Das Ende des Saubermanns

(Berlin, 03. September 2015, npl).- Vier Tage vor den Wahlen in Guatemala tritt Otto Pérez Molina zurück. Zuvor hatte der Kongress die Immunität des Präsidenten aufgehoben und war nach langem Hin und Her einem Antrag der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft gefolgt. Pérez Molina droht nun die strafrechtliche Verfolgung. Und möglicherweise steht auch ein politisches, pseudo-demokratisches System vor einschneidenden Veränderungen. Denn der „Fall“ des Otto Pérez Molina ist zwar spektakulär, aber durchaus nicht einzigartig.

Mit harter Hand gegen Gewalt und Korruption vorzugehen, mit diesem Slogan war Otto Pérez Molina vor vier Jahren zum Präsidenten Guatemalas gewählt worden. Nun wird immer klarer, dass diese Regierung des Otto Pérez Molina diese Hand nicht nur aufgehalten hat, sondern mit der selben ein veritables Betrugsnetzwerk dirigiert hat. Schon im April hatte die internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala CICIG, seit 2007 im Land, einen großangelegten Zollbetrugsskandal aufgedeckt, mit Verbindungen in höchste Regierungskreise. Neben dem Chef der nationalen Steuerbehörde wurde gegen dutzende Funktionäre und Geschäftsleute Haftbefehl erlassen, Guatemalas Vizepräsidentin Roxana Baldetti stürzte bereits am 9. Mai über den Skandal und wurde am 21. August sogar verhaftet – ein bis dato einmaliger Vorgang.

„Mano abierta“ statt „mano dura“

Die – mittlerweile epochal zu nennenden – Entwicklungen wären aber wohl allein durch die CICIG und die guatemaltekische Staatsanwaltschaft kaum möglich gewesen: Zehntausende Menschen sind seit Ende April an mittlerweile 19 Wochenenden in Guatemala-Stadt auf die Straße gegangen – gegen die Korruption, für weitreichende Reformen des politischen Systems und, immer lauter, für den Rücktritt des Präsidenten. Es sind die größten Demonstrationen, die Guatemala seit sieben Jahrzehnten gesehen hat. Keine Reden, keine parteipolitischen Parolen, dafür ganze Familien, Alte und Student*innen, die friedlich aber bestimmt der politischen Klasse klar machen: Es reicht!

„Diese Regierung hat uns alles geraubt, sogar die Angst!“

Warum es jetzt, zwei Jahrzehnte nach der Rückkehr zur Demokratie reicht, erläutert die junge Journalistin Carol Rivas. Die Guatemaltek*innen seien seit der Diktatur daran gewöhnt, alles zu ertragen, solange sie nur überlebten: „Du mischst Dich besser nicht ein, weil sie Dich dann einfach umbringen. Für uns war bei 16 Morden pro Tag die Unsicherheit das größte Problem.“ Aber diese Regierung habe die Sicherheitslage nicht verbessert, sondern stattdessen so sehr geklaut, dass nicht einmal mehr die Krankenhäuser funktionierten. „Den Menschen ist klar geworden: Auch die Korruption tötet!“ Ein Plakat auf den Demonstrationen fasste nach Meinung von Rivas die Stimmung sehr schön zusammen. Auf dem stand: „Diese Regierung hat uns alles geraubt, sogar die Angst!“

Praktisch alle Bereiche der Gesellschaft hatten sich in den letzten Wochen den Rücktrittsforderungen angeschlossen, zum Schluss selbst der mächtige und reaktionäre Unternehmerverband CACIF. Am Ende distanzierte sich sogar die Armee vom Ex-General Pérez Molina, in dem sie verkündete, ihre Aufgabe sei es, die Institutionalität zu schützen, nicht eine bestimmte Person. Doch noch am 23. August hatte Pérez Molina erklärt, er werde nicht zurücktreten. Erst als ihm seine eigene Partei (Partido Patriota) und die Gruppierung von Präsidentschaftskandidat Manuel Baldizón (Líder) die Gefolgschaft verweigerten und im Kongress für die lang geforderte Aufhebung der Immunität stimmten, sah sich Pérez Molina dazu gezwungen, das Handtuch zu werfen. Das Land darf er nicht verlassen, eine strafrechtliche Verfolgung scheint unausweichlich.

Die für Sonntag angesetzten Wahlen werden wohl stattfinden, trotz der Ereignisse und trotz aller Forderungen zunächst einmal das politische System zu reformieren – ein System, das zwar mit jeder Wahl eine neue Partei an die Macht bringt, die aber vier Jahre später in schöner Regelmäßigkeit als die korrupteste der Geschichte wieder zum Teufel gejagt wird. Der Fall Pérez Molina mag besonders dramatisch sein, aber auch die vorangegangenen Administrationen Berger, Portillo und Colom waren immer wieder mit Korruptionsvorwürfen, Verhaftungen und Rücktrittsforderungen konfrontiert.

„Dieselben wie immer!“

Auch diesmal führt mit Manuel Baldizón ein Populist und Rechtsaußen, der im Übrigen Pérez Molina allzu lange geschützt hatte. Als Alternative kommt mit Sandra Torres noch die ehemalige First Lady des letzten Präsidenten Alvaro Colom in Frage – und Jimmy Morales, ein zotiger Komödiant, dessen Witze gerne mal ins frauenfeindliche und rassistische abgleiten und der ausgerechnet von Armeekreisen als politische Figur aufgebaut worden ist. „Los mismos de siempre“, die selben wie immer. Ada Melgar, deren Vater vor 35 Jahren von der Militärdiktatur ermordet worden war und die sich seither unermüdlich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzt und an den meisten Wochenenden der letzten Monate mitdemonstriert hat, hofft dennoch: „Ich glaube nicht, dass die Wahlen etwas ändern werden, aber diese gleichen Typen wie immer werden hoffentlich einer Zivilgesellschaft gegenüberstehen, die wachsamer ist und ihnen auf die Finger schaut.“ Die Großdemonstrationen und die Rücktritte seien zwar ein Schritt, aber es fehle noch sehr viel.

Immerhin: Mittlerweile vergleichen mehr und mehr guatemaltekische Kommentator*innen die aktuelle Situation mit den Ereignissen vor sieben Jahrzehnten. Damals war der Diktator Jorge Ubico zum Rücktritt gezwungen worden, das Jahr 1944 markierte den Beginn einer zehnjährigen demokratischen Blütezeit. Sollte der Druck auf die politische Klasse in Guatemala auch über den Wahltag hinaus anhalten, könnte der Fall des Otto Pérez Molina vielleicht doch noch den Anbruch eines weiteren demokratischen Frühlings in Guatemala bedeuten.

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