von Andreas Behn, Rio de Janeiro
(Berlin, 01. Juni 2014, taz).- Halb Modenschau, halb Demonstration. Ein Frauenfußballteam präsentiert die neueste Kollektion des Modelabels Daspu, genau zehn Tage vor Anpfiff der WM. „Rotlichtviertel nach Fifa-Standard“, „Ich gebe nur, was mir gehört“ oder „Prostitution ist kein Verbrechen“ steht auf den Trikots. Das Gelb und Grün der Nationalelf dominiert das Design. Die Models sind Huren, sie genießen den Jubel ihrer Fans, während der Zug am Samstagvormittag durch die Innenstadt von Niteroi zieht, der Nachbarstadt von Rio de Janeiro.
Mehr als 200 Frauen bei Razzia festgenommen
In dem Gebäude, vor dem die Auftaktkundgebung mit mehreren hundert Leuten stattfand, führte die Polizei vor gut einer Woche eine Razzia durch. Bei dem Einsatz wurden 200 Frauen festgenommen und in Bussen aufs Polizeirevier gebracht. Viele von ihnen wurden von den Beamten geschlagen, begrapscht und bedroht. Ihre Arbeitsräume wurden zerstört und das Gebäude gesperrt. Einige Prostituierte erklärten später, sie seien vergewaltigt und beraubt worden.
Als „Teil der urbanen Säuberungen, die aus Anlass der Fußball-WM ausgeweitet werden“, verurteilte die Aids-NGO Associação Brasileira Interdisciplinar de Aids (Abia) den „illegalen“ Polizeieinsatz. Die Demonstrant*innen forderten, das Gebäude wieder freizugeben und die Diskriminierung der Sexarbeiterinnen zu beenden.
Modenschau-Demonstration am Internationalen Tag der Prostituierten
Unterstützt werden die Aktivist*innen von zahlreichen Organisationen – unter ihnen die Prostituiertenorganisation Davida, die Teil eines landesweiten Netzwerks ist. Vor neun Jahren schuf Davida das Label Daspu, mit dem der Kampf der Prostituierten für ihre Rechte finanziert und sichtbarer gemacht werden soll.
Der Internationale Tag der Prostituierten (2. Juni) ist nicht nur Anlass der Modenschau-Demonstration in Niteroi. Auch in Campinas, São Paulo und Belo Horizonte gehen Huren auf die Straße, in Belém wird es sogar drei kreative Tage mit Kabarett, Filmen und Konzerten geben.
Gesetzentwurf auf Eis
Ein Thema der Veranstaltungen ist der Gesetzentwurf des Abgeordneten Jean Wyllys von der linken Partei PSOL, mit dem Sexarbeit reguliert werden soll. Ziel der Initiative ist, den Frauen bessere und sicherere Arbeitsbedingungen zu garantieren und der Stigmatisierung vorzubeugen. Auch Polizeiübergriffen wie in Niteroi oder vergangenes Jahr in Campinas wäre dann ein Riegel vorgeschoben. Doch derzeit liegt ein Entwurf im Parlament auf Eis – die immer größere evangelikale Fraktion, aber auch die Konservativen wollen das Thema weiterhin tabuisieren.
Vor der WM sind Prostituierte nicht nur wie Obdachlose oder Straßenhändler*innen mit sozialen Säuberungen konfrontiert. Neben dem Stigma der Frauen, ein Schandfleck in der für Tourist*innen aufpolierten Stadt zu sein, wird ihr Beruf oft mit Kriminalität, sexueller Ausbeutung von Kindern oder Menschenhandel in Verbindung gebracht.
„Undifferenziert wird von Sexarbeit und Frauenhandel gesprochen und behauptet, beides würde im Kontext von großen Sportereignissen sprunghaft ansteigen“, konstatiert Soraya Simões, Professorin für Stadtplanung an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro. Doch sei Prostitution in Brasilien legal und vom Arbeitsministerium als Beruf anerkannt. Wie alle anderen versuchten auch die Prostituierten, von der WM zu profitieren. Es sei ihr „gutes Recht, zur Arbeit in die WM-Städte zu migrieren, ebenso wie der Sextourismus in Brasilien aus rechtlicher Sicht legal ist“, argumentiert Simões.
These vom Anstieg der Zwangsprostitution bei Großereignissen widerlegt
Die Globale Allianz gegen Frauenhandel (GAATW) wies in einer 2011 erstellten Studie nach, dass der Zusammenhang zwischen Großereignissen vornehmlich männlicher Sportarten und einer Zunahme von Frauenhandel oder erzwungener Prostitution nicht existiert. Bei den Fußball-Weltmeisterschaften in Deutschland 2006 und in Südafrika 2010 erwies sich die zuvor vor allem in der Presse kolportierte Zahl von 40.000 gehandelten Frauen als Gerücht, so die Studie.
Bei der mangelnden Unterscheidung von Beruf und Verbrechen handelt es sich für Simões um eine sexistische Diskriminierung, da zumeist Frauen und ihr Umgang mit ihrem Körper betroffen seien. Bedenklich sei zudem, dass damit eine „Kriminalisierung von Migrantinnen einhergeht, an der insbesondere die Regierungen in den Industriestaaten interessiert“ sei.
Auch die brasilianische Regierung geht bei ihrer Kampagne gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen anlässlich der WM undifferenziert vor. Mehrfach warnte Präsidentin Dilma Rousseff vor Kinderprostitution und Sextourismus. Es sei „gefährlich, die Ausbeutung von Kindern und die Prostitution von Erwachsenen miteinander zu vermischen“, kritisiert Roberto Chateaubriand von Davida. Das eine sei eine schwere Straftat, das andere ein legaler Beruf – egal ob die Freier aus Brasilien oder aus dem Ausland stammten.
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