Amazonasvölker erklären den Notstand

Amazonas Notstand in Peru Kakataibo kriminell
Foto: Ainhoa Sánchez Sierra via flickr, CC BY-NC-ND 2.0.

(24. Juli 2024, Desinformémonos).- In Peru hat die repräsentierende Organisation für peruanische Amazonasvölker, Aidesep, zusammen mit den autonomen indigenen Regierungen einen permanenten Notstand im peruanischen Amazonasgebiet ausgerufen, nachdem am 15. Juli die gefolterte Leiche des Kakataibo-Anführers Mariano Isacama in Huánuco gefunden wurde. Isacama war seit 24 Tagen vermisst worden. Er ist der 35. indigene Anführer im Amazonasgebiet, der im letzten Jahrzehnt ermordet wurde, weil er sein Gebiet verteidigt hatte.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Föderation Kakataibo FENACOKA (Federación Nativa de Comunidades Kakataibo) verurteilte Aidesep das fehlende Vorgehen der Regierung gegen kriminelle Organisationen und illegale Wirtschaft, die die Rechte, Territorien und Leben der indigenen in Gefahr bringen. Laut Jorge Pérez, Präsident von Aidesep, “erleben die indigenen Völker des peruanischen Amazonasgebietes einen kritischen Moment in unserer Geschichte. Wir geben bekannt, dass der Tod unseres Bruders Mariano Isacama einen Wendepunkt im Kampf um unsere territorialen Rechte markieren. Wir rufen den Notstand aus”.

In ihrer Auskunft erklärt Aidesep zusammen mit den autonomen Nationen Wampis, Awajun, Ese Eja, und dem Rat der Shipibo, Konibio Xetebo was dies bedeutet. “Als angestammte indigene Völker haben wir in unseren Territorien das Recht auf die Selbstverteidigung unserer Leben, Familien und Territorien, mit Verbots- und Aufklärungsaktionen, die die Mafia, die illegale Aktivitäten ausübt, zerstört. In Übereinstimmung mit unserer Autonomie artikulieren wir Strategien zwischen den diversen Organisationsformen der indigenen Selbstverteidigung”.

Einerseits haben die Amazonas-Organisationen entschieden, sich mit Hilfe von Selbstverteidungsmechanismen und indigener Justiz zu verteidigen. Andererseits fordern sie die peruanische Regierung und internationale Institutionen auf, ihre Strategien zu überdenken und die indigenen Organisationen beim Schutz ihrer Territorien zu unterstützen.

Verteidigung des Territoriums

Isacama ist der sechste Kakataibo-Anführer, der in einem Gebiet ermordet wurde, in dem das Territorium ständigen Bedrohungen wie den Kokaanbauern ausgesetzt sind. Diese beliefern transnationale Netzwerke des Drogenhandels. Mit diesem Mord sind die Kakataibo das Volk, das nach den Ashaninka, welche auch im zentralen Regenwald wohnen, am zweitstärksten von krimineller Gewalt betroffen ist.

Das Volk und Territorium der Kakataibo haben seit Jahrzehnten mit Landinvasionen und Gewalt zu kämpfen. Derzeit leben schätzungsweise 3500 Kakataibo in 13 Gemeinden, umgeben von Kokaplantagen, Landinvasoren, illegalen Landebahnen und Drogenlabors für die Produktion und den Export von Kokain. Selbst die beiden Kakataibo-Gruppen, die isoliert in geschützten Reservaten leben, werden angegriffen, da Drogenhändler versuchen, ihre Land als besonders abgelegene Basis für ihre Operationen zu nutzen.

Marcelo Odicio, Präsident der Föderation der FENACOKA erklärt die Komplexität der Situation, mit der sie konfrontiert sind: “Die indigenen Wachen berichten, sie haben seit Mai 2024 Beweise dafür, dass Akteure in Verbindung mit dem Kokaanbau die nötige Logistik vorbereiten, um eine neue Welle der Landnahme zu starten. Dies beinhaltet Pläne, die Gemeinden und Regionalregierungen von Huánuco und Ucayali davon zu überzeugen, ihre Besetzung durch die Ausstellung neuer individueller Titel und Besitzurkunden zu legalisieren, was die territoriale Integrität der indigenen Kakataibo-Gemeinden beeinträchtigt”.

Als Reaktion haben die Kakataibo-Gemeinden in den letzten Monaten ihre Aktivitäten zur Verhinderung von neuen Invasionen in ihr Land verstärkt. Jedoch wird durch den Widerstand der Kakataibo das Risiko gewaltsamer Repressalien gegen sie verstärkt, was in diesem Fall zur Ermordung von Isacama und Drohungen gegen weitere Anführer führte. Es waren die indigenen Kakataibo-Wachen, die die Leiche von Mariano Isacama suchen mussten und letztendlich fanden. Trotz zahlreicher Anklagen und Forderungen der Fenacoka nach Zusammenarbeit mit dem Staat, waren die Maßnahmen der staatlichen Institutionen mal wieder langsam und nicht ausreichend.

Neue Welle des Extraktivismus unter Führung der organisierten Kriminalität

Die Situation in Peru und die des Kakataibo-Volkes spiegeln einen allgemeinen Trend in der Amazonasregion wider. In einem Bericht vom letzten Jahr wurde nachgewiesen, wie kriminelle Organisationen und bewaffnete Gruppen ihre Präsenz im Amazonasgebiet ausgeweitet, ihre politische Kontrolle verstärkt und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten diversifiziert haben.

Heutzutage sind die Kokaproduktion, der illegale Goldabbau und der illegale Holzabbau, neben anderen illegalen Aktivitäten, einige der Hauptursachen für die Abholzung, Verschmutzung und Umweltzerstörung in einigen der am besten erhaltenen Teilen des Amazonasgebiets. Die Verbreitung krimineller Aktivitäten hat Gewalt gegen indigene Völker und Gemeinden ausgelöst, und es gleichzeitig geschafft, in lokale soziale Netzwerke einzudringen, Gemeinden zu spalten und insbesondere junge Menschen für illegale Aktivitäten zu rekrutieren.

Natürlich war das Amazonasgebiet in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Kolonialisierungswellen zur Gewinnung von Bodenschätzen. Auch war es schon immer ein von bewaffneten und kriminellen Gruppen sowie staatlicher Gewalt durchzogenes Gebiet. Jedoch hat die Präsenz transnationaler Netzwerke des organisierten Verbrechens in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Dies ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, unter anderem, das Machtvakuum, das durch die Demobilisierung der FARC in Kolumbien entstanden ist. Hinzu kommen die territorialen Expansionsprojekte brasilianischer und kolumbianischer krimineller Gruppen, sowie die unermüdliche weltweite Nachfrage nach Gold, Kokain und anderen Produkten des Amazonasgebiets.

Die Pandemie markiert einen entscheidenden Wendepunkt zugunsten der Ausbreitung krimineller Aktivitäten, da sie die Menschen in ihren Gebieten isolierte, die Bemühungen zur Eindämmung der organisierten Kriminalität demobilisierte und in weiten Teilen der Bevölkerung zu extremer Verarmung führte. Letzteres machte die Beteiligung an illegalen Geschäften nur noch attraktiver. Dazu haben die anhaltenden politischen Krisen in Peru und Ecuador, und die Unterstützung durch politische Institutionen und Akteure innerhalb des Landes politische Bedingungen geschaffen, die für die organisierte Kriminalität von Vorteil sind.

Diese neue Welle des Extraktivismus, die von der kriminellen Wirtschaft ausgeht, hat es geschafft, in indigene Territorien und Naturschutzgebiete einzudringen und diese zu bedrohen, die zuvor relativ fähig gewesen waren, sich selber gegen den vom Staat und transnationalen Unternehmen geförderten Extraktivismus zu schützen. Dadurch ist sie zu einem wirksamen Mechanismus geworden, der dazu fähig ist, neue Territorien für die Enteignung zu öffnen.

Indigener Widerstand

Die Ausbreitung des illegalen Extraktivismus stellt für die indigenen Völker des Amazonas eine massive Herausforderung dar. Das ist nicht nur auf die Asymmetrien in Bezug auf die politische und wirtschaftliche Macht und die Rüstung, die den Widerstand gegen organisierte Kriminalität beinhaltet, zurückzuführen, sondern auch der Verarmung ihrer Territorien und interner Spaltungen geschuldet, die die illegalen Wirtschaften zu erzeugen wissen.

Trotz allem gibt es indigene Völker und Gemeinden wie die Kakataibo, die beschlossen haben, sich zu wehren. In Peru organisieren sich die Wampi Völker, um ihr Territorium zu schützen und die Goldgräber zu vertreiben. In Ecuador übt die indigene Föderation der Napo auf die Regierung Druck aus, um gegen den illegale Bergbau vorzugehen. Währenddessen haben in Brasilien die Munduruku, Yanomami und Kayapó eine historische Allianz geschlossen, um gegen garimpeiro (illegaler und informeller Bergbau) in ihren Territorien anzukämpfen.

Marcelo Odicio besteht darauf, dass “das Volk der Kakataibo keine weiteren Morde oder Invasionen zulassen wird. Unsere Wächter sind mobilisiert und entschlossen. Wir sind dabei, neue Bündnisse mit unseren Asháninka Brüdern zu bilden, um die Gefahr zu konfrontieren”. Zugleich sagen die Kakataibo-Anführer, ihre von den indigenen Wächtern implementierten Sicherheitsmaßnahmen müssten durch anderen Maßnahmen ergänzt werden, welche die territoriale Sicherheit stärken. Dies beinhalte die Vergabe von Landtiteln für ihre Gemeinden, und Unterstützung für ihre lokalen Wirtschaften als Alternative zum illegalen Anbau und Abbau.

 

CC BY-SA 4.0 Amazonasvölker erklären den Notstand von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert