Ortega unter Druck

(Mexiko-Stadt, 7. März 2022, npla).- Seit 15 Jahren ist Daniel Ortega, der ehemalige Führer der sandinistischen Revolution von 1979, zurück an der Macht. Zunächst durchaus mit dem Wohlwollen von Nicaraguas Unternehmer*innen und der katholischen Kirche. Seit der blutigen Niederschlagung der Proteste vor vier Jahren und der Verhaftungswelle im Vorfeld seiner Wiederwahl im November gibt Nicaragua zunehmend das Bild einer Familiendiktatur ab. In den letzten Februarwochen 2022 wurden mehrere Studentenführer*innen und Dissident*innen wegen Verschwörung zu langen Haftstrafen verurteilt, die Regierung schließt mit einem guten Dutzend Universitäten weitere Einrichtungen der Zivilgesellschaft. Der Tod eines ehemaligen Guerillakommandanten in Haft könnte dem Präsidentenpaar jedoch gefährlich werden.

Yaritza Mairena lebt im Exil. Die Studentenführerin ist vor der Diktatur des ehemaligen Revolutionsführers Daniel Ortega und seiner Ehefrau, der mächtigen Vizepräsidentin Rosario Murillo aus Nicaragua ins benachbarte Costa Rica geflüchtet. Die 24-jährige teilt damit das Schicksal von Zehntausenden im Land. Die Verfolgung von Dissident*innen, speziell von Studierenden kennt sie aus eigener Erfahrung, auch die Haftbedingungen:

„Wir, zwanzig Frauen, waren in einer Zelle von etwa 4×8 Metern untergebracht. Die Bedingungen für die Männer sind noch schlimmer, da hat man 300 Oppositionelle in einer Halle eingepfercht. Die sanitären Anlagen sind völlig vernachlässigt, es gibt Kakerlaken, Insekten und Ratten, wegen der Überfüllung. Es gibt keine medizinische Versorgung. Ich brauchte wegen meiner Nierenerkrankung medizinische Betreuung, die mir verweigert wurde, genau wie zwei weiteren Frauen, eine hatte Krebs hatte und die andere eine Darmkrankheit.“

Gerade in diesen Wochen kämpft Yaritza weiter gegen die Repression in ihrem Heimatland: Am 10. Februar verurteilten Gerichte die ersten 18 von 46 im Vorfeld der letztjährigen Wahlen verhafteten Oppositionellen zu teils langjährigen Haftstrafen. Zu 13 Jahren Haft den heute 24-Jährigen Studenten Lesther Alemán, der Daniel Ortega nach der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste 2018 öffentlich und ins Gesicht als Mörder bezeichnet und zum Rücktritt aufgefordert hatte.

Hartes Vorgehen gegen Frauen

Zu acht Jahren die 65-Jährige Dora María Téllez, als Comandante Dos höchst erfolgreiche Revolutionsheldin, zur Zeit der sandinistischen Revolutionsregierung elf Jahre lang Gesundheitsministerin – und seit vielen Jahren scharfe Kritikerin Ortegas. Téllez wurde im Juni 2021 vom Regime verhaftet. Immer wieder hatte sie Ortega als Verräter an sandinistischen Idealen und als Diktator bezeichnet.

Besonders hart scheint das Regime gegen Frauen vorzugehen, zumal wenn sie sandinistische Dissidentinnen sind, wie Ana Margarita Vijil und Suyén Barahona. Sie wurden zu zehn, respektive 15 Jahren Haft verurteilt. Gerade begann der Prozess gegen Cristiana Chamorro, Tochter von Expräsidentin Violeta Chamorro. Das Regime hatte Chamorro, die Ortega bei den Wahlen im November 2021 herausfordern wollte, im Juni verhaften lassen. Die Verurteilung der 68-Jährigen könnte noch deftiger ausfallen, warnt ihr Anwalt, denn als ehemalige Leiterin der Stiftung Violeta Barrios de Chamorro ist sie unter anderem der Geldwäsche angeklagt.

Grundlage für die Verhaftungen und Verurteilungen sind drei Gesetze, beschlossen 2020, mit dem das Regime Ortega-Murillo vor allem im Vorfeld der Wahlen letzten November gegen Oppositionelle, Protestierende und soziale Medien vorgehen konnte. Das „Gesetz zur Regulierung ausländischer Agenten“ stellt unter Strafe, wenn NGOs und Privatpersonen Gelder aus dem Ausland erhalten, ohne sich dies zuvor vom Innenministerium genehmigen zu lassen. Das „Sondergesetz zur Cyberkriminalität“ bedroht mit langjährigen Haftstrafen die Veröffentlichung vertraulicher staatlicher Informationen – oder Menschen, die unter Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien falsche oder verzerrte Informationen veröffentlichen oder verbreiten, wenn diese Alarmstimmung, Angst und Unruhe in der Bevölkerung auslösen können. Verhaftungen und Verurteilungen gab es auch wegen Verschwörung auf Basis des Ende 2020 beschlossenen „Gesetzes zur Verteidigung der Rechte auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung“.

177 politischen Gefangenen drohen Schauprozesse

Die Seite presasypresospoliticosnicaragua.org zählte Ende Januar 177 politische Gefangene, die mittlerweile 33 Verurteilungen nennt die Anwältin und Menschenrechtlerin Vilma Núñez Schauprozesse. Die Gerichte seien instrumentalisiert und in außergerichtliche Folterzentren verwandelt worden. Ziel dieser Politik sei die Vernichtung von Andersdenkenden: „Ich fürchte, wir müssen damit rechnen, dass es bald auch zu Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen durch Ortegas Truppen kommt. Wir haben es hier es mit einem Terrorregime zu tun.“

Erst am 3. März wurden weitere Gegner*innen Ortegas zu Haftstrafen verurteilt, unter anderem traf es drei weitere Oppositionspolitiker, die bei den letztjährigen Novemberwahlen gegen Ortega antreten wollten: Arturo Cruz, Félix Maradiaga und Juan Sebastián Chamorro, letzterer Vetter von Cristiana Chamorro. Die Verleger-Familie war lange Zeit Verbündete der Sandinist*innen in der nicaraguanischen Revolution gegen den damaligen Diktator Anastasio Somoza. Der Journalist und Herausgeber der wichtigsten Tageszeitung La Prensa, Pedro Joaquín Chamorro, war 1977, ein Jahr vor der Revolution, ermordet worden. Das Bündnis mit Ortega zerbrach schon 1980, Chamorros Witwe Violeta gewann 1990 unerwartet gegen Ortega die Präsidentschaftswahl. 2021 wusste Ortega vergleichbares zu verhindern.

Ortega trotz Wiederwahl unversöhnlich

Mit Tamara Dávila und Violeta Granera wurden am 3. März zwei weitere Frauen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Trotz der von Verhaftungen und Manipulationsvorwürfen überschatteten Wiederwahl von Daniel Ortega und Ehefrau Rosario Murillo als Vizepräsidentin hat die Repression also nicht nachgelassen. Daniel Ortega gab sich auch bei seiner erneuten Vereidigung unversöhnlich, bezeichnete die Gefangenen als heimatlose „Hurensöhne der Yankee-Imperialisten“.

Doch am 12. Februar starb der hoch angesehene, ehemalige sandinistische General Hugo Torres in Haft. Der Tod des 73-Jährigen Dissidenten hat Entsetzen und Empörung ausgelöst, bis in das familiäre Umfeld des Präsidenten. Daniel Ortegas Bruder Humberto, nach der Revolution erster Armeekommandant, bezeichnete Torres‘ Tod als „Schande“ und forderte von seinem Bruder die Freilassung aller politischen Gefangenen. Zwar ließ das Regime als Reaktion drei gesundheitlich angeschlagene Gefangene in Hausarrest verlegen; dennoch meint Alberto Cortés, Politikprofessor an der Universität von Costa Rica und langjähriger Nicaragua-Experte, Ortega könnte den Bogen überspannt haben:

„Humberto Ortega genießt in Teilen der Armee bis heute hohes Ansehen. Ich sehe die Möglichkeit, dass Teile des Ortega-Lagers erkennen, dass der Weg des Präsidentenpaares Selbstmord ist. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass in Teilen der Armee Unmut entsteht. Auf der anderen Seite geht es vielen einfachen Anhängern heute schlecht, im Gegensatz zur sandinistischen Elite, die zunehmend kleiner und entrückter wirkt.“

Private Universitäten geschlossen

Nachdem die Regierung bereits in den letzten Jahren zahlreiche politische Parteien und NGOs schließen ließ, konfiszierte sie Mitte Februar vierzehn private Universitäten. Und die renommierte jesuitische Universität UCA, seit Jahrzehnten ein Zentrum des freien Denkens, diffamierte der sandinistische Abgeordnete Wilfredo Navarro bereits als Zentrum des Terrorismus und der Desinformation. Gelingt es dem Regime Ortega-Murillo mit der Schließung der letzten zivilgesellschaftlichen Räume seine Macht zu festigen? Immerhin sind laut der Studentenführerin Yaritza Mairena in den letzten Jahren weit mehr als tausend Studierende ihrer Unis verwiesen worden, die Lehrendenvereinigung sei komplett auf Ortega-Linie gebracht worden und die sandinistischen Jugend schüchtere regelmäßig Studierende ein.

Politikwissenschaftler Alberto Cortés sieht in Ortegas Angriff auf die Unis, wie schon zuvor auf NGOs und Parteien, eher ein Zeichen von Schwäche: „Ortega will sich einen demokratischen Anstrich geben. Deswegen hat er ja im letzten Jahr Wahlen abgehalten, deswegen gibt es ja auf dem Papier auch noch alle demokratischen Institutionen. Aber allen ist klar: Universitäten zu schließen, das machen autoritäre Regime, die fürchten, die Zivilgesellschaft nicht mehr kontrollieren zu können.“

Unklare Haltung zu Russland

Nicaraguas Nationalversammlung hatte Präsident Ortega nach den skandalösen Novemberwahlen aufgefordert, aus der OAS, der Organisation Amerikanischer Staaten, auszutreten, da die Organisation mit ihrem Vorsitzenden Luis Almagro die Wahlen als „nicht frei, nicht gerecht, intransparent und illegitim“ bezeichnet hatte. Nicht nur der nicaraguanischen Regierung gilt die OAS als Befehlsempfängerin Washingtons, oder, wie die Nationalversammlung in ihrer Resolution schreibt, als (Washingtons) „Kolonialministerium“. Außerhalb Nicaraguas wird dagegen der Rauswurf des Landes nicht nur aus der OAS, sondern auch aus dem Freihandelsabkommen CAFTA diskutiert. Auch außenpolitisch steht Ortega also zunehmend isoliert da.

Vor dem Beginn des Ukraine-Krieges suchte Ortega den Schulterschluss mit Russland. Erst Mitte Februar war eine hochrangige Delegation um den stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Yuri Borísov im Land. Unmittelbar nach Vladimir Putins Anerkennung der beiden ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk versicherte Ortega diesem seine Unterstützung. Allerdings stimmte Nicaragua nicht gegen die Resolution der UNO-Vollversammlung zur Verurteilung des russischen Einmarsch in die Ukraine sondern enthielt sich, ebenso wie Bolivien, Kuba und El Salvador. Vielleicht ein Versuch der Schadensbegrenzung. Alberto Cortés hält nämlich zumindest mittelfristig weder Peking, und noch weniger Moskau für in der Lage, die wirtschaftlichen Konsequenzen einer weiteren Isolierung Nicaraguas in der Region aufzufangen. Und die viel diskutierte Zeitenwende, die der russische Angriffskrieg einläuten könnte, wird Ortegas Position in Nicaragua und der Region sicherlich nicht entspannter werden lassen.

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