Was haben Zara und H&M mit illegaler Abholzung zu tun?

Baumwolle Nachhaltigkeit
Baumwolltextilien: ob nachhaltig hergestellt oder nicht, bleibt unklar.
Foto: privat

(Nova Mutum, 11. April 2024, El Salto).- Über ein Jahrzehnt hinweg hat die britische Nichtregierungsorganisation Earthsight den Verbleib von 816.000 Tonnen Baumwolle verfolgt, die mit Menschenrechtsverletzung und Abholzung des brasilianischen El Cerrado in Verbindung stehen. Die Baumwolle wurde zu Kleidungsstücken verarbeitet und landete anschließend in den Geschäften von Inditex und H&M in Spanien, die meisten dieser Produkte mit dem Nachhaltigkeitssiegel Better Cotton. Inditex zählt zu größten Textilunternehmen der Welt. Der Hauptsitz ist in Arteixo, einem Vorort von A Coruña in Galicien. Zu den Tochtergesellschaften gehören unter anderem Pull&Bear, Bershka und Zara. Das schwedische Unternehmen H&M operiert weltweit durch Läden und Onlineverkauf.

Die „schmutzige Baumwolle“

Über ein Jahr lang wurden Satellitenbilder, Gerichtsurteile, Versandpapiere und sogar verdeckte Interviews auf Messen ausgewertet.  El Cerrado ist Brasiliens zweitgrößtes Biotop nach dem Amazonas. Seine enorme biologische Vielfalt wird durch die Ausdehnung von Monokulturen zunehmend gefährdet. Das Geschäft mit der „schmutzigen Baumwolle“ geht mit großflächiger illegaler Abholzung, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt einher. In ihrem Bericht Fashion Crimes untersucht die NGO die Verbindung zwischen Moda rápida und dem Boom der brasilianischen Baumwollproduktion und dokumentiert den Weg der 816.000 Tonnen Baumwolle von den brasilianischen Plantagen über acht chinesische Textilzulieferer bis hin zu den beiden größten Bekleidungsanbietern der Welt. Mindestens 20 Millionen Kleidungsstücke und Haushaltsartikel seien an H&M und Inditex geliefert worden und auf dem spanischen Textilmarkt gelandet, so der Bericht. „Die gesamte schmutzige Baumwolle, die von Earthsight nachverfolgt wurde, trägt das Nachhaltigkeitssiegel von Better Cotton“, erklärten die brasilianischen Erzeuger gegenüber der NGO.

Plantagen statt Wald

Mit einer Ausdehnung von 1.910.037 km2  ist El Cerrado größer als Alaska. Die Savannenregion erstreckt sich über 22 Prozent des gesamten brasilianischen Territoriums. Fünf Prozent der Spezies des Planeten sind hier zu Hause. Über die Hälfte des Terrains entfällt auf den Bundesstaat Bahia. Seit 1985 wurden allein hier 22.000 km2 des Bioms abgeholzt und Plantagen errichtet, das entspricht in etwa der Größe von Wales. Die Klimabilanz des Ökozids: Die Abholzung solch einer riesigen Fläche entspricht dem Kohlenstoffausstoß von 50 Millionen Autos in einem Jahr. Die Baumwollfelder werden mit 600 Millionen Liter Pestizide pro Jahr „versorgt“. Mehr als die Hälfte dieses reichhaltigen Ökosystems sind dadurch verlorengegangen.

Und die Abholzung nimmt weiter zu. In El Cerrado ist der Holzschlag im letzten Jahr um 43 Prozent gestiegen, so der Bericht Fashion Crime, und fast alles davon illegal. Hintergrund ist der drastische Anstieg der Baumwollproduktion in Brasilien in den letzten Jahrzehnten. Neben der Baumwollproduktion ist vor allem der Anbau von Soja für die Verwüstung der Region verantwortlich Nicht selten wird auf den Plantagen beides im Wechsel angebaut. Bis 2030 wird Brasilien voraussichtlich die USA als weltweiter Baumwollexporteur Nr. 1 überholt haben.

Zerstören und aneignen

„Wir alle wissen, was Soja und Rindfleisch den brasilianischen Wäldern angetan haben. Die Auswirkungen der Baumwolle sind bisher weitgehend unbemerkt geblieben. Der Boom der letzten Jahrzehnte hat sich jedoch zu einer Umweltkatastrophe entwickelt“, so Earthsight-Direktor Sam Lawson. Hinter der aggressiven Abholzung in El Cerrado stehen vermutlich SLC Agricola und Horita Group, zwei der größten Agrarunternehmen Brasiliens. Ihre riesigen industriellen Farmen stehen in Verbindung mit einer Reihe gerichtlicher Verfügungen, Verurteilungen wegen Korruption und Geldstrafen in Millionenhöhe. „Dabei geht es um die Abholzung von etwa 100.000 Hektar Wald in El Cerrado“, berichten Aktivist*innen der Initiative Ecologistas en Acción. „Das Motto der von Earthsight untersuchten Großunternehmen im Exportgeschäft lautet: Zerstören und aneignen“, so die britische NGO. Im gleichen Maße, wie sich der Baumwollanbau in dem Gebiet ausgebreitet habe, seien traditionelle Gemeinschaften untergegangen. Earthside spricht von einer „zerstörerischen Mischung aus Korruption, Gier, Gewalt und Straflosigkeit, die buchstäblich zum Diebstahl von öffentlichem Land und zur Enteignung lokaler Gemeinschaften geführt hat.“

Better Cotton – ein Beispiel

Das Zertifizierungssystem Better Cotton weist das für die Herstellung von Kleidung verwendete Rohmaterial als nachhaltig aus, und in ihren Jahresberichten verweisen H&M und Zara entsprechend auf die Verwendung nachhaltig hergestellter Baumwolle, die angeblich über 50 Prozent ihrer Produktion ausmache. Aber: „Was Better Cotton als nachhaltig zertifiziert hat, war die gesamte von Earthsight nachverfolgte, nachweislich schmutzige Baumwolle“, so die brasilianischen Produzenten gegenüber der NGO. „Wenn Sie also Baumwollkleidung, Handtücher oder Laken von H&M oder Zara im Schrank haben, ist das wahrscheinlich Plündergut, befleckt mit der Zerstörung des brasilianischen Cerrado“, mahnt Earthsight-Direktor Lawson. „Diese Unternehmen reden von Best Practice, sozialer Verantwortung und Zertifizierung, sie behaupten, in Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit zu investieren, aber all das ist genauso Blendwerk wie die Blümchenmuster in ihren Schaufenstern“.

Inditex wird seit Jahren Greenwashing, Intransparenz und Menschenrechtsverletzung vorgeworfen. Nun fordert der Textilriese Offenlegung und Rückverfolgbarkeit von seinem wichtigsten Zertifizierungslieferanten Better Cotton. Angesichts der Earthsight-Enthüllungen kündigte Better Cotton im September 2023 eine dreimonatige Überprüfungsphase an. Am 1. März aktualisierte das Unternehmen seine Statuten und Prüfkriterien. Nach Ansicht von Earthsight sind Better Cotton und andere ähnliche Zertifizierungslieferanten jedoch „willkommene Sündenböcke, die von der Kritik an den Fertigungsfirmen ablenken, die mit billig erworbenen Rohstoffen arbeiten“. Außerdem kann gemäß den neuen Zertifizierungsprinzipien von Better Cotton auch Baumwolle als nachhaltig zertifiziert werden, sofern die illegale Abholzung des landschaftlich genutzten Terrains vor 2020 stattgefunden hat, selbst wenn die Gebiete von lokalen Gemeinschaften gestohlen wurden.

Die größten Verursacher sind jedoch die ausländischen Verbrauchermärkte. So ist die EU der weltweit größte Bekleidungsimporteur, gefolgt von den USA. Earthsight verweist auf die Verantwortung der EU, die mit ihrer Nachfrage von Textilerzeugnissen und Lebensmitteln den Druck erhöht. „Fast die gesamte Belastung entsteht durch die Nachfrage aus dem Ausland“, so Earthsight.

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