(Rio de Janeiro, 26. August 2024, apublica).- Am 23. August beschloss die Amnestiekommission des brasilianischen Ministeriums für Menschenrechte (MDH), dem Verband der Vereinigungen der Favelas von Rio de Janeiro (Faferj) eine Amnestie und kollektive Wiedergutmachung zu gewähren. In der Zeit der Militärdiktatur hatte sich Faferj für die Rechte der Bewohner*innen der Favelas eingesetzt, die Opfer von Zwangsräumungen und systematischer Repression durch den Staat geworden sind. Der Verband und seine Anführer*innen hatten deshalb Verfolgungen, Verhaftungen und Folterungen erlitten.
In dem Beschluss empfahl die Kommission auch die Übergabe eines Gebäudes oder öffentlichen Grundstücks für den Bau eines neuen Hauptquartiers für den Verband. Dort soll dann ein Raum der Erinnerung errichtet werden, um über die Gewalt zu informieren, die in Randbezirken lebende Gruppen in der Diktatur erleiden mussten. Faferj vertritt heute mehr als 800 Gemeindeverbände.
Der Antrag auf Amnestie wurde am 6. November 2023 von Faferj zusammen mit der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte (Defensoria Pública da União, DPU) eingereicht. Damit sollten die Menschenrechtsverletzungen, die zwischen 1964 und 1985 gegen die Bevölkerung am Stadtrand von Rio de Janeiro und den Verband selbst verübt wurden, offiziell anerkannt werden. Während der Diktatur wurden mehr als 100.000 Favela-Bewohner*innen aus ihren Gemeinden vertrieben und sahen sich Gewalt und dem Verlust grundlegender Rechte ausgesetzt, so ein Bericht der Wahrheitskommission des Bundesstaates Rio de Janeiro (CEV-Rio) im Jahr 2015.
„Trotz seiner etymologischen und historischen Ursprünge wird [der Begriff] Favela in Brasilien auf abwertende Weise verwendet, um die arme, periphere Bevölkerung zu stigmatisieren, meist schwarze Menschen, die an Orten leben, wo der Staat nur auftaucht, um Menschen zu unterdrücken und Aktionen im Interesse des Kapitals zu unterstützen“, sagte die Berichterstatterin und Beraterin der Kommission, Ana Maria Lima de Oliveira, zu Beginn ihrer Abstimmung.
Plan zur Verringerung tödlicher Polizeigewalt
Zusätzlich zu der offiziellen Entschuldigung des Staates schlägt die Kommission vor, einen Plan zur Verringerung der tödlichen Polizeigewalt einzuführen, der den Einsatz von Kameras und Mikrofonen an den Uniformen der Beamt*innen beinhaltet, sowie ein Ende der „Trojaner“, eine Polizeipraxis, die das unbefugte Eindringen von Polizist*innen in private Gebäude in den Gemeinden beinhaltet.
Die Kommission weist auch auf die Notwendigkeit hin, das Agatha-Félix-Gesetz anzuwenden. Das Gesetz sieht Ermittlungen im Zusammenhang mit Kindern und minderjährigen Opfern vor, als Mittel zur Verringerung der Gewalt in den Favelas. Es wurde im Gedenken an ein achtjähriges Mädchens verabschiedet, das am 20. September 2019 von einem Militärpolizisten erschossen wurde, als sie sich mit ihrer Mutter in einem Fahrzeug im Complexo do Alemão befand, einem Viertel im Norden von Rio de Janeiro.
Der Staat und die Gewalt
Die Berichterstatterin Ana Maria Lima de Oliveira kritisierte während des Prozesses zudem die Immobilienspekulation, die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart zu einer treibenden Kraft für Zwangsräumungen in brasilianischen Favelas geworden sind.
„Die Immobilienspekulation in Gemeinden und Orten von großer natürlicher Schönheit ist der Hauptgrund für Räumungen und Zwangsumsiedlungen. Während der Diktatur handelte der Staat, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt, im Interesse der Spekulanten. Und in einem demokratischen Staat ist die Situation nicht anders. Gemeinschaften, die sich widersetzen, wie der Quilombo Sacopã an der Lagune Rodrigo de Freitas, waren immer das Ziel dieser Spekulationen und, in jüngerer Zeit, von evangelikalen Milizen, die sich in Rio de Janeiro mit rassistischen Angriffen und religiöser Gewalt gebildet haben“, betonte sie.
Eneá de Stutz e Almeida, Vorsitzende der Amnestiekommission des MDH, bedauerte, dass selbst in einem demokratischen Staat die Randgemeinden immer noch mit staatlicher Gewalt konfrontiert sind.
„Das Fehlen einer Verwaltungsreform, insbesondere in den öffentlichen Sicherheitsinstitutionen, verwandelt die politische Verfolgung in ein Erbe, das nicht nur historisch, sondern auch aktuell ist, weil es generationenübergreifend ist“, sagte sie. „Solange wir uns nicht mit dem autoritären Erbe aus der Zeit des Ausnahmezustands auseinandersetzen, wird es keinen Frieden geben.“
Übersetzung: Fabiana Raslan
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