(Greifswald, 9. Mai 2023, poonal).- Drei Wochen einfache Arbeit, 40.000 Dollar Lohn. Im Kontrast zum brasilianischen Durchschnittseinkommen von rund 560 Dollar im Monat scheint das Geschäft mit Gold genau das – eine wahre Goldgrube. Das versprechen einige virale Videos und deren verifizierte Accounts rund um das Thema Goldschürfen in Brasilien. Dass 95 Prozent des illegalen Bergbaus in indigenen Territorien stattfinden, wo Goldschürfen verboten ist, verheimlichen sie ebenso wie das große Unheil, das die Goldgewinnung mit sich bringt.
Auf der Suche nach einem besseren Leben werden Goldschürfer*innen immer kreativer. Neben ihren Einkünften aus dem Verkauf des illegal geschürften Goldes inszenieren sich einige anonym im Internet und verdienen sich so noch Geld dazu. Besonders Tiktok bietet dafür eine gute Plattform. Dessen Bedienung und Monetarisierung von Beiträgen ist simpel, die Zuschauerschaft oft jung und unkritisch.
Letzteres gilt auch für Tiktok als Unternehmen: Die App moderiert ihren Inhalt nur schlecht, missachtet lokale Gesetze und lässt solche Beiträge oft passieren. Die Forscherin Marina Meira, Abteilungsleiterin der gemeinnützigen Organisation Data Privacy Brasil für digitale Rechte, fordert daher, den Kanalbetreiber*innen wenigstens die Verifizierung zu nehmen. Diese trage dazu bei, dass ihre Inhalte als seriös und legal interpretiert werden. Die größere Reichweite der Beiträge verifizierter Accounts fördere letztlich das illegale Goldgeschäft.
Die sogenannten Garimpeiros, also Menschen, die illegal nach Gold suchen, machen sich das zunutze: Die viralen Videos bieten ihnen eine willkommene Bühne: Mit Hilfe irreführender Inhalte – wie zum Beispiel das übertrieben hohe Einkommen ‑ bewerben sie ihre Onlineshops für Spezialequipment. Das konnte das Onlinemedium Rest Of The World in mindestens drei konkreten Fällen nachweisen.1
Mehr als Blechschalen schwenken
Während Tiktok-Videos über den Garimpo, den nichtindustriellen Kleinbergbau, im Kommen sind, arbeitet die Regierung Brasiliens mit veralteten Konzepten. Das gab sie 2020 in einem umfassenden Bericht zu: „Der grundlegende Fehler der Gesetzgebung besteht darin, weiter mit dem Bild des Garimpeiro zu arbeiten, der am Flussufer Nuggets aus dem Sand siebt”, gesteht die Generalstaatsanwaltschaft ein. „Stattdessen werden für das Goldschürfen heute schwere Maschinen, Flugzeuge und Hydraulikbagger eingesetzt”2.
Die über 5.000 illegalen Minen des Amazonas3 messen dadurch nicht selten mehrere tausend Quadratmeter, auch wenn nur eine Hand voll Menschen dort arbeitet. Mit ihrem Equipment leiten sie Flussarme um und filtern das Sediment in mehreren Etappen. Die größten Gefahren für die Umwelt lauern dabei im letzten Schritt – dort kommt Quecksilber ins Spiel. Die Goldgräber*innen mischen das flüssige Metall mit dem Flusswasser und schwenken darin ihre Beute: ein Gemisch aus Steinen und Goldpartikeln. Das Quecksilber trennt die Bestandteile und liefert unreines Gold. Auch dazu geben Videos im Netz Tipps.
Das Problem: Das Nervengift gelangt danach ungefiltert in die Natur. So vergiften die über 5.000 illegalen Minen das Grundwasser der größten grünen Lunge des Planeten. Quecksilber gilt als Ursache für erhebliche Schäden an der Natur und für diverse neurologische Beschwerden. Bei medizinischen Untersuchungen indigener Gemeinschaften in der Umgebung wurden alarmierende Mengen Quecksilber in ihren Körpern nachgewiesen.4
“Die Fahrlässigkeit der Regierung kostet Menschenleben”
Neben ihrer schweren Ausrüstung haben Goldschürfer*innen jedoch auch unsichtbares Gepäck dabei: Krankheiten. Malaria, Corona, Quecksilber – all das belastet lokale Gesundheitssysteme. Und obwohl die Pandemie mittlerweile weitgehend eingedämmt werden konnte, ist das Problem im Amazonas noch nicht gebannt. Eingeschleppte Krankheiten wie Corona und Malaria, Abholzungen, Unterernährung und Verlust der Ernährungssouveränität führen zu erhöhter Kindersterblichkeit5.
Internationale Organisationen warnen zudem davor, dass einige der über 20.000 Garimpeiros6 auf dem Territorium einer bislang unkontaktierten Yanomami-Gruppe agieren. Dass Goldgräber*innen die Menschenrechte Indigener missachten, ist keine Neuheit, für unkontaktierten Gemeinden geht es jedoch um die Gefährdung ihrer Existenz. Erst im Mai und Juni 2021 kam es zu schweren Angriffen auf Angehörige der Yanomami; Garimpeiros gingen mit Tränengas, Morddrohungen, Belästigung aller Art und Waffengewalt gegen die indigenen Bewohner*innen vor, um sie aus ihrem Gebiet zu vertreiben7.
„Die Fahrlässigkeit der Regierung kostet Männern, Frauen und Kindern das Leben.”8, so Junior Hekurari Yanomami, eine der Führungspersonen der betroffenen Gruppe. Damit bezieht er vor allem auf die Regierung Jair Bolsonaros, dessen Regime spätestens seit 2021 wesentlich für den Goldrausch verantwortlich ist. Schon davor waren Goldgeschäfte in geschützten Gebieten zunehmend populär geworden. Satellitenaufnahmen zeigen, dass Goldaktivitäten in indigenen Territorien des Amazonas zwischen 2010 und 2020 um 495 Prozent gewachsen sind9. Trotzdem befeuerte der rechtsgerichtete Präsident den Goldrausch nochmal, indem er 2020 beschloss, den Bergbausektor besonders in bislang unerschlossenen Regionen zu stärken. Faktisch lud er damit Goldgräber*innen in geschützte Gebiete ein. Wie eine unabhängige Studie aus 2022 ergab, konzentrieren sich 95 Prozent des illegalen Bergbaus auf nur drei Gebiete10: die Ländereien der Kayapó, Munduruku und Yanomami11.
“Es ist, als wolle man Eis trocknen”
Wie in so vielen Bereichen will Lula da Silva auch im Bergbau eine Differenz zum Regierungsstil seines Vorgängers ausdrücken. Nur wenige Wochen nach seiner Wiederwahl reiste er zu einem Besuch in das Gebiet der Yanomami. Gemeinsam mit der Ministerin für indigene Völker, Sonia Guajajara, versprach Lula, die Yanomami menschenwürdig behandeln zu wollen12. Jair Bolsonaro bezichtigte er des Genozids an den Yanomami und ließ ein Verfahren gegen ihn eröffnen. Es gebe sehr deutliche Hinweise darauf, dass den Yanomami Gesundheits- und Ernährungshilfe verweigert wurde, pflichtete ihm der Justizminister bei13.
Die Assoziation Indigener Völker Brasiliens fordert nun, Bolsonaros Gesetz 191/2020, das einst den illegalen Bergbau in indigenen Gebieten förderte, zu überarbeiten14. Ziel wäre, Garimpeiros aus dem Territorium der Yanomami zu verbannen. Doch das reicht offenbar nicht aus. „Wenn man die dahinterstehenden Strukturen nicht auflöst, kommen sie morgen zurück. Es ist, als wolle man Eis trocknen”, klagt Larissa Rodrigues, Projektleiterin der NGO Instituto Escolhas15. Die Goldgräber*innen selbst bestätigen ihre Befürchtungen. Ihr Unverständnis für die Rechtslage thematisieren sie in ihren Videos. „Warum haben wir kein Recht, auf unsere natürlichen Ressourcen zuzugreifen?”, fragt eine Stimme aus dem Off. Die Rechte der Indigenen und der Umwelt sind für sie nebensächlich bis nichtig. Razzien gegen illegalen Goldabbau nennt die Stimme „Terror gegen einfache Leute, die sich nur ihren Lebensunterhalt verdienen wollen”16.
Um die Strukturen aufzulösen, sei es notwendig, nicht nur mit einzelnen Taskforces gegen den Garimpo vorzugehen, sondern die Kräfte verschiedener Behörden zu einen. Das meint Leandro Chiarottino, ein auf Finanzbetrug spezialisierter Rechtsanwalt. Er fordert Venezuela, Surinam und Guyana zu stärkeren Kooperationen auf. Denn zumindest was die Goldschürfer*innen im Norden Brasiliens angeht, liegt die Vermutung nahe, dass sie ihre Beute über die Grenze schmuggeln, um sie erst dort in Umlauf zu bringen. Videos, die zeigen, wie man die Landesgrenzen überquert, gelten als weiteres Indiz für diesen Verdacht17.
Das brasilianische Gesetz als Komplize
Dass das Problem ein Internationales ist, ist besonders problematisch. Den ersten Verkauf von illegal geschürftem Gold zu kontrollieren ist der vielversprechendste Ansatz, den Garimpo generell einzuschränken. Institutionen, die mit den Garimpeiros direkt Kontakt haben, sind der beste Anhaltspunkt für die Behörden, diese ausfindig zu machen. Ist das Gold einmal in Umlauf – sprich, wird es einmal mit anderem Gold gemischt und zusammen geschmolzen, um es zu säubern – so verliert sich die Fährte.
Einer der wichtigsten Akteure Brasiliens im Ankauf von Gold sind Wertpapierhändler. Hier zahlen die Schürfer*innen am wenigsten Steuern und erhalten sogar eine ordentliche Rechnung. Die größte Gesellschaft DTVM (Distribuidora de Títulos e Valores Mobiliários) verlangt beim Ankauf von Gold zwar die Lizenz, dass die betriebene Mine der Regierung bekannt ist. Ob das Gold jedoch aus genau dieser Mine stammt, das muss die DTVM nicht prüfen. Ein Dokument der „Gutgläubigkeit” des Verkäufers, das besagt, dass alles rechtens ist, entbindet die DTVM rechtlich davon.
Dieses Schlupfloch ist branchenweit bekannt. Nicht selten beantragen Goldgräber*innen daher Lizenzen für alte Erzminen ohne Goldvorkommen. Zuständige Behörden fordern zwar geologische Berichte an, prüfen aber später nicht, wo das Goldschürfen stattfindet. Dazu fehlen Strukturen.18 Und auch die DTVM schaut nicht weiter nach. Beschwerden über die Handhabung der Gutgläubigkeit sind bislang im Sand verlaufen.
Brasilianisches Gold: zu einem Drittel gesetzeswidrig
Aufgrund der vielen Gesetzeslücken und Schlupflöcher hat sich der brasilianische Bergbau zu einem “kriminalitätsfördernden” Sektor entwickelt.19 Die Regierung hat durch ihr Wegsehen und durch das veraltete Bild vom Garimpo das Ihrige dazu beigetragen. Rund 30 Prozent des Goldes, das in Brasilien zwischen Januar 2021 und Juni 2022 gehandelt wurde, stammen aus irregulären Quellen. Das ergab eine der wichtigsten Erhebungen über die Legalität von brasilianischem Gold von der Regierung und zwei Forschern der Bundesuniversität von Minas Gerais. Der Wert schwankt von Bundesstaat zu Bundesstaat: In Minas Gerais, dem größten und ältesten goldproduzierenden Bundesstaat nördlich von São Paulo, ist Goldschürfen in neun von zehn Fällen legal. In Pará um den Amazonas hingegen weist die Hälfte des gewonnenen Goldes Anzeichen von Unregelmäßigkeiten auf.20
Auch flächenmäßig ist der Garimpo seit 2020 weiter verbreitet als der legale Bergbau21. Eine mittlerweile abgewählte Regierung trägt für diese Entwicklung die Verantwortung – und die viralen Videos anonymer Goldschürfer*innen, die die Illegalität und die Gefahren ihres Geschäfts unterschlagen und mit ihrer Zuschauerschaft Geld verdienen.
Den Podcast zum Thema findet ihr hier.
1 Andrade, Matheus; Deck, Andrew: Illegal gold mining influencers are tearing up the Amazon, auf: restofworld.org (20.4.2023).
2 Salomão, Alexa: Como o garimpo ilegal ‚esquenta‘ ouro de terras indígenas no Brasil, auf: folha.uol.com.br (4.2.2023).
3 WION Climate Tracker: Illegal gold mining thrives in Amazon, miners attack indigenous people, auf: youtube.com (8.9.2021).Andrade, Matheus; Deck, Andrew: Illegal gold mining influencers are tearing up the Amazon, auf: restofworld.org (20.4.2023).
4 Stern (Hg.): Bericht: Kinder aus Yanomami-Gebiet in Brasilien sterben an Krankheiten und Unterernährung, auf: stern.de (22.1.2023).
5 Ebd.
6Map Biomas (Hg.): Area occupied by mining in Brazil grows more than 6 times between 1985 and 2020, auf: mapbiomas.org (August 2021).
7 Stern (Hg.): Bericht: Kinder aus Yanomami-Gebiet in Brasilien sterben an Krankheiten und Unterernährung, auf: stern.de (22.1.2023); El Espectador (Hg.): “Genocidio” de yanomamis en la Amazonia: Lula acusa a Bolsonaro, auf: elespectador.com (26.1.2023).
8 Salomão, Alexa: Como o garimpo ilegal ‚esquenta‘ ouro de terras indígenas no Brasil, auf: folha.uol.com.br (4.2.2023).
9 Ebd.
10 Map Biomas (Hg.): Area occupied by mining in Brazil grows more than 6 times between 1985 and 2020, auf: mapbiomas.org (August 2021).
11 Ebd.
12 Andrade, Matheus; Deck, Andrew: Illegal gold mining influencers are tearing up the Amazon, auf: restofworld.org (20.4.2023).
13 Andrade, Matheus; Deck, Andrew: Illegal gold mining influencers are tearing up the Amazon, auf: restofworld.org (20.4.2023).
14 Articulação Dos Povos Indígenas Do Brasil (Hg.): APIB solicita ao MPI a retirada de pauta do PL 191/2020, que libera mineração em Terras Indígenas, auf: apiboficial.org (14.2.2023). Agência Brasil (Hg.): Amazônia: garimpo ilegal em terras indígenas subiu 1.217% em 35 anos, auf: agenciabrasil.ebc.com.br (3.2.2023).
15 Glüsing, Jens: Die tödliche Gier nach dem Amazonasgold, auf: spiegel.de (27.5.2021).
16 Survival International (Hg.) Brasilien: Gol[d]gräber*innen starten eine Serie von Angriffen auf die Yanomami, auf: survivalinternational.de (16.6.2021).
17 Ebd.
18 Map Biomas (Hg.): Area occupied by mining in Brazil grows more than 6 times between 1985 and 2020, auf: mapbiomas.org (August 2021).
19 El Espectador (Hg.): “Genocidio” de yanomamis en la Amazonia: Lula acusa a Bolsonaro, auf: elespectador.com (26.1.2023).
20 WION Climate Tracker: Illegal gold mining thrives in Amazon, miners attack indigenous people, auf: youtube.com (8.9.2021).
21 Salomão, Alexa: Como o garimpo ilegal ‚esquenta‘ ouro de terras indígenas no Brasil, auf: folha.uol.com.br (4.2.2023).
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