(Managua, 27. August 2018, taz).- Interview mit Azahálea Solis, Mitglied des nicaraguanischen oppositionellen Bündnisses Alianza Cívica und der Autonomen Frauenbewegung (MAM).
Täglich werden in Nicaragua Menschen verhaftet, viele sind auf der Flucht. Ist die Bewegung gegen das Regime gescheitert?
Nein, die Regierung von Daniel Ortega hat lediglich einen militärischen Sieg errungen, nicht mehr. Innerhalb der Allianza Cívica schreitet der Organisationsprozess voran. Auch finden weiterhin Demonstrationen statt. Zudem fordern Angehörige mit Mahnwachen vor Gerichtsgebäuden die Freilassung der politischen Gefangenen.
Das könnte schwierig werden, Ortega wirft ihnen die Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand vor.
Daniel wollte eine militärische Lösung. Deshalb bezeichnet er die Oppositionellen als Putschisten und Terroristen. Tatsächlich handelt es sich um eine pazifistische, eine friedliche Bewegung. Der Präsident will nicht wahrhaben, dass es kein Zurück vor den 18. April gibt, als die Mobilisierungen begonnen haben. Das Land braucht eine kulturellen und sozialen Wiederaufbau. Nach über 400 Toten und unzähligen Menschenrechtsverletzungen ist nichts, wie es vorher war.
Aber Ortega fühlt sich stark genug, die Forderung nach einem Dialog zu ignorieren.
Die Regierung schadet sich mit ihrem Vorgehen vor allem selbst. Zum Beispiel, wenn Polizisten und Paramilitärs willkürlich Leute festnehmen, als puren Akt der Bestrafung für deren oppositionelle Aktivitäten. Es wird immer offensichtlicher, dass die Justiz komplett von der Familie Ortega kontrolliert wird. Sie ist nicht unabhängig und erfüllt ihre Aufgabe nicht. Daniels Glaubwürdigkeit wird dadurch zunehmend geringer.
Die Alianza Cívica setzt sich aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zusammen: Studenten, Bauernverbände, Unternehmer, Feministinnen. Ist das ein tragfähiges Bündnis, das sich gegen ein autoritäres Regime durchsetzen kann?
Die Stärke der Alianza Cívica ist, dass sie aus verschiedenen Ansätzen heraus gemeinsame politische Ziele definiert hat. Sie vertritt keine Forderungen der einzelnen Organisationen. Daniel Ortega ist davon ausgegangen, dass die gesellschaftlichen Sektoren nicht zusammenkommen. Mit der Gründung der Alianza Cívica hat er nicht gerechnet. Das fällt ihm jetzt auf die Füße.
Sie sind ziemlich optimistisch…
Wir haben große Erfolg zu verzeichnen: Wir kommen gut miteinander voran und haben klargestellt, dass es in Nicaragua eine andere Sichtweise gibt als die der Regierung. Und wir haben eine eigene Agenda etabliert. Nun gilt es, sie durchzusetzen: die Freilassung der politischen Gefangenen, die Entwaffnung der paramilitärischen Einheiten und natürlich die Absetzung Ortegas von seinem Amt, konkret durch vorgezogene Wahlen.
Ortega wird seine Macht nicht freiwillig abgeben. Drohen bewaffnete Auseinandersetzungen?
Das ist das, was er provozieren will, aber wie gesagt handelt es sich um eine friedliche Bewegung. Nach dem Krieg gegen den Diktator Somoza in den 1970er Jahren und dem Kampf gegen die Contras in den 1980ern gibt es in der Bevölkerung eine enorme Ablehnung der Gewalt. Gerade gegen die Contras hat es viele Tote auf beiden Seiten gegeben. Niemand will noch einmal eine solche Barbarei. Auch deshalb war das brutale Vorgehen des Regimes ein großer Schock.
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