Interview mit Miquel Ramos, Autor des Buches „Antifascistas“

Neonazis Franco
Miquel Ramos.
Quelle: Javier Barbancho

(Berlin, 05. November 2023, npla).- NPLA: Miquel Ramos, du hast ein Buch über antifaschistische Gruppen und Aktivitäten in Spanien geschrieben. Worum geht es dabei genau?

Miquel Ramos: Das Buch ist eine kollektive Erzählung verschiedener Personen, die sich im Laufe der Jahre von etwa Mitte der 1980er Jahre bis heute an der antifaschistischen Bewegung in all ihren verschiedenen Formen beteiligt haben. Ich interviewe in dem Buch Menschen aus verschiedenen Städten im ganzen spanischen Staat, aus Madrid, Barcelona, Valencia, Zaragoza, Málaga, auch Menschen aus Euskadi und Galizien, von überall her, und jeder aus einer anderen Generation, aus verschiedenen Zeiten, den 1980ern, den 1990ern, 2000er Jahren. Sie erklären, in welchem Kontext sie den verschiedenen Rechtsextremen gegenüberstanden. Es handelt von einer Generation, die weder das Franco-Regime noch den Übergang vom Franquismus zur Demokratie selbst erlebt hat.

NPLA: Welche Bedeutung hatte die spanische Geschichte, das lang andauernde Franco-Regime (1936 bis 1977) für die Entwicklung faschistischer Gruppen?

MR: In der Einleitung und in den ersten Kapiteln beschreibe ich die Situation Spaniens in den 1980er Jahren. Diese Zeit war geprägt von Straflosigkeit, es gab viele Verbindungen zwischen Vertretern des alten Franco-Regimes und der Polizei, den Richtern, den staatlichen Sicherheitskräften. Der spanische Staat hat terroristische Gruppen finanziert. Es gab Staatsterrorismus, Leute von der extremen Rechten, Söldner, kamen aus Italien oder aus Frankreich und bildeten Teile der GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación/“Antiterroristische Befreiungsgruppen“) und anderer terroristischer Gruppen, die die Linke und Unabhängigkeitsbewegungen attackierten. Ich schreibe auch über das Erbe der Nazis: den Fall des Belgiers Léon Degrelle und auch über Aribert Heim. Während des Franco-Regimes war Spanien ein Rückzugsort für viele deutsceh Nazis. Viele haben dort bis zu ihrem Lebensende Geschäfte gemacht. Einige waren auch beteiligt am Aufbau von nazigruppen wie „Spanischer Kreis der Freunde Europas“ (Círculo Español de Amigos de Europa / CEDADE), und sie haben auch Propaganda verbreitet, die den Holocaust leugnet. Die neuen Nazis, die wir in den 1990er Jahren erlebten, haben viel von den nach Spanien geflüchteten [alten] Nazis gelernt. Eine neue Generation von Rechtsextremen, die sich nicht so sehr mit dem Franquismus, sondern mehr mit den nazistischen Bewegungen in Europa identifiziert, wurde in den 80er und 90er Jahren sehr stark, das waren vor allem nationalrevolutionäre Neonazi-Gruppen und Skinheads. Sie waren sehr gewalttätig auf den Straßen und haben viele Menschen getötet. Später gründeten sie rechtsextreme politische Parteien, wie es sie in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern schon gab. Wegen der Auswirkungen des Franco-Regimes kam das alles in Spanien sehr spät, diese neue extreme Rechte kam erst Mitte, Ende der 1990er Jahre auf, als es sie in anderen Ländern schon seit vielen Jahren gab. In meinem Buch geht es aber vor allem um die Generation von Antifaschist*innen, um Menschen, die sich organisieren, um sich den Neonazi-Banden entgegenzustellen.

NPLA: Beziehst du dich ausschließlich auf linke antifaschistische Bewegungen? Oder auch auf gesamtgesellschaftliche Prozesse, in denen sich z.B. andere demokratische Sektoren beteiligen?

MR: Historisch gesehen war der Antifaschismus in Spanien immer von der Linken getragen, vom Bürgerkrieg bis zum heutigen Tag. Anders als in einigen anderen Ländern gab es bei der spanischen Rechten keine liberalen oder antifaschistischen Traditionen. Die Regierung, die Behörden und die Presse behandeln Faschismus und Antifaschismus immer als zwei Extreme, die sich wie urbane Stämme oder Jugendbanden bekämpfen. Damit leugnen sie die politische Dimension der neonazistischen Gewalt. Die einzigen, die dem Faschismus aktiv entgegentreten, sind die Linken. In den letzten Jahren, seit sich die extreme Rechte, vor allem mit VOX, institutionalisiert hat, verstehen mehr Menschen, dass die extreme Rechte ein Problem für alle Demokrat*innen ist. Aber das ist erst seit etwa fünf Jahre so. Bis dahin hatte sich nur die Linke zum Antifaschismus bekannt. Jetzt gibt es zumindest eine gewisse Sensibilität dafür, dass der Faschismus existiert und ein Problem darstellt. Früher war es so, als gäbe es ihn nicht, weil nur Linke, LGBT-Gruppen, von Rassismus betroffene Migrant*innen und andere vulnerable Gruppen unter der extremen Rechten litten.

NPLA: Du hast erwähnt, dass eine gewisse [antifaschistische] Hegemonie auf der Straße erreicht wurde, wie ist das gelungen?

MR: Dabei geht es nicht um eine vollständige Hegemonie. Aber in manchen Städten ist die Situation sehr kompliziert, weil die Nazis, insbesondere die neonazistischen Straßengruppen, vor allem in den 1990er und in den 2000er Jahre sehr aktiv und sehr gewalttätig waren. Dass das nicht mehr so ist, haben wir antifaschistischen Gruppen zu verdanken, vor allem den militanteren Gruppen, die von der Selbstverteidigung zur Offensive übergegangen sind. Das bedeutet, alle Aktionen der extremen Rechten zu boykottieren, gegen sie zu protestieren, in die Stadtviertel gehen, in denen sie sich aufhalten, um sie anzugreifen. Das hat dazu geführt, dass sich die extreme Rechte mehr und mehr zurückgezogen hat. In Madrid waren in den 1990er Jahren viele Neonazis auf der Straße zu sehen. Dort und auch in Valencia sind sie jetzt zurückhaltender und treten nicht mehr so offen auf. Dazu kam es nach vielen körperliche Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten, aber natürlich haben auch pädagogische Arbeit, Aufklärungsarbeit mit Behörden und mit sozialen Bewegungen und Nachbarschaftsinitiativen dazu beigetragen. Dagegen haben die Medien immer eine problematische Rolle gespielt.

NPLA: Welche Rolle hat der Staat gespielt?

MR: Die staatliche Repression war ein großes Hindernis für antifaschistische Gruppen. Es ist kaum zu glauben, aber obwohl die extreme Rechte vor allem in den 1990er Jahren diese sehr brutale, gewalttätige Kampagne mit vielen Todesopfern gefahren hat, ist der Staat ist immer viel stärker gegen linke Bewegungen vorgegangen als gegen rechtsextreme Gruppen. In meinem Buch beschreibe ich viele Gerichtsverfahren gegen die extreme Rechte und gegen die radikale Linke. Wenn man diese vergleicht, kann man die Haltung und die Aktivitäten des Staates genau analysieren.

NPLA: In Kolumbien passiert etwas Ähnliches. Die extreme Rechte war auf der Straße früher sehr stark sichtbar. Das ist sie jetzt nicht mehr so sehr, aber inzwischen hat sie genauso viel oder sogar noch mehr Einfluss im wirtschaftlichen Bereich.

MR: In meinem Buch beschreibe ich, wie die extreme Rechte in Spanien vor etwa zehn, fünfzehn  Jahren ihre Chance, auf der Straße präsent zu sein, verspielt hat. Mit der Wirtschaftskrise, insbesondere 2007, gab es  eine große Mobilisierung der Linken, der 15 M und aller sozialen Bewegungen. Die extreme Rechte war auf der Straße sehr schwach, sie hatte nicht die Kraft der sozialen Bewegung. Allerdings hatte die neokonservative Rechte diese Kraft. Im Partido Popular (PP) versammelte sich seit dem Tod Francos und seit der Gründung der Partei die gesamte Rechte, von der rechten Mitte bis zur extremen Rechten. Deshalb waren die rechtsextremen Gruppen, die bei den Wahlen antraten, sehr marginal. Es gab keinen Le Pen in Spanien, das kam sehr viel später – mit der VOX-Partei. VOX schafft es, den gesamten rechtsextremen Sektor innerhalb des PP und einige der historischen rechtsextremen, der faschistischen Nazi-Gruppen zusammenzubringen. Die praktischer Orientierten unter ihnen sagen, sie sind dabei, weil die Partei stark ist, auch wenn sie mit manchen Dingen nicht damit einverstanden sind, z.B. damit dass VOX Israel verteidigt, den freien Markt verteidigt usw. Die faschistischen Gruppen der 1990er Jahre haben also kleine Differenzen mit VOX, gleichzeitig haben sie aber viele Übereinstimmungen: beide sind spanisch-nationalistisch, einwanderungsfeindlich, rassistisch, homophob und antifeministisch.

Das Buch „Antifascistas – wie die spanische extreme Rechte seit den 1990er Jahren bekämpft wird“ soll auf Deutsch übersetzt werden und im Verlag Bahoe Books erscheinen. Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann sich gerne an luchaamada@riseup.net wenden.

Buchdeckel von "Antifascistas", über den Kampf gegen die extreme Rechte in Spanien
Antifascistas, Buch über den Kampf gegen die extreme Rechte in Spanien. Miquel Ramos, Quelle: Capitán Swing Libros

Miquel Ramos ist Journalist und Aktivist aus Valencia.

Das Interview in spanischer Sprache findest du hier.

„Antifascistas. Así se combatió a la extrema derecha española desde los años 90“

Miquel Ramos, Capitán Swing Libros, 623 páginas, Español, ISBN: 978-84-124578-0-3

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