¡Viva Guarjila! Solidarische Unterstützung seit fast 40 Jahren

(Bielefeld, 15. Mai 2023, npla).- Das mittelamerikanische Land El Salvador ist im Ausnahmezustand. Zehntausende Menschen werden willkürlich verhaftet. Die meisten Häftlinge wissen nicht, wie lange sie in den menschenunwürdigen Bedingungen der überfüllten Gefängnisse werden ausharren müssen. Der 25-jährige Carlos Tobar konnte das Land verlassen. Im Rahmen des weltwärts-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit trat er im Februar einen Süd-Nord-Freiwilligendienst in Deutschland an. Andreas Boueke hat nachgefragt, wie sich der engagierte Salvadorianer eingelebt hat und wie er auf die Entwicklung in seinem Heimatland blickt.

Die Menschen hier müssen mehr über die Probleme in El Salvador erfahren.“

Carlos Tobar sitzt auf einem bequemen Sofa in einem gemütlichen Wohnzimmer. „Wir reden gerade über die Situation in meinem Dorf Guarjila und die verschiedenen Projekte, die dort geplant sind.“ Jeden zweiten Mittwoch trifft sich die Gruppe Viva Guarjila, die seit bald vierzig Jahren existiert. Von den Ergebnissen ihrer solidarischen Arbeit hat Carlos schon als Kind profitiert. „Die Gruppe sucht immer neue Wege, um Guarjila zu unterstützen und das Potential der Gemeinde zu stärken.“ Das Dorf ehemaliger Kriegsflüchtlinge liegt im Norden von El Salvador, dem kleinsten Land Mittelamerikas. Die Lehrerin Brigitte Sürig hat Guarjila schon mehrfach besucht: „In Deutschland haben wir einen großen Freundes- und Unterstützerkreis und bemühen uns, über die politische Situation in El Salvador aufzuklären. Gerade jetzt ist es wichtig, dass mehr Menschen über die Problematik dort erfahren.“ Der Kontakt begann in den achtziger Jahren. Damals erlebte El Salvador einen grausamen Bürgerkrieg. Heute machen sich die Mitglieder der Gruppe wieder Sorgen um den Frieden und die Demokratie im Land, so auch Brigitte Sürig: „Zehntausende junger Menschen werden nur aufgrund von Hinweisen und ohne Beweise verhaftet. Das beunruhigt uns sehr.“

Unkontrollierte Gewalt auf der Straße und in den Gefängnissen

Die salvadorianische Regierung hat im März vergangenen Jahres einen Ausnahmezustand ausgerufen, der noch immer andauert. Die Polizei und Armee sollen die berüchtigten Jugendbanden Mara Salvatrucha und Mara Diesiocho bekämpfen, ohne dabei von Verfassungsvorgaben wie der Unschuldsvermutung oder dem Versammlungsrecht beschränkt zu werden. Präsident Nayib Bukele macht die beiden verfeindeten Maras für die enorm hohe Kriminalitätsrate im Land verantwortlich. Er hat versprochen, sie mit harter Hand zu vernichten. Tatsächlich ist die Mordrate seit Beginn des Ausnahmezustands deutlich gesunken. Doch Brigitte Sürig beklagt, dass aufgrund der Notstandsgesetze juristische Standards und Menschenrechte ignoriert werden: „Immer wieder kommt es zu Verhaftungen ohne konkrete Anschuldigungen. Oft reicht es schon, wenn jemand sagt: ‚Der gehört zu den Maras.‘” Auch Carlos hatte bis zu seiner Abreise aus El Salvador Angst, inhaftiert zu werden. Jetzt ist er froh, in Deutschland zu sein und ohne Sorgen an den Treffen der Gruppe Viva Guarjila teilnehmen zu können: „Diese Arbeit ist enorm wichtig für unsere Gemeinde. Viele Projekte wurden umgesetzt, um der Jugend, den Kindern und den Alten zu helfen.“ In den vergangenen Monaten wurden weit über sechzigtausend Salvadorianer inhaftiert. Deshalb leben heute nur noch sehr wenige junge Männer in Guarjila. Die meisten haben das Land verlassen und versuchen, in die USA zu kommen. „Natürlich habe ich Angst“, sagt Carlos. „So viele Unschuldige wurden inhaftiert. Die Situation in den überfüllten Gefängnissen ist furchtbar. Wir wissen von einem Mann aus unserem Dorf, der gestorben ist. Ein zweiter wahrscheinlich auch.“ Die Familien der Gefangenen erfahren oft wochenlang nicht, wie es ihren Angehörigen geht, obwohl sie für ihre Verpflegung zahlen müssen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Folter in den Haftanstalten. Staatliche Stellen haben eingeräumt, dass bisher 73 der im Rahmen des Ausnahmezustands inhaftierten Personen im Gefängnis gestorben sind.

Freiwilligendienst im Spielmobil

Für die salvadorianischen Freiwilligen in Deutschland sind die Mitglieder der Gruppe Viva Guarjila wichtige Ansprechpersonen. „Sie sind wie eine freundliche Hand, die uns unterstützt“, sagt Carlos. „Wenn wir irgendein Problem haben, können wir uns an Heiner wenden, unseren Mentor.“ Heiner Wild ist seit Jahrzehnten ehrenamtlicher Mitarbeiter des Welthaus Bielefeld: „Wir laden junge Leute aus neun Ländern zu einem anderthalbjährigen Freiwilligendienst in Deutschland ein. Im Fall von Carlos kann man wirklich sagen, dass alles toll läuft.“ Der sportliche junge Mann arbeitet für den Verein „Spielen mit Kindern“. Zweimal in der Woche kommt er auf den Kesselbrink, einen großen Platz im Zentrum von Bielefeld. Dort holt er eine Menge Spielmaterialien aus einem kleinen Lastwagen, dem sogenannten Spielmobil. „Die Kinder helfen uns beim Aufbau“, sagt er zufrieden. „Sie warten nicht einfach nur, sondern machen sofort mit.“

„Das Leben hier ist ruhig, ohne Angst.“

Meist arbeitet Carlos mit der Migrationspädagogin Kerstin Eckhof zusammen, die den Verein seit drei Jahren leitet. „Das Spielmobil macht offene Spielangebote für Kinder in der Altersgruppe von 6 bis 14 Jahren. Offene Arbeit bedeutet: Alle sind willkommen, alle können mitspielen.“ Das Spielmobil leistet einen Beitrag zur Umsetzung des Kinderrechts auf Spiel und Freizeit. „Wir fahren auch in abgelegene Stadtteile, die vielleicht kinderkulturell ein bisschen unterversorgt sind.“ Auf dem Kesselbrink gibt es neben dem größten innerstädtischen Skater-Park Europas noch viel Platz, um die Materialien des Spielmobils aufbauen zu können. Nach und nach stehen Fußballtore und Basketballkörbe neben einer Flotte Gokarts, riesigen Puzzeln, kleinen Schaukeln und Rutschen, vielen Rollern und einigen Rollschuhen. Carlos ist sehr beeindruckt von der Vielfalt des Angebots. „Ich erlebe hier die Kultur eines sehr fortschrittlichen Landes, das gut entwickelt ist. Das Leben ist ruhig, ohne Angst. Die Menschen sind frei. Sie können machen, was sie wollen, ohne die Furcht, die wir in El Salvador haben. Ich denke mir: Diese Kinder haben ein großes Privileg, dass sie mit all diesen Dinge spielen können. Das ist ‚sehr cool’ – wie die Deutschen sagen.“ Die Pädagogin Kerstin Eckhof freut sich, dass Carlos in ihrem Team mitmacht. „Ich habe den Kontakt zum Welthaus Bielefeld gesucht, weil ich wusste, dass dort ein Süd-Nord-Austausch angeboten wird. In Deutschland bekommen viele junge Leute die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst in fernen Ländern zu machen. Eine solche Chance haben die jungen Menschen in den Ländern des globalen Südens meist nicht.“ Kerstin Eckhof weiß, dass Carlos die Kinder- und Jugendmannschaften seines Heimatdorfes Guarjila im Fußball trainiert hat. „Alle Kolleginnen arbeiten supergern mit ihm zusammen. Er interagiert toll mit den Kindern. Obwohl er noch nicht so viel Deutsch spricht, ist er immer mitten drin und voll dabei.“

Blick in eine unsichere Zukunft

Die Kinder auf dem Kesselbrink stammen aus unterschiedlichsten Ländern. Viele sind aus Syrien nach Deutschland gekommen, andere aus der Ukraine, dem Irak oder der Türkei. „Bei uns in El Salvador ist das anders“, stellt Carlos fest. „Die Menschen dort verlassen das Land. Das ist eine traurige Entwicklung. Immer mehr Leute migrieren in die USA, weil sie Angst haben, inhaftiert oder misshandelt zu werden.“ In diesem Jahr hat das Welthaus Bielefeld sechzehn Freiwillige aus Ecuador, Peru, Mexiko, Nicaragua, Mosambik, Südafrika und El Salvador an verschiedene Sozialprojekte in Deutschland vermittelt. Die jungen Leute arbeiten unter anderem mit alten Menschen, in Kindergärten oder in der Drogenprävention. Carlos ist begeistert, macht sich aber auch Sorgen um die Zukunft: „Manchmal denke ich an meine Rückkehr nach El Salvador. Ich frage mich, was mit mir und meinem Dorf geschehen wird. Im Moment weiß ich nicht, wie es weitergehen wird.

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