Gatillo fácil. Der rassistische Mord an José Delfín Acosta Martínez

(Berlin, 05. Oktober 2023, npla).- Buenos Aires, 5.4.1996: Die argentinische Polizei erschlägt den uruguayischen Staatsbürger José Delfín Acosta Martínez. Die Hintergründe des Gatillo fácil: José Delfín, selbst afrikanischer Abstammung, hatte Schwarze Menschen gegen Polizeigewalt verteidigt und die Beamten mit ihrem Rassismus konfrontiert. 24 Jahre später kommt der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) zu dem Schluss, dass der argentinische Staat sich der Verletzung verschiedener internationaler Rechte schuldig gemacht und damit den Tod von José Delfín Acosta Martínez schuldhaft herbeigeführt hat. Das Motiv: Rassismus. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) erklärte, der dem Opfer auferlegte Freiheitsentzug habe auf rassistischen Stereotypen basiert und sei daher als rechtswidrig, willkürlich und diskriminierend zu betrachten; die Polizei sei mit ihrem Handeln einer Gesetzgebung gefolgt, die nicht der gängigen Norm entspreche.

Der Mord

Karfreitag, 5. April 1996, in den frühen Morgenstunden. José Delfín kommt von einer Party und begibt sich in ein Café in der Innenstadt von Buenos Aires, um zu frühstücken. Von dort beobachtet er, wie die Polizei zwei ihm unbekannte junge Afrobrasilianer schikaniert, und mischt sich ein. Als er gegenüber den Beamten die geltenden internationalen Menschenrechtsverträge erwähnt, wird er ebenfalls verhaftet. Man schafft ihn auf das 5. Kommissariat, legt ihm Handschellen an. Mehrere Polizisten traktieren ihn mit Tritten und Stöcken, bis er an den Schlägen stirbt. Sein Bruder Ángel Acosta schilderte die Situation gegenüber dem Radiosender Matraca. „Er hat sich eingemischt und der Polizei gesagt, dass sie diese Menschen nicht einfach wegen ihrer Hautfarbe verhaften können, und dass sie aufhören sollen, Menschen schlecht zu behandeln, weil sie Schwarz sind. Daraufhin fragt ihn der Polizist: „Und wer sind Sie?“ José antwortet: „Ich bin Uruguayer, und ich bin legal in diesem Land“ und zeigt ihnen seinen Personalausweis. Der Polizist wirft ihn auf den Boden, José besteht darauf, dass er ihn wieder aufhebt. Da wurde der Polizist richtig sauer und hat ihn in den Streifenwagen verfrachtet. Danach wurde José Delfín nicht mehr lebend gesehen.“

 Der Kampf um Gerechtigkeit

Seither forderten José Delfíns Mutter und sein Bruder Gerechtigkeit, jedoch ohne großen Erfolg. Von Anfang an gab es Unregelmäßigkeiten; nach 30 Tagen wurde das Verfahren eingestellt. Josés Familie ließ seine Leiche auf eigene Kosten nach Uruguay bringen, um eine zweite Autopsie zu veranlassen, offensichtlich fehlten mehrere Organe. Die Familie blieb beharrlich und wartete jahrelang auf das Ergebnis. Im Jahr 2002 waren alle juristischen und gerichtlichen Instanzen ausgeschöpft, zugleich hatte Josés Bruder Ángel Acosta Martínez Morddrohungen erhalten, sein Telefon wurde abgehört, und mehr als einmal musste er sich gegen körperliche Angriffe zur Wehr setzen. Also sah er sich schließlich gezwungen, ins Ausland zu gehen und den Fall vor die Interamerikanischen Menschenrechtskommission der OAS in Washington zu bringen. Ángel erinnert sich noch gut an diese Zeit: „2004 verließ ich Argentinien und ging ins Exil. In den Jahren davor wurde ich insgesamt sechsmal von Unbekannten angefahren, mein Telefon wurde abgehört, meine Mutter, meine Freunde, die Zeugen und ich, wir alle erhielen Morddrohungen.“

Wer war José Delfín Acosta Martínez?

Die Brüder José Delfín und Ángel Acosta Martínez wurden in eine traditionelle Afro-Familie in Uruguay hineingeboren, die Candombe-Trommeln herstellte und sich für den Erhalt ihrer Kultur und ihre Weitergabe einsetzte. Als Candomberos erlebten sie auch innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft Diskriminierung. Nach zahlreichen rassistischen Erfahrungen und Verhaftungen wegen ihrer Hautfarbe gingen sie 1982 nach Argentinien. Zu diesem Zeitpunkt herrschten in beiden Ländern Militärdiktaturen, zugleich war es die Zeit des Falklandkriegs im Südatlantik.

Ángel erzählt: „Ich stamme aus einer sehr traditionellen afrikanischen Trommlerfamilie. Aufgewachsen bin in der Familie meines Vaters. Mein Großvater José Francisco Acosta, genannt Quico Acosta, stellte die Trommeln her, die heute für den Candombe bekannt sind. Bei ihm lernte eine lange Reihe von Kunsthandwerkern, darunter Juan Velorio und viele andere. […] Mein Vater hieß Miguel Ángel Acosta Baquero, sie nannten ihn Chiche. Er sang im Orchester der Indiana Jazz Pals und kam mit Panchito Nolé nach Argentinien. Mein Vater war Candombero, Musiker und Sänger, er ist auch mit Lagrima Ríos aufgetreten.“ Lagrima Ríos (1925-2006) war eine uruguayische Tango- und Candombe-Sängerin afrikanischer Abstammung. Sie gilt als die erste schwarze Tangosängerin vom Rio de la Plata. Ríos war Präsidentin der Organisation Mundo Afro Uruguay und nahm als uruguayische Vertreterin an internationalen Festivals und antirassistischen Kongressen teil.

José Delfín war als Liedermacher, Tänzer, soziokultureller Förderer und Kämpfer für die Menschenrechte seiner afro-argentinischen Gemeinschaft aktiv. In Buenos Aires hatten die Brüder José und Ángel begonnen, sich gegen Rassismus zu engagieren. 1983 gründeten sie zusammen mit Diego „Bonga“ Martínez die Organisation Grupo Cultural Afro. Die Initiative sollte die verschiedenen afrikanischen Einflüsse in Argentinien sichtbar machen und die Öffentlichkeit über die Existenz der Afro-Argentinier*innen aufklären. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung durch die Polizei studierte José Tango an der Universidad del Tango in Buenos Aires. Zwei Wochen später wäre er 33 Jahre alt geworden.

„Auch die Menschen in Europa müssen erfahren, was meinem Bruder passiert ist“

José Delfín wurde nicht nur wegen seiner Hautfarbe ermordet, sondern auch, weil er zwei Afroamerikaner gegenüber der Polizei verteidigte, da ist sich Ángel Acosta Martínez sicher. Die Polizei war offensichtlich verärgert darüber, dass ein Schwarzer sie mit ihrem rassistischen Verhalten konfrontiert. Es sei wichtig, den Fall José Delfín bekannt zu machen, meint Ángel: „Ich habe dafür gesorgt, dass die Wahrheit bekannt wird, das ist das Allerwichtigste, denn das kann helfen, dass sich solche Dinge nicht wiederholen. Was meinem Bruder passiert ist, könnte auch jeder anderen Person passieren. Deshalb müssen auch die Organisationen Schwarzer Menschen in Europa davon erfahren. Sie sollen wissen, was ich als Kläger und Angehöriger zu sagen habe und welche rechtlichen Schwierigkeiten der Gerechtigkeit im Weg stehen.“ Im Jahr 2023 ist das Verfahren noch offen, der argentinische Staat ist noch dabei, dem Urteil des internationalen Gerichts nachzukommen. Dies ist das erste Mal, dass der Menschengerichtshof einen Fall von rassistischer Diskriminierung als Menschenrechtsverletzung ahndet. Bis heute, 27 Jahre nach der Ermordung von José Delfín Acosta Martínez, Schwarzer Aktivist vom Río de la Plata, ist noch immer niemand für die rassistische Gewalttat verurteilt worden. Straflosigkeit, Vertuschung und Rassismus sind in Argentinien immer noch in Kraft.

Zum Mord an José Delfín Acosta Martínez gibt’s auch einen Audiobeitrag in spanischer und deutscher Sprache.

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