Von Andreas Behn, Rio de Janeiro
(Rio de Janeiro, 07. September 2017, npl).- Sojaplantagen soweit das Auge reicht. Einige Landstriche des lateinamerikanischen Binnenlandes Paraguay sehen aus wie eine einzige Monokultur. Von der früheren Waldlandschaft ist kaum ein Baum übriggeblieben. Ökolog*innen sprechen von einer ‚grünen Wüste‘. Das Agrarbusiness macht mit dem Export gute Gewinne, doch Lebensmittel werden immer weniger produziert. Die Vertreibung von Kleinbauernfamilien durch Großgrundbesitzer*innen bedroht die Ernährungssicherheit in der Region.
Paraguay: Übermacht der Agrarkonzerne
Der paraguayische Agrarexperte Miguel Lovera macht die Rechtslage für die Missstände mitverantwortlich: “In Paraguay wird in Sojaanbau investiert, da es keinerlei Reglementierung gibt. Es ist eine Art Steuerparadies.“ Für jeden Dollar, der in Paraguay in Soja investiert wird, springe ein Dollar Gewinn heraus, errechnet Lovera. „Denn außer Umsatzsteuer müssen keine Abgaben entrichtet werden.“ Es wirkt, als ob das Agrobusiness regiere. Die privilegierte Oligarchie befinde selbst, welchen Gesetzen und Normen sie Folge leisten will und welchen nicht, kritisiert Lovera.
Der Agraringenieur Miguel Lovera leitet eine Nichtregierungs-Organisation, die die Einhaltung von Umweltrichtlinien in der Chaco-Region überwacht. Er kritisiert die Macht von Chemiekonzernen wie Bayer und Monsanto, die den Anbau von Gensoja vorantreiben, obwohl in Paraguay die Patentierung von Saatgut eigentlich verboten ist. „Monsanto ist aufgrund von Patentrechten Eigentümer mehrerer genetisch veränderter Samen, obwohl es in unserem Land verboten ist, Lebensformen zu patentieren“, moniert Lovera.
Roundup – der „Allestöter“
Er bezeichnet Monsanto als entscheidenden Player bei der Entwicklung des Agrobusiness in Paraguay, da der Konzern die notwendige Technologie zur Verfügung stellt. Dazu gehört auch das Herbizid Roundup, das die Leute ‚Allestöter‘ getauft haben. Denn das einzige, was es nicht tötet, ist Gensoja, Genmais oder genetisch veränderte Baumwolle.
Früher war Miguel Lovera Vorsitzender der staatlichen Saatgutbehörde und Mitarbeiter des Mitte-links-Präsidenten Fernando Lugo. Im Jahr 2012 wurde Lugo mittels eines parlamentarischen Putsches aus dem Amt getrieben, und Lovera verlor seinen Job. Auch die Agrarlobby stellte sich damals gegen Lugo, der für mehr Gerechtigkeit auf dem Land plädierte.
Jetzt, unter dem konservativen Präsidenten und Großgrundbesitzer Horácio Cartes, kann sich das Agrarbusiness wieder ungehindert ausbreiten. Mit teils kriminellen Mitteln, sagt Lovera: „Die Sojapflanzenden versprühen das Gift absichtlich zu der Zeit, in der es die benachbarten Kleinbauern am meisten stört.“ Das Ziel sei, die Nachbar*innen zu vertreiben. Lovera spricht von einem Krieg um das Territorium. „Ein Element dabei ist die Ausbreitung vor allem brasilianischer Farmer auf paraguayischem Boden.“
Ernährungssicherheit in Paraguay gefährdet
Die Vertreibung von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen von ihrem Land gefährdet die Ernährungssicherheit in Paraguay. Es werden weniger Lebensmittel für den Binnenmarkt angebaut, da mit Monokulturen fast ausschließlich für den Export produziert wird. In nur zehn Jahren hat sich die von Kleinbauern genutzte landwirtschaftliche Fläche halbiert. Süßkartoffeln, Maniok, Bohnen, Erbsen, Karotten, Obst – der Anbau geht zurück und die Qualität der Nahrungsmittel nimmt ab.
Miguel Lovera warnt vor zunehmender Landflucht. „Wir sprechen von ‚Sojaflüchtlingen‘. Heute lebt nur noch ein Drittel der Menschen auf dem Land und der Rest in Städten. Auf dem Land lebten sie sehr viel unabhängiger als heute. Heute – in urbaner Umgebung – müssen sie alle Nahrungsmittel kaufen.“ Während die Agrarindustrie satte Exportgewinne einstreicht, wird gesunde Nahrung in Paraguay zur Mangelware. Die Bevölkerung muss immer häufiger auf industriell gefertigte Lebensmittel zurückgreifen. Deren Qualität ist fraglich, und im Verhältnis zum Durchschnittslohn sehr teuer.
Jenseits der Südgrenze, im Nachbarland Argentinien zeigt sich ein ähnliches Bild: Endlose Sojaplantagen, Landflucht und die Angst, dass die Ernährungssicherheit bald nicht mehr gewährleistet ist. Mercedes Taboada hat einen kleinen Bauernhof in der Provinz Buenos Aires. Sie bangt um ihre Zukunft: „Auch wenn es hart klingt, für mich handelt es sich um die Auslöschung der familiären Landwirtschaft.“ Für die Regierungen in Argentinien und anderen Staaten Lateinamerikas seien Kleinbauern und Kleinbäuerinnen offenbar verzichtbar, kritisiert Taboada.
Regierungen subventionieren industrielle Landwirtschaft
Die Entwicklung scheint kaum aufhaltbar zu sein. In Paraguay, Argentinien und auch im größten Staat der Region, Brasilien, subventionieren die Regierungen die industrielle Landwirtschaft mit Milliardenbeträgen. Oft geschieht dies durch staatliche Kredite, bei denen der Zinssatz halbiert ist. Begründet wird das mit deren großem Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Dass das Agrobusiness kaum Arbeitsplätze schafft, wird schnell vergessen. Und es produziert kaum Lebensmittel für die heimische Bevölkerung, sondern exportiert meist Futtermittel für die Fleischproduktion in den Industriestaaten.
Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die beispielsweise in Brasilien zwei Drittel aller dort verzehrten Nahrungsmittel herstellt, wird weniger gefördert. Carlos Vicente, Aktivist gegen die Vorherrschaft von Monsanto in der Agrarwirtschaft Argentiniens, warnt vor der Dominanz internationaler Konzerne: Das monströse Agrobusiness versuche, die ganze landwirtschaftliche Produktion zu kontrollieren. „Vor allem den Landbesitz, indem Land aufgekauft wird oder Kleinbauern vertrieben werden“, prangert Vicente an.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag bei onda, den ihr hier anhören könnt.
Vormarsch des Agrobusiness gefährdet Ernährungssicherheit in Südamerika von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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