(Mexiko-Stadt, 23. Dezember 2018, npl).- „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ schaffen und erhalten ist ein UN-Ziel für Nachhaltige Entwicklung. Laut UN-Generalsekretär Antonio Guterres sogar das erste und wichtigste. Genau in diese Richtung zielt die Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala. Seit 2007 hat die CICIG geholfen, eine Reihe hochrangiger Personen wegen Korruption und schlimmerer Verbrechen vor Gericht und ins Gefängnis zu bringen. Doch 2018 haben die korrupten Eliten des Landes zum Gegenangriff geblasen. Denn „leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen“, wie sie im Rahmen der SDGs aufgebaut werden sollen, sind so gar nicht im Interesse derer, die mit schwachen Institutionen bislang all zu gut gelebt haben.
„Ich bin besessen von Gerechtigkeit. Ich habe eine seltsame Krankheit bezüglich dieser Überzeugung, von der ich mich auch nicht lösen kann“, sagte der kolumbianische Jurist Ivan Velázquez unlängst einem Fernsehinterview. Seit fünf Jahren steht Velázquez der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala vor. Seit 2007 arbeitet die CICIG in dem mittelamerikanischen Land und hat Ermittlungen wegen Betrugs und Veruntreuung, Korruption und Amtsmissbrauchs, Drogen- und Menschenhandels, Mordes und außergerichtlichen Hinrichtungen eingeleitet und erfolgreich abgeschlossen. Man mag sich fragen: Warum braucht es eigentlich eine UN-Kommission, um solche schweren Verbrechen verfolgen zu können. Warum schaffen das die guatemaltekischen Strafverfolgungsbehörden nicht ohne fremde Hilfe?
Guatemala war lange Zeit eine Militärdiktatur und eine der blutrünstigsten dazu. Über Jahrzehnte haben die Militärs Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt – im Auftrag der alteingesessenen guatemaltekischen Oberschicht, die sich oft bis in die Zeit der spanischen Conquista zurückverfolgt, seit Jahrhunderten Privilegien besitzt und die es gewohnt war, diese mit allen Mitteln zu verteidigen. Oder, wie es der guatemaltekische Fotograf Daniel Hernández formuliert: „Die Oberschicht sieht das Land als ihre Finca, auf der sie machen kann was sie will“.
Oberschicht plündert das Land aus
Entstanden ist dabei eine Kultur, in der die Mächtigen das Land und den Staatshaushalt fast nach Belieben ausplündern konnten. Und das versuchen sie laut des deutschen ehemaligen Strafverteidigers Michael Mörth bis heute: „Heute geht die CICIG selber davon aus, dass es kriminelle Strukturen sind, die mit den ökonomischen direkt verbunden sind“. Mörth ist seit über zwanzig Jahren in Guatemala, hat in der CICIG gearbeitet und später ein Anwaltsbüro zur Menschenrechtsverteidigung mit aufgebaut. Seine Analyse: Der Staat werde heute nicht nur von kriminellen Strukturen bedroht, sondern er sei so infiltriert, dass er mittlerweile mache, was diese kriminelle Strukturen wollen.
Gegen diese Korruptionsnetzwerke und Seilschaften vorzugehen, ist eines der zentralen Ziele der CICIG. Und zusammen mit den guatemaltekischen Behörden, vor allem mit den ehemaligen Generalstaatsanwältinnen Claudia Paz y Paz und Thelma Aldana, hat die Kommission eine ganze Reihe von Erfolgen gefeiert. Dazu gehören Haftbefehle wegen Mordes, Drogenhandels, Entführung und Erpressung gegen einen ehemaligen Innenminister, einen Polizei- und Vizepolizeichef sowie den Chef des Gefängniswesens; gegen mehrere Offiziere wegen Mordes, gegen Ex-Präsident Portillo wegen Veruntreuung, gegen Richter und Unternehmer.
Für Jorge Santos, Koordinator der Einheit zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen in Guatemala UDEFEGUA, ist der Wert der CICIG für Guatemala nicht hoch genug einzuschätzen: „Ich glaube, die CICIG hat eine Menge bewirkt. Bisher mussten doch nur Menschen, die 20 Quetzales oder ein Huhn stehlen, damit rechnen, bestraft zu werden. Heute sehen wir, dass Regierungsvertreter und Unternehmer vor Gericht gestellt werden“. Darüber hinaus habe die CICIG auch einen kulturellen Wandel bewirkt: „Wir Guatemalteken müssen diese Chance nutzen, die Arbeit der CICIG unterstützen, um so das gesamt guatemaltekische Justizsystem zu ändern.“
Vom Präsidentenpalast ins Gefängnis
2015 dann landet die CICIG einen Coup, ein Beben, dessen Schockwellen weit über Guatemala hinausreichten. Sie deckt „La Línea“ auf, einen Korruptionsskandal im guatemaltekischen Zoll. Zunächst standen nur einfache Zollbeamte im Fokus der Ermittlungen, doch dann weitet sich der Skandal immer weiter aus: Unternehmer, Richter, dann Guatemalas Vizepräsidentin und zum Schluss sogar Präsident Otto Pérez Molina. Durch die Ermittlungen und nach wochenlangen Protesten war Pérez Molina quasi aus dem Amt ins Gefängnis befördert worden. Selbst CICIG-Chef Ivan Velázquez war überrascht. In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País sagte Velásquez unlängst, er hätte niemals gedacht, in welchem Ausmaß Guatemala von der Korruption durchdrungen sei.
Doch so groß der Erfolg für die Strafverfolgung in Guatemala war, so groß mussten Guatemalas Machteliten auch die Bedrohung empfinden. Denn wer einen Präsidenten in den Knast bringen kann, für den ist niemand mehr unangreifbar, so Michael Mörth: „Auf einmal befindet sich die CICIG oder die Staatsanwaltschaft in einem Sieben-, Achtfrontenkrieg, wo praktisch alle Sektoren der Eliten anklagt werden. Und das heißt, trotz ihrer internen Widersprüche rücken sie alle zusammen und der entscheidende Gegner ist die CICIG, ist die Justiz.“
Ein Jahr später, im Jahr 2016, ist Jimmy Morales neuer Präsident Guatemalas. Der ehemalige Fernsehkomiker hatte als angeblicher Saubermann die Wahlen gewonnen – mit Unterstützung ehemaliger Militärs und damit der reaktionärsten Teile des politischen Spektrums. Aber auch die neue Regierung ist schnell im Visier der CICIG. Gegen mehrere enge Vertraute und Top-Funktionäre laufen Ermittlungen und Verfahren, auch gegen den Bruder und den Sohn des Präsidenten. Dem Präsidenten selber droht dreimal die Aufhebung seiner Immunität.
Die Regierung schlägt zurück
Ende August setzt Morales eine Drohkulisse in Szene, versammelt Minister und Militärs für eine Fernsehansprache und kündigt an, das Mandat der CICIG nicht über das Jahr 2019 zu verlängern. Kurze Zeit später legt der Präsident vor der UN-Vollversammlung im September nach: Die CICIG sei zu einer Bedrohung für den Frieden in Guatemala geworden. Sie habe ein Terrorsystem errichtet in dem jeder, der anders denke, verfolgt werde. Militärs gegen angeblichen Terrorismus. Das ist nicht nur Trump-Style, genau mit dieser Begründung hatte das Militär in Guatemala in den 80er Jahren eine „Aufstandsbekämpfungspolitik“ umgesetzt, die die UN später als Völkermord brandmarken sollte.
Als Velázquez dann für ein paar Tage das Land verlässt, verweigert ihm Morales die Wiedereinreise. Eine Entscheidung, die zwar wenige Tage später vom Obersten Verfassungsgericht wieder kassiert wird. Doch Morales ignoriert die Anweisung und löst damit eine Verfassungskrise aus. Und es geht noch weiter. Nun diskutiert der Kongress darüber, das Verfassungsgericht abzuschaffen. Ein Putsch auf Raten droht! Wie der Machtkampf ausgeht, ist ungewiss. Zwar sind 70 Prozent der Guatemaltek*innen für die CICIG und gegen Morales. Es zeigt sich aber: Wer sich mit den Mächtigen anlegt, macht sich nicht nur in Guatemala ebenso mächtige Feinde.
Die CICIG benötigt derweil alle Unterstützung, die sie bekommen kann. Da ist die Auszeichnung mit dem alternativen Nobelpreis, dem Right Livelihood Award 2018, für CICIG-Chef Iván Velásquez und die ehemalige guatemaltekische Generalstaatsanwältin Thelma Aldana ein wichtiges Zeichen internationaler Unterstützung. In Guatemala selbst kann sich die CICIG nach wie vor der Unterstützung der Bevölkerung sicher sein. Und diese bleibt auch bitter nötig, will sich das zentralamerikanische Land endlich der Korruption und Straffreiheit entledigen.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag bei onda.
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