(Berlin, 21. November 2017, npl).- Ni una menos – keine einzige Frau soll mehr der machistischen Gewalt zum Opfer fallen. Das fordert die argentinische Bewegung, die seit 2015 den öffentlichen Diskurs um Frauenrechte mitbestimmt. Im Fokus der Bewegung steht der Kampf gegen Femizide. Mit Femiziden sind Morde an Frauen gemeint, die auf Grund ihres Geschlechts begangen werden. Die meisten Femizide werden von Partnern oder Ex-Partnern begangen, aber auch z.B. Morde an Prostituierten werden zu Femiziden gezählt.
Ileana Arduino, Anwältin, gender-Expertin und Aufmischerin im Politikbetrieb, stellt heraus, dass die feministische Bewegung natürlich nicht erst mit Ni una menos begonnen habe, „doch sie hat es geschafft viele Kämpfe, die vorher nicht sichtbar waren, ins Rampenlicht zu rücken und eine öffentliche Diskussion in Gang zu setzen, die bis heute andauert“, sagt sie und weiter: „Wir alle sind ni una menos, es ist eine kollektive Erfahrung. Eine kollektive Erfahrung, weil alle Frauen von verschiedenen Formen sexistischer oder sexualisierter Gewalt betroffen sind. Eine kollektive Erfahrung aber auch, weil die betroffenen Frauen sich nicht mehr alleine fühlen. Sich nicht mehr schuldig fühlen, sondern die Schuldigen anklagen. Die patriarchalen Strukturen nicht als Normalzustand akzeptieren, sondern für Veränderung kämpfen.”
Das Nationale Frauentreffen in Argentinien
Den Raum dafür bietet zum Beispiel das Nationale Frauentreffen in Argentinien, das seit 1986 stattfindet. In den letzten Jahren sind aus 1000 Teilnehmerinnen Zehntausende geworden, die Jahr für Jahr feministische Geschichte schreiben. Dieses Jahr waren 65.000 Frauen und Menschen mit weiblicher Identität im Chaco, um diese Geschichte weiter zu schreiben. Die Teilnehmerin Maria Sol de la Torre von Malajunta schwärmt: „Für jede Einzelne ist das Treffen ein Ort der Selbstermächtigung. In den über 70 Workshops entstehen neue Projekte und gemeinsam werden politische Ziele festgelegt.” Die Schwerpunkte des diesjährigen Nationalen Frauentreffens in der argentinischen Stadt Resistencia im Chaco lagen auf der Feminisierung von Armut, der Legalisierung von Abtreibung und den nicht abnehmenden Femiziden. Bei der Eröffnungsfeier des Treffens werden die Schwerpunkte von verschiedenen Frauendelegationen vorgestellt:
„Die Feminisierung der Armut lässt sich nicht verleugnen. Im 21.Jahrhundert sind es immer noch wir, die den Großteil der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit erledigen. Wir sind es, die das zu Hause aufrecht erhalten und obendrein erhalten wir für die gleiche Arbeit 27 Prozent weniger als die Männer.“
„Wir fordern die Verabschiedung des Gesetzes zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches, das bereits zum sechsten Mal im Nationalkongress vorgestellt wird. Die Souveränität über unsere Körper zu erobern, ist ein revolutionärer Akt. Wir fordern Sexualerziehung, um eigenständig entscheiden zu können – Verhütungsmittel, um nicht abtreiben zu müssen – legale, kostenlose und sichere Abtreibung, um nicht zu sterben!“
„Jeden Tag verlieren wir eine Schwester, aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie eine Frau ist. Die Brutalität der Vergewaltigungen, des Missbrauchs und der sexuellen Belästigung lassen ein Verhalten deutlich werden, dass auch von den Medien gestärkt wird. Sie unterstützen die Kultur der Vergewaltigung, indem sie stereotype Frauenbilder vermitteln und die Frauen zu Objekten degradieren.“
„Das patriarchale Justizwesen stellt sich hinter Gewalttäter und Frauenmörder. Der Staat stellt weder Mittel zur Verfügung noch ganzheitliche Vorschläge, um die Problematik ernsthaft anzugehen. Wir fordern die Anwendung des Gesetzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt.“
Die Anwendung des Gesetzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Dieses auf Ganzheitlichkeit angelegte Gesetz zum Schutz der Frauen vor Gewalt hat die feministische Bewegung bereits erkämpft. 2009 wurde es verabschiedet. Zoe Verón, Anwältin mit Spezialisierung auf Frauenrechte, kritisiert allerdings, dass von staatlicher Seite nur sehr wenig getan werde, um das Gewaltproblem ganzheitlich anzugehen, so wie es das Gesetz vorsieht. Es würden extrem wenig Geldmittel zur Verfügung gestellt, was auch internationale Organisationen bemängelten. „Das größte Hindernis für eine Frau eine Anzeige gegen den Gewalttäter zu stellen, ist oft die ökonomische Abhängigkeit von ihm. Wenn der Staat also keine finanzielle Unterstützung bereitstellt und für Wohnraum sorgt, wird es sehr schwierig für die Frau, diese Anzeige aufrecht zu erhalten“, fügt Zoe Verón hinzu.
Selbsthilfegruppe defensoría de género
Mayra erzählt, dass viele von Gewalt betroffene Frauen nicht auf die praktische Umsetzung des Gesetzes warten können und so haben sie ihre eigene Selbsthilfegruppe, die defensoría de genero gegründet. „Defensoría de genero hat sich ausgehend von der Bewegung “ni una menos” selbstorganisiert. Die Aufgabe von Defensoría de genero ist aktiv auf die Probleme der Frauen aufmerksam zu machen. Das Werkzeug was wir hauptsächlich nutzen ist der “Escrache”. Viele Companeras aus unserer Gruppe haben erzählt, dass ihr Ehemann sie vergewaltigt oder geschlagen hat. Zur Polizei zu gehen ist keine Option. Die sagt “wir können nichts machen”. Also organisieren wir ständig Escraches gegen den Staat oder Vergewaltiger. Wir gehen zu ihnen nach Hause oder zu ihrer Arbeitsstelle und klagen sie öffentlich an. Es geht darum diesen Apparat ständig anzuklagen, der das Patriarchat aufrecht erhält“, erklärt die Aktivistin Mayra.
Mayra thematisiert auch, dass viele Frauen, die Gewalt erlebt haben keine Arbeit fänden. Dass sie sich nicht trauten Anzeige zu erstatten, weil sie finanziell abhängig seien. Aber auch finanziell unabhängigen Frauen falle es schwer ihren Mann zu verlassen, erzählt Mayra aus eigener Erfahrung: „Meine Mutter hat zwar immer gearbeitet und hatte keine finanziellen Probleme, aber es war wahnsinnig schwer für sie, meinen Vater zu verlassen, obwohl er gewalttätig war. Es liegt im System selbst, dass nicht vorsieht, dass Frauen und ihre Kinder auch alleine zurecht kommen können. Was wir versuchen ist zu erklären, dass genau das Feminismus ist, die Selbstbestimmung, die Selbstverteidigung und die Emanzipation jeder Einzelnen.“
Den Audiobeitrag zu diesem Artikel findet ihr hier.
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