„Das Land ist in den Händen eines Soziopathen“

(Berlin, 20. Februar 2022, poonal).- Am 22. Mai 2020 wurde die mehrteilige kolumbianische Doku-Serie „Matarife“ in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. „Matarife“, zu Deutsch „Schlachter“, erzählt detailliert die Verstrickungen des kolumbianischen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und seines politischen Umfelds in zahlreiche Verbrechen der jüngeren kolumbianischen Geschichte. Der Erfolg war enorm, bislang wurde die Serie fast 40 Millionen Mal aufgerufen. Produziert wurde sie von dem kolumbianischen Journalisten, Autor und Kriminologen Daniel Mendoza Leal.

„Das Ziel der Serie war, die kolumbianische Gesellschaft aufzuwecken und sie wütend zu machen“, erläutert Mendoza bei einem Treffen in Hamburg. „Sie sollte die Angst verlieren und klar sagen, wer Álvaro Uribe Vélez ist. Sie sollte ihn als Massenmörder, Paramilitär und Drogenhändler bezeichnen und ich denke, das Ziel wurde vollständig erreicht.“

Uribe soll Paramilitärs unterstützt haben

Der 69-Jährige Álvaro Uribe steht politisch weit rechts. In den 90er Jahren war er Gouverneur der kolumbianischen Unruheprovinz Antioquia; von 2002 bis 2010 war er Präsident Kolumbiens. Er setzte die Militarisierung des Landes weiter fort und versuchte, die Guerilla-Armeen FARC und ELN mit militärischer Gewalt zu besiegen. Seit vielen Jahren werden Uribe und sein engstes politisches Umfeld verdächtigt, rechte paramilitärische Verbände gegründet und unterstützt zu haben, die die Bevölkerung terrorisieren und die für tausendfachen Mord und Millionen von Binnenvertriebenen verantwortlich gemacht werden. Daniel Mendoza forscht seit Jahren zu Uribe und seinem Machtgeflecht:

„Ich habe die Verbindungen untersucht, die es zwischen der kolumbianischen Elite, dem Paramilitarismus und dem Drogenhandel gibt; die verschiedenen Massaker und selektiven Morde, die die narco-paramilitärische und mörderische Regierung verübt hat und die Álvaro Uribe Vélez begründet hat, seit er Gouverneur von Antioquia war. Bis heute regiert und manipuliert er Kolumbien über seine Marionette Ivan Duque.“

Dutzende Ermittlungsverfahren gegen Uribe

Mittlerweile wird gegen Uribe ermittelt, Dutzende Verfahren liegen allein vor dem Obersten Gerichtshof, zwischenzeitlich stand er unter Hausarrest. Doch nachgewiesen ist bislang noch nichts –

was auch daran liegen könnte, dass zahlreiche Zeugen umgebracht wurden. Seinen Posten als Senator für die rechte Regierungspartei Centro Democrático musste Uribe aufgeben, doch verbessert hat sich nach Ansicht von Mendoza noch nichts:

„Kolumbien ist in den Händen eines massenmordenden Soziopathen mit dem Namen Álvaro Uribe Vélez“, urteilt Mendoza über den Strippenzieher der kolumbianischen Politik. „Uribe ist in Kolumbien der Herr über Licht und Schatten. Mit einem Handy ruft er den Präsidenten an, die Senatoren, den Staatsanwalt – und mit dem anderen Handy ruft er die paramilitärischen Águilas Negras an, das Mordkartell Oficina de Envigado, das Golfkartell. Das alles ist erwiesen und so zeigt es auch die Serie.“

Im Gespräch wirkt der 43-Jährige Mendoza müde und aufgekratzt zugleich. Er weiß, sich in Szene zu setzen: Mit dem Bart, den Tattoos und Turnschuhen sieht er eher wie ein Rocker als wie ein Kriminologe aus. In seiner Heimat ist er nicht unumstritten: Unter anderem soll er sich in der Vergangenheit abwertend über Frauen geäußert haben. In der Serie „Matarife“ ist Mendoza selbst der Hauptdarsteller. Detailliert zeigt er auf, wie Kolumbien von einer kleinen kriminellen Elite beherrscht wird, die mit Paramilitärs und dem organisierten Drogenhandel zusammen arbeitet. „Diese Elite Kolumbiens ist zwar sehr klein, aber sie manipuliert und beherrscht die Regierung und das ganze Land“, so Mendoza. Er war früher selbst Teil dieser Elite und sogar Mitglied im exklusiven Club „El Nogal“ in Bogotá, in dem sich die kolumbianische Elite mit Politiker*innen, Paramilitärs und Drogenhändlern traf.

Kolumbien als Spielball einer kriminellen Elite

Gemeinsam mit dem preisgekrönten Investigativjournalisten Gonzalo Guillén begann Mendoza zu recherchieren. Feldforschung, verbunden mit klassischer Ermittlungsarbeit, die er als Anwalt und Kriminologe gelernt hat. Er hat in Archiven gesucht, Gerichtsakten, Zeitungsberichte und Zeugenaussagen ausgewertet. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie in einer eigenen Zeitung, La Nueva Prensa. Die kolumbianische Demokratie, so Mendoza, sei ein „Zombie“, denn: „Die wichtigsten staatlichen Stellen fördern, betreiben und kontrollieren die Aktionen der Paramilitärs und der Drogenkartelle. Die Staatsanwaltschaft ist selbst in großen Teilen für die Geldwäsche aus dem Drogenhandel zuständig. Die Sicherheitskräfte arbeitet mit Paramilitärs und Drogenkartellen zusammen. Und das Gesetz ist dazu da, um den Drogenhandel, den Paramilitarismus und den Genozid zu schützen!“

Die Erkenntnisse über Uribe und sein Umfeld sind erdrückend. Die Fakten sind nicht neu, sie waren nur kaum bekannt. Mendoza und sein Team haben sie nun erstmals gebündelt und mit der Serie einer breiten kolumbianischen Öffentlichkeit vorgestellt. Die erste Staffel ist rasant, radikal und vielschichtig. „Die Idee mit Matarife war, kurze sechsminütige Folgen zu produzieren, damit die Leute in sechs Minuten eine Information bekommen, aber zusammen mit einem künstlerischen Anspruch“, erklärt Mendoza. „Denn mit der Kunst erreicht man die Leute in ihrer Seele. Deswegen ist diese Serie anders als andere Dokumentationen. Die Serie verbindet den schwarzen Roman und politische Thriller-Elemente mit einem künstlerischen Setting in Bezug auf Musik, Farben, Schnitt und Fotografie.“

Morddrohungen gegen Mendoza und Exil

Detailliert zeigt die Serie die Verstrickungen des Ex-Präsidenten und seiner Gefolgsleute in zahlreiche Verbrechen der jüngeren kolumbianischen Geschichte: Das Medellín-Kartell, die Gründung paramilitärischer Verbände, der Skandal um die Falsos Positivos, das Massaker von El Aro, und und und. Nachdem es dem beschuldigten Uribe nicht gelang, die Ausstrahlung der Serie zu verhindern, kamen die Morddrohungen. „Die Konsequenzen bekomme ich jetzt zu spüren: Alles in mir ist zerbrochen“, berichtet Mendoza. „Ich wurde von den schlimmsten Drogenkartellen und den Mordbanden der Paramilitärs verfolgt; aber auch vom Staat, von Polizei und Justiz. Ich war zwei Monate lang auf der Flucht, im Kofferraum von Freunden, ich kam in Kaschemmen unter, auf dem Sofa von Freunden – ich hatte irgendwann keine Hoffnung mehr im Leben!“ Schließlich fand Mendoza Zuflucht in der französischen Botschaft; nach 20 Tagen wurde er nach Frankreich ausgeflogen und ist nun politischer Geflüchteter.

Inzwischen ist eine zweite Staffel von Matarife im Netz, eine dritte ist in Vorbereitung. Matarife ist auf Spanisch mit englischen Untertiteln kostenlos abrufbar. In seinem französischen Exil hofft Mendoza, dass sich die Dinge in Kolumbien doch noch ändern: „Ich bin Kriminologe und habe Matarife geschrieben und produziert. Also bin ich ein Subversiver! Die Revolution kann man kreativ gestalten, mit Ideen, Farben und Videos. Durch Zuneigung und Gewaltlosigkeit können wir eine Veränderung erreichten und selbst ein so mächtiges System zerstören, wie das narco-paramilitärische System in Kolumbien.“

Die Audioversion zum Artikel findet ihr bei Radio onda.

CC BY-SA 4.0 „Das Land ist in den Händen eines Soziopathen“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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