandones“ bleiben.
Die Friedensbemühungen von Chankin Kimbor Chambor
Fast 40 Jahre lang wurden Lacandones vom Staat dazu benutzt, die schmutzige Arbeit zu verrichten: die Räumung derjenigen Gemeinden zu fordern, die sich der Umsiedlung verweigert hatten sowie die Räumung weiterer Urwaldbewohner*innen, die als Eindringlinge gebrandmarkt wurden. Die Lacandones akzeptierten vorbehaltlos die Regierungsstrategien und die Durchführung von kommerziellen und umweltbezogenen Projekten. Diese Haltung provozierte gewalttätige Konflikte mit den anderen Völkern im Urwald. Doch 2008 entschieden die Lacandones per Mandat ihrer Versammlung einen Politikwechsel. Sie brachten einen Friedensprozess mit den Nachbargemeinden auf den Weg.
Chankin Kimbor Chambor ist ein junger Lacandon, der von 2011 bis 2014 den Vorsitz des Kommissariats für Gemeindeland innehatte. Er und die übrigen Gemeindevertreter*innen stießen Versöhnungsabkommen mit jenen Gemeinden an, die auf dem Land, das der Comunidad Lacandona zugesprochen wurde, angesiedelt sind. Sie sollten ihren Landbesitz behalten können, im Gegenzug aber zusagen, gemeinsam den Urwald zu schützen. Es gelang, mit 43 Ejidos, die der Staat als irregulär ansah und die er mit Räumung bedrohte, Abkommen zu schließen. Doch als diese formalisiert werden sollten, sahen sich die Beteiligten mit der Weigerung der Agrar- und Umweltbehörden konfrontiert.
Nur eingeschränkte Rechte über Land für die Lacandones
Die Lacandones mussten feststellen, dass sie zwar Eigentümer*innen der Böden sind, jedoch nur eine eingeschränkte Entscheidungsgewalt über das Land haben, weil der Staat es per Dekret zu Naturschutzgebieten erklärt hat. Auf der einen Seite akzeptiert der Staat keine Agrarvereinbarungen, die auf eine gemeinsame Nutzung des Territoriums mit den Nachbargemeinden abzielen. Auf der anderen Seite unterstützt er die Kontrolle von Naturschutzgebieten auf dem Land der Lacandones durch externe Akteure.
Entsprechend groß war der Aufruhr, als 2014 die Versammlung der Comunidad Lacandona gegen den Widerstand der offiziellen Agrarbehörden mit ihrem Votum erstmals einen Tseltal als Vorsitzenden des Komissariats für Gemeindeland für die Amtszeit bis 2017 bestimmte.
Regierung torpediert Friedensprozess – und spaltet
Dass sich die Mitglieder des von Chankin Kimbor Chambor geleiteten Kommissariats der Comuniddad Lacandona den Regierungsinteressen widersetzten, kam sie teuer zu stehen. Sie hatten auf den Frieden gesetzt, indem sie den Tseltal und Chol ihre vollen gemeindebezogenen Rechte und den im Urwald lebenden Gemeinden ihre Landrechte zurückgaben. Der Regierung gelang es einmal mehr, zu spalten. Sie kaufte viele Lacandonengruppen, die ihr Exklusivrecht auf den Urwald gegenüber den anderen indigenen Völkern nicht verlieren wollen. In den vergangenen drei Jahren sind der ehemalige Kommissariatsvorsitzende Chankin und sein Rat wie auch deren Familien von der Regierung und unbekannten Personen verfolgt und bedroht worden. Sie wurden herabgewürdigt und in ihren eigenen Gemeinden angepöbelt, angeklagt, Zapatist*innen, Umweltmörder*innen und Gegner*innen des Lacandonenvolkes zu sein.
Angesichts des bevorstehenden Wechsels der Gemeindevertreter*innen ist die in den vergangenen neun Jahren aus dem Innern der Comunidad Lacandona heraus geleistete Anstrengung, die Mitbestimmung zu demokratisieren, Autonomie zu wahren und in Frieden zu leben, erneut in Gefahr. Der Lacandonen-Urwald ist, wie es der große verstorbene Historiker Jan de Vos schrieb „ein Land, um Träume zu säen“. Der Traum von Chankin ist es, jenen indigenen Völkern, mit denen sein Volk das Territorium des Lacandonen-Urwaldes teilt, ihre usurpierten Rechte zurückzugeben, um den Urwald gemeinsam zu schützen. Hoffen wir, dass wir der Umsetzung dieses Traums ein Stück näher kommen.
Chiapas: Die Friedensbemühungen und die Wahlen in der Lacandonen-Gemeinde von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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