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(Buenos Aires, 6.10.2025).- Der Monat September war für den argentinischen Präsidenten Javier Milei nicht gerade erfolgreich: Zum einen waren da die Korruptionsvorwürfe im Nationalen Amt für Menschen mit Behinderungen (ANDIS). Demnach soll diese Behörde bestimmte Medikamente zu überteuerten Preisen eingekauft und drei Prozent aus den Erlösen an Karina Milei, die Schwester des Präsidenten und zugleich Generalsekretärin der Präsidentschaft, weitergeleitet haben. Hinzu kam das schlechte Ergebnis der Regierungspartei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) von Milei bei den Wahlen zum Regionalparlament der Provinz Buenos Aires am 7. September.
Erschwerend für Milei kam eine Großdemonstration gegen Entscheidungen des Präsidenten hinzu. Dieser hatte sein Veto gegen ein vom Kongress bestätigtes Gesetz zur Finanzierung der Universitäten und zur Haushaltsverbesserungen im Bereich der gesundheitlichen Betreuung von Kindern eingelegt. Die Legislative sprach sich angesichts der Proteste mehrheitlich gegen Mileis Sparmaßnahmen in diesen Bereichen aus und hob sein Veto schließlich auf.
Außerdem geriet in den letzten Wochen die Einstufung Argentiniens durch die internationalen Kredit-Ratingagenturen ins Taumeln und rutschte ab. Die internationalen Devisenreserven schmolzen auf Grund der Intervention der Regierung in den Devisenmarkt drastisch. Um den argentinischen Peso zu stützen, der aus der mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarten Bandbreite auszuscheren drohte, intervenierte die Regierung massiv, indem sie argentinische Pesos in großer Anzahl aufkaufte. Dieser Verstoß Mileis gegen die (rechts-)libertäre Lehre, derzufolge der Staat nicht in die Wirtschaft intervenieren darf, führte zu einem Vertrauensbruch an den internationalen Finanzmärkten und erhöhte den Druck auf die Regierung erheblich.
Die größte Herausforderung für die Regierung werden aber die in den nächsten Monaten fälligen Schulden- und Zinstilgungen in Höhe von 8,5 Milliarden US Dollar gegenüber privaten Kreditgebern sein; weitere Zahlungen werden folgen – beispielsweise an internationale Finanzorganisationen – sind aber leichter zu bewältigen. Ohne den Erhalt eines neuen „Rettungspakets” wäre der ultrakapitalistische Regierungschef gezwungen, ein Moratorium, also die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens, zu erklären. Eine größere Katastrophe wäre kaum vorstellbar.
Doch die Lage änderte sich schlagartig während Mileis Reise zur Generalversammlung der Vereinten Nationen nach New York und durch ein dortiges Treffen mit US-Präsident Donald Trump. In seiner Rede vor der UN Generalversammlung sparte Milei nicht mit Lob für das US-amerikanische Regierungsoberhaupt. Gleichzeitig vermied er es, den Völkermord in Gaza zu erwähnen, um seine unzerbrechliche Freundschaft mit Netanjahu fortzusetzen.
Am selben Tag veröffentlichte das Büro des Präsidenten der Republik Argentinien ein Zitat von Donald Trump, der Milei nach dessen Rede seinerseits mit Lob bedachte. „Der hochangesehene Präsident Argentiniens“, so nannte Trump ihn, sei ein “wahrhaft fantastischer und mächtiger Führer, der auf allen Ebenen in Rekordgeschwindigkeit Fortschritte erzielt hat“. Er schrieb ihm eine „Stabilität der Wirtschaft“ zu, die es in Wahrheit nicht gibt, und versprach seinem „engen Verbündeten“ politische Unterstützung.
Nach dem Treffen der beiden Regierungschefs erhielt die argentinische Regierung just zum optimalen Zeitpunkt die Ankündigung einer Hilfeleistung aus den Vereinigten Staaten. Diese beinhaltet ein Rettungspaket in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar und die Möglichkeit, dass das Finanz-, oder das Wirtschaftsministerium der USA, Anleihen auf argentinische Schulden kaufen und dass der argentinische Staat sogar Anleihen zum ausschließlichen Aufkauf durch das US-Finanzministerium ausgeben könnte.
Auf diese politische und finanzielle Rettungsaktion durch Trump folgte sofort die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds. Dieser bekundete in einer Erklärung vorzeitig seine Bereitschaft, die bestehenden Auflagen zu flexibilisieren und die Auszahlungen der nächsten Finanztranche zu beschleunigen, um so die „Wirtschaftsreformen“ der argentinischen Regierung zu unterstützen. Die Weltbank bestätigte ihrerseits ein Notfallhilfepaket, um Haushaltslücken zu schließen und dem Wirtschaftsprogramm der Regierung Luft zu verschaffen.
Der Journalist Marcelo Falak berichtete über das Treffen von Trump und Milei und hob das geopolitische Ordnungsinteresse hinter der Hilfe hervor: „Trump ist sich der Unmöglichkeit bewusst, dass ihn jemand außerhalb seiner radikalisierten Basis liebt. Deshalb begnügt er sich – ganz im Sinne Machiavellis – damit, Angst zu schüren, um ein internationales, politisches und wirtschaftliches System neu zu gestalten, das – entgegen seinen Wünschen – bereits nicht mehr von den Vorgaben dieser Supermacht abhängt.“ Der Feind ist China. Und in diesem Spiel ist Argentinien ein wichtiger Schlüsselakteur in der Region, der sich gegen den kontinentalen Riesen Brasilien stellen kann. Lula, der brasilianische Regierungschef, wird von Trump und Milei heute als die „radikale Linke“ bezeichnet. Wie Falak betont, ist Brasilien, ob es Trump gefällt oder nicht, aufgrund seiner eigenen Größe bedeutsam, und es ist schwierig, Sanktionen wie die von Trump verhängte Erhöhung der Zölle von zehn auf fünfzig Prozent aufrechtzuerhalten.
Die Vereinigten Staaten sind auf die Stabilität der argentinischen Regierung angewiesen. Trump sagte, „die USA werden alles tun was nötig ist“, um Milei zu unterstützen. Aber diese Hilfe ist an Bedingungen geknüpft, die neben den ökonomischen Kosten der steigenden internationalen Verschuldung und den sozialen Kosten der Anpassungsprogramme noch weitere politische Kosten mit sich bringen, die Einschränkungen der nationalen Souveränität und Unterordnung unter geopolitische Interessen der USA bedeuten.
Bei den Parlamentswahlen am 26. Oktober wird die Hälfte der Sitze der Abgeordnetenkammer und ein Drittel des Senats neu gewählt. Danach sollen die von Washington über Finanzminister Scott Bessent gesetzten Leitlinien gelten. Konkret sollen das argentinische Finanzministerium und die Zentralbank ihre Dollarrücklagen erhöhen, den Pesos erneut abwerten und den Haushalt um jeden Preis konsolidieren. Schließlich soll ein politischer Konsens zur Etablierung dieses Wirtschaftssystems hergestellt werden, welches für die Mehrheit der Bevölkerung allerdings nicht tauglich ist.
Ein erneuter Skandal erschüttert die Präsidentschaft Mileis: José Luis Espert, der Kandidat der Regierungspartei La Libertad Avanza für die Provinz Buenos Aires, erhielt eine Überweisung über 200.000 US.Dollar und machte dutzende von Flügen in Flugzeugen des Drogenbarons Fred Machado. Dieser sitzt zur Zeit in Haft, gegen ihn läuft ein Auslieferungsverfahren in die USA. Am 5. Oktober sah sich Espert auf Grund des massiven Drucks gezwungen, seine Kandidatur zurückzuziehen, obwohl Milei bis zum Schluss an ihm festhielt. Die Umfragewerte lassen ein erneutes Debakel für Milei erwarten. Ob er nach dem 26. Oktober einen Ausweg aus seinem eigenen Labyrinth finden wird, ist zunehmend fraglich.
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Die Historikerin Gabriela Mitidieri und der Soziologe Robert Grosse arbeiten bei der argentinischen Menschenrechtsorganisation Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS).
Übersetzung: Ute Löhning.
Text und Übersetzung entstanden im Rahmen des Projekts „Linea B – Researching authoritarian politics between Latin America and Europe“ von CELS und Research Against Global Authoritarianism (ReGA) und erscheint im ReGA-Newsletter, zu abonnieren unter: http://tinyurl.com/3c6h83ny
Milei in seinem eigenen Labyrinth von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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