Ballungsräume der Ungerechtigkeit: Abtreibung in Mittelamerika

von Sylvia R. Torres und Tacuazina Morales

(Lima, 19. September 2011, semlac).- Managua, im September. In Mittelamerika befinden sich drei von weltweit sechs Ländern, in denen im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs die Schwangere und die Person, die den Eingiff vornimmt, eine Straftat begehen und mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen. Viele Frauen in El Salvador, Honduras und Nicaragua sterben an den Folgen einer Abtreibung.

Ursache dafür ist neben der mangelnden Gesundheitsversorgung auch das Fehlen einer rechtlichen Absicherung. Das gilt auch für Fälle, in denen der Fötus nicht lebensfähig wäre oder die Fortführung der Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährden würde. Frauen, die sich dennoch zum Schwangerschaftsabbruch entschließen, müssen mit bis zu 30 Jahren Haft rechnen.

In allen drei Ländern war gemäß den liberalen Verfassungen des 19. Jahrhundert der Abbruch einer Schwangerschaft erlaubt, wenn die Frau im Zuge einer Vergewaltung schwanger geworden war oder wenn medizinische Gründe vorlagen. In El Salvador und Nicaragua wurde dieses 100 Jahre alte Recht durch eine Allianz linker und rechter Kräfte zurückgenommen. In Honduras sind einzig die Rechtskonservativen für diesen Umschwung verantwortlich.

Trotz des rigorosen Verbots und des Schweigens von offizieller Seite haben feministische Organisationen den Kampf nicht aufgegeben. Sie konfrontieren die Öffentlichkeit mit niederschmetternden Zahlen und Fakten sowie Aussagen von Betroffenen und halten an ihrer Forderung nach einer medizinischen Indikation fest. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation IPAS starben seit der Einführung des totalen Abtreibungsverbots im Jahr 2006 allein in Nicaragua 31 Frauen, die alle hätten überleben können, sofern man ihnen Zugang zu einer entsprechenden Krebstherapie gewährt oder die Möglichkeit einer extrauterinären Schwangerschaft geboten hätte.

Nicaragua: Der Fall Amalia

Beispielhaft sei hier die Geschichte einer Frau beschrieben, der neben weiteren Fällen von der Nichtregierungsorganisation IPAS publik gemacht wurde. Die 27jährige litt an einer fortgeschrittenen Krebserkrankung. Im Krankenhaus ihrer Heimatstadt León verweigerte man ihr jedoch aus Angst vor dem gesetzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs 36 Tage lang die Chemotherapie. Wäre das in der Schulblade des Gesundheitsministeriums ruhende Protokoll für dringende medizinische Notfälle dieser Art bereits zur Anwendung gekommen, wäre die seit knapp sechseinhalb Wochen bestehende Schwangerschaft zugunsten einer lebensrettenden Behandlung sofort unterbrochen worden. Die öffentliche Bitte der Familie, Amalias Schwangerschaft zu unterbrechen und ihr die Behandlung zukommen zu lassen, war seinerzeit von Frauenverbänden und Menschenrechtsorganisationen unterstützt worden.

Erst nach mehrtägigen Sitzstreiks vor der Klinik und nach ausdrücklicher Aufforderung des Interamerikanischen Gerichtshofs an den Staat Nicaragua,die junge Frau entsprechend ihres Gesundheitszustands zu behandeln, entschieden die Gesundheitsbehörden, ihr die Krebsmedikamente Carboplatin und Paclitaxel zu verabreichen. Mit dieser Behandlung – die anderen Krebspatientinnen nicht angeboten wird – sei es auch möglich, die Schwangerschaft störungsfrei fortzusetzen, so die Auskunft der Behörden.

Doch tatsächlich wurde die junge Frau über die Risiken der Behandlung nicht aufgeklärt. Durch die Medikamentenvergabe wurde das Wachstum des Fötus gestoppt, und nach neunmonatiger Behandlung brachte Amalia einen toten Fötus zur Welt. Verschiedene Organsiationen, darunter die Strategische Gruppe für die medizinische Indikation (Grupo Estratégico por la Despenalización del Aborto Terapéutico), Katholikinnen für das Recht auf freie Entscheidung (Católicas por el Derecho a decidir), die Feministische Gruppe León (Grupo Feminista de León), das Nicaraguanische Zentrum für Menschenrechte (Centro Nicaragüense de Derechos Humanos) und das Gesundheitsnetz der Frauen aus Lateinamerika und der Karibik (Red de Salud de las Mujeres Latinoamericanas y del Caribe), bezeichneten es als unmenschlich, Amalia wichtige Informationen vorenthalten zu haben. Damit sei ihr eine unnötige Belastung aufgebürdet worden, die ihr außerdem Energie entzogen habe, die sie für ihren Kampf gegen die Krankheit brauche. Die junge Frau ist ledig und Mutter einer 10jährigen Tochter.

El Salvador: 30 Jahre Gefängnis

Mit einer Gesetzesänderung im Jahre 1997 sind in El Salvador alle Indikationen für eine straffreie Abtreibung (medizinische, eugenische und kriminologische Indikation) abgeschafft worden. Das Land hat sich damit einer der restriktivsten Gesetzgebungen auf diesem Gebiet verschrieben. Seither wurden viele Frauen vom Krankenhaus unmittelbar ins Gefängnis verbracht. Der Tatvorwurf lautete ‘einvernehmliche Abtreibung’ oder noch schlimmer: Mord, worauf eine 30jährige Gefängnisstrafe steht. Seitdem prangern feministische Gruppen auch den Druck an, der auf das medizinische Personal ausgeübt wird, um Frauen mit Frühgeburten außerhalb der Klinik als Mörderinnen darzustellen und Frauen mit Eileiterschwangerschaften zu zwingen, die Schwangerschaft fortzusetzen, „bis es rauskommt”, auch auf die Gefahr hin, dass sie bei der Geburt verbluten.

Im Jahr 2008 registrierte das Gesundheitsministerium über 6.000 spontane oder septische Fehlgeburten. Nach Angaben der Journalistin Miroslava Rosales vom digital erscheinenden Magazin Contrapunto hat der Oberste Gerichtshof im Zuge der angespannten rechtlichen Situation immerhin drei Gerichtsurteile rückgängig gemacht und Haftstrafen zwischen sieben und 30 Jahren zurückgenommen. Betroffen waren die 18 jährige Marlene Ponce sowie Karina Clímaco und Cristina Quintanilla. Die drei seien vom Krankenhauspersonal des Hospital Nacional de San Bartolo wegen illegaler Abtreibung angeklagt und trotz lückenhafter Beweislage verurteilt worden, so das Onlinemagazin.

In einem Bericht der Bürgerbewegung für die Straffreiheit der medizinischen, eugenischen und kriminalistischen Indikation (Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto Terapéutico, Eugenésico y Ético) wies die Aktivistin Mariana Moisa darauf hin, dass viele Frauen sogar Angst haben, sich bei Komplikationen in der Schwangerschaft medizinische Hilfe zu suchen. Das medizinische Personal könne nicht ohne weiteres seine Arbeit machen und Frauen bei Komplikationen zur Seite stehen, weil sie fürchten müssten, wegen Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch oder gar Mord angeklagt zu werden. In El Salvador sind Ärzten und Pfleger verpflichtet, Unregelmäßigkeiten und Schwangerschaftsabbrüche, ob spontan oder gewollt, zu melden.

Morena Herrera, Feministin und Ex-Kommandantin der Guerilla, erklärte gegenüber Contrapunto, dass die Gleichsetzung des Schwangerschaftsabbruchs mit Mord insbesondere junge und von Armut betroffene Frauen kriminalisisere.

Honduras: Heimliche Abtreibungen

Auch in Honduras sind Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen strafbar und werden mit Gefängnis zwischen drei und sechs Jahren bestraft. Daher werden Abtreibungen heimlich und ohne die notwendigen medizinischen und hygienischen Voraussetzungen praktiziert, und die Frauen setzen dabei ihre Gesundheit aufs Spiel. „Alles lief gut, ich hatte keine Komplikationen, aber ich fühlte mich die ganze Zeit einfach miserabel. Du weißt, dass du es heimlich machen musst, niemand gibt dir irgendeine Garantie, und wenn etwas schiefläuft, weißt du nicht, an wen du dich wenden sollst“, erklärt eine junge Frau gegenüber SEMlac, die im März heimlich einen Abbruch vornehmen ließ und gern anonym bleiben wollte.

Zu den Folgen der heimlichen Abtreibung gehören in jedem Fall das Alleinsein mit dem Wissen und das Schuldgefühl inmitten einer katholisch sozialisierten Gesellschaft, in der Frauen, die sich zu einer Abtreibung entschließen, mit massiver gesellschaftlicher Ablehnung rechnen müssen. Wie das Komitee für die Rechte der Frau in Lateinamerika und der Karibik CLADEM der Antidiskriminisierungsgruppe CEDAW in seinem letzten alternativen Bericht aus dem Jahr 2007 vorlegte, liegen die Ursachen für die oft sogar tödlichen gesundheitlichen Probleme, die Frauen nach einer heimlichen Schwangerschaft haben, in ihrem Umgang mit Sexualität und Reproduktion.

Seit die Ursache für die Aufnahme in Krankenhäuser registriert wird, ist die Schwangerschaftsunterbrechung die häufigste Ursache für den Krankenhausaufenthalt nach der Geburt. Laut einem Rundschreiben des Gesundheitsministeriums über die Registrierung in Krankenhäuser verließen im Jahr 2005 täglich 21 Frauen das Krankenhaus mit dieser Diagnose. Auch wenn die Gesundheitsbehörden es nicht wahrhaben wollen, zeigen die Zahlen, dass Abtreibung ein Problem der öffentlichen Gesundheitsversorgung ist, das ohne gesellschaftliche oder religiöse Vorurteile angegangen werden muss.

Claudia Herrmanndofer vom Zentrum für Frauenrechte wies gegenüber SEMlac darauf hin, dass der offizielle Bericht, der dem Rat für Menschenrechte der Vereinten Nationen im November vorgelegt werden soll, zwar den Anschein erwecke, als sei die medizinischen Indikation legal, faktisch sei das aber nicht so. „Das ist nichts weiter als eine leere Behauptung, mit der versucht werden soll, in einem internationalen Kontext das Gesicht einer Regierung reinzuwaschen, die Frauenrechte faktisch mit Füßen tritt.“

In diesem Kontext hat die feministische Bewegung den 28. September zum Aktionstag für straffreie Abtreibung erklärt. Das Motto der von verschiedenen Frauenorganisationen im ganzen Land vorbereiteten Aktionen lautet: „Für die Selbstbestimmung über unsere Körper; für unsere Demokratie“. Auch in anderen Ländern sind Aktionen zum aktuellen rechtlichen Abtreibungsregelung und zu den Reproduktionsrechten der Frauen geplant.

Die konservative Linke und die unversöhnliche Rechte

Obwohl sich die in Nicaragua und El Salvador derzeit an der Macht befindlichen Regierungen als linksgerichtet verstehen, setzt sich der Backlash weiter fort. In Honduras hingegen hat sich die Situation nach dem Putsch unter der neuen Rechtsregierung deutlich verschlimmert. Obwohl sich die Verfassung in Nicaragua dem Laizismus verschreibt, versteht sich die Regierung unter Daniel Ortega als „christlich, solidarisch und sozialistisch“, und im Namen dieses Selbstverständnisses wurde den Abgeordneten seiner Partei empfohlen, die Augen vor den medizinischen Gegebenheiten zu verschließen und für das rigorose Verbot der Abtreibung zu stimmen. Als die erste Gesundheitsministerin unter der Regierung Ortega, Maritza Quant, eine gewisse Offenheit gegenüber der medizinischen Indikation äußerte, beeilte sich die First Lady der Nation Rosario Murillo, ihr mit deutlichen Worten zu widersprechen. Einige Wochen später wurde Quant ihres Amtes enthoben.

Im Juni 2010 wagten zwei Vertreterinnen der Opposition, Mónica Baltodano von der Alianza Movimiento de Renovación Sandinista (Allianz der Sandinistischen Erneuerungsbewegung) und Yamileth Bonilla der liberalen Partido Liberal Constitucionalista einen Vorstoß und legten der Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf vor, der die Zulassung der medizinischen Indikation vorsah. Statt 47 Stimmen, die für eine Gesetzesänderung nötig gewesen wären, erhielt ihr Vorschlag jedoch nur die Zustimmung von 26 Abgeordneten.

Auch in El Salvador sahen sich zwei Befürworterinnen der medizinischen Indikation weitestgehend auf verlorenem Posten. Wie die Tageszeitung El Mundo berichtete, legte die Gesundheitsministerin María Isabel Rodríguez der Nationalversammlung im Mai 2010 zwei Fälle vor, in denen das Leben von Mutter und Kind gefährdet war, so wie dies beispielsweise bei Extrauterinschwangerschaften der Fall ist, und bat darum, die aktuelle Gesetzeslage zu überdenken. Erst kürzlich unterzeichnete Julia Evelyn Martínez, Leiterin des salvadorianischen Instituts der Frau stellvertretend für ihr Land ein Dokument, das unter dem Namen Abkommen von Brasilia bekannt ist und in dem das Land sich verpflichtet, seine Abtreibungsgesetze zu überprüfen.

Die von Präsident Mauricio Funes veranlasste Amtsenthebung lies nicht lange auf sich warten, und das, obwohl auch er eine Regierung anführt, die aus einer ursprünglich linken Guerillabewegung hervorgeht. Viele der weiblichen Angehörigen der politischen Führungsspitze wundert das alles nicht mehr, seit selbst die Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) gemeinsam mit den Rechten für ein absolutes Abtreibungsverbot stimmte. Morena Herrera prangerte die Amtsenthebung von Julia Evelyn öffentlich an und warf der Regierung vor, sie stehe nicht zu ihrem Vorhaben, „für Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter einzutreten“. In einem offenen Brief an den Präsidenten erinnert Herrera den salvadorianischen Staat an seine Pflicht, sich an internationale Verpflichtungen zu halten, und fragt provokativ, ob Funes seine Verpflichtungen in der Wirtschaft womöglich ernster nehme als die Pflicht zum Schutz der Frauenrechte.

Auch in Honduras bleibt die Situation für Frauen schwierig. Seit dem Putsch hat sich die Gesundheitsversorgung insgesamt verschlechtert, und insbesondere die Reproduktionsrechte der Frauen haben gelitten. Die de-facto-Regierung unter Roberto Micheletti stellte sogar den Vertrieb, den Verkauf und die Nutzung der „Pille danach“ unter Strafe, denn nach Einschätzung des Ärztekollegs Honduras bewirkt diese Pille den Abbruch der Schwangerschaft.

In Artikel 3 des Gesetzes ist zu lesen: Zuwiderhandlungen werden nach dem Gesetz zum Verbot des Schwangerschaftsabbruchs geahndet und strafrechtlich verfolgt. Das Dekret ist bis heute in Kraft.

CC BY-SA 4.0 Ballungsräume der Ungerechtigkeit: Abtreibung in Mittelamerika von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert