Poonal Nr. 801

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 27. Mai 2008

Inhalt


MEXIKO

HONDURAS

MITTELAMERIKA

KOLUMBIEN

ECUADOR – KOLUMBIEN – VENEZUELA – USA

BRASILIEN

CHILE

LATEINAMERIKA – EU


MEXIKO

Filmstart von „Verdades que Matan“ von Morddrohungen begleitet

Von Federico Campbell Peña

(Mexiko-Stadt, 21. Mai 2008, cimac-poonal).- Aktivistinnen der Organisation „Unsere Töchter sollen nach Hause zurückkehren“ NHRC (Nuestras Hijas de Regreso a Casa) aus Ciudad Juárez haben ihre Teilnahme an einer Werbekampagne für den Film „Verdades que matan“ (engl. Titel „Bordertown“, dt. Titel „Tödliche Wahrheiten“) abgesagt. Marisela Ortiz, Norma Andrade und Malú García Andrade, die den Vorführungen des Films beiwohnen sollten, hatten zuvor Morddrohungen via E-Mail und Mobiltelefon erhalten. „Jetzt ist die Bedrohung real“, bestätigte Ortiz.

Norma Andrade und ihre Tochter Malú García Andrade waren im Februar 2007 bei der Premiere des Films auf der Berlinale anwesend. An einer Pressekonferenz für den Film am 12. Mai 2008 in Mexiko-Stadt nahmen sie jedoch auf Grund von Drohungen gegen sie nicht mehr teil. Auf der Pressekonferenz berichtete Regisseur Gregory Nava von kontinuierlichen Morddrohungen während der Dreharbeiten. Zuvor hatten mexikanische Journalist*innen berichtet, ebenfalls telefonische Drohungen erhalten zu haben. Sie sollten sich nicht an einer Berichterstattung über den Film beteiligen.

Nava erinnerte daran, dass während der Dreharbeiten ein junger Mitarbeiter des Produktionsteams entführt und gefoltert wurde, bis er verriet, in welchem Hotel sich das Filmmaterial befand, welches daraufhin von Beamten der Polizei von Ciudad Juárez entwendet wurde. Der Drehstab entschied daraufhin, in Ciudad Juárez nur noch Doubles der Darsteller Jennifer López und Antonio Banderas einzusetzen und die Dreharbeiten in Nogales und Tijuana fortzusetzen.

Des weiteren rief der Regisseur ins Gedächtnis, dass der Film in US-Kinos nicht gezeigt worden sei, was an seiner scharfen Kritik am nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA und an der Ausbeutung mexikanischer Arbeiterinnen in den für den Export produzierenden Maquiladoras liegen könnte, die sich vielfach in US-amerikanischen Besitz befinden. Auch könne ein Grund für den Boykott des Films an einer Filmszene liegen. Die zeigt, wie ein US-Senator und der Chefredakteur einer Chicagoer Zeitung (dargestellt von Martin Sheen) Absprachen treffen, um eine Zeitungsmeldung einer Reporterin (Jennifer López) zu zensieren.

Menschenrechtsorganisationen forderten die Behörden Mexikos und des Bundesstaats Chihuahua auf, Maßnahmen zum Schutz von Marisela Ortiz, Ramona Morales, Norma Andrade, María Luisa García Andrade, Rosaura Montañez, Julia Cano und Rubí Pando – allesamt Aktivistinnen von NHRC – zu ergreifen.

„Verdades que matan“ lief dann am 16. Mai in hundert Filmtheatern mehrerer Städte Mexikos an.

HONDURAS

CIDH verurteilt Zustände in honduranischen Gefängnissen

(Fortaleza, 16. Mai 2008, adital).- Die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) hat in einer Pressemitteilung den gewaltsamen Tod von 27 Häftlingen in zwei honduranischen Gefängnissen verurteilt. In der Erklärung forderte die CIDH den honduranischen Staat dazu auf zu verhindern, dass sich in Zukunft derartige Vorfälle wiederholten. Die notwendigen Maßnahmen dazu seien in Angriff zu nehmen, auch angesichts der Tatsache, dass bereits in der Vergangenheit Häftlinge immer wieder zu Opfern von Gewalttaten wurden.

Die jüngsten Entwicklungen nahmen ihren Ausgang am 26. April im Gefängnis von San Pedro Sula, das im Norden des Landes liegt. Hier hatte eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen den Insassen der Haftanstalt neun Tote und zwei Verletzte zur Folge.

Nach diesem Vorfall wurden einige der überlebenden Beteiligten in drei über das Land verteilte Haftanstalten überwiesen, 31 von ihnen in das nahe der Hauptstadt Tegucigalpa liegende Nationalgefängnis. Dort wurden sie am 3. Mai in einen weiteren Kampf mit ihren Zellengenossen verwickelt. Es starben 18 Insassen. 

„Die CIDH bedauert die Vorfälle zutiefst, solidarisiert sich mit den Familien der Opfer und erinnert daran, dass der honduranische Staat nach internationalem Recht dazu verpflichtet ist, das Leben und die Integrität aller Gefangenen zu garantieren“, so die CIDH in ihrer Pressemitteilung.

Die Situation der Gefängnisse in Honduras ist durch strukturelle Probleme gekennzeichnet. Die Gefängnisbevölkerung umfasst 12.000 Insass*innen, Überbelegung ist der Normalfall. In der Haftanstalt von San Pedro Sula leben 2.000 Menschen, im Nationalgefängnis rund 3.000. In allen Gefängnissen kommt es regelmäßig zu Fluchtaktionen, Meutereien und Mordanschlägen, da die Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen nur ungenügend sind. Allein in den letzten sieben Jahren starben rund 450 Gefangene.

MITTELAMERIKA

Alternativer Klimagipfel endet

Von Torge Löding, San Pedro Sula

(San José, 26. Mai 2008, voces nuestras).- Umweltgerechtigkeit, nachhaltige Landwirtschaftspolitik und die Forderung an die Industrienationen nach Einlösen ihrer ökologischen Schuld, das waren die zentralen Diskussionsthemen auf dem ersten mittelamerikanischen Klimagipfel der Zivilgesellschaft. Fast 250 Vertreter*innen aus Basisgruppen und Nichtregierungsorganisation waren der Einladung der Weltnaturschutzunion UICN (International Union for the Conservation of Nature) ins honduranische San Pedro Sula gefolgt, darunter Campesinos, Wissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen und umweltbewusste Unternehmer*innen.

Das Abschlussdokument enthält den Vorschlag für den Aufbau eines Forums der Zivilgesellschaft, welches Wissensmanagement zum Klimawandel organisieren und den Regierungen beratend zur Seite stehen soll. Mängel und Fehler des Kyotoprotokolls müssten behoben werden, wie etwa das Fehlen eines Systems, das den Bestandsschutz primären Regenwaldes prämiere. Die Staaten sollen zudem verpflichtet werden, einen festen Bestandteil ihres Bruttoinlandsproduktes auf die Abschwächung des Klimawandels zu verwenden. Zudem bauen die Teilnehmer*innen des Alternativgipfels auf Ausgleichszahlungen aus den Industrienationen, die somit ihre „ökologische Bringschuld“ begleichen sollen.

„Wir sind eine anfällige Region“, sagte Grethel Aguilar, Mittelamerika-Direktorin der IUCN. Das beziehe sich sowohl auf soziale wie geografische Faktoren. Mehr als die
Hälfte der Menschen in Zentralamerika lebten in Armut, dazu komme die Form des Isthmus, der Nord- und Südamerika verbinde und von zwei Ozeanen umspült werde und somit ähnliche Charakteristika wie ein Inselstaat aufweise. „Einzelne, isolierte Aktionen reichen nicht aus. Das Thema Klimawandel sollte man nicht nur als Risikomanagement betrachten. Stattdessen sollte man verstehen, dass wir eine nachhaltige Entwicklung brauchen, welche allen eine gute Lebensqualität sichert. Wir brauchen ein neues, solidarisches Gesellschaftsmodell.“

Umweltthemen sorgen bereits für sozialen Sprengstoff in der Region. Während die Gipfelteilnehmer*innen in Honduras diskutierten, gingen einige ihrer Mitstreiter*innen mit mehr als 2000 anderen in Costa Rica auf die Barrikaden und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im sonst so verschlafenen Ort Sardinal in der Pazifikregion Guanacaste begehrten die Anwohner*innen gegen den Bau eines privaten Aquäduktes auf. Damit die Hotelgäste nicht auf dem Trockenen sitzen und um Golffelder zu besprenkeln, wollen sich Tourismusunternehmer*innen durch den Aquädukt mit Wasser versorgen. Dass sie den Anwohner*innen damit das nötige Nass zum Leben nehmen, stört sie dabei nicht.

Mehr Informationen unter: www.iucn.org

KOLUMBIEN

Verstärkt Proteste gegen die Auslieferung von Paramilitärs an die USA

(Fortaleza, 16. Mai 2008, adital-poonal).- Die internationale Wahrheitskommission in Kolumbien hat die Entscheidung des kolumbianischen Präsidenten Ávaro Uribe kritisiert, Paramilitärs an die USA auszuliefern. Laut der Organisation stelle diese Haltung eine Beleidigung des ethischen Bewusstseins der Menschheit dar. „Mit dieser Entscheidung entfällt die Möglichkeit, Gerechtigkeit für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit walten zu lassen.“ Am 13. Mai wurden 14 Paramilitär-Chefs zum Militärflughafen in Bogotá gebracht. Damit begann offiziell der Auslieferungsprozess an die USA.

Laut Angaben der Wahrheitskommission haben einige der Ausgelieferten ihre Teilnahme an illegalen Aktivitäten unter Billigung des Militärs und mit Unterstützung politischer und wirtschaftlicher Kräfte Kolumbiens zugegeben. „Die Auslieferung wird zu einem Straflosigkeitsmechanismus, der für Opfer und deren Angehörige internationale Gerechtigkeit, wie z.B. den Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof, verhindert oder zumindest erschwert.“

Zudem glaubt die Organisation, dass durch die Auslieferung die Verurteilung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht garantiert sei. Das US-amerikanische Rechtssystem sieht vor, dass Kriminelle, die relevante Informationen zu ihren Aktivitäten im Drogenhandel bereitstellen, im Gegenzug mit Strafmilderung rechnen können. Sie haben sogar die Möglichkeit, in ein Zeugenschutzprogramm einzutreten. Das ermöglicht es ihnen, ihre Identität zu ändern. Damit würde zukünftigen Generationen die Möglichkeit verweigert, die Täter für ihre Vergehen zu belangen.

Die Arbeit der Wahrheitskommission müsse angesichts neuer Methoden der Straflosigkeit wirksamer werden. „Durch die Entscheidung der kolumbianischen Regierung wird die Wirklichkeit verdunkelt und zugunsten der Regierung und der Mörder manipuliert. So wälzt sie die Verantwortung für Straflosigkeit, fehlenden Fortschritt und Frieden ab auf die Opfer, die Menschenrechtsorganisationen und die Opposition.“, so die Wahrheitskommission.

ECUADOR – KOLUMBIEN – VENEZUELA – USA

Streit um Luftraumverletzung

(Buenos Aires, 20. Mai 2008, púlsar-poonal).- Die ecuadorianische Außenministerin María Isabel Salvador hat am 19. Mai erklärt, dass es immer wieder zu Zwischenfällen an der Grenze zwischen Ecuador und Kolumbien komme. In den letzten Wochen seien mindestens zwei kolumbianische Hubschrauber unerlaubt in ecuadorianisches Territorium eingedrungen. Auch seien kolumbianische Wasserstreitkräfte in ecuadorianischen Gewässern gesichtet worden.

Seit Anfang März sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern angespannt, nachdem am 1. März kolumbianische Militärs in Ecuador eingedrungen waren, um ein Lager der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) auf ecuadorianischem Territorium anzugreifen (siehe Poonal Nr. 795 und Nr. 796).

Die ecuadorianische Regierung forderte nun Bogotá auf, das Sicherheitsabkommen der binationalen Grenzsicherungskommission COMBIFRON (Comisión Binacional de Frontera), das infolge des Zwischenfalls ausgesetzt wurde, unverzüglich wieder in Kraft zu setzen, um eine „militärische Eskalation“ der diplomatischen Krise zu verhindern.

Auch die venezolanische Regierung protestierte gegen illegales Eindringen von Militärs in ihr Territorium. Am 16. Mai seien 60 kolumbianische Soldaten im Bundesstaat Apure im Südwesten des Landes auf venezolanisches Gebiet vorgedrungen. Der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Manuel Santos wies diese Anschuldigung als haltlos zurück.

Das Pentagon hingegen räumte ein, dass am 17. Mai ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug vom Typ S-3 Viking in venezolanischen Luftraum eingedrungen war. Die gegen Drogenschmuggel in der Karibik tätige „Joint Interagency Task Force“ teilte mit, das von einem US-Luftwaffenstützpunkt auf der Antilleninsel Curaçao kommende Flugzeug, welches im Rahmen einer Anti-Drogen-Operation unterwegs gewesen sei, sei aufgrund eines Navigationsfehlers von der Route abgekommen und habe venezolanische Inseln überflogen.

BRASILIEN

Agrotreibstoff: Scharfe Kritik an brasilianischer Regierung

(Bonn/Rio de Janeiro, 26. Mai 2008, púlsar).- Als Antwort aufdie umstrittene Position der Regierung Brasiliens zum Thema Ethanol und anderen Biotreibstoffen auf der UN-Naturschutzkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt (COP 9), die vom 19. bis 30. Mai in Bonn stattfindet, haben Vertreter von sozialen Bewegungen aus verschiedenen Ländern eine parallele Protestveranstaltung am Tagungsort organisiert.

Nachdem die brasilianische Regierung zu Beginn der Konferenz ausgepfiffen wurde – sie hatte die Ansicht vertreten, dass die Produktion von Biosprit nicht Gegenstand der Verhandlungen über die Sicherung von biologischer Vielfalt sein sollten – formulierten Organisationen wie Greenpeace, Terra de Direitos und das Instituto Indígena Brasileiro para a Propiedade Intelectual ihre Kritik an dem Modell.

Auf der Veranstaltung wurden Zahlen veröffentlicht, die die Regierung gerne verschweigt. Unter anderem, dass bereits heute 7,2 Millionen Hektar in Brasilien der Produktion von Zuckerrohr dienen, dass 100 Prozent des Ethanols auf Monokultur-Plantagen entsteht und dass 90 Prozent des Biodiesels aus dem Anbau von Soja gewonnen wird. Die Monokulturen, vor allem Soja, Zuckerrohr, Eukalyptus und Mais, beanspruchen 72 Prozent der Anbauflächen in Brasilien. „Es ist erschreckend, wenn hier gesagt wird, dass die Monokultur kein Verbrechen sei. Monokultur ist ein Verbrechen gegen die biologische Vielfalt,“ sagte Camila Moreno von der NGO Terra e Direitos aus Curitiba im südlichen Bundesstaat Paraná.

Paulo Adário, von der Greenpeace-Initiative „Kampagne Amazonas“ erklärte, dass Ethanol noch keine direkte Bedrohung des Urwalds darstelle, aber indirekt schon für Schäden verantwortlich sei. „Vi
ele Familien im ganzen Land beenden derzeit die Viehzucht, um Zuckerrohr anzubauen, motiviert durch die Anreize seitens der Regierung. Wo wandert all das Vieh hin? In das Amazonasgebiet! Schon heute kommen dort drei Kühe auf jeden Einwohner,“ argumentiert Adário.

Nach Meinung der Vertreter der Zivilgesellschaft ist das Auftreten der brasilianischen Delegation auf der UN-Konferenz peinlich. Obwohl die brasilianische Diplomatie allgemein hin sehr anerkannt und stets eher auf Ausgleich bedacht sei, rufe die vorbehaltlose Verteidigung von Agrotreibstoffen Kritik und Unverständnis auf vielen Seiten hervor. Es werde immer deutlicher, dass die Regierung Brasiliens die Konferenz dazu nutzen wolle, neue Märkte für Ethanol zu erschließen. Aus diesem Grund verlieh Greenpeace der Regierung unter Präsident Inácio Lula da Silva vergangene Woche den Preis der Goldenen Motorsäge.

Nach Meinung von Camila Moreno war “die Diplomatie Brasiliens historisch international anerkannt, da sie immer wichtige Fragen der Menschheit und die Idee einer multilateralen internationalen Gemeinschaft in den Mittelpunkt rückte“. Deswegen sei ihr das Geschehen während der COP 9 „ausgesprochen peinlich“.

“Es ist beschämend, dass die brasilianische Diplomatie heute die Frage der Biodiversität und des Kampfes gegen Abholzung auf die Möglichkeit des Geschäftemachens reduziert, und dies auf einer Konferenz, bei der es um das Leben geht,“ so Moreno.

CHILE

Menschenrechtsorganisation fordert Namen von Folterern

(Buenos Aires, 19. Mai 2008, púlsar).- Die Vereinigung von Familienangehöriger politisch Hingerichteter AFEP (Agrupación de Familiares de Ejecutados Politicos) fordert die Offenlegung der Namen der Militärs, die während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet in den Gefangenenlagern tätig waren.

In Form eines Briefes wurde das Oberhaupt der Armee, General Oscar Izurieta, aufgefordert, die Namen der „Offiziere, Unteroffiziere und anderen Militärs, die in Gefangenlagern in Folter und Mord verwickelt waren“ preiszugeben.

Aktueller Anlass für diese Aufforderung ist die Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen die Mörder Víctor Jaras vergangene Woche. Der Musiker und kommunistische Aktivist war während der Militärdiktatur gefangengenommen, gefoltert und getötet worden.

Marta Godoy und Dolores Cautivo, Präsidentin und Vize-Präsidentin der AFEP, wiederholten ihr Vorhaben, „die Verantwortlichen bis zum Schluss zu verfolgen, auch wenn die Gerichte dies nicht tun, so wie im Fall des Verbrechens an Víctor Jara „.

LATEINAMERIKA – EU

Offizieller EU-LA-Gipfel und Alternativengipfel zu Ende

Von Andreas Behn, Lima

(Berlin, 17. Mai 2008, npl).- Wie nicht andres erwartet, ging das 5. Gipfeltreffen der Regierungschef aus Lateinamerika, der Karibik und der EU am Samstag in der peruanischen Hauptstadt Lima ohne nennenswerte Ergebnisse zu Ende. Nicht einmal Venezuelas Präsident Chávez, bekannt für sein oft provokatives Auftreten, tat den gelangweilten 1.500 Journalist*innen vor Ort den Gefallen, für Schlagzeilen zu sorgen. Lediglich das Geplänkel mit Bundeskanzlerin Merkel gab einiges an Gesprächsstoff her. Chávez entschuldigte sich für seine Äußerungen im Vorfeld des Treffens und sorgte für Rätselraten mit einer Bemerkung über eine Einladung nach Deutschland.

Mehr und bessere Stimmung prägte den Alternativgipfel „Enlazando Alternativas – Alternativen Verknüpfen“, der ab dem 13. Mai weit über Tausend Aktivist*innen aus beiden Kontinenten ebenfalls in Lima versammelte. Die Versuche der peruanischen Regierung unter Alan García, das Treffen zu kriminalisieren und totzuschweigen, misslangen. Am Freitagabend versammelten sich Tausende auf dem Platz des 2. Mai, wo in Anwesenheit des bolivianischen Präsidenten die Abschlusserklärung des Gipfels verlesen wurde. Im Zentrum stand die Ablehnung von Agrartreibstoffen, des Versuch von Europa, neue Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen und die Verletzung von Umwelt- und Menschenrechten durch transnationale Konzerne.

Dies war auch Thema eines Tribunals, das während der Alternativveranstaltung tagte (siehe Poonal Nr. 800). Am Freitag erging ein Urteil über die Machenschaften von über 20 europäischen Firmen, die in Lateinamerika und der Karibik den Unmut von Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Indígenas auf sich gezogen haben. Für den Sprecher der Veranstalter, Miguel Palicín, war „Enlazando Alternativas“ ein Erfolg: „Wenn Alan García inzwischen fordert, der Präsidentengipfel solle handfeste Ergebnisse aufs Papier bringen, ist dies auch auf den Druck des Sozialgipfels zurückzuführen.“

Insbesondere bezüglich der beiden Hauptthemen des offiziellen Gipfels wollten sich die versammelten Präsident*innen in keiner Hinsicht festlegen. Sowohl in Sachen Armutsbekämpfung wie auch bei Maßnahmen gegen den Klimawandel blieb es bei Zielformulierungen, die durch keine konkreten oder messbaren Maßnahmen in eine politische Praxis übersetzt werden.

Der Themenkomplex bilaterale Assoziierungs- und Freihandelsabkommen sorgte hingegen schon zu Beginn des Treffens für Aufregung. Boliviens Präsident Evo Morales kritisierte auf seiner ersten Pressekonferenz, die Verhandlungsstrategie der EU würde auf eine Spaltung des Andenpaktes CAN (Comunidad Andina) abzielen. „Es geht nicht an, dass (EU-Handelskommissar Peter, d. Red.) Mandelson uns vorschreibt, dass wir entweder die Verhandlungsvorgaben der EU über einen Freihandelsvertrag akzeptieren müssen oder von den Verhandlungen ausgeschlossen werden“, sagte Morales. Zuvor hatten sich Perus Präsident Alan García und sein kolumbianischer Kollege Álvaro Uribe ebenfalls für einen schnelleren Rhythmus der Verhandlungen ausgesprochen.

Bolivien und das vierte Land des Andenpaktes Ecuador – Venezuela ist bereits wegen Unstimmigkeiten über die wirtschaftspolitische Richtung ausgetreten – stehen den Gesprächen, die Privatisierungen öffentlicher Dienste ebenso einschließen wie umfassende Handelserleichterungen, eher ablehnend gegenüber und beharren darauf, dass der Andenpakt nur als ganzes in die Verhandlungen eintreten solle – wenn überhaupt.

Generell entstand der Eindruck, dass beim Gipfeltreffen nicht die bilateralen Beziehungen beider Kontinente im Mittelpunkt standen. Vielmehr waren es die politischen Beziehungen innerhalb Lateinamerikas und das Tauziehen zwischen rechten, linken und Mitte-Links-Regierungen, die die Gespräche wie auch die Berichterstattung in Lateinamerika dominierten. Dabei erregte lediglich der unvermeidliche Konflikt zwischen Chávez und seinem kolumbianischen Kollegen Uribe die Gemüter. Interpol hatte am Tag vor dem Gipfel bekannt gegeben, die Daten auf den Computern von FARC-Kommandant Raúl Reyes, der bei dem kolumbianischen Angriff auf ein FARC-Camp auf ecuadorianischem Territorium am 1. März ums Leben kam (siehe Poona Nr. 795ff), seien nicht manipuliert worden. Interpolt enthielt sich jeder einer inhaltlichen Interpretation der Daten. Kolumbiens Regierung behauptet immer wieder, die Daten bestätigten, dass Venezuela Verbindungen zur Guerillagruppe FARC unterhalte. Andere Stimmen, u.a. auch US-amerikanische Wissenschaftler, die die Computer untersucht haben, fanden keine so eindeutigen Beweise vor. Ähnlich äußerte sich auch der G
eneralsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten, José Miguel Insulza (siehe Poonal Nr. 800). Chávez bezeichnete das Vorgehen als „Clown-Theater“ und seinen Widerpart unumwunden als „das größte Problem der Region“.

Im Gegensatz zu den Lateinamerikaner*innen, die fast alle mit hochkarätigen Delegationen präsent waren, reisten aus Europa nur gut die Hälfte der 27 Staatschefs nach Peru. Es ist zu spüren, dass die europäischen Regierungen solchen Mammuttreffen fernab der heimischen und der asiatischen Märkte weniger Bedeutung beimessen als die Staatschefs in

Lateinamerika und der Karibik tun.

„Im Vordergrund steht die Vernetzung der einzelnen Gruppen und Bewegungen“

Interview mit Katrin Buhl, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Sao Paulo, Brasilien, zur politischen Bedeutung des „Tribunals der Völker“, das im Rahmen des Alternativgipfels „Enlazando Alternativas“ vom 13. bis 16. Mai in Lima, Peru, tagte.

Von Andreas Behn, Lima

(Berlin, 17. Mai, npl).- npl: Welche Rolle spielt dieses Tribunal im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen?

Katrin Buhl: Es hat in erster Linie eine symbolische Bedeutung. In dem Sinne, dass einem Präsidentengipfel ein Gipfeltreffen der Zivilgesellschaft gegenüber gestellt wird. Gleichzeitig geht es um Inhalte: Verschiedene soziale Bewegungen, Gewerkschaften, Organisationen, stellen ganz konkret vor, welche Auswirkungen Megaprojekte transnationaler europäischer Unternehmen in Lateinamerika haben. Das Gerichtsverfahren hat letztendlich moralischen Charakter, es hat keine juristische Relevanz, ist aber dazu geeignet, diese sonst unsichtbaren Auswirkungen sichtbar zu machen. Und es werden Menschen gehört, die sonst kaum zu Wort kommen. Denn es sind hier nicht nur Intellektuelle und Expert*innen vertreten, sondern Vertreter und Vertreterinnen der betroffenen Bevölkerungsgruppen, die die Möglichkeit haben, ihre Situation öffentlich darzustellen. Dieses Treffen all der Betroffenen, ist nicht zu unterschätzen, denn viele von ihnen sind kaum einmal aus ihren Gemeinden herausgekommen. Hier Gemeinsamkeiten festzustellen, ist ungemein wichtig für das Selbstwertgefühl und die Kraft, die sie in ihrem Kampf brauchen.

npl: Welche positiven oder negativen Auswirkung kann ein solches Tribunal auf die Beziehungen zwischen beiden Kontinenten haben?

Katrin Buhl: Im Vordergrund steht die Vernetzung der einzelnen Gruppen und Bewegungen, um auch in den Herkunftsländern der betreffenden Unternehmen Druck aufbauen zu können. Diese Art von Beziehungen sollen hier ausgebaut werden.

npl: Um welche Art von Fälle geht es im einzelnen?

Katrin Buhl: Ein gutes Beispiel ist der Bau eines großen Stahlwerks im Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien. Der Hauptinvestor ist Thyssen-Krupp, ein transnationales Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Schon zu Baubeginn gab es negative Auswirkung: Die Lebensgrundlage von 43.000 Fischern wird zerstört, weil die angrenzende Bucht von Sebatiba derart verschmutzt wird, dass die Fische sterben und die Fischer ihren Lebensunterhalt verlieren. Außerdem hat ein Schiff des Unternehmens ein Fischerboot gerammt, wobei ein Fischer ums Leben gekommen ist. Es gibt also bereits jetzt grobe Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Hinzu kommt, dass dieses Stahlwerk ausschließlich für den Export produzieren wird, also nichts dem brasilianischen Markt zugute kommt, sondern vor allem europäische, US-amerikanische und auch chinesische Unternehmen davon profitieren werden. Die Nutznießer dieses Megaprojektes sind also nicht vor Ort, dafür aber die Geschädigten. Ein anderer Fall handelt von einem norwegischen Fischerei-Unternehmen in Chile, dort sind die Arbeitsbedingungen, insbesondere für Frauen, skandalös, es gibt Umweltverschmutzungen und den ansässigen Fischern wird die Existenzgrundlage entzogen. In anderen Fällen geht es um Korruption, zum Beispiel Schmiergeldzahlungen, um an bestimmte Aufträge heranzukommen. Erdölkonzernen wird wiederum vorgeworfen, beim Verlegen von Leitungen schwere Umweltbelastungen zu verursachen und die Rechte der indigenen Bevölkerung zu missachten.

npl: Wie verstehst du die Rolle einer deutschen Parteistiftung bei der Unterstützung der Arbeit der Betroffenen?

Katrin Buhl: Zum einen können wir dank der Mittel, die uns aus öffentlichen Haushalten zustehen, die Arbeit der betroffenen sozialen Bewegungen unterstützen. Bei dem Fall der Fischer in Rio de Janeiro geht es nicht nur um die Finanzierung der Studie, mit der der Fall hier präsentiert werden konnte. Wir begleiten die Fischer auch in ihrem Widerstand und ihren Versuchen, Alternativen zu finden, gemeinsam mit brasilianischen Organisationen. Gleichzeitig sehen wir unsere Aufgabe darin, in Deutschland und vor allem der Europäischen Union darüber zu informieren, welche Auswirkungen solche Megaprojekte europäischer Unternehmen hier haben, welche Auswirkungen insgesamt politische Entscheidungen der Europäischen Union oder der deutschen Regierung hier in der Region haben. Zudem wollen wir soziale Organisationen aus Lateinamerika mit denen in Europa vernetzen, um Erfahrungen aus politischen Kämpfen oder im Rahmen der politischen Bildung nach Europa zu vermitteln, im Sinne eines gegenseitigen Lernprozesses.

Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin, Tel.: 030/789 913 61 e-mail: poonal@npla.de, Internet: http://www.npla.de/

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