Oaxaca: Zwei Tote bei Konflikt um Goldmine – Menschenrechtszentrum fürchtet um Gesundheit von inhaftiertem Pater

von Alexander Debusman, Oaxaca

(Berlin, 21. Juni 2010, npl).- Zwei Wochen vor den Gouverneurswahlen im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca wurden am 19. Juni in San José del Progreso bei einem Zusammenstoß zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen der kanadischen Goldmine Fortuna Silver/Cuscatlán zwei Personen erschossen und mehrere Menschen verletzt. Zehn Minengegner*innen sind in Haft, unter ihnen der Befreiungstheologe Martín Octavio García Ortiz.

Zu der Schießerei kam es, als Minenbefürworter*innen des Ortes aus dem Flussbett Kies für den Ausbau der Zufahrtsstraße zur Mine entnahmen. Nach einem Beschluss der Gemeindeversammlung ist die Nutzung derartiger Ressourcen nur den Gemeindemitgliedern für den Bau ihrer Wohnhäuser gestattet, sie dienen nicht als Gratisrohstoffe für Großprojekte. Als die Minengegner*innen die Kiesentnahme stoppen wollten, kam es zu der Schießerei, bei der der Bürgermeister des Ortes Óscar Venancio Martínez Rivera und sein Mitarbeiter Misael Hernández getötet wurden. Es gab zahlreiche Verwundete auf beiden Seiten des Konflikts.

Zwei Stunden nach dem Vorfall wurde laut Augenzeugenberichten der Befreiungstheologe Martín Octavio Ortiz, der in der Vergangenheit mit den Minengegner*innen zusammengearbeitet hatte, auf dem Weg ins Dorf gekidnappt, brutal geschlagen, dabei am Kopf verletzt und bis in die Nacht gefangen gehalten. Die Staatspolizei kam später mit einem Aufgebot von 30 Fahrzeugen nach José, um mit Spürhunden nach den an der Schießerei Beteiligten zu fahnden. Dabei wurde auch Padre Martín gefunden, der nicht befreit, sondern zusammen mit neun weiteren Minengegnern festgenommen und nach Oaxaca gebracht wurde. Die Verhafteten werden beschuldigt, am gewaltsamen Tod des Bürgermeisters und seines Mitarbeiters beteiligt gewesen zu sein. Dem Pfarrer wird die „geistige Anstiftung“ zu dem Überfall vorgeworfen.

Das in Oaxaca ansässige Menschenrechtszentrum „Bartolomé Carrasco Briseño“ (Barca) fürchtet um die Freiheit und körperliche Unversehrtheit des inhaftierten und an Diabetes erkrankten Befreiungstheologen Martín Octavio Ortiz. Es hat zu einer Eilaktion aufgerufen.

Das kanadische Minenunternehmen Continuum Resources hat in der Gegend bereits seit 2005 Bodenproben entnommen, Schürferlaubnisse beantragt und sich durch Landkäufe von einzelnen Parzelleninhaber*innen in den Besitz von 200 Hektar Land gebracht. Die Rechtmäßigkeit dieser Vorgänge ist jedoch äußerst zweifelhaft, da die Gemeindeversammlung einer Privatisierung ihrer kommunalen Besitztümer nie zugestimmt hat und die einzelnen Parzellen daher rechtlich gesehen noch unveräußerliches Gemeindeland (Ejido) darstellen. 2008 wurde die Mine von dem in Vancouver ansässigen Konzern Fortuna Silver aufgekauft. Seither treibt Fortuna die Vorbereitungen für den Schürfbeginn, der für Mitte nächsten Jahres vorgesehenen ist, mit großem Druck voran.

Anfang des vergangenen Jahres hatten indigene zapotekische Gemeinden im etwa 50 Kilometer südlich der Stadt Oaxaca gelegenen Tal von Ocotlán mit Protestaktionen begonnen, um ihren Widerstand gegen den Ausbau einer Gold- und Silbermine auf ihrem Territorium zu artikulieren. Die drohende Vergiftung ihres Grundwassers durch die geplante Goldgewinnung bewog hundert Familien aus den umliegenden Gemeinden dazu, im März 2009 die Mine zu besetzen. Mit dieser Aktion legten sie für knapp zwei Monate die Spreng- und Bohrarbeiten lahm. Am 6. Mai 2009 wurden die Besetzer*innen von über 1.000 Polizisten gewaltsam geräumt. 24 Aktivist*innen wurden verhaftet, kamen aber auf Druck der oaxaquenischen LehrerInnengewerkschaft „Sección 22“, die sich für die Inhaftierten eingesetzt hatte, wieder frei.

Durch den Einsatz von Repression, Bestechungsgeldern an den Bürgermeister sowie einer Reihe von absurden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelang es der Minengesellschaft, ein Drittel der Bewohner*innen von San José auf ihre Seite zu bekommen und dadurch die Gemeinde zu spalten. Während ein Teil der Bevölkerung dafür eingestellt wurde, einen hohen Zaun um das Gelände zu ziehen und die Brachen zwischen den Abraumhalden mit Kürbissen zu bepflanzen, besetzten die Minengegner*innen im November 2009 das Rathaus.

Vergangenen Mai hatte der mexikanische Präsident Felipe Calderón bei seinem Besuch in Kanada Vertreter*innen von Industrie und Regierung zugesichert, dass er für in Mexiko getätigte Investitionen im Bergbausektor garantiere. Nach seiner Rückkehr aus Kanada kam es an mehreren mexikanischen Minenstandorten zur Eskalation bereits schwelender Konflikte. So wurde beispielsweise in einer der weltweit größten Kupferminen, im nordmexikanischen Cananea, ein bereits drei Jahre andauernder Streik der Minenarbeiter*innen durch die mexikanische Bundespolizei gewaltsam beendet.

Auch in San José del Progreso gab es vermehrt Auseinandersetzungen zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen der Mine. Der Bürgermeister und seine Leibwächter setzten bei den Konflikten Schusswaffen ein. Wie auch bei dem Konflikt in San Juan Copala (vgl. poonal 899), wo vor zwei Wochen – und dieses Mal mit massivem Polizeieinsatz – abermals eine Friedenskarawane mit Hilfsgütern in den von Paramilitärs abgeriegelten Ort verhindert wurde, hat Gouverneur Ulises Ruíz von der Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional) durch diesen Vorfall kurz vor den Wahlen noch einmal Gelegenheit, den Hüter von Sicherheit und Ordnung zu spielen. Ein Umstand, der von einer Reihe sozialer Organisationen als Indiz dafür gesehen wird, dass die jüngsten Ereignisse vom vergangenen Samstag von außen gesteuert worden sind.

Die Eilaktion des Menschenrechtszentrums (auf Spanisch) ist hier zu finden: http://fridaguerrera.blogspot.com/2010/06/accion-urgente.html

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