„Wild-West-Realität vor den Türen der Hauptstadt „

(Berlin, 04. Februar 2012, poonal).- Am 18. Januar kam es in San José del Progreso im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca zu einer Auseinandersetzung, bei der zwei Personen verletzt wurden, eine verstarb im Krankenhaus an ihren Verletzungen. Sicherheitskräfte hatten auf die Gegner*innen einer Silbermine im Ort geschossen.

 

Vergangene Woche protestierten daraufhin Einwohner*innen und Menschenrechtsorganisationen vor der kanadischen Botschaft in Mexiko-Stadt gegen die umstrittene Silbermine eines Tochterunternehmens der kanadischen Firma “Fortuna Silver”. Sie forderten eine grundsätzliche Lösung des seit Jahren andauernden Konflikts um die Mine, Gespräche mit Regierungs- und Firmenvertretern und die Einhaltung ihrer Rechte.

In einer Presseerklärung bedauerten die Protestierenden die Weigerung der kanadischen Botschaft, für Gespräche und die Übergabe einer Protestnote zur Verfügung zu stehen. Das „Desinteresse der kanadischen Regierung“ könne dazu beitragen, die Situation im Ort weiter zu verschärfen. „Für die Einwohner von San José del Progreso gibt es keine Gesetze, keine Gerichtsbarkeit oder Macht, die gegen die Mine vorgehrt“, die Menschenrechtsverletzungen seitens der Minenbetreiber, der lokalen Behörden und des Bundesstaates Oaxaca seien ausufernd, heißt es in dem Schreiben.

Fortuna Silver weist Verantwortung zurück

Minengegner kritisieren, dass nie eine ordnungsgemäße Befragung der Bevölkerung zur Mine stattgefunden habe. Sozialprogramme seien an eine Haltung zugunsten der Mine gekoppelt worden, zudem habe die Mine beispielsweise durch den rechtswidrigen Landkauf von Gemeindeland Tatsachen geschaffen und die Dorfgemeinschaft gespalten. Sowohl die vorherige PRI-Regierung wie auch das aktuelle Regierungsbündnis unter Cué unterstützten die Mine vorbehaltlos, kritisieren die Gegner.

Der kanadische Mutterkonzern Fortuna Silver weist allerdings jede Verantwortung für den Konflikt zurück. Es handele sich um „Falschinformationen“, zitiert die kanadische „National Post“ den Präsidenten von Fortuna Silver, Jorge Ganoza. Man bedaure „diese sinnlosen und anhaltenden Gewaltakte“, die sich im Zuge eines „langen Kampfes um die Macht im Ort“ ereigneten und hoffe, dass die Einwohner*innen gemeinsam mit den Behörden eine Lösung für den gewaltsamen Konflikt finden werde.

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Poonal sprach mit Philipp Gerber, der in Oaxaca-Stadt vor Ort ist, über die Hintergründe der Morde und den Minenkonflikt. Philipp Gerber war jahrelang für die Organisation medico international Schweiz tätig.

Wer hat auf wen geschossen und warum?

In einem Teil von San José del Progreso kam es zu einem Disput zwischen Anwohner*innen und Behörden, weil die Straße aufgebaggert wurde, um sich an den Wasserleitungen zu schaffen zu machen. Die Anwohner*innen waren nicht informiert und reklamierten, dass das Wasserkomitee keine Zustimmung zu dieser Arbeit gegeben habe.

Über die genaue Art der Arbeit gehen die Versionen auseinander. Die Minengegner*innen sagen, die Leitungsarbeiten seien für die Mine gewesen. Die Behörden hingegen behaupten, die Bauarbeiten seien zur Verbesserung des Trinkwassernetzes notwendig, habe nichts mit der Mine zu tun.

Die Mine ist zwar seit September in Betrieb, hat aber das Problem, dass verschiedene Grundeigentümer*innen sich weigern, eine Wasserzuleitung für die Mine durch ihre Grundstücke zuzulassen. Das heißt, die Mine kann nur halbe Kraft fahren und muss das Wasser in Tanklastwagen zu- und abführen.

Wer genau geschossen hat, ist noch Gegenstand der Untersuchungen. Bisher wurde der Sohn des von der Bezirkspolizei in den Ort abbestellten Polizeichefs verhaftet. Dieser Polizeichef wurde dorthin beordert, nachdem der PRI-Bürgermeister von San José del Progreso im Juni 2010 erschossen worden war. Tatsache ist aus meiner Sicht, dass die tiefe Spaltung der Gemeinde, aufgrund des Minenprojekts, eine solche Gewalteskalation erst möglich macht.

Wie groß ist der Ort San José del Progreso, wie viele Menschen leben dort?

San José del Progreso ist eine kleine Gemeinde mit mehreren Ortsteilen. Der Ort liegt in den „Valles Centrales“, etwa 40 km südlich von Oaxaca-Stadt, der Hauptstadt des Bundesstaates. Die Bevölkerung gehört mehrheitlich zum indigenen Volk der Zapotek*innen.

Bei den Wahlen im Sommer 2011 haben gut 2.000 Personen ihre Stimme abgegeben – und die Minengegner*innen haben die Wahlen um 40, 50 Stimmen verloren. Befürworter*innen und Gegner*innen halten sich also insgesamt – zahlenmäßig – die Waage. Die PRI, die in Oaxaca 80 Jahre lang die Bundesregierung stellte und vorletztes Jahr abgewählt wurde, ist dort also lokal weiter an der Macht. Zu San José del Progreso gehören mehrere Orte oder Ortsteile. Im Hauptort sind die Minengegner*innen in der Mehrheit, in einigen Weilern, weit weg von der Mine, sind die Leute weniger kritisch.

Wer sind aber denn genau „die Behörden“, die dort schießen?

Einerseits sind das direkt die Behörden selbst, also die Bezirkspolizei. Dann stellt der Gemeindepräsident traditionellerweise Leibwächter an, so genannte „matones“ oder „pistoleros“. Drittens gibt es eine so genannte NGO im Dorf, die “Für die Rechte von San José” heißt. Das ist im Grunde ein Verbund von PRI-Leuten, also von Befürworter*innen der Mine. Diese Leute hatten 2010 den Pfarrer des Dorfes, der viel mit den Minengegner*innen zu tun hatte, entführt, misshandelt und der Polizei übergeben. Diese NGO war möglicherweise auch an der jetzigen Gewalteskalation nicht unbeteiligt.

Zudem sind Schusswaffen sind in der Region keine Seltenheit, diplomatisch ausgedrückt.

Aber sie scheinen ja auch recht locker zu sitzen?

Der Konflikt ist seit seinen Anfängen durch eine grosse Polarisierung und durch Gewalt geprägt. So wurde eine Minenbesetzung im 2008 von 800 Polizisten geräumt; später wurden Polizeieinheiten von Minengegner*innen gefangen genommen und entwaffnet; im Juni 2010 wurde in einer weiteren Konfrontation zwischen Bewohner*innen des Ortes der damalige PRI-Bürgermeister und einer seiner Mitarbeiter erschossen. Diese Gewalt ist direkt durch die Präsenz der Mine verursacht.

Wie ist die aktuelle Situation jetzt im Ort?

Die Situation ist äußerst angespannt. Es gibt Gerüchte über weitere Gewaltakte, die sich aber bisher nicht bestätigen. Der Gemeindepräsident und sein gesamter Rat sind geflohen. Die Polizei des Bundesstaates markiert Präsenz.

Die Minengegner*innen, die in der Coordinadora de Pueblos Unidos del Valle de Ocotlán organisiert sind, fordern, dass das Landesparlament von Oaxaca die lokalen Behörden des Amtes enthebt. Andererseits wollen sie, dass die Mine geschlossen wird, um weiteren Gewaltakten vorzubeugen.

Wie positioniert sich die Regierung des Bundesstaates Oaxaca?

Die Regierung Gabino Cué lenkt vom Hauptkonflikt um die Mine ab und behauptet, es gehe lediglich um die politische Macht im Dorf. Andererseits ist die Silbermine von San José für sie ein Beispiel für Fortschritt, Investitionen, Arbeitsplätze, etc. Es sind tatsächlich 400 bis 500 Arbeitsplätze entstanden.

Hinzu kommt, so munkelt man, dass verschiedene Politiker*innen auch finanziell engagiert sein sollen, auch Politiker*innen von Cue. Zum Beispiel denunzierten Minengegner*innen den Besuch des hohen Funktionärs und PRD-Politikers Salomon Jara, im November 2011, weil er die Bewilligung von Regierungsprogrammen an die Aufgabe des Widerstands gegen die Mine geknüpft habe.

Das ist die allgemeine Tendenz dieser links-rechts-Regierung im Bundesstaat: Großprojekte sollen durchgezogen werden, die Leute werden, wenn möglich, gekauft. Wobei neuerdings auch die Befragungen der Bevölkerungen in Diskussion sind. Man darf gespannt sein, wie diese Befragungen aussehen werden.

Es war zu lesen, dass die Mine für den vollen Betrieb täglich 600.000 Liter Wasser benötigt, die dem Wasserkreislauf jedoch wieder zu 100 Prozent zugeführt werden sollen – eine interessante Formulierung des Managers Manuel Ruiz Conejo übrigens, denn das allein sagt ja nichts über die Qualität des Wassers aus. Jetzt fährt die Mine nur halbe Kraft, aus Wassermangel. Wie ist es momentan um die Wasserversorgung der Bevölkerung bestellt?

Da widersprechen sich die Angaben auch diametral.Gemäss den Minenbetreiber*innen handele es sich um ein ökologisches Unternehmen. Die Mine verschmutze nicht, im Gegenteil, sie reinige Wasser. So hätte die Firma beispielsweise eine Trinkwasseraufbereitung für das Dorf gebaut. Was auch stimmt. Aber die Investitionskosten der Minenbetreiber*innen in die Region belaufen sich auf gerade einmal 6 Mio. Peso (ca. 354.000 Euro). Das holen sie in einem Tag Silberabbau wieder heraus. Dass die Mine „grün“ sei, ist zudem eine Kommunikationsstrategie der heutigen Minenindustrie. So wird der Untertagebau als völlig ungefährlich für die Umwelt bezeichnet. Tatsache ist, dass die Grundwasservorräte etc. durchaus bedroht sind.

In Deutschland werden so genannte „Ewigkeitskosten“ für Bergwerke berechnet. Die Gänge, die unterirdischen Lager von Gesteinsabfällen etc. müssen unendlich lange instand gehalten werden, um Verschmutzungen zu verhindern. Was aber schon in Deutschland absurd klingt, ist hier erst recht unrealistisch. Die Minenunternehmen hinterlassen eine ökologische Katastrophe.

Die Wasservorkommen in der Region sind generell knapp; in der aktuellen Dürrezeit ist das besonders der Fall. Die Bevölkerung betreibt Landwirtschaft, soweit das die Wasservorräte zulassen.

Die Mine von San José del Progreso ist übrigens die erste von mehreren in der Region von Ocotlán und Ejutla de Crespo vergebenen Konzessionen. Mindestens drei weitere, größere Projekte sind geplant.

Wie wird es weitergehen? Es sieht ja nicht danach aus, als würde eine De-Eskalationsstrategie betrieben?

Die Großprojekte, welche meist von allen Parteien unterstützt werden, führen weiterhin zu mehr Konfrontation und Gewalt. Die Gemeinden werden intern auf eine Zerreißprobe gestellt, aber auch Konflikte um Land und Ressourcen zwischen den Gemeinden werden durch diese Investitionen angeheizt. Der Bürgermeister und seine Mitarbeiter*innen sind erst einmal abgetaucht, aber wahrscheinlich wird er irgendwann einfach wiederkommen. Interessant ist übrigens, dass er in einem Interview insbesondere darauf hingewiesen hat, dass er vor den Minengegner*innen Angst hat – nicht etwa vor Strafverfolgung durch den Staat.

Der Gold- und Silberboom in Mexiko reiht sich ein in den Ausverkauf des Landes, der da im Schatten des Drogenkriegs und der damit verbundenen Schockstarre der Bevölkerung vorangetrieben wird. So wird das Land oft regelrecht verschenkt, zu 5 Pesos – das sind umgerechnet knapp 0,30 Euro pro Hektar. Das ist Wild-West-Realität gleich vor den Türen der Haupstadt von Oaxaca.

Auf wen können denn die Minengegner*innen bei ihrem Widerstand eigentlich zählen?

Es gibt bisher nur wenig Vernetzung und auch kaum Kontakte nach Kanada – wo das Mutterunternehmen der Mine, Fortuna Silver, seinen Sitz hat. Die tödliche Auseinandersetzung im Jahr 2010, als der Bürgermeister und sein Mitarbeiter erschossen wurden, führte dazu, dass sich viele Leute vom aktiven Widerstand distanziert haben.

Die Minengegner*innen haben es bisher nicht geschafft, aus der lokalen Konfrontation hinauszukommen und die Problematik auf die nationale und internationale Ebene zu heben. Die Demonstration vor der kanadischen Botschaft war ein erster, hoffnungsvoller Anfang dazu.

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