Vox als Scharnier der extremen Rechten zwischen Europa, Lateinamerika, USA

Vox extreme Rechte Scharbier zwischen Europa Lateinamerika USA
Miquel Ramos, Musiker und Autor
Foto: Iván Giménez
Mit freundlicher Genehmigung von M. Ramos

(Berlin, 20. Juli 2023, nd/npla).  Bei der Parlamentswahl am 23.7. in Spanien konnte der konservative Partido Popular (PP) einen knappen Wahlsieg erringen, die extrem rechte Vox geht geschwächt aus den Wahlen hervor. Ute Löhning sprach darüber und über die internationale Bedeutung dieser Partei mit Miquel Ramos, Musiker und Autor aus Valencia.

Sie recherchieren viel zu der extrem rechten Vox-Partei in Spanien. Wann und wie ist diese Partei entstanden, deren Name auf Lateinisch »Stimme« bedeutet?

Entstanden ist die Vox bereits 2013 aus dem Inneren des Partido Popular (Volkspartei) heraus. Vom PP stammen auch die führenden Köpfe von Vox. Die Gründung war das Ergebnis einer neo-konservativen Revolte innerhalb der spanischen Rechten ab Mitte der 2000er Jahre. Wir sprechen von der Neocon-Revolte. Im Rahmen dieser Kampagne beschuldigten einige in der spanischen Rechten Teile des PP, zu schwach gegen die damalige Regierung des Sozialdemokraten José Luis Zapatero (PSOE) vorzugehen. Dabei ging es um Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung, um sexuelle und reproduktive Rechte wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, auch um die historische Erinnerung an den Franquismus.

Vox hat keine direkte faschistische Vorgängerpartei?

Nein. Bei Vox handelt es sich nicht um eine historische Formation von Faschisten, es gab Anfang der 2010er Jahre in Spanien – ebenso wie in Portugal – keine institutionalisierte rechtsextreme Partei. Vox entstammt wie gesagt dem PP, der seit dem Tod Francos 1975 die gesamte Rechte vom Zentrum bis zur extremen Rechten vereinte. Nach der Gründung von Vox sammelten sich dort einige extrem Rechte, andere blieben zunächst aber noch innerhalb der PP beheimatet.

Wie kam es dazu, dass Vox ein paar Jahre später größere Bedeutung erlangt hat?

Ab 2017, 2018 schlossen sich ihr viele Leute an, darunter auch viele Faschisten und einige Nazis. Vox erschien als ein Novum, die Entwicklung war auch getrieben von der internationalen Entwicklung, von Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien und auch von der extremen Rechten in Europa, von Orbán in Ungarn, Marine Le Pen in Frankreich, der AfD in Deutschland. Dieser Kontext begünstigte das Erstarken von Vox.

Welche Rolle spielte die erstarkende Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien?

Das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1.10.2017 war wichtig. Dabei profitierte die extreme Rechte von dem nationalistischen spanischen Diskurs, mit dem die Behörden und Teile der Gesellschaft die Repressalien gegen die Unabhängigkeitsbewegung rechtfertigten. Einer der wichtigsten Vox-Politiker ist der Anwalt Javier Ortega-Smith. Er prozessierte gegen führende Vertreter*innen der Unabhängigkeitsbewegung, die später verurteilt wurden. Dadurch war Vox sehr präsent in den Medien und konnte ihre Position in der spanischen Rechten stärken.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt das Programm von Vox?

Die Partei ist einerseits sehr stark von dem ultrakatholischen und nationalistischen Erbe der Franco-Diktatur geprägt und pflegt andererseits einen ausgeprägten anti-linken und antikommunistischen Diskurs. Wenn sie von Kommunismus sprechen, greifen sie alle von der Sozialdemokratie bis zur radikalen Linken an. Vox steht für Nationalismus, Antifeminismus, Migrationsfeindlichkeit. Die Partei ist neoliberal und hat in der Wirtschaftspolitik keine Unterschiede zur Partido Popular.

Wie positioniert sich Vox zur Migration?

Es kommt sehr auf die Herkunft der Migrant*innen an. Vox interessiert sich sehr für Lateinamerikaner*innen in Spanien und versucht, diese anzusprechen. Wenn die Partei migrationsfeindliche Botschaften verbreitet, bezieht sie sich damit auf die Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten. Migration aus Lateinamerika nach Spanien wird aufgrund historischer, sprachlicher, kultureller und sonstiger Bindungen eher befürwortet.

Vox spielt international eine bedeutende Rolle. In welche europäischen Staaten unterhält die Partei die engsten Beziehungen?

Auf europäischer Ebene sehe ich wegen der ideologischen Nähe die stärksten Verbindungen zur PIS in Polen und zu Orban in Ungarn. Sie beobachten und kopieren aber auch die Strategien und Kampagnen von Le Pen in Fankreich und von der Chega in Portugal. Zur AfD in Deutschland, zu Wilders in den Niederlanden und zur extremen Rechten in Schweden sind die Beziehungen weniger direkt.

Wie steht es um Kontakte nach Russland?
In Bezug auf Russland und den Krieg gegen die Ukraine ist die Vox Partei uneins. Ein Teil sympathisiert eher mit Russland, ein anderer Teil eher mit der Ukraine oder der NATO.

… und außerhalb Europas?
Außerhalb Europas haben sie sich zuerst an den USA orientiert, haben sich dort mit Trump und seiner ganzen ultra-rechten Clique und mit Steve Bannon getroffen.

Schon sehr lange hat Vox auch sehr stark nach Lateinamerika geschaut, vom lateinamerikanischen ultrarechten Populismus gelernt und diesen nach Spanien übertragen. Aus Lateinamerika wiederum blicken Rechte auch nach Europa, speziell nach Sp, auch dass anien und orientieren sich am Diskurs und an den Organisationsformen der spanischen extremen Rechten.
Außerdem unterhält Vox auch gute Beziehungen zu fundamentalistisch religiösen Bewegungen in Lateinamerika und zu Angehörigen der ultrakatholischen extrem rechten Gruppierung „El Yunque“, einer Art Sekte in Mexiko, die verdeckt agiert. „El Yunque“ ist in mehreren Ländern aktiv, auch in Spanien. Einige dieser Organisationen machen Kampagnen gegen das Recht auf Abtreibung und verschickten im Frühjahr 2022 in Tüten eingepackte Plastikföten an EU-Abgeordnete.
Manche dieser Gruppierungen unterhalten auch Beziehungen in die USA, z.B. zu dem ultrakonservativen Thinktank Phoenix Institute. Viele dieser Organisationen bekommen auch Geld von dem fundamentalistischen russischen Oligarchen Malofejew, der viele Kampagnen in verschiedenen Ländern finanziert hat.

Wie funktioniert die internationale Kommunikation, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit von Vox?
Das Netzwerk rund um Vox besteht nicht nur aus dem Parteivorsitzenden Santiago Abascal und seinen Kontakten. Sehr wichtig sind auch Youtubers, Influencer:innen, Medienschaffende. Es geht um einen Kulturkampf und darein fließt viel Geld. VOX erhält als Partei mit 52 Abgeordneten Geld, das fließt auch in die Parteistiftung Disenso. Diese vergibt Stipendien und bietet Qualifizierungen an, um die neue politische Elite ihres Spektrums auszubilden.
2020 hat die Disenso eine Zeitung namens „La Gaceta“ gekauft. Mit Blick auf das lateinamerikanische Publikum haben sie sie umbenannt zu „La Gaceta de la Iberosfera“ (Zeitung der Ibero-Sphäre) und haben damit ihr Publikum in spanisch-sprachigen Ländern vergrößert. Sie sind sich bewusst, dass die Sprache ein Einfallstor für ihre Ideen in Lateinamerika ist und dass sich dabei auch Synergieeffekte ergeben.

Bildet Vox für die extreme Rechte also eine Brücke zwischen Europa und Lateinamerika?
Ohne jeden Zweifel, die Verbindungen sind offensichtlich. Da Vox auch sehr gute Beziehungen zur extremen Rechten in Nordamerika hat, die ebenfalls ständig ein Auge auf Lateinamerika hat, sehe ich es als eine Art Dreieck aus Europa, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika an.

Um welche Länder oder Gruppierungen oder Personen geht es konkret in Lateinamerika?
Ein sehr wichtiger Bezugspunkt für Vox ist Jair Bolsonaro und der Bolsonarismo in Brasilien. Wir sehen viele Parallelen in Reden und Kampagnen. Es gibt gute Kontakte und gegenseitige Besuche, sie verstehen sich und lernen voneinander. Vox kooperiert mit den erstarkenden extrem rechten Politikern José Antonio Kast in Chile und Javier Milei in Argentinien. Die Partei unterstützt Diskurse gegen Gustavo Petro in Kolumbien, gegen Andrés Manuel López Obrador in Mexiko. Im Februar 2022 hat Vox einen Kongress zur Vernetzung der extremen Rechten „Foro de Madrid“ in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá organisiert.

Wie sind die Beziehungen von Vox nach Chile und zu dem extrem rechten José Antonio Kast von der Republikanischen Partei?
Im Präsidentschaftswahlkampf Ende 2021 haben Vox und die rechtskonservative Zeitung „La Gaceta“ von der Parteistiftung Disenso den extrem rechten Kandidaten José Antonio Kast unterstützt. Kast sei dem Narrativ von Vox zufolge der einzige Kandidat gewesen, der den Kommunismus in Chile stoppen könnte. Damit war das Linksbündnis aus Frente Amplio und Kommunistischer Partei gemeint. Deren Kandidat Gabriel Boric [inzwischen Präsident Chiles] und alle Bewegungen, die ihn unterstützen, wurden von Vox als kriminell dargestellt. Vox-Vertreter:innen zogen sogar eine Parallele zu Salvador Allende (sozialistischer Präsident Chiles 1970-1973), den sie ebenso als Katastrophe für die Nation bezeichneten. Um das Land wieder auf den richtigen Weg zu bringen, sei der Putsch 1973 daher nötig gewesen.

… ein Diskurs, den auch die extremen Rechte in Chile pflegt …
Denselben Diskurs führt Vox auch zum spanischen Bürgerkrieg. Sie beschreiben die spanische Republik (1931 bis 1936 bzw. 1939) als eine Katastrophensituation, in der jemand Ordnung schaffen musste. Und das sei dann durch den Staatsstreich und den Bürgerkrieg (1936 bis 1939) geschehen, unterstützt von deutschen Nazis und italienischen Faschisten. Vox-Vertreter:innen halten diese Rhetorik, diese Diskurse immer noch aufrecht.

Vox hat auch schon versucht, Informationen über Gruppen und Bewegungen der spanischen Linken einzuholen, und diese aufgrund ihrer Beziehungen zur lateinamerikanischen Linken zu kriminalisieren. Wie läuft das ab?
Seit der Gründung der linken Partei Podemos in Spanien wurde diese der Unterstützung der Regierungen von Venezuela und Kuba bezichtigt. Es wurde Gerüchte verbreitet, Podemos wolle venezolanische Verhältnisse in Spanien schaffen, „uns verhungern lassen“ und „unsere Unternehmen berauben“. Diese antikommunistische Rhetorik war voller Klischees. Am Ende haben wir darüber sogar Witze machten. Aber es hat funktioniert, weil viele Leute wirklich glaubten, dass Podemos die Diktatur des Proletariats nach Spanien bringen würde. Allerdings war das als Thema nicht nur in der extremen Rechten, sondern allgemein in den spanischen Medien präsent. Viele spanische Medien reproduzieren regelmäßig die Frames, also die Bilder und Wertungen der extremen Rechten, ohne diese direkt zu erwähnen.

Werden dabei Fake News oder Falschaussagen verwendet?
Viele, sehr viele. Bei der größten Kampagne wurden Meldungen verbreitet, die Mitglieder von Podemos mit angeblichen Bankkonten mit Geldern aus Venezuela in Verbindung brachten. Nach dem Vorbild der Kriminalisierung lateinamerikanischer Linker sollte auch die spanische Linke kriminalisiert werden. Diese ganze Kampagne hat sich schließlich als falsch erwiesen. Und sie kam direkt aus den „Kloaken des Staates“, wie wir es nennen, d. h. von Leuten, die mit der Polizei und den Geheimdiensten in Verbindung stehen. Das war ein echter Skandal. Und es gab auch Journalisten, die wussten, dass das alles falsch war und es dennoch veröffentlichten.

Ist Vox in Spanien weiter auf dem Vormarsch?

Es ist noch nicht klar abzusehen, ob es für Vox aufwärts oder abwärts geht und welche Rolle sie spielen wird. Die Partei ist gerade dabei, sich zu positionieren und zu stabilisieren, ihre Ideen sind bereits angekommen und haben sich normalisiert. Der Erfolg von Vox besteht nicht nur darin, mehr oder weniger Stimmen zu erreichen, sondern auch darin, dass der gesellschaftliche Diskurs und der der anderen Parteien nach rechts verschoben wurden. So hat sich die PP teilweise den Diskurs von Vox zu Eigen gemacht und wirbt um deren Klientel.

Sehen Sie die diesjährigen Lokal- und Regionalwahlen in Spanien als Ausdruck dieser Entwicklung?

Die Lokal- und Regionalwahlen am 28. Mai waren zweifellos ein Erfolg der extremen Rechten, die die PP getrieben und ihre Ausrichtung radikalisiert hat. Vox ging gestärkt aus diesen Wahlen hervor und ist nun an mehreren Regionalregierungen zusammen mit der PP beteiligt. Diese haben sofort angefangen, gegen Geschlechtergleichstellung, gegen die Rechte von LGTBI-Personen mit konkreten Maßnahmen vorzugehen, zum Beispiel wurden Theateraufführungen untersagt oder Abos von katalanischen Zeitschriften in Bibliotheken gekündigt, weil ihre Inhalte, die sich um Diversität drehen, angeblich ungeeignet seien.

Wie bewerten Sie das Ergebnis der spanischen Parlamentswahlen am 23. Juli für Vox?
Vox ist der große Verlierer dieser Wahlen. Sie liegen nun bei zwölf Prozent und haben 19 Sitze im Parlament verloren. Damit verpufft auch ihr Erfolg bei den Regional- und Kommunalwahlen wieder etwas. Die Partido Popular hat es geschafft, einige ihrer Wähler:innen wieder zurückzugewinnen, die zwischenzeitlich zu Vox abgewandert waren.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten, wo die extreme Rechte konstant an Zuwachs gewinnt, schwinden deren Aussichten in Spanien ein wenig – wenngleich die Gefahr nicht gebannt ist. Die Partido Popular muss jetzt sehr gut abwägen, wie sie die bereits bestehenden Regierungsbündnisse mit Vox in mehreren Regionen weiterführen wird. Denn dass Vox kein stabiler Regierungspartner ist und dass sich Koalitionen mit Vox für die PP nicht auszahlen, das haben diese Wahlen deutlich gezeigt.

 

Von Miquel Ramos erschien 2021 in der das Buch: „De los neocón a los neonazis. La derecha radical en el estado español.“ bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Madrid. Übersetzungen ins Deutsche und Englische sind derzeit in Planung.

 

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