(Berlin, 27. April 2021, taz).- Als die Wolke aus Kalkstein und Pestizidstaub über das Dorf Guyraroká zog, saßen gerade etwa 15 Kinder beim Frühstück. Bald bekamen sie Hautreizungen, dann Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen. Der giftige Cocktail war im Mai 2019 über dem Dorf der Guarani Kaiowa-Indigenen im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul versprüht worden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfBV) hat in ihrem jüngst veröffentlichten Bericht „Big in Brazil: Bayers Pestizid-Exporte und ihre Folgen für Indigene“ sieben solcher Fälle zusammengetragen und stellt fest: In ganz Brasilien werden Indigene Leidtragende von Pestiziden.
Viele in Brasilien verwendete Pestizide stammen vom deutschen Pharmariesen Bayer, der seit der Übernahme des US-amerikanischen Saatgutherstellers Monsanto in den Milliardendeal mit Pestiziden eingestiegen ist – und an diesem Dienstag seine Hauptversammlung abhält.
Bayer nutze „Doppelstandards“, kritisiert Juliana Miyazaki, GfbV-Referentin für indigene Völker. So würden in Deutschland viele Pestizide produziert, die in der EU verboten sind, um sie in Länder wie Brasilien zu exportieren. Dort werden sie vor allem beim Anbau von Soja, Mais, Zucker und Baumwolle verwendet – Exportprodukte, die anschließend wieder Europa erreichen.
Die GfbV spricht von einer „Verlagerung menschenrechtsverletzender und umweltverschmutzender Praktiken in Drittländer“. „Wir fordern Bayer auf, den Blick auf die lokale Bevölkerung zu richten und langfristig Business-Strategien zu entwickeln, die ohne den Handel mit hochgefährlichen Pestiziden auskommen“, sagt Regina Sonk, GfbV-Referentin für indigene Völker.
Bayer sucht Kontakt
Auf Nachfrage der taz erklärte die Pressestelle von Bayer, dass eine erste Analyse der genannten Fallbeispiele „keine konkreten Bezüge“ feststellen ließen. Das Unternehmen erklärte, „angemessene Maßnahmen“ ergreifen zu wollen, „sollten sich Verletzungen bestätigen, die von Bayer verursacht wurden oder auf die wir realistischen Einfluss haben“.
Zudem hat Bayer das Gespräch mit der GfbV gesucht. Die Gesellschaft bestätigte der taz, dass der Konzern den Kontakt aufgenommen habe. „Wir freuen uns über einen direkten Austausch mit der Bayer AG und hoffen, den Konzern mit betroffenen Indigenen zusammenbringen zu können“, sagt Regina Sonk von der GfbV.
Während der Konzern aus Leverkusen in den USA wegen des Unkrautvernichters Glyphosat mit einer Welle von Einzelklagen konfrontiert ist, steht die Situation in Brasilien nur selten im Fokus. Dabei importiert kein Land der Welt so viele Pestizide wie Brasilien. Die exportorientierte Agrarwirtschaft setzt auf Monokulturen, Indigene stehen der Wachstumslogik häufig im Weg.
Bolsonaro ist mit der Agroindustrie verbunden
Die Regierung des Rechtsradikalen Jair Bolsonaro ist zudem eng mit der Agroindustrie verbunden und baut seit Amtsantritt systematisch Umweltschutzrichtlinien ab. Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina hat so in gut zwei Jahren bislang 1.132 neue Pestizide zugelassen – viele davon sind in Europa verboten.
Zwar versprach Präsident Bolsonaro auf dem von US-Präsident Joe Biden einberufenen Klimagipfel in der vergangenen Woche die Einhaltung von Umweltschutzstandards, jedoch rechnen Expert*innen nicht mit einer Abkehr von seiner umwelt- und klimafeindlichen Politik. So versucht die Regierung derzeit, Pestizidvorschriften weiter zu liberalisieren.
Kopfschmerzen durch Bayer-Pestizide von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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