„Putsch soll Links-Regierungen in Lateinamerika schwächen.“

von Sergio Ferrari

(Fortaleza, 27. Juni 2012, adital-poonal).- Der streitbare paraguayische Jesuit Francisco “Paco” Oliva, äußert sich zu dem Putsch gegen Präsident Fernando Lugo, der am 22. Juni in Lateinamerika für ein politisches Erdbeben sorgte. Die Guaraní nennen ihn “Pai” Oliva – in ihrer Sprache bedeutet das Priester. Als Vertreter der Befreiungstheologie zählt der 1928 in Sevilla geborene Oliva zu den herausragenden sozialen Aktivisten in Paraguay.

Wie bewerten Sie den institutionellen Rahmen, in dem sich die Absetzung von Präsident Fernando Lugo abspielte?

Wir sind eine parlamentslastige Demokratie. Praktisch seit der Wahl Lugos im April 2008 waren die beiden traditionellen Parteien Paraguays, die Liberalen und die Colorados, bemüht, den Präsidenten zu bremsen. Sie drohten ihm quasi mit einem politischen Prozess. In der vergangenen Woche dachten wir daher, es handele sich mal wieder um eine dieser Drohungen. Doch die Wirklichkeit zeigte, dass dem nicht so war.

Hatte die Bewegung aus dem breiten Volk, hatte die paraguayische Zivilgesellschaft, mit einer solchen politischen „Lösung“ gerechnet?

Nein, es traf uns vollkommen überraschend. Das Ganze dauerte gerade einmal 24 Stunden, innerhalb derer Lugo abgesetzt und Vize-Präsident Federico Franco als sein Nachfolger ernannt wurde. Von Letzterem war bereits seit langem bekannt, dass er nach der Macht strebte.

Die nun regierungsnahen Medien sprechen von einem legitimen Prozess, der sich im Rahmen der Verfassung Paraguays bewegt habe. Aus dem Volk und in zunehmendem Maße auch aus der internationalen Gemeinschaft heißt es dagegen, die Verfassungsmäßigkeit sei gebrochen worden. Was denken Sie?

Es handelt sich um einen parlamentarischen Staatsstreich. Die traditionellen Parteien fanden die 30 Stimmen, die sie brauchten und sprachen das Urteil. Was folgte war reiner Zirkus. Der Schuldspruch wäre in jedem Fall der gleiche gewesen – ob mit einer Verteidigung für Lugo oder ohne. Die Beschuldigungen wurden nicht schriftlich vorgelegt. Und als Beweise dienten schlichte Fotokopien von Zeitungsausschnitten. Die Strafe gegen Lugo war bereits verhängt, bevor der Prozess überhaupt begonnen hatte.

Ist die Absetzung Lugos eine unumkehrbare Tatsache?

Das breite Volk und die Campesinos akzeptieren die Absetzung nicht. Doch die Macht befindet sich in den Händen der zwei Parteien, die das Pseudo-Expressurteil vollstreckten. Institutionell gesehen handelt es sich also um eine vollendete Tatsache.

Es ist doch paradox, dass als Vorwand für die Absetzung ein Campesino-Konflikt diente, wenn man bedenkt, dass Fernando Lugo „der Bischof der Armen“ genannt wurde. Jemand, der sich immer für die Campesinos und die Agrarreform aussprach und dank der entschlossenen Unterstützung breiter Volksschichten an die Regierung kam. Handelte es sich vielleicht um eine Falle der extremen Rechten, oder war Lugo politisch etwas naiv?

Beides trifft zu. Es handelte sich um eine gut vorbereitete Falle angesichts der Mobilisierung, in der das Volk die führende Rolle zu übernehmen begann. Die politische Klasse Paraguays erhielt Signale, besonders die traditionellen Parteien, die sich in der Opposition befanden. Sie hatten Angst vor der zunehmenden Partizipation und beschlossen, diese zu stoppen. Und die beste Lösung bestand eben darin, den Präsidenten auf dem Weg eines politischen Prozesses zu enthaupten. Auf der anderen Seite muss man natürlich einräumen, dass Lugo die Agrarreform nur halbherzig anging. Das Volk, die Bauernschaft wirkten immer heftiger auf ihn ein, doch Lugo traute sich nicht, die Agrarreform umzusetzen.

Viele lateinamerikanische Staaten, darunter Brasilien und Argentinien, erkennen die Absetzung Lugos und die Benenung Francos als Nachfolger nicht an. Meinen Sie, dass Colorados und Liberale, die die Absetzung unterstützen, ihre Haltung überdenken könnten angesichts des internationalen Drucks?

Auf keinen Fall. Hier geht es um politisches Taktieren. Franco war doch der Vizepräsident der Opposition. Er wird gar nichts überdenken, und noch weniger die Liberalen, die nach vielen Jahren wieder einen der ihren im Präsidentenamt sehen wollen. Als Sieger dürften die Colorados vom Feld gehen, die voraussichtlich bei den nächsten Wahlen im April 2013 die Macht erhalten. Es vollzog sich nun lediglich vorzeitig das, was wir befürchtet hatten. Denn die Colorados befanden sich 60 Jahre lang ununterbrochen an der Macht. Lugos Wahl beendete diesen scheinbaren Dauerzustand.

2013 aber werden die Colorados mit ziemlicher Sicherheit zurückkehren, das kann man schon jetzt sagen. Getragen von den traditionellen Anhänger*innen und mit den Stimmen, die es gelingt zu kaufen, werden die Colorados alles tun, um die vor vier Jahren verloren gegangene Macht wiederzuerringen.

Wie lässt sich am besten internationale Solidarität mit den breiten Schichten des paraguayischen Volkes üben? Was erhoffen Sie sich von der Zivilgesellschaft der ganzen Welt?

Dass sie informieren! Dass sie erklären, was in meinem Land geschah. Dass alle Details genannt werden, wie die Absetzung Lugos bereits vor dem Prozess beschlossene Sache war. Dass alles ein Zirkus war, reines Theater. Und die Menschen sollen wissen, dass die Verlierer*innen in Paraguay jene sind, die von den sozialen Errungenschaften profitierten, die wir der Regierung Lugo verdanken. Droht Paraguay nun eine strategische Unregierbarkeit? Zunächst einmal gilt es etwas Entscheidendes festzustellen: den USA sind Hugo Chávez und die anderen politischen Anführer*innen, die heute in Lateinamerika fortschrittliche Positionen vertreten, ein Dorn im Auge.

Brasilien könnte als Bremse wirken, vorausgesetzt, es bleibt so, wie es jetzt ist. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Brasilien ein Imperium mit eigenen Interessen war und ist. Ich rede nicht vom brasilianischen Volk, von den Bauern und Bäuerinnen, von den Landlosen. Sondern von der Außenpolitik dieses Landes, die perfekt funktioniert und nach Expansion strebt…

Was ist das Wichtigste, das Paraguay mit der Absetzung Lugos verliert?

Es handelt sich um einen sehr schweren Schlag gegen den Prozess, der gerade im Volk entstanden war, um dessen Lebensbedingungen zu verbessern, das alltägliche Leben. Viele dieser Menschen leben in extremster Armut.

Zum Schluss die Frage: Wie bewerten Sie die fast vierjährige Präsidentschaft von Fernando Lugo?

Er hatte sehr gute Absichten, seine Regierung war allerdings ziemlich ineffizient und Lugos Amtsführung sehr naiv.

(Interview: Sergio Ferrari)

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