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ARGENTINIEN
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KUBA/VENEZUELA
Fidel Castro erfolgreicher Besuch bei Hugo Chavez
(La Habana, 31 Oktober 2000, pl-Poonal).- Nach einem erfolgreichen, viertägigen Besuch in der Bolivarianischen Republik Venezuela ist Fidel Castro mit einer vielköpfigen Delegation nach Havanna zurückgekehrt. Castro und sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chavez hatten am Montag ein umfangreiches Kooperationsabkommen unterzeichnet. Demzufolge wird Venezuela bis zu 53.000 Barrel Erdöl zu sehr günstigen Konditionen an die Karibikinsel verkaufen.
Seinerseits wird Kuba kostenlos medizinische Dienstleistungen, Spezialisten und Ärzte den Regionen Venezuelas zur Verfügung stellen, in denen solches Personal fehlt. Zudem wird Kuba Venezolanische Fachleute ausbilden. und Patienten aus Venezuela können zukünftig kubanische Krankenhäuser aufsuchen. Die technische Hilfe aus Kuba soll auch auf die Bereiche Tourismus, Landwirtschaft, Ernährung und Sport ausgedehnt werden. Diese Vereinbarungen sind Teil des „Abkommens von Caracas“, das zum Ziel hat, an verschiedene Mittelamerikanische Länder Erdöl zu differenzierten Preisen zu verkaufen.
HAITI
Mission der OAS soll politische Krise lösen
(Port-au-Prince, Oktober 2000, sicrad-Poonal). -Zwei Tage vor seiner Abreise aus Haiti steht die dritte Mission in Person des stellvertretenden Generalsekretärs, Luigi Einaudi, noch immer vor großen Schwierigkeiten. Er war am 12. Mai in Haiti in der Überzeugung angekommen, eine Verhandlungslösung für die zerstrittenen Parteien nach der letzten Wahl zu finden.
Zwar ist es dem Abgesandten der OAS gelungen, schriftliche Zusagen der Oppositionskoalition „Demokratischer Wandel“ (Convergence Democratique, hervorgegangen aus der rechten Sozialdemokratie) und der Partei „Fanmi Lavalas“ des ehemaligen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide zu erhalten, der Dialog steht aber noch immer aus. Einaudi hat bereits getrennte Gespräche mit den zwei Parteien geführt, konnte sie jedoch nicht dazu bringen, sich zusammen an den Verhandlungstisch zu setzen.
Beide Seiten gehen inzwischen von ehemaligen Positionen ab. In ihrem schriftlichen Vorschlag zur Beendigung der Krise greift Convergence Democratique ihren klaren und einfachen Antrag auf Annullierung der Wahlen vom 21. Mai nicht wieder auf, sondern will über das Wahlergebnis diskutieren. Zudem verlangt sie die Bildung eines neuen provisorischen Wahlrates (CEP). Auf der anderen Seite erklärt sich „Fanmi Lavalas“ dazu bereit, die Stimmen der letzten Senatswahlen neu auszuzählen und schlägt eine Wiedererrichtung des CEP vor, jedoch anhand von Vorschlägen der Präsidentschaftskandidaten. Präsident Préval erklärt sich bereit, die Ergebnisse jeder Lösung anzuwenden, die im Rahmen der Verhandlungen gefunden würden, vorausgesetzt sie sei verfassungsmäßig. Er lehnt es jedoch ab, selbst an den Verhandlungen teilzunehmen. Man hielt sich bereit, als am vergangenen Wochenende Staatsstreichgerüchte die Runde machten. Premierminister Jaques Édouard Alexis hat diese bestätigt und in diesem Zusammenhang gleichzeitig hervorgehoben, dass gewisse Kreise grössere Waffenmengen nach Haiti gebracht hätten. Die Gerüchte wurden auch von „Fanmi Lavalas“ aufgegriffen. Einer der Senatorenkandidaten der Partei, Lans Clones, wurde am 14. Oktober Opfer eines Attentats.Für die Opposition ist der fragliche Staatsstreich nichts anderes als ein „Selbstputsch“ der Regierung, der sie in die Lage versetzen soll, ein Klima zu schaffen, das es ihr erlauben würde, die Verhandlungen zu beenden.
NICARAGUA
Yatamas zerstören Wahleinrichtung der Liberalen Partei
(Managua, 31. Oktober 2000, pulsar-Poonal).- Aktivisten der nicaraguanischen Indígane-Bewegung „Yatama“ haben das Wahlbüro der Liberalen Partein in der Stadt Puerto Cabezas, im Norden der Atlantikküste, verwüstet. Ihre Aktion diene der Einforderung der politischen Rechte, die ihnen die Wahlbehörde entzogen hatte. Bei der Aktion am Montag kam ein Yatama ums Leben. Die Reaktion der Yatamas richtet sich gegen die Entscheidung des Obersten Wahlrates, die Gemeindewahlen in Puerto Cabezas, Waspán und Río Coco auszusetzen. Statt dessen könnten die Yatamas an den nationalen Wahlen im November 2001 teilnehmen, so der Behördensprecher.
Hunderte Miskitos schlossen sich den Yatamas bei dem Angriff auf das Haus der Liberalen Partei an, wo sie Computer und Schreibtische zerstörten. Die Geschäfte in der Umgebung schlossen ihre Türen aus Angst vor Plünderungen. Centuriano Nite, die zweite Vertreterin der Yatamas, erklärte, sollten die Yatamas nicht an den Wahlen am 5. November teilnehmen dürfen, werde es zu weiteren Aktionen auf den Strassen kommen. „Sollten wir von der Polizei angegriffen werde, werden wir uns verteidigen,“ drohte Centuriano Nite. Der Yatama-Sprecher Broklyn Rivera bekräftigte, dass die Proteste weitergehen werden. Viele der Indígenas, so wird vermutet, sind auch bereit, bei größeren Auseinandersetzungen Waffen einzusetzen.
HONDURAS
Anonyme Richter vorgeschlagen
(Tegucigalpa, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal).-Die Regierung hat die Einrichtung von sogenannten „anonymen Richtern“ vorgeschlagen. Diese sollen für Schwerverbrechen, die mit einer Strafe von 50 Jahren oder lebenslänglich geahndet werden, zuständig sein. Zu diesen Delikten gehören Drogenhandel, Mord, Terrorismus und Entführung. Der dem Kongress unterbreitete Vorschlag bezieht sich auf die steigende Kriminalitätsrate. Wiederholte Überfälle auf Banken und Einkaufsläden, Autodiebstahl, Verbrechen im Zusammenhang mit Drogen sind alltäglich geworden. „Wir brauchen eine rechtliche Handhabe, um in unserem Land das organisierte Verbrechen bekämpfen zu können. Und dafür benötigen wir Strafen, die exemplarisch sind. Diejenigen, die diese Strafen verhängen, dürfen nicht Opfer von Bedrohungen und Angst sein,“ sagte ein Regierungssprecher.
KOLUMBIEN
Unabhängige Kandidaten gewinnen in den Grosstädten
(Bogota, 30. Oktober 2000, pulsar-Poonal).- Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag in Kolumbien siegten unabhängige Kandidaten in vier von fünf Grosstädten. Der Ex-Bürgermeister, Philosoph und Mathematiker Antanas Mockus gewann das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Bogotá, das wohl zweitwichtigste Amt im Land. In der zweitgrößten Stadt Medellin siegte überraschend der Oppositionskandidat Luis Pérez von der Liberalen Partei. Beachtenswert ist der Erfolg des unabhängigen Kandidaten Nestor Ramirez in San Vicente de Caguán, der den von der FARC-Guerilla unterstützen José Durán besiegte. San Vicente steht unter der Kontrolle der FARC.
Rund 40 Prozent der 22 Millionen Wahlberechtigten hatten offiziellen Angaben zufolge an dem Urnengang teilgenommen. Gewählt wurden 30 Gouverneure, 943 Bürgermeister 504 Provinzabgeordnete und mehr als 12.000 Gemeinderäte.
Die Roma melden sich zu Wort
(Bogota, 25. Oktober 2000, ac-Poonal).- Das Volk Roma in Kolumbien organisiert sich zunehmend, um seine Existenz im Land sichtbar zu machen und die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Rechte ethnischer Gruppen auch für sich einzufordern. Aufgrund erster Aktionen der „Union Romaní“ und dem Institut für Alternative Rechtsdienste ILSA, hat der Staat begonnen, die Roma wahrzunehmen. Beim Innenminister gibt es beispielsweise eine Abteilung für die Schwarzengemeinschaften, die Indigenen Völker und andere ethnische Gruppen. Die „Kumpañas gitanes“ (Roma- oder Zigeunergemeinschaften) Kolumbiens befinden sich in Bogotá, Girón (Santander), Cúcuta (Norte de Santander), Cali (Valle del Cauca), Itagüi (Antioquia) und in Sogamoso (Boyacá), wobei viele der Roma-Familien weiterhin durchs Land ziehen und verschiedene Wohnsitze haben. Die kolumbianische Roma-Bevölkerung ist meist städtisch und in erster Linie aufgeteilt in die Kumpañas. Darunter sind variable Gemeinschaften am gleichen Wohnort oder Mitglieder der gleichen Wanderbewegung, die gemeinsam städtische Viertel bewohnen oder sich bei Nicht-Romafamilen in städtischen Vierteln einmieten, zu verstehen. In zweiter Linie bezieht sich der Begirff auf Familiengruppen unterschiedliche Größe, die durch kulturelle oder soziale Beziehungen miteinander verbunden sind.
Obwohl die Romabevölkerung eine lange Präsenz in Kolumbien aufweist, die auf die Zeit der spanischen Eroberung zurückgeht, hat sie bis heute keine der ethnischen Gruppen zustehenden Rechte für sich geltend gemacht. Die Mehrheit der Roma ist äußerst arm kann mit ihren Einkünften nicht einmal die Grundbedürfnisse decken. Ihre Lebensqualität befindet sich weit unterhalb dem Landesdurchschnitt. Den meisten Roma fehlt der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnung und Arbeit. Diese Situation der Verarmung hat negative Auswirkungen auf ihre kulturelle Identität. Mit dem Ziel, das Volk der Roma kennen zu lernen und ihre Forderungen bekannt zu machen, wurde in der Hauptstadt Bogota im Oktober eine Ausstellung organisiert, die im November auch in Medellin und im Dezember in Cúcuta gezeigt werden wird. Sie ist ein gemeinsames Projekt von der Union Romaní Kolumbien vorgeschlagen, ILSA und der Bibliothek Luis Angel Arango.
Schutzlose Menschenrechtsverteidiger*innen
(Bogota, 25. Oktober 2000, ac-Poonal).- Wie in früheren Jahren sind die Menschenrechtler*innen nach wie vor eine der schutzlosesten Gruppen im kolumbianischen Konflikt. Die Nichteinhaltung von zugesagten schützenden Maßnahmen durch die Regierung ist eine der Hauptursachen der jüngsten Attentate gegen Führungsleute von Menschenrechtsorganisationen. Drohungen werden nicht nur ausgesprochen sondern auch umgesetzt.
So wurden am 6. Oktober 2000 Claudia Patricia Monsalve Pulgarín und Angel Quitero Mesa, beides Mitglieder von ASFADDES (Vereinigung von Familienangehörigen Verhafteter-Verschwundener) gekidnappt, als sie ein Restaurant in Medellin verließen. Nach Zeugenaussagen wurden sie von vier Männern verschleppt, die ihnen auf einem Motorrad und in einem Auto auflauerten. Nur zwei Tage zuvor fand sich auf dem Bürobalkon der Vereinigung für Frieden und soziale Entwicklung (CORPADES) in Medellin eine Bombe. CORPADES entstand 1998 aufgrund eines Abkommens zwischen dem Staat und der Unabhängigen Revolutionären Bewegung-Bewaffnete Kommandos MIR-COAR mit dem Ziel, die Mitglieder dieser Bewegung in das legale zivile und politische Leben einzugliedern und urbane Friedensprozesse in Antioquia voran zu treiben. Ebenfalls Anfang Oktober ermordeten Mitglieder der Front Efraín Pabón der Guerillagruppe ELN in Mogotes (Provinz Santander) den Ex-Bürgermeister Luis Alberto Rodriguez. Rodriguez hatte unabhängig von den bewaffneten Akteuren einen Prozess angeführt, der auf den Friedensaufbau in der Gemeinde abzielte.
Weitere Beispiele könnten mehrere Seiten füllen. Trotz der solidarischen Aufrufe aus dem Ausland und der Absichtserklärungen der Regierung, solche Übergriffe zu verhindern, sind die Resultate erbärmlich. Seit 1987, als die ersten Attentate gegen Führungsleute von Menschenrechtsorganisationen verübt wurden, ist deren Schutz bis heute ein bloßes Versprechen geblieben. Der Kleinmut der Regierung und ihre mangelnde Überzeugung, dass der Schutz der Menschenrechte ein grundlegendes Element zur Versöhnung in Kolumbien ist, waren die Regel. Während einerseits die Legitimität der Menschenrechtsorganisationen gefördert wird, werden sie andererseits von verschiedenen offiziellen Kreisen stigmatisiert. Insbesondere die Armee tut sich dabei mit ihrem simplizistischen Diskurs, der mit dem Slogan „Wer nicht für den Staat ist, ist gegen ihn“ zusammengefasst werden könnte, hervor. So wurden die erwähnten Nicht-Regierungsorganisationen mehrmals als „Helfer der Guerilla“ bezeichnet. Diese Darstellung, die in den meisten Medien ein breites Echo findet, zeigt eine unterschwellige offizielle Akzeptanz der Attentate gegen Menschenrechtsaktivist*innen.
Während der Präsidentschaft von Ernesto Samper gab es Fortschritte in Bezug auf die Anerkennung der Legitimität der NGO. Doch die präsidiale Weisung wurde derart mangelhaft verbreitet, dass sie scheinbar nicht einmal von der damaligen Militärführung zur Kenntnis genommen wurde. Die Anschuldigungen und Verleumdungen gegen die Menschenrechtsorganisationen gingen unvermindert weiter, ohne dass sie vom Präsidenten verhindert oder berichtigt wurden. 1998, nach der Ermordung von Eduardo Umaña Mendoza, gab Samper die Einwilligung zu einer Revision der Geheimdienstarchive. Doch diese Untersuchung wurde bis zum Regierungsende von Samper nicht begonnen. Schutzpläne für Menschenrechtsaktivist*innen, Gewerkschafter*innen und sozialen Führungspersonen erwiesen sich als völlig ungenügend und wurden zudem durch Finanzierungsprobleme behindert. Nicht einmal die Ermordung von Jorge Ortega, dem Vizepräsidenten des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, im Oktober 1998 konnte verhindert werden.
Unter der Regierung Pastran bietet sich praktisch das gleiche Bild. Zugesagte Gelder für Schutzmaßnahmen werden später reduziert und verzögert übergeben. Bis heute sind die Geheimdienstarchive nicht untersucht worden, aber Geheimdienstberichte, die sich gegen Menschenrechtler*innen wenden, werden nicht dementiert. Die Militärs gehen weiterhin offen davon aus, dass die Verteidigung der Menschenrechte eine Strategie der „Narcoguerilla“ ist. Die Paramilitärs reproduzieren diesen Diskurs rücksichtslos und die offiziellen Medien klären nicht über den Sinn und Zweck der Aufgaben der Nicht-Regierungsorganisationen auf.
BOLIVIEN
Offensive gegen Kokabauern
(La Paz, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal).-Die Regierung Banzer hat den Beginn einer harten Offensive auf juristischem und militärischen Gebiet gegen die Kokabauern in Chapare beschlossen. Damit möchte sie das gesetzte Ziel „Nullkoka“ in dieser Region erreichen. Ausdrücklich rechnet die Regierung hierfür mit der Unterstützung aus Washington, die der us-amerikanische Botschafter zusicherte. Die Operation wird von dem Gesetz begleitet, ohne Einschränkungen Haftanstalten in Chapare zu bauen. Gefürchtete Eliteeinheiten, ausgebildet in „Condorschulen“ und Regimenter der „Rangers“ sollen direkt an der Operation teilnehmen. Vor diesem Hintergrund bemerkte Evo Morales, Abgeordneter und Führer der Kokabauern, dass die erwähnten Truppen darauf spezialisiert seine, zu töten. Morales befürchtet einen Völkermord. Das Problem, so der Abgeordnete, „ist weder ein militärisches noch ein polizeiliches, sondern ein wirtschaftliches“. Die Regierung versucht derzeit, Morales auszuweisen, und hat zu diesem Zweck gegen ihn geklagt.
PERU
Krise in Politik und Militär schwelt weiter
(Lima, 31. Oktober 2000, pulsar-Poonal).- Die Meuterei einiger Militärs in Peru erfreut sich reger Zustimmung. Reservisten begannen, diejenigen zu sammeln, die sich dem Hauptmann Ollanta Humala anschließen wollen. Dieser hatte am vergangenen Sonntag einen Aufstand gegen das Regime von Präsident Alberto Fujimori begonnen. Insbesondere Militärs im passiven Dienst scheinen die Erhebung zu unterstützen, die Beobachtern zufolge eine breite Unzufriedenheit im Militär widerspiegelt. Allerdings ging die Unterstützung für die Rebellen offenbar zurück, nachdem es Soldaten gelang, den General, den die Rebellen als Geisel genommen hatten, zu befreien.
Die Erhebung Humalas folgte auf Fujimoris Bekanntgabe einiger Umbesetzungen in den hohen Militärrängen. Wie die politische Opposition kritisierte Humala, die neu ernannten Militärführer seien wie ihre Vorgänger Gefolgsleute des ehemaligen Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos, der vor einigen Wochen nach Panama geflüchtet war und kürzlich unter ungeklärten Umständen nach Peru zurückkehrte, womit er Putschgerüchte auslöste.
Montesinos, dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, war der engste Berater von Präsident Fujimori. Die Opposition fordert immer heftiger die Festnahme Montesinos und der Rücktritt Fujimoris, der sich bislang lediglich bereit erklärte, im April kommenden Jahres Neuwahlen anzusetzen, bei denen er selbst nicht mehr kandidieren will.
PARAGUAY
Hohe Haftstrafen für Mörder des Vizepräsidenten Argana
(Asunción, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal),-Zu Haftstrafen zwischen 20 und 25 Jahren wurden 3 Männer verurteilt, die am Attentat auf den paraguayischen Vizepräsidenten Luis María Argana im März 1999 beteiligt waren. Der Richter der ersten Instanz, Jorge Bogarín, liess den Fall einstweilen noch offen weil noch zumindest zwei direkt am Mord Beteiligte flüchtig sind. Der mutmaßliche Auftraggeber des Attentats, Putschgeneral Lino Oviedo sitzt in Brasilien in Auslieferungshaft. Das Attentat auf Vizepräsident Argana war 1999 der Auslöser des „paraguayischen März“. Damals demonstrierten Tausende meist junger Leute in der Hauptstadt Asunción gegen den Putschversuch von General Oviedo und für Demokratie. Oviedos Anhänger schossen in die Menge und ermordeten 7 Studenten, mehr als 500 Personen wurden verletzt.
Grünes Licht für Privatisierung von Staatsbetrieben
(Asunción, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal),-Das paraguayische Abgeordnetenhaus hat ein Gesetz verabschiedet, das der Regierung von Präsident Gonzáles Macchi die Privatisierung von drei Staatsbetrieben gestattet. Es geht um die Telefongesellschaft ANTELCO, das Wasserwerk CORPOSANA und die paraguayische Staatsbahn. Gegner des Gesetzentwurfes verwiesen darauf, dass die Regierung „weder das Vertrauen der Bevölkerung noch die Befähigung hat, eine solche Transaktion alleine zu bewerkstelligen.“ Die Abgeordneten der Opposition forderten die Beteiligung von unabhängigen Organisationen, um die Regierung bei der Privatisierung zu kontrollieren. Befürchtet wird nun eine neue Welle von Betrug und Korruption wie schon geschehen bei der Privatisierung der Fluggesellschaft LAPSA, bei der Schnapsfabrik „Canas Paraguayas“ oder beim Verkauf des Stahlwerkes „Aceros Paraguayos“ Die Privatisierung der Staatsbetriebe war von internationalen Finanzorganisationen zur Auflage gemacht worden, um neue Kredite zu gewähren.
BRASILIEN
Gemeinschaft der Schwarzen verlangt einen Nationalen Plan zur Bekämpfung des Rassismus
(Sao Paulo, 24. Oktober 2000, alc-Poonal). Die „Gemeinschaft der Schwarzen Brasiliens“ verlangte von der föderalen Regierung die Erstellung eines Nationalen Plans zur Bekämpfung des Rassismus und zur Überwindung der rassenbezogenen Ungleichheiten. Dieser sollte ein Bündel von Maßnahmen beinhalten, die verschiedene Ministerien einbeziehen und über die notwendigen Ressourcen verfügen sollten.
Dieser Vorschlag ist Bestandteil eines Dokuments, welches von dem Geistlichen Antonio Olimpio de Sant' Ana von der Ökumenischen Kommission zur Bekämpfung des Rassismus (CENACORA) dem Nationalen Komitee vorgestellt wurde. Dieses Komitee soll die Beteiligung Brasiliens an der Weltkonferenz gegen den Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und der Intoleranz vorbereiten, die im Oktober 2001 in Südafrika stattfinden wird.
Die CENACORA schlägt vor, daß die Schwarzengemeinschaft mehr an den verwaltungstechnischen Strukturen der internationalen Organisationen beteiligt werden soll, die ihm Land aktiv sind. Außerdem forderte sie den Kampf gegen die vorhandene Diskriminierung in den Erziehungsanstalten, von Seiten der Regierung die Anerkennung des Artikels 14 der Internationalen Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung sowie die Durchführung einer nationalen Konferenz über dieses Thema, die noch vor der Weltkonferenz stattfinden soll.
Sant' Ana wies darauf hin, daß Brasilien hinter Nigeria, Afrika, die zweitgrößten Anteil an Schwarzen in der Bevölkerung weltweit hat. Er betonte außerdem, daß diese Forderungen das Resultat des „hundertjährigen Leidens“ der unterdrückten Schwarzen sei. Er sehe die Forderungen als „das Ergebnis intensiver Untersuchungen über die aktuelle Lebensrealität und einer wachsenden Einheit im Kampf, die sich in den letzten Jahren in der Gemeinschaft der Schwarzen nachweisen läßt“.
Der Koordinator der CENACORA wies darauf hin, daß es einen gemeinsamen Feind gebe: den Rassismus und die Diskriminierung, die unter den verschiedensten Ausprägungen dieses Land „falscher rassenbezogener Demokratie“ beherrschten. Was die diskriminierende Erziehung angeht, weist Sant' Ana darauf hin, daß sie die schwarze Kultur zersetzt und so, Tag für Tag, die Gesamtheit der Schwarzen, die Selbsteinschätzung und die Freude, in Brasilien ein Schwarzer oder eine Schwarze zu sein, zerstört.
Agrarreform im Kreuzfeuer – Guter Wille, aber kein Weg?
(Brasilia, 30. Oktober 2000, na-Poonal).-Als 1995 der brasilianische Präsident Henrique Cardoso seine erste Amtszeit antrat, versprach er „die größte Agrarreform der Welt“. Heute muß er sich jedoch mit Kritikern nicht nur aus dem Lager der Landlosenbewegung und der katholischen Kirche auseinandersetzen, sondern auch aus den eigenen Reihen der Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB): Seine Parteigenossen bezeichnen seine Agrarreform als „ineffizient“, „nutzlos“ und „ohne Plan“. Einer von ihnen, der Ökonom Francisco Graziano – der selbst von 1995 bis 1998 der Agrarreformbeauftragte gewesen ist – bekräftigte, dass das Projekt von Cardoso „nutzlos“ sei, da „es weder die Probleme der Landfrage“ löse noch die der landwirtschaftlichen Produktion. Graziano erkennt zwar an, dass Cardoso die großzügigste Landverteilung in der brasilianischen Geschichte durchgeführt habe, indem er umgerechnet 6,7 Milliarden US-Dollar investiert hat, um etwa 370.000 Familien in einen Gebiet anzusiedeln, das dreimal so groß wie Belgien ist. Dennoch kritisiert Graziano den Präsidenten, weil die neuen Siedlungen nicht wirtschaftlich lebensfähig sind, da jede vierte der durch die Landreform umgesiedelten Familien ihr Land bereits im ersten Nutzungsjahr wieder verlassen würde. Graziano bekräftigte, dass das bisher investierte Geld „verschwendet“ worden sei, da sich die Anzahl der landsuchenden Familien genauso wenig verringert habe wie der landwirtschaftliche Ertrag durch die Landverteilung gestiegen sei.
„In der modernen Welt haben sich die Fragen von Landbesitz und landwirtschaftlicher Arbeit, durch den Einfluß neuer Technologien grundlegend geändert. Diese tendieren dazu, den Verlust von Arbeitsplätzen auf dem Land zu beschleunigen,“, versicherte er.
Der Ökonom setzt sich für ein neues Modell der Agrarreform ein, das auf ländlichen Niederlassungen basiert, die sich nicht ausschließlich der Landwirtschaft widmen, „sondern außerdem Pflanzen, Möbel und andere Handelswaren produzieren“. Als Modell dient Graziano dafür ein israelischer Kibbuz, den er 1993 besucht hat und wo 900 Personen gerade mal 10 Hektar bewohnen, aber den landwirtschaftlichen Anbau, die Zucht von 400 Rindviechern und die Nutzung einer kleinen Geflügelfarm mit anderen Aktivitäten kombinieren.
Laut Graziano liegt der wesentliche Unterschied zu den in Lateinamerika beliebten Modellen in dem Umstand, dass die überwiegende Mehrheit der Kibbuzbewohner sich nicht landwirtschaftlichen Aktivitäten widmet, wie beispielsweise einem Restaurant, einer Schule, einem Kindergarten bis hin zur Heimarbeit für die Industrie. Die „Landlosen“ selbst stimmen dem teilweise zu. Einer ihrer Koordinatoren auf nationaler Ebene, Roberto Baggio, vertritt kategorisch, „dass diese Agrarreform der Regierung ein reiner Notbehelf ist, denn man kann nicht ernstlich von einer Agrarreform sprechen, ohne die Struktur des Landbesitzes anzugreifen“.
Baggio geht nicht direkt auf die Vorschläge von Graziano ein, bestätigt aber dass „unter Anwendung der aktuellen Gesetzgebung die Regierung 200 Millionen Hektar brachliegenden Landes enteignen könnte, auf denen sie zehn Millionen Familien ansiedeln könnte und womit sie 15 Millionen Arbeitsplätze schaffen würde.“ Der Bauernführer stimmt mit der Regierung darin überein, dass die hierfür notwendigen Mittel einem Gegenwert von 40 Milliarden Dollar entsprächen und fügte hinzu, dass diese Summe „gerade mal die Hälfte dessen ist, was die Regierung 1999 ins Ausland geschickt hat, um Dienstleistung und Amortisierung der Auslandsschuld zu bezahlen“.
Ein anderer Führer der Landarbeiterbewegung ohne Land (MST), J. Pedro Stédile, berief sich auf Ziffern des Brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik (IBGE) um zu bestätigen, dass man vor dem Hintergrund der Produktivität des brasilianischen Bodens genau eine Fläche von 50 Hektar benötige, um einen Gewinn zu erwirtschaften, der dem Mindestlohn entspräche. Gemäß des IBGE sind gerade mal 17 Prozent der größten ländlichen Betriebe wirtschaftlich lukrativ, während zwei Drittel praktisch brachliegen.
Die Bauern fordern einen Kredit von etwas über 1000 Dollar pro Familie für 110.000 von ihnen, bei einem jährlichen Zinssatz von 1,15 Prozent und einem Schuldenerlass von 40 Prozent bei Rückzahlung und die Bürgschaft der Staatskasse im Fall der Insolvenz. Dies würde für die Regierung Ausgaben in Höhe von ca. 72 Millionen US-Dollar bedeuten, doch der Agrarreformminister Raúl Jungmann hat bereits mitgeteilt, dass nicht die geringste Möglichkeit dafür besteht, Darlehen zu diesen Konditionen zu gewähren und bot stattdessen Kredite zu einem jährlichen Zinssatz von 4 Prozent an, mit einem 12 Prozent Nachlass im Moment der Rückzahlung. Der Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz, Monsignor Raymundo Damasceno, der in dem Konflikt als Vermittler fungierte, versprach einen Vorschlag, der dazwischenliegt, bei Darlehen in Höhe von 800 Dollar pro Familie zu einen Zinssatz von 3 Prozent pro Jahr. „Während uns hier die Mittel verweigert werden, ist der Präsident gerade in Berlin gewesen, um dort die neue brasilianische Botschaft einzuweihen, die monatlich 130.000 Dollar Miete kostet“, beschwerte sich der Vorsitzende der MST, Gilberto Portes.
Abgesehen von ihrem Kampf um eine weitgehende Umverteilung des Bodens, hält die MST es für unerlässlich, das gegenwärtige auf Export fixierte Agrarmodell zu modifizieren und gegen die Saat genetisch behandelter Körner anzugehen, da diese die Landwirtschaft an die Samen der transnationalen Unternehmen bindet.
In jedem Fall bleibt nach drei Jahrzehnten einer Agrarreform, die sich krampfartig voranbewegt hat, eines hartnäckig weiterbestehen: Während 4,8 Millionen Familien um Land zum Bearbeiten betteln, hamstert ein Prozent der Landbesitzer weiterhin 46 Prozent des fruchtbarsten Bodens. Genau wie schon vor dreißig Jahren.
Uranunfall vertuscht
(Brasilia, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal),-Die Umweltehörde der Regierung verhängte Geldstrafen für die brasilianische Atomindustrie in Bahia im Nordosten des Landes. Die Firma hatte versucht den Austritt von Uran Konzentrat aus einem See, der zur Lagerung von Giftmüll benutzt wird, zu vertuschen. Angezeigt wurde der Umweltskandal vom April diesen Jahres von neun ehemals Beschäftigten der Firma. Die Firma ließ wissen, dass der Austritt des hoch radioaktiven und giftigen Uran Konzentrats angeblich keine Gefahr für die Arbeiter der Firma und die Bewohner der kleinen Ortschaft Maniazú darstelle.
Nach PT-Sieg in Sao Paulo erwägt „Lula“ Präsidentschaftskandidatur
(Sao Paulo, 31. Oktober 2000, pulsar-Poonal).- Die größte linke Partei Brasiliens, die Arbeiterpartei PT, ist der große Sieger der Lokalwahlen am vergangenen Sonntag. Sie gewann in 13 der 16 Städte, in denen eine Stichwahl über das Amt des Bürgermeisters entschied. Darunter sind sechs Hauptstädte von Bundesstaaten: Sao Paulo, Belem, Recife, Porto Alegre, Aracajú und Goiania. Auch in den größeren Städten des Bundesstaates Sao Paulo gewann die PT. In Porto Alegre feierte die Arbeiterpartei ihren vierten Sieg in Folge. Schätzungen zufolge legte die PT damit um rund 25 Prozent im Vergleich zu den letzten Lokalwahlen zu.
Am meisten zählt für die PT der Sieg in Sao Paulo, der größten Stadt Lateinamerikas und der drittgrößten der Welt. Hier besiegte Marta Suplicy den PBB-Kandidaten Paolo Maluf mit über 17 Prozent Vorsprung. Viele Beobachter erklärten, die Ergebnisse dieser Lokalwahl seien ein wichtiger Indikator für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002. Dies birgt auch die Möglichkeit, dass der PT-Star Ignacio „Lula“ da Silva“ dann Präsident Brasiliens werden könnte. Lula kandidierte bereits drei Mal für das höchste Staatsamt. Der 47-jährige ehemalige Gewerkschafter erklärte, er sei bereit, erneut um die Präsidentschaft zu kämpfen.
URUGUAY
Frauenprojekt: „Gedächtnis aufbauen“ beginnt Kampagne
(Montevideo, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal),-Im Jahr 1997 , 12 Jahre nach Ende der Militärdiktatur, traf sich zum ersten mal eine Gruppe von Frauen, alle ehemals politische Gefangene, um ein neues gemeinsames Projekt zur „kollektiven Aufarbeitung unserer Erfahrungen“ aus der Taufe zu heben. Der „Taller de Genero y Memoria – ex presas políticas“, frei übersetzt „Workshop Erinnerungen aus dem Blickwinkel der Frauen – ehemals politische Gefangene“ war gegründet. Am 1. November stellten die Frauen in Montevideo ihre neue Kampagne „Gedächtnis aufbauen“ vor. Bis zum 8.März 2001 – dem jährlichen Internationalen Frauentag – sind Frauen, die unter der Diktatur gelitten haben eingeladen ihre ganz persönlichen Erinnerungen, Erfahrungen, Gefühle und Eindrücke aufzuschreiben. „Wir möchten diesen Teil unserer gemeinsamen Geschichte mit möglichst vielen Sichtweisen und so persönlich wie möglich erzählen. Geschichten aus dem Exil, aus dem Knast, aus den eigenen vier Wänden, aus der Nachbarschaft, aus der Küche etc. Es geht darum, dieses Puzzle unserer gemeinsamen Geschichten zusammenzutragen. Dies ergibt die wahre Geschichte, erzählt aus einer sensiblen Sichtweise“, schreiben die Frauen in der Presseerklärung zur Kampagne. Die Initiative wird von zahlreichen Künstler*innen und Schriftsteller*innen unterstützt, darunter Idea Vilarino, Juan Gelman, Eduardo Galeano und Mauricio Rosencof.
Erneute Räumung eines Lokalradios
(Montevideo, 31. Oktober 2000, comcosur-Poonal).- Am Dienstag (31.10.) wurde das nicht kommerzielle Lokalradio „El Sotano“ (Der Keller) geschlossen. El Sotano sendete seit 5 Jahren aus dem nordwestlichen Stadtteil Colòn in Montevideo. Bei der Hausdurchsuchung wurde der kleine UKW-Sender sowie der Antennenverstärker auf der Dachterrasse beschlagnahmt. Von den Radiomacher*innen war niemand anwesend. Die Legalität dierser Hausdurchsuchung bleibt zweifelhaft, da bei der Hausdurchsuchung keine Anzeige und kein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorgelegt wurden. Auch die offensichtlich beteiligten Beamten der Nationalen Direktion für Kommunikation (DNC) händigten keine Quittung der beschlagnahmten Geräte aus.
Das Lokalradio „El Sotano FM“ sendete an den Wochenenden ein gemischtes Programm aus Musik und Wortbeiträgen aus dem Stadtteil. Rund 20 junge Radiomacher*innen zwischen 15 und 35 Jahren arbeiteten ehrenamtlich am Programm dieses Alternativsenders. Fast auf den Tag genau vor zwei Monaten wurde der kleine Lokalsender „La Marea“ in dem Fischerdorf Valizas etwa. 300 km nordöstlich von Montevideo geräumt. Die Schließung von „El Sotano“ ist bereits die zweite Räumungsaktion unter der Regierung von Präsident Jorge Batlle. Batlle hatte bei mehreren Gelegenheiten erkärt, dass er die nicht-kommerziellen Lokalradios mit offiziellen Sendelizenzen ausstatten werde.
URUGUAY/CHILE
Neue Vorwürfe gegen Pinochet
(Montevideo, 27. Oktober 2000, comcosur-Poonal),-Die Mütter und Familienangehörigen der Verschwundenen aus Uruguay haben der chilenischen Justiz 7 neue Anzeigen gegen den ex- Diktator Augusto Pinochet vorgelegt. Die Nichte der in Uruguay während der Militärdiktatur verschwundenen Nelsa Gadea reiste nach Chile um den Fall ihrer Tante und sechs weitere Fälle anzuzeigen. Es geht um fünf in Chile verschwundene Uruguayer und einen ermordeten Landsmann, der 1994 in Chile auf einem Friedhof entdeckt wurde und dessen Leichnam später nach Uruguay überführt wurde.
ARGENTINIEN
Daimler beschäftigte Folterer als Werkschutzchef Neue Hinweise auf Verwicklung in die Ermordung von Gewerkschaftern
Von Boris Kanzleiter
(Berlin, 30. Oktober 2000, npl). – Die Hinweise, dass der Stuttgarter Automobilkonzern Daimler-Chrysler in die Ermordung von Gewerkschaftern während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) verwickelt ist, verdichten sich. „Wir wissen jetzt, dass der langjährige Chef des Werksschutzes der Mercedes-Fabrik in Gonzalez Catan zuvor Kommandant des Polizei-Kommissariats San Justo war. Dort wurden mindestens zwei der entführten Gewerkschafter gefoltert“, erklärt der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck gegenüber npl. Er nimmt dabei Bezug auf Recherchen der in Uruguay lebenden Journalistin Gaby Weber. „An diesem Fall wird deutlich, dass es eine enge Kooperation zwischen als Folterer bekannten Kräften aus dem staatlichen Repressionsapparat und Mercedes gegeben hat“, so Kaleck, der ehemalige Mercedes Arbeiter in einer Klage gegen den Konzern vertritt.
In dem Daimler Werk von Gonzalez Catan, nahe der Hauptstadt Buenos Aires, sind in den Jahren 1976 und 1977 mindestens 13 aktive Gewerkschafter von Polizei und Armee entführt und mutmaßlich ermordet worden. Letztes Jahr stellte der Berliner Anwalt Kaleck im Namen des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) Strafanzeige gegen einen führenden Daimler Mitarbeiter sowie gegen argentinische Militärs, denen er die Morde anlastet.
Er stützt sich dabei unter anderem auf die Zeugenaussage des ehemaligen Daimler-Betriebsrates Hector Ratto, in dessen Beisein der damalige Werksleiter Juan Tasselkraut am 12. August 1977 die Adresse des Gewerkschafters Diego Nunez der Polizei übermittelte. Nunez wurde in der folgenden Nacht verschleppt und ist seither verschwunden. Ratto selbst blieb 19 Monate lang inhaftiert. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in dem Fall.
Die von Frau Weber nachgewiesene Beschäftigung des ehemaligen Polizeikommissars Ruben Luis Lavallens als Werkschutzchef könnte für Daimler-Chrysler zu weiteren Imageschäden führen. Der heute 64-jährige Lavallen ist in Argentinien als Folterer öffentlich bekannt. Im Juni 1978, noch in seiner Zeit als Polizeichef in San Justo, brachten Lavallen und seine Frau die zweijährige Paula Logares zwangsweise in ihre Obhut und ließen sie als ihre leibliche Tochter registrieren. Die Eltern des Kindes waren zuvor auf der Polizeiwache gefoltert worden und sind ebenfalls seither verschwunden.
1984 wurde Lavallen für die Kindesentführung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der Fall geriet zum Politikum, weil er der erste Täter war, der wegen Kindesraub verurteilt wurde. Insgesamt sollen während der Diktatur nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 500 Kinder ihren Eltern gewaltsam weggenommen worden sein. In Haft geborene Kinder politischer Gefangener wurden den Müttern direkt nach der Geburt entzogen und – wie im Fall Lavallen – in Familien von Diktaturschergen untergebracht.
Wenige Zeit nach der Entführung des Kleinkinds Paula Logares trat Lavallen am 1. Juli 1978 den Posten als Chef des Werkschutzes von Mercedes an, den er bis kurz vor seiner Verurteilung 1984 bekleidete. In einem Zeugnis wird Lavallen von dem Automobilkonzern aus Stuttgart bestätigt, „seine Arbeit optimal und vertrauenswürdig verrichtet“ zu haben. Von Gewerkschaftern wurde die Einstellung Lavallens 1978 dagegen als Drohung empfunden: „Die linken Betriebsräte ermordet, einen Repressor zum Sicherheitschef ernannt – da widersprach im Werk niemand mehr“, sagte ein langjähriger Mercedesarbeiter gegenüber Frau Weber.
Rechtsanwalt Kaleck fordert nun die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf, die Ermittlungen auf weitere Angestellte von Daimler-Chrysler auszudehnen, die Auskunft über die Ereignisse geben könnten. Trotz Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und zahlreichen Veröffentlichungen in den Medien gibt sich die Daimler-Chrysler Zentrale in Stuttgart dem Fall gegenüber nach wie vor taubstumm. Auf Anfrage erklärte Frau Merzig-Stein von der Pressestelle, dass Daimler keine Notwendigkeit sehe, sich zu dem Fall der „ewig lange her ist“ zu äußern. Eine inhaltliche Stellungnahme zu den Vorwürfen stünde dem Konzern indes gut an. In Argentinien sind nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen während der Militärdiktatur mindestens 30.000 Oppositionelle entführt und ermordet worden. Unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“ konzentrierte sich die Repression der Militärs auf die Zerschlagung der linken Gewerkschaftsbewegung, die Anfang der 70er Jahren in Argentinien großen Zulauf bekam.
Daimler Benz stellte nicht nur Diktaturschergen als Mitarbeiter ein, sondern lobte das brutale Vorgehen der Militärs sogar öffentlich. Kurz nach dem Putsch am 26. März 1976 erschien der Jahresabschluss des Unternehmens. Über das „schwierige Geschäftsjahr 1975“ heißt es: „Dank der inzwischen erreichten allgemeinen Fortschritte in der Ordnung der Arbeitsverhältnisse wird für 1976 wieder ein positives Ergebnis erwartet.“ Ein Jahr später wird Bilanz gezogen: „Die politische und wirtschaftliche Stabilisierung in Argentinien seit Frühjahr 1976 sowie die getroffenen geschäftspolitischen Maßnahmen haben sich positiv auf das Unternehmen ausgewirkt.“
Bis heute warten die Opfer der Repression bei Daimler in Argentinien auf ein Wort des Bedauern oder gar eine öffentlich geführte Auseinandersetzung zur Rolle des Konzerns in Argentinien. Statt dessen scheint die Zentrale in Stuttgart-Möhringen das Thema durch Schweigen aus sitzen zu wollen.
ARGENTINIEN/CHILE
Argentinien fordert Auslieferung von Pinochet Haftbefehle gegen sechs Komplizen der Anfang von neuem juristischen Tauziehen
Von Marcos Salgado
(Buenos Aires, 29. Oktober 2000, npl).- Schlechte Nachrichten für Augusto Pinochet. Nach Spanien fordert jetzt auch Argentinien die Verhaftung und Auslieferung der chilenischen Ex-Diktators. Wie am Freitag bekannt wurde, beantragte der argentinische Bundesrichter Juan Jose Galeano einen internationalen Haftbefehl, um Pinochet im Fall eines Doppelmordes zu befragen: Im September 1974 war General Carlos Prats, Heereschef unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, gemeinsam mit seiner Frau Sofia Cuthbert, Opfer eines Autobombenattentats in Buenos Aires geworden.
Richter Galeano wirft Pinochet vor, Kopf einer Verschwörung des chilenischen Geheimdienstes DINA gewesen zu sein, die den Mordanschlag plante und durchführte. Damit spitzt sich die Situation für den 84-jährigen Ex-General, der laut Presseberichten am Samstag mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurde, zu. Dem spanische Auslieferungsgesuch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit entging Pinochet „aus gesundheitlichen Gründen“ erst nach über einem Jahr Hausarrest in London. In Chile selbst konfrontieren ihn über Hundert Anzeigen mit seiner Vergangenheit als Diktator – über 3.000 Menschen sollen in der Zeit von 1973 bis 1990 verschwunden oder ermordet worden sein. Inzwischen ist ihm die juristische Immunität als Senator auf Lebenszeit aberkannt worden und ein Gerichtsprozess wegen mehrfachen Mordes eingeleitet worden.
Das Gesuch der Justiz Argentiniens, das die chronisch gespannte Beziehung der beiden Nachbarländer aufs neue belasten wird, unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von dem des spanischen Richters Baltasar Garzon: Es betrifft nicht Verbrechen in fremden Ländern, sondern in Argentinien selbst. Mit dem Territorialargument hatte sich Chile seinerzeit gegen das spanische Auslieferungsbegehren gestellt und zählte dabei auf Unterstützung auch aus Argentinien.
Schon 1996 machten die Ermittlungen zum Mord am Ehepaar Prats Schlagzeilen. Wegen Mittäterschaft wurde der DINA-Agent Enrique Lautaro Arrancibia festgenommen und vor Gericht gestellt. In den kommenden Monaten wird mit einer Entscheidung gerechnet, und es wird erwartet, dass Arrancibia der erste Verurteilte im Fall des Doppelmordes sein wird.
Die jetzigen Ermittlungen betreffen jedoch nicht nur Pinochet. Richter Galeano beantragte die Auslieferung von sechs weiteren Personen: Unter anderem der ehemalige Geheimdienstchef Manual Contreras und sein DINA-Mitarbeiter Pedro Espinoza, die bei der Verschwörung federführend gewesen sein sollen. Beide wurden wegen der Ermordung des Allende-Außenministers Orlando Letelier 1976 in Washington verurteilt, doch nur noch Contreras sitzt dafür bis zum kommenden Jahr im Gefängnis.
Brisanz birgt auch der Haftbefehl gegen Mariana Callejas, damals Zivilagentin der DINA und Ex-Ehefrau von Michäl Townley, einem Doppelagenten von DINA und CIA. Townley hat bereits gestanden, das Attentat am Ehepaar Prats ausgeführt zu haben, kann aber nicht vor Gericht gestellt werden, weil er in den USA wegen seiner Mithilfe im Fall Letelier als geschützter Zeuge lebt. Auch Callejas soll direkt an der Ermordung von Prats beteiligt gewesen sein. Bis auf Callejas haben alle sechs haben bereits ausgesagt und sollen aufgrund der Aktenlage jetzt vor Gericht gestellt werden.
Beobachtern zufolge sind die Klagen einwandfrei und ausreichend begründet. Zudem entschied bereits ein anderes Gericht in Argentinien, dass der Doppelmord vor 26 Jahren wegen der Schwere der Tat nicht verjährt sei. Jetzt ist die chilenische Justiz am Zug, die die Gesuche vom argentinischen Botschafter in Santiago überreicht bekommen wird. Aus Chile verlautete bereits, dass zumindest eine Auslieferung Pinochets nicht möglich sei, da er gesundheitlich einem Prozess nicht gewachsen sein. Außerdem müsse auch hier geprüft werden, ob der Mord nicht verjährt sei.
Wie auch immer dieses neue juristische Tauziehen ausgehen mag, die Nachricht aus Buenos Aires verunsichert die Pinochet-Gemeinde in Chile, wo das Gespenst von General Prats schon immer ein Alptraum war. Prats war Pinochets direkter Vorgesetzter gewesen, er selbst hatte sich als dessen „treuester Diener“ bezeichnet. Offenbar nur bis zum Putschtag, dem 11. September 1973, an dem Prats nach Argentinien floh und Pinochet sein Amt übernahm.
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