von Markus Plate
(Berlin, 25. Mai 2012, npl).- José Efraín Ríos Montt gilt als das Symbol für die Gräueltaten des guatemaltekischen Staates während der jahrzehntelangen Militärdiktatur, der in dem kleinen zentralamerikanischen Land geschätzte 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Als Juntachef von 1982 bis 1983 soll er mindestens elf Massaker an indigenen Dorfgemeinschaften befohlen haben. Nun, fast genau dreißig Jahre später, soll Ríos Montt endlich der Prozess gemacht werden.
Am Mittwoch, den 23. Mai, demonstrierten vor dem Obersten Gerichtshof Guatemalas rund 300 Angehörige der indigenen Bevölkerungsmehrheit des kleinen, zentralamerikanischen Landes. Sie fordern Gerechtigkeit für die Gräueltaten, die während der Militärdiktatur von Soldaten und Milizen an Maya-Gemeinden begangen wurden. Auch Juana Sánchez Tom aus der kleinen Gemeinde San Juan Cotzal in der Hochlandprovinz Quiché ist heute hier. Sie schildert den Angriff des Militärs auf ihr Dorf vor fast genau dreißig Jahren: „Am 19. April 1982 sind Soldaten in unser Dorf eingefallen. Sie haben mich in die Kirche verschleppt und dort mich und viele weitere Frauen vergewaltigt.“ Viele Dorfbewohner*innen, Brüder, Schwestern, Nachbar*innen, seien an diesem tag massakriert oder verschleppt worden. Die Soldaten hätten die gesamte Ernte und viele Häuser niedergebrannt. Juana muss auch nach dreißig Jahren noch mit den Tränen ringen: „Warum haben sie das getan? Wir hatten keine Waffen, wir waren arm, wie hatten gar nichts. Wir sind doch nur einfache Bauern.“
Anfang der achtziger Jahre überzogen die Militärs das Land mit einer Politik der verbrannten Erde. Die Armee löschte ganze Maya-Dörfer im Hochland des kleinen zentralamerikanischen Landes aus, weil sie die Indígenas verdächtigten, die Guerilla zu unterstützen. Anhand von Juana Sánchez‘ Dorf San Juan Cotzal und zwei Nachbargemeinden im sogenannten Ixil-Dreieck, im Departement Quiché, versucht die Staatsanwaltschaft heute dem ehemaligen Juntachef Ríos Montt den Tatbestand des Völkermordes nachzuweisen.
Strategie eines geplanten Völkermordes
Francisco Soto vom Menschenrechtszentrum CALDH, das die Hinterbliebenen als Nebenkläger vertritt, fasst die Begründung der Anklage zusammen. Ríos Montt habe als Präsident der Republik und oberster Armeechef die Verantwortung für die sogenannte Aufstandsbekämpfungspolitik gehabt. Dokumente und Aussagen von ehemaligen Offizieren belegten, dass Ríos Montt über die Truppenbewegungen informiert war und die blutigen Offensiven „Victoria ’82“ und „Firmeza ’83“ mitentworfen habe. „Ríos Montt ist somit einer der Erfinder dieser Politik, in deren Folge all diese Massaker begangen wurden.“
Die juristische Aufbereitung des guatemaltekischen Völkermordes hat erst in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht. 2011 sind mit den Generälen López Fuentes und Rodríguez Sánchez zwei hochrangige Vertreter der damaligen Militärjunta verhaftet worden und müssen sich vor Gericht verantworten, mit General Mendoza Garcia ist ein weiterer flüchtig. Efraín Ríos Montt genoss dagegen als Abgeordneter und sogar Kongresspräsident über ein Jahrzehnt lang Immunität. Erst jetzt, nach dem Ende seiner politischen Laufbahn, ist eine Verfolgung des ehemaligen Juntachefs möglich.
Verteidigung versucht Prozessbeginn zu torpedieren
Doch bis zu rechtskräftigen Verurteilungen ist es noch ein weiter Weg. Die Verteidigung der Generäle Rios Montt, López Fuentes und Rodríguez Sánchez sorgt durch Verfassungsbeschwerden und Befangenheitsanträge immer wieder für Verzögerungen des Prozessauftakts. Nur zwei Richter befassen sich in Guatemala überhaupt mit Anklagen dieser Schwere. Die erste Richterin konnten die Verteidiger bereits ausbooten, der aktuelle Richter, Miguel Ángel Gálvez stand am Mittwoch, den 23. Mai auf der Abschussliste. Bis zur Bestellung eines neuen Richters wäre der Prozessbeginn für unbestimmte Zeit vertagt worden. Doch der Befangenheitsantrag der Verteidigung wurde am Mittwoch nachmittag zurückgewiesen.
Ein Schuldspruch wäre laut Francisco Soto ein wichtiges Signal. Zum einen würde den Opfern späte Gerechtigkeit widerfahren. Zum anderen bedeutete eine Verurteilung eine deutliche Stärkung der guatemaltekischen Justiz und ein wichtiger Erfolg gegen die notorische Straflosigkeit in Guatemala. Und nur wenn die Justiz in der Lage sei, solche Verbrechen zu verfolgen, könne es eine Garantie geben, dass sich Derartiges niemals wiederholt. Ein Schuldspruch wäre eine Warnung an die junge Generation von Offizieren, dass sie zur Verantwortung gezogen werden, sollten sie jemals solche Verbrechen begehen.
Späte Gerechtigkeit in Guatemala? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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