Poonal Nr. 533

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 30. Juli 2002

Inhalt


GUATEMALA

HONDURAS

BRASILIEN

KOLUMBIEN

EL SALVADOR/USA

ECUADOR

ARGENTINIEN

URUGUAY

PERU

COSTA RICA

HAITI


GUATEMALA

Einbrüche in mehrere Menschenrechtsbüros

(Guatemala-Stadt, 25. Juli 2002, poonal).- Wenige Tage vor dem Beginn der zweiten Konferenz des Rates lateinamerikanischer Menschenrechtsaktivisten und dem Besuch einer Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) am 23. Juli in Guatemala-Stadt wurde in die Büros verschiedener Menschenrechts- und Kleinbauernorganisationen in mehreren Städten des Landes eingebrochen. Das Inventar wurde verwüstet und wichtiges Arbeitsmaterial gestohlen. Amnesty International (AI) äußerte sich besorgt über die Sicherheit von Menschenrechtsaktivisten in Guatemala-Stadt und dem Department Jutiapa.

In der Nacht zum 21. Juli drangen Unbekannte in das Hauptquartier der Nationalen Menschenrechtskoordination Guatemalas (Coordinadora Nacional de Derechos Humanos de Guatemala – Conahdegua) ein, die ihre Räumlichkeiten mit verschiedenen anderen nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen teilen – darunter die Koordination für internationale Begleitung in Guatemala, ein Zusammenschluss verschiedener internationaler Gruppen aus Europa und Nordamerika, die internationale Zeugenbegleitung in Genozidfällen koordiniert. Neben der Koordination hat auch die österreichische Teilorganisation ADA, die darüber hinaus internationale Begleitung für bedrohte Menschenrechtsaktivisten organisiert, im gleichen Gebäude ihr Büro.

Die Eindringlinge nahmen nicht nur alle Computer, Telefone und Faxgeräte mit, sondern stahlen auch Archivmaterial sowie Dokumente und Daten mit wichtigen Informationen über die Arbeit der betreffenden Organisationen. Ebenfalls entwendet wurden von Conahdegua zusammengetragene Informationen über die Remilitarisierung des Landes, die Rolle der ehemaligen paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC), Unregelmäßigkeiten im Militärhaushalt sowie Fälle von während des Krieges Verschwundenen. Ungewöhnlich und besonders besorgniserregend an dem Vorfall ist, dass auch in die Büros der in dem Haus ansässigen internationalen Menschenrechtsorganisationen eingebrochen wurde, die aufgrund ihres Status` als ausländische Einrichtungen bislang einen gewissen Schutz vor Repressionsmaßnahmen genossen haben.

Verschiedene Augenzeugen gaben an, kurz vor dem Einbruch in der Nähe des Sitzes von Conahdegua Fahrzeuge der so genannten Präsidentengarde (Estado Mayor) gesehen zu haben, die dort „Streife“ gefahren seien. Zu den Aktivitäten des Estado Mayor gehören unter anderem geheimdienstliche Operationen. Zudem wurden in den verwüsteten Büros Abdrücke von Militärstiefeln gefunden. Mitarbeiter der betroffenen Menschenrechtsvereinigungen erklärten, die am folgenden Tag eintreffenden Beamten der Zivilen Nationalpolizei (PNC) hätten jedoch mehr Spuren verwischt als gesichert und versucht, den Einbruch als nicht politisch motiviertes Verbrechen zu kategorisieren, obwohl die Einbrecher ein Foto des Direktors von Conahdegua auf dessen Schreibtisch hinterließen und auch die Kassen der Organisationen nicht angerührt wurden.

Angesichts des Besuches der CIDH-Delegation und des lateinamerikanischen Menschenrechtskongresses wertet die US-amerikanische Organisation Nisgua, die ebenfalls Teil der Koordination für internationale Begleitung in Guatemala ist, die Vorfälle im Text einer Urgent Action vom 23. Juli hingegen als „Anstrengungen, Community- und Menschenrechtsaktivisten einzuschüchtern, sie dazu zu bringen, ihre Arbeit einzustellen und zu verhindern, dass sie sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft öffentlich über die Situation im Land äußern. Nisgua macht darüber hinaus geheimdienstliche Strukturen für die Einbrüche verantwortlich.

Eine Woche zuvor, in der Nacht zum 14. Juli, waren Unbekannte in ein Haus in Jutiapa eingebrochen, in dem verschiedene lokale Kleinbauernorganisationen sowie die regionale Außenstelle des alternativen Nachrichtendienstes Cerigua ihren Sitz haben. Entwendet wurden die Festplatten der Computer der Organisationen, die unter anderem Informationen über lokale Landkonflikte und Angaben über landsuchende Gruppen von Kleinbauern enthielten sowie Daten über die Gründung eines neuen Forums, das die derzeit paralysierte Umsetzung der 1996 unterzeichneten Friedensverträge wieder in Gang bringen soll. Obwohl der Einbruch der Polizei (PNC) gemeldet worden war, hat diese bis heute die Ermittlungen nicht aufgenommen.

Wenige Tage später, am 19. Juli, nahm AI die Vorfälle in Jutiapa zum Anlass, sich zur Menschenrechtssitation in Guatemala öffentlich zu äußern „Trotz einiger positiver Veränderungen, wie die Ernennung eines Sonderstaatsanwaltes für Fälle von Menschenrechtsverletzungen, leben die guatemaltekischen Menschenrechtsaktivisten nach wie vor in einem Klima des Terros, das an die Jahre des internen bewaffneten Konfliktes erinnert,“ heißt es in der Erklärung. „Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres“, berichtet die Organisation weiter, „haben die guatemaltekischen Menschenrechtsorganisationen 125 Fälle von Todesdrohungen, Aggressionen und Einschüchterungen gegen Personen, die im Menschenrechtsbereich arbeiten, angezeigt.“

In den vergangenen Monaten ist es außerdem zu einer erneuten Zunahme von politisch motivierten Morden gekommen. Im April wurde ein Mitarbeiter der Stiftung der Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu ermordet und im Juni wurden drei Kleinbauern-Aktivisten umgebracht, die als Führungspersönlichkeiten der seit Monaten andauernden Landkämpfe galten. Die Erklärung von AI schließt mit der Forderung an die Gruppe der Geberländer, die im Februar bei ihrem Treffen in Washington ein neues Entwicklungshilfepaket in Milliardenhöhe für Guatemala bewilligte, „zur Menschenrechtssituation in Guatemala nicht länger zu schweigen, sondern Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte zu ergreifen.“

Die zweiköpfige Delegation der CIDH, Santiago Canton, Sekretär der Kommission, und Susana Villaran, Referentin der CIDH für Guatemala, äußerten sich bei ihrer Ankunft in Guatemala am 23. Juli „besorgt über das Anwachsen der Repression gegen Menschenrechtsaktivisten.“ Canton erklärte: „Wenn Menschenrechtsaktivisten gefährdet sind, dann ist auch die gesamte Gesellschaft und die Demokratie in Gefahr.“ Die Delegation nahm am Kongress des Rates lateinamerikanischer Menschenrechtsaktivisten teil, der die Vorfälle in seiner Abschlusserklärung vom 25. Juli ebenfalls scharf verurteilte und erneut auf die fortgesetzte und systematische Straffreiheit ehemaliger Militärs aufmerksam machte. Außerdem traf sich die CIDH-Delegation mit Vertretern von verschiedenen Kleinbauern- und Menschenrechtsorganisationen sowie mit Repräsentanten staatlicher Institutionen. Canton und Villaran kündigten die Erstellung eines Berichtes zur „gravierenden Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Guatemala“ an.

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Mord an Straßenjugendlichen eventuell Akt „sozialer Säuberung“

(Guatemala-Stadt, 23.Juli 2002, cerigua-poonal).- Héctor Dionisio, Koordinator des Rechtsbüros der Kinderhilfsorganisation Casa Alianza erachtet den Mord an zwei Jugendlichen aus Guatemala und einem Mädchen aus Honduras, die auf einer Straße der Hauptstadt geschlafen hatten, als „soziale Säuberung“.

Dionisio erklärte, dass in den vergangenen 20 Tagen sechs Jugendliche, die auf der Strasse gelebt hatten, ermordet wurden. Er empfindet es als eigenartig, dass dies gerade im Vorfeld des Besuchs von Papst Johannes Paul II in Guatemala geschehe. Der Vertreter von Casa Alianza wies darauf hin, dass die Vorgehensweise bei diesen Morden bereits bekannten Praktiken aus der Vergangenheit ähnele und rief deshalb die zuständigen Sicherheitsbehörden auf, den Kindern auf der Strasse zur Seite zu stehen.

Der erste Angriff habe sich in der 18. Strasse des Zentrums, der Zone 1, ereignet. Dort wurde ein Jugendlicher erschossen, nachdem er zuerst schwere Schläge erlitten hatte. Der Jugendliche wurde dann in ein Krankenhaus eingewiesen, starb aber bereits während des Transports an seinen schweren Verletzungen.

Dionisio berichtete auch von einem anderen Mord, der ebenfalls in der Zone 1, zwischen 9. Avenida und 13. Strasse verübt wurde. Laut Aussagen von Vorübergehenden, die das Ereignis beobachtet hatten, wurde ein Minderjähriger absichtlich von einem Fahrzeug angefahren. Der Fahrer beging daraufhin Fahrerflucht. Obwohl der Junge unmittelbar in ein Krankenhaus gebracht worden war, starb er dort acht Tage später.

Der letzte Vorfall ereignete sich am vergangenen Samstag, als ein Unbekannter in einem grauen Auto auf eine Gruppe von sechs Straßenkindern und Jugendlichen in der Zone 8 schoss und dabei drei von ihnen tödlich und die anderen drei schwer verletzte.

Casa Alianza wird den Angehörigen der drei Ermordeten bei den Rechtsverfahren beistehen und vor der Behörde des Staatsanwaltes, dem Ministerio Público, als Ankläger zugunsten jener agieren, die keine nahen Verwandten haben. Abschließend informierte er darüber, dass die Anzeige bereits bei den zuständigen nationalen Stellen eingebracht und der UN Sonderbeauftragte für außergerichtliche Exekutionen benachrichtigt wurde. Letzterer wurde ebenso wie die UN-Wahrheitskommission für Guatemala (Minugua), die die Umsetzung der Friedensverträge in Guatemala überwacht, dazu aufgefordert, unmittelbar einzugreifen.

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HONDURAS

Anhaltende Welle von Morden an Minderjährigen

(Tegucigalpa, 13. Juli 2002, sem-poonal).- Während einer hohen Kommission die letzten Zahlen von in den Provinzhauptstädten straflos ermordeten Minderjährigen präsentiert wurden, kamen neue Informationen hinzu, dass die Gewaltwelle andauere und im Juni 33 Kindern und Jugendlichen das Leben gekostet habe.

Die Versammlung wurde von hohen Funktionären wie u.a. Ramón Hernández Alcerro vom Regierungs- und Justizministerium sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich wie die „Casa Alianza“ auf die Themen Kindheit und Adoleszenz spezialisiert haben, einberufen. Diese legten dem honduranischen Beauftragten Ricardo Maduro Rechenschaft über die Serie von systematischen Ermordungen ab, die sich auf 1300 Minderjährige und Erwachsene im Zeitraum zwischen 1998 und Juni diesen Jahres beläuft.

Die NGO „Casa Alianza“ begann vor vier Jahren damit, die Todesfälle zu dokumentieren und hat sich zur Aufgabe gemacht, permanent Anzeigen zu erstatten, um die Aufmerksamkeit der Autoritäten auf die Verletzung der Menschenrechte zu richten, welche die minderjährigen Opfer erfahren. Diese stammen aus den ärmsten Schichten des Landes.

In einer Erklärung bekräftigte „Casa Alianza“, dass die Zählung nach dem Anstieg internationalen Drucks und dem Aufkommen von Gerüchten stattgefunden habe, die innerhalb der honduranischen Gesellschaft und politischen Bereichen wegen des Anstiegs der Kriminalität kursierten. Honduras ist der ärmste Staat in der Region.

Nach den offiziellen Zahlen der jüngsten Zählung haben zwei der 32 minderjährigen und jugendlichen Ermordeten ihr Leben bei einer polizeilichen Verhaftung verloren. In Übereinstimmung mit den dokumentierten Berichten der NGO stellten den grössten Teil der ermordeten Personen Jungen unter 22 Jahren. Mindestens die Hälfte von ihnen war zwischen 18 und 21 Jahren.

Dieselben Informationen machen deutlich, dass es sich um Ermordungen mit Waffengebrauch handelt; 79 Prozent der jugendlichen Opfer wurden durch Schusswaffen ermordet, was die Vermutung der Nichtregierungsorganisationen bestätigt, dass es sich um geplante Hinrichtungen handelte.

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BRASILIEN

Markt-Turbulenzen wegen breiter Zustimmung für PT-Politiker Lula

(Rio de Janeiro, 15.Juli 2002, na-poonal).- Luiz Inácio Lula da Silva, der Präsidentschaftskandidat der linken Arbeiterpartei PT, bewirbt sich nun zum vierten Male für das wichtigste Amt Brasiliens. Bei den letzten Wahlen führte er die Umfragen an und verlor erst in der zweiten Runde. Dieses Mal verfügt er über Allianzen mit Parteien des Zentrums, welche seine Chancen verbessern könnten.

Drei Monate vor den Wahlen des Nachfolgers für den zweimaligen Präsidenten Fernando Enrique Cardoso sind es nicht die Unternehmer, die damit drohen, das Land zu verlassen, sondern die ausländischen Investoren. Mit dem wachsenden Aufstieg von Lula in den Umfragen hat sich die Unsicherheit unter ihnen hinsichtlich der zukünftigen Wirtschaftspolitik verstärkt. Dies wiederum hat Druck auf die Wirtschaft ausgeübt, die vom ausländischen Kapitalfluss abhängig ist.

Nachdem sie den Tonfall in ihren radikalen Reden mäßigte und mit anderen Parteien Allianzen schlossen, hat der PT nun große Chancen, die Wahlen am 6. Oktober zu gewinnen. José Serra von der Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB), der Lieblingskandidat der Regierung, arbeitet jedoch ebenfalls intensiv an möglichen Allianzen.

Nachdem Roseana Sarney, Kandidatin der Liberalen Front Partei PFL aufgrund eines Korruptionsskandals ihre Karriere abbrechen musste, scheint es, dass ihre Wählerschaft nun Lula unterstützt. In den Umfragen von Mitte Mai stieg die Wählerzustimmung für den PT-Politiker um zehn Prozentpunkte und lag damit bei über 40 Prozent der Stimmen. Auch wenn er weiter Favorit bleibt, erhielt er in einer Erhebung vom 9. Juli nur noch 34 Prozent der Stimmen.

Die Beliebtheit Lulas in der Wählergunst, verbunden mit dem Stocken des Wirtschaftswachstum und der wachsenden Beunruhigung hinsichtlich der Steuerkonten der Regierung, lassen ausländische Banken und Risikokalkulationsagenturen die Investitionen nach Brasilien überdenken. Der Risikofaktor, an dem sich die Rückzahlung ausländischer Schulden orientiert, stieg in Brasilien von 700 Punkten im März auf über 1700 im Juni. Auch der Dollarkurs stieg von 2.33 Reales im April auf über 2.80 Reales im Juli.

„Die Investoren sind weiterhin beunruhigt, dass sich die Situation der Staatsverschuldung mit einer neuen linksgerichteten Regierung verändern könnten“, meint Keith Murray, Marktforscher der Argentur Moody´s. Die Nervosität der Investoren verursachte harte Reaktionen von Politikern bis zu lokalen Tochtergesellschaften multinationaler Banken.

Lula bewertete das Handeln der Banken als „Wirtschaftsterrorismus“. Trotzdem behaupten Wirtschaftsanalytiker, es würde dabei nur dem Markt gefolgt. „Schon lange bevor die ausländischen Banken die Situation bewerteten, gaben die internen Märkte bereits Signale hinsichtlich einer Verschlechterung der Aussichten.“, meint Paulo Vieira da Cunha, Ökonom bei Lehman Brothers.

Um die Befürchtungen der Investoren zu zerstreuen hat der Wirtschaftsminister Pedro Malan die Präsidentschaftskandidaten gebeten, ihre wirtschaftlichen Pläne und ihre Kompromissbereitschaft mit den bereits erfolgten Reformen Cardosos darzulegen.

„Eine Umsetzung unseres Regierungsprogramms für Brasilien kommt einer Unterbrechung des aktuellen Wirtschaftsmodells gleich, welches für die Öffnung und radikale Freiheit der nationalen Wirtschaft und die Anpassung ihrer Dynamik an die Interessen und Bewegungen des weltweiten Finanzkapitals steht,“ besagt ein Wahlkampfdokument, das von Antonio Palocci Filho, dem Koordinator der Kampagne von Lula, herausgegeben wurde.

Glauco Arbix, Soziologe mit engen Kontakten zu PT-Führern, sagte, dass im Falle eines Wahlgewinnes der Partei die Schulden nicht unbeglichen blieben oder neu ausgehandelt würden. Man werde die unterzeichneten Verträge der früheren Verwaltung akzeptieren. Die Geldstabilität würde beibehalten werden. Da man jedoch das Hauptaugenmerk auf die Schaffung von Arbeitsplätzen lege, könne dies Teile des neoliberalen Konzeptes gefährden. Dasselbe könne mit den von der aktuellen Regierung geschaffenen Mitteln zur Bekämpfung der Inflation passieren, verdeutlichte Arbix.

In den Bezirken und Bundesstaaten, in denen der PT regiert, zeigten sich vernünftige Verwaltungspraktiken und Respekt für Steuerbeschränkungen. Selbst wenn die Partei radikale Wechsel durchführen will, benötigt sie dafür die Zustimmung des Kongresses.

Im Vergleich zu früheren Wahlen, in denen er nur die Unterstützung einiger weniger linker Parteien genossen hat, sucht der PT dieses Mal Allianzen mit Parteien des Zentrums, insbesondere mit der Liberalen Partei PL und der Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens PMDB. „Brasilien ist ein riesiges Land“, sagte Arbix. „Man braucht Koalitionen, um zu regieren“.

Wochenlang verhandelte der PT mit dem PL, der gewöhnlich im Kongress mit dem PT stimmt, um eine Allianz. Der PL verfügt über etliche evangelische Führer, obwohl ihre Strategie eigentlich eine Annäherung an die Unternehmerklasse verfolgt. Um die Allianz zu festigen, bestimmte Lula am 19 Juni den Multimilliardär José Alencar vom PL zu seinem Vizepräsidenten.

Der Pakt zwischen den beiden Parteien hat sich geschmälert, da es in verschiedenen Bundesstaaten Schwierigkeiten gab, Allianzen zu gründen. Die brasilianische Wahlbehörde hat entschieden, dass Parteiallianzen auf staatlicher Ebene dieselben wie auf föderaler Ebene sein müssen.

Der PT hat auch mit Teilen des PMDB verhandelt, der derzeit die Regierungskoalition mit bildet. Anfang Juni bot Lula Pedro Simón, einem Senator des PMDB, den Posten des Vizepräsidenten an. Dieser schlug das Angebot jedoch aus. Der PT sät weiterhin Zwietracht innerhalb des PMDB mittels informeller Gespräche mit Führern, die dem Expräsidenten Itamar Franco (1992-1994) (derzeitiger Gouverneur von Minas Gerais) und Orestes Quércia, dem umstrittenen Ex-Gouverneur des Staates São Paulo, nahestehen. Am 18. Juni erklärte Franco, dass er den PMDB, dessen Mitbegründer er ist, verlasse, um Lula zu unterstützen. Auch Quércia versprach Lula den Rücken zu stärken.

Auch der PSDB ist dabei, mit dem PMDB zu verhandeln, um an Einfluss zu gewinnen. Serra wählte Rita Camata von PMDB, als seine Vizepräsidentin. Ein Wahlerfolg würde sie zur ersten Frau im Vizepräsidenten-Amt Brasiliens machen.

Im Juni kam Ciro Gomes, Kopf der Koalition aus Sozialistischer Volkspartei PPS, Demokratischer Arbeiterpartei PDT und Arbeiterpartei Brasiliens PTB auf weniger als zehn Prozent in den Umfragen. Die Erhebung von Ibope am 9. Juli jedoch stellte ihn mit 18 Prozent und 17 Prozent auf eine Stufe neben Serra. Letztlich stimmt die Mehrheit der Analytiker darin überein, dass Lula in einem zweiten Wahlgang auf Serra oder Gomes treffen wird.

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Mord an Indigena-Führer verurteilt

(Salvador, 19.Juli 2002, alc-poonal).- Der Rat der Indigenen Bevölkerung von Misionero (CIMI), der Hauptstadt des Staates Bahía, stellte Strafanzeige gegen die Verantwortlichen am Tod des indigenen Führers Raimundo Sota. Dieser wurde am Morgen des vergangenen Donnerstag ermordet.

Die Strafanzeige legt das Verbrechen Auftragskillern zur Last, die vom Besitzer der Hacienda „Brazo de la Duda“ Valdir Alves in der Gemeinde Pau Brasil im Bundesstaat Bahía beauftragt worden sein sollen. Der von Alves eingenommene Besitz wurde erst vor kurzem von Mitgliedern der Pataxó Hã-Hã-Hãe zurückerobert.

Seit 1982, als das indigene Volke den Kampf zur Rückeroberung ihres Gebietes von 53.400 Hektar in den Gemeinden von Pau Brasil und Itaju do Colonia im Süden des Bundesstaates Bahía aufgenommen hat, sind 15 ihrer Führer ermordet worden. Laut einer Erklärung des CIMI versucht dieser seit 1982, vor dem Obersten Bundesgerichtshof die Annulierung des Eigentumsrechts zu erwirken, das den Gutsbesitzern von der Regierung Bahías zugesprochen worden war.

Angesichts der Tatenlosigkeit des Gerichts begannen die Pataxó 1999 auf eigene Faust, das besetzte Gebiet zurückzuerobern. Im Oktober des vergangenen Jahres gelang es ihnen, 60 Güter zurückzugewinnen. Das beschwor den Zorn der Grundbesitzer herauf.

Am 15. Juli brachte der Rat der Indigenen Bevölkerung von Itabuna einen von Auftragskillern verübten Überfall auf eines der Güter, die von den Pataxó in der Region Ourinho zurückerobert worden waren, zur Anzeige. Nach Angaben der Pataxó kamen die Killer im Auftrag des Ex-Bürgermeisters von Pau Brasil, Durval Santana, der Anspruch auf das Grundstück stellt. Anfang des Jahres ermordeten bewaffnete Personen Milton Matos Silva, ein 44-jähriges Mitglied der indigenen Gemeinde der Region Ourinho. Am vierten Juli überfielen Bodyguards der Grundeigentümer 25 Familien, die ihr Land in der Region Taquari zurückerobert hatten.

Die Pataxó befürchten, dass die Gewalt in der Region stetig zunehmen wird, wenn die Gerichte nicht bald reagieren und ihnen Garantien für den Rückerhalt ihres Landes zusprechen.

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KOLUMBIEN

Anführer der Paramilitärs erklären Ende der AUC

(Montevideo, 21. Juli 2002, comcosur).- Die Anführer der paramilitärischen Einheit „Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ (AUC) bestätigten heute die Auflösung der illegalen bewaffneten Organisation, was mit der Atomisierung der verschiedenen ultrarechten Gruppen begründet wird. Die Anführer Carlos Castaño und Salvatore Mancuso erklärten in einer Presseerklärung, dass es angesichts der zunehmenden Durchsetzung der eigenen Reihen durch Drogenhandel, der Atomisierung der verschiedenen Gruppen und des Rücktritts zahlreicher Kommandeure das Beste sei, das Ende der AUC zu erklären.

Allerdings bedeutet die Auflösung dieser landesweit organisierten kriminellen Gruppierung keineswegs das Ende des Paramilitarismus in Kolumbien. Die Caudillos Castaño und Mancuso haben keinen Zweifel daran gelassen, dass ihre Männer „sich in einer anderen Bewegung reorganisiert haben“. In der vergangenen Woche hatte Castaño die „politische Führung“ der AUC aufgegeben und erklärt, dass er nur noch dem größten paramilitärischen Verbund des Landes, den Campesino-Selbstverteidigungseinheiten von Córdobaund Urabá (ACCU) vorstehen würde. Der Anführer der Autodefensas, der von internationalen Gremien für zahlreiche Gräueltaten schuldig erklärt wurde, erkannte an, dass in seiner Organisation jeder das täte, wonach ihm der Sinn stünde. Es sei nicht mehr möglich, eine totale Kontrolle auszuüben.

Seit den Achtzigerjahren stellen die paramilitärischen Einheiten jene bewaffnete Gruppierung Kolumbiens dar, die die meisten Menschenrechtsverletzungen begeht. Sie sind verantwortlich für Hunderte von Massakern und Dutzende von Morden an linken Persönlichkeiten des Andenlandes.

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EL SALVADOR/USA

Ex-Generäle wegen Verantwortung für Folter verurteilt

Von Roberto Roa

(Berlin, 24. Juli 2002, npl).- Bislang konnten sich lateinamerikanische Militärs, die in den USA im Ruhestand lebten, vor juristischer Verfolgung wegen eventueller Verbrechen in ihrer aktiven Zeit sehr sicher fühlen. Dies ist jetzt vorbei: Erstmals verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Florida zwei zurückgezogene Generäle aus El Salvador zur Zahlung von insgesamt 54,6 Millionen US-Dollar Schadensersatz.

Laut dem Richterspruch vom Dienstag (24. Juli) waren sie für die Folterung von drei Salvadorianern Anfang der Achtzigerjahre verantwortlich. Zur Zeit der Tat war Carlos Vides Casanova Chef der Nationalpolizei und José Gillermo García Verteidigungsminister in dem mittelamerikanischen Land.

Die beiden 64 und 68 Jahre alten Rentner hatten in dem vierwöchigen Prozess darauf beharrt, dass sie von den Folterungen nichts gewusst hätten. Die drei Kläger, Salvadorianer, die ebenfalls in den USA leben, jedoch den Status politisch Verfolgter genießen, stützten ihre Klage auf ein US-Gesetz von 1992, demzufolge ausländische Militärs mit Wohnsitz in den USA für die Taten ihrer Untergebenen verantwortlich zu machen sind.

An die Jury gerichtet hatte Rechtsanwalt James Green gesagt: „Sie haben die historische Pflicht, diesen Generälen zu sagen, dass sie falsch handelten, als sie nicht verhinderten, dass ihre Untergebenen folterten.“ Zudem machte er geltend, dass die Kläger Zivilisten und keine Guerilleros gewesen seien. Juan Romagoza war damals Chirurg, Carlos Mauricio Professor und Neris González war im Moment ihrer Festnahme im achten Monat schwanger.

„Dies ist ein erster Schritt zur Beendigung der Straflosigkeit von hohen Militärs, die in Folterverbrechen verwickelt sind,“ freute sich Carlos Mauricio in einem ersten Kommentar nach den Spruch der zehn Geschworenen. Kurt Klauss, Anwalt der beiden Verurteilten, kündigte Berufung an. Als ersten Grund hierfür gab er an, dass seine Mandanten nicht in der Lage seien, die hohe Summe zu bezahlen, da sie nur von ihrer „bescheidenen Militärrente“ lebten. Darüber hinaus droht den zwei Generälen im Ruhestand jetzt auch die Abschiebung aus den USA in ihr Heimatland, sollten sie die Summe nicht zahlen können.

Bereits im November des Jahres 2000 standen Casanova und Garcia vor einem US-Gericht, damals wegen ihrer mutmaßlichen Verantwortung für Vergewaltigung und Mord an vier Nonnen aus den USA. Dieses Verbrechen hatte 1980 in El Salvador großer Aufsehen erregt. Doch zu einer Verurteilung kam es nicht. Um so größer ist jetzt die Freude bei den Klägern und dem „Zentrum für Gerechtigkeit und Verantwortung“, einer Vereinigung von Rechtsanwälten aus San Francisco, die ihre Dienste für dieses Verfahren kostenlos zur Verfügung gestellt hatten.

Als nächsten wollen die engagierten Rechtsanwälte den honduranischen Ex-Militär Juan Evangelista López Grijalba wegen der Folterung von Oppositionellen aus Honduras vor ein US-Gericht bringen. Neben anderen früheren Tätern in Uniform, die heute in den USA leben, soll auch der Chilene Armando Fernández Larios, der nach dem Pinochet-Putsch 1973 an der berüchtigten „Todeskarawane“ beteiligt war, zur Rechenschaft gezogen werden. Nach den unzähligen internationalen Haftbefehlen, die der spanische Richter Baltazar Garzón in den vergangenen Jahren gegen südamerikanischen Diktaturschergen erließ, und mehreren Verurteilungen von eigentlich amnestierten Militärspitzen in Argentinien gibt dieses Urteil aus Florida den unterdrückten Oppositionellen erneut Hoffnung, dass zumindest die Justiz versucht, der Straffreiheit uniformierter Täter beizukommen.

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ECUADOR

Mobilisierungen gegen das Freihandelsabkommen ALCA

(Quito, 21. Juli 2002, comcosur-poonal).- In Anwesenheit des Friedensnobelpreisträgers Adolfo Pérez Esquivel und verschiedenen Repräsentant*innen sozialer Bewegungen wurden am 15. Juli in der nationalen Kongresshalle Quitos öffentlich die „Kontinentalen Mobilisierungen gegen das ALCA“ ausgerufen, die für Oktober in der ecuadorianischen Hauptstadt vorgesehen sind.

Die Mobilisierungen werden vom 27.Oktober bis zum 1. November in Ecuador stattfinden, parallel zum Treffen der Handelsminister der 34 amerikanischen Nationen. Auf diesem Treffen sollen die Verhandlungen zum so genannten Freihandelsabkommen Amerikas (ALCA) vorangebracht werden. Die Mobilisierungen „des Kampfes und des Widerstands“ sollen ebenfalls „Mobilisierungen der populären Bildung, der Reflektion, der Analyse und des kulturellen und künstlerischen Ausdrucks sein, die den multikulturellen und multisektoralen Reichtum unser Kämpfe repräsentiert“, so der Aufruf zur Mobilisierung.

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ARGENTINIEN

Erfolge im Arbeitskampf beim Perfil-Verlag

(Montevideo, 21. Juli 2002, comcosur-poonal) – Nach 23-tägigem Streik und Einnahme des Verlagshauses erreichten die Arbeiter von Perfil Übereinkünfte in den zwei Ausgangspunkten des Konflikts. Nach mehreren Treffen im Arbeitsministerium wurde ein Einigungspapier unterzeichnet, wonach das Verlagshaus sich verpflichtet, innerhalb der nächsten 90 Tage keine Entlassungen auszusprechen. Des Weiteren wird die Aufhebung des Pressestatus rückgängig gemacht, da die Verteidiger der Pressearbeiter gegen die von Handelsrichter Bavastro durchgesetzte Maßnahme Einspruch einlegten.

Mit diesen zwei Regelungen beginnt eine Unterbrechung im Arbeitskampf, den die Angestellten von Perfil initiierten, als der Direktor der Firma Jorge Fontevecchia die Aufhebung des Pressestatus beim Gericht von Bavastro beantragte. Diese Maßnahme hätte, wäre sie rechtskräftig geworden, u.a. eine grundlose Kündigung erleichtert.

In einer der bewegtesten Wochen des Kampfes ketteten sich im Kongress vier Frauen der Vereinigung der Pressearbeiter in Buenos Aires, UTBA, an. Daraufhin fand ein Treffen im Arbeitsministerium statt, bei dem das Einigungspapier unterzeichnet wurde.

Das Dokument besagt: „Hiermit wird die Verhandlungsrunde einberufen. Diese soll eine Einigung herbeiführen, die die wichtigsten Punkte beider Parteien beinhalten. Genannte Runde tagt innerhalb der nächsten 60 Tage, verlängerbar um 30 Tage. Ebenso ratifizieren beide Parteien, dass sie innerhalb des genannten Zeitraums den sozialen Frieden und die Sicherheit der Arbeiter garantieren. Beide Seiten verpflichten sich zudem, die Mittel der Gewalt aufzuheben, vor dem 25. Juli 2002 ausstehende Löhne zu zahlen und den normalen Funktionsbetrieb der Firma und ihrer Einrichtungen wieder aufzunehmen.“

Ein Hauch von Triumph weht in der Redaktion des Verlags Perfil. Heute wird gefeiert, so Rubén Schorfrin, „wir sind zufrieden, weil wir Schluss gemacht haben mit dem Mythos, dass nichts zu ändern ist und dass einem bei Entlassung keine andere Wahl bleibt.“

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URUGUAY

Miserable Zustände in Gefängnissen

(Montevideo, 20. Juli 2002, comcosur).- Die Lebensbedingungen im Gefängnis (oder der Strafanstalt) „Libertad“ werden von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr angesichts der Gleichgültigkeit der Behörden unerträglicher. Diese sind nicht einmal in der Lage, die grundlegende Ordnung in dem Gefängnis aufrecht zu erhalten. Das führte zwangsläufig zu einer Serie von Meutereien, die die Strafanstalt in Ruinen zurück ließen.

Da ihren Gesuche, in annehmbarere Gefängnisse (man muss sich vergegenwärtigen, dass „Libertad“ während der Diktatur für politische Häftlinge gebaut wurde) überstellt zu werden, nicht entsprochen wurde, entschieden sich die Häftlinge dafür, dass Gefängnis zerstören. Die Antwort der Behörden, die nicht in der Lage waren, die Zerstörung zu verhindern, war, die meisten Gefangenen in den Ruinen „wohnen“ zu lassen, einige in Containern unterzubringen und ein paar in die ehemalige Jugendhaftanstalt „La Tablada“ zu verlegen.

Im Zuge dieser Meutereien und Verlegungen deckte die Justiz eine Bande korrupter Polizisten auf, die gegen entsprechende Bezahlung Verlegungen veranlassten und Handys, Drogen und Alkohol ins Gefängnis gelangen ließen. Die Ermittlungen erstrecken sich bis in die höchsten Ränge der Gefängnisdirektion.

Schlimmer ist aber noch, dass im letzten Jahr angesichts der Untätigkeit der Gefängnisbeamten zahllose Häftlinge mutmaßlich von anderen Gefangenen umgebracht wurden, um „offene Rechnungen zu begleichen“. In diesen Gefängnissen gibt es keine medizinische Versorgung, keine Resozialisierungsprogramme, wie Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Die Lebensmittelversorgung ist kläglich. Darüber hinaus wird, wie sich gezeigt hat, nicht einmal das Recht auf Leben gewährleistet. Und das in einem Land, in dem die Todesstrafe offiziell abgeschafft ist.

Ein um das andere Mal haben Gefangene, Angehörige und Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte ihre Stimme erhoben, um diese Zustände anzuklagen. Und ein um das andere Mal war Schweigen die Antwort. Aber nicht nur Schweigen der Verantwortlichen, sondern auch Aussagen wie die des Innenministers Guillermo Stirling, der äußerte „Die Gefangenen haben, was sie verdienen“.

Aber nicht einmal die Parlamentarier der Opposition (Encuentro Progresita und Nuevo Espacio), die traditionell eifrige Verteidiger der Menschenrechte sind, fordern vom Ministerium für die unakzeptablen und beschämenden Verhältnisse in den Gefängnissen Rechenschaft. Was sind die Gründe für dieses Schweigen? Gibt es irgend einen Geheimpakt, der dem Minister Stirling die Unschuld garantiert?

Die derzeitigen Gefängnisse in Uruguay brauchen einen Vergleich mit denen auf der Teufelsinsel vor Französisch Guayana nicht scheuen, wo unter anderen Dreyfuss und Papillón ihre Strafe absaßen. Der einzige Vorteil ist vielleicht die Abwesenheit von Reptilien und eine geringere Anzahl an Stechmücken. Das Schweigen der Gesellschaft ist erschreckend. Nicht einmal aus eigenem Interesse gibt es eine Reaktion. Das heißt: niemand macht sich bewusst, dass die Gefangenen in dieser Art zu behandeln, dazu führt, sie weiter zu marginalisieren und in die Kriminalität zu drängen. Wenn sie frei gelassen werden, sind sie voller Hass und Bitterkeit gegenüber einer Gesellschaft, der es egal war, dass sie wie Tiere behandelt wurden. Das heißt: niemand macht sich bewusst, dass es unter Tausenden Gefangenen Unschuldige geben kann, und sicher glauben alle, dass sie selbst ja niemals dort landen werden.

Letzte Woche haben die Häftlinge von „La Tablada“ einen offenen Brief an die Regierung, das Parlament und die Justiz geschrieben, in dem sie die Situation beklagen und eine Lösung fordern. Die Antwort war erneut Schweigen, ein beschämendes erschreckendes Schweigen.

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PERU

Fujimori wird Zwangssterilisation von Indígenas vorgeworfen

Von Ester Prado und Roberto Roa

(Lima, 25. Juli 2002, npl).- Der peruanische Kongress wirft Ex-Präsident Alberto Fujimori und drei früheren Gesundheitsministern Völkermord vor. Konkret wird ihnen vorgehalten, die Zwangssterilisierung von größtenteils mittellosen Indígena-Frauen zwischen 1996 und 2000 planmäßig durchgeführt zu haben.

Mit Drohungen, Versprechungen von Lebensmitteln und anderen Tricks seien die Frauen dazu gebracht worden, sich einer Operation zur Abklemmung der Eileiter zu unterziehen. Mindestens 18 von ihnen sollen an dem Eingriff oder den Folgen gestorben sein. Grundlage dieser Anklage ist ein Bericht, den eine Kommission des derzeitigen Gesundheitsministeriums erarbeitet hat. Menschenrechtsgruppen bezweifeln jedoch das vorgelegte Zahlenmaterial.

Der Bericht, der am Dienstag dem amtierenden Gesundheitsminister Fernando Carbone übergeben wurde, stützt sich vor allem auf Zeugenaussagen von Funktionären zur Zeit der Fujimori-Regierung und auf Dokumente. Darunter finden sich monatliche Berichte über die Zahl der „freiwilligen Sterilisationen“ und konkrete Pläne über den Fortlauf der Kampagne. Andere Dokumente belegen die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Gesundheitsbehörden und dem Militär in dieser Angelegenheit.

Alberto Fujimori hatte Peru fast ein Jahrzehnt lang mit harter Hand regiert und gemeinsam mit seinem Berater Vladimiro Montesinos ein korrupt-kriminelles Netzwerk geschaffen. Als die Machenschaften aufflogen, floh er im November 2000 nach Japan, wo er als Staatsbürger vor einer Auslieferung an peruanische Gerichte sicher ist.

Der Bericht der Gesundheitskommission zählte über 210.000 chirurgische Sterilisationen. Dabei sei es nicht um Vorsorge oder die Eindämmung von Epidemien gegangen, sondern um die Verringerung der Geburtenrate unter den Armen in Peru, so die Schlussfolgerung. „Mangels Information und unter Druck gesetzt waren die betroffenen Frauen nicht in der Lage, eine eigene Entscheidung zu treffen,“ führt der Bericht aus. Besonders infam sei die Drohung gewesen, bei Verweigerung der Sterilisation würden die betreffenden Frauen in den staatlichen Gesundheitszentren nicht mehr behandelt werden.

Einer der Angeklagten, Ex-Gesundheitsminister Alejandro Aguinaga, bezeichnete die Ergebnisse der Kommission als „unglaublichen Exzess“ und beschwerte sich darüber, dass die Frage der extrem hohen Mütter- und Kindersterblichkeit in diesem Kontext völlig vergessen werde.

Der staatliche Menschenrechtsbeauftragte Walter Albán erklärte, er sehe keine Veranlassung, strafrechtlich gegen Fujimori und seine Minister vorzugehen. Die vorgelegten Beweise reichten für den Tatbestand des Genozids keineswegs aus. Es handele sich um „eine politische Verantwortung, nicht um eine strafrechtliche,“ so Albán. Er führte aus, dass Untersuchungen seiner Institution zu ganz anderen Zahlen gelangt seien. Er ginge nur von 200 bis 300 Fällen von Zwangssterilisation aus und nicht von Tausenden.

Dem einst allmächtigen Fujimori drohen noch weitere Verbrechen aus seiner Regierungszeit einzuholen. Eine Parlamentskommission verkündete ebenfalls am Dienstag (23.7.), dass der Ex-Präsident und weitere Minister wegen irregulären Waffenkäufen 1995 – nach dem Grenzkrieg mit Ecuador – wegen Vaterlandverrats belangt werden soll. Die peruanische Justiz ermittelt gegen den Flüchtigen wegen Menschenrechtsverbrechen, illegaler Bereicherung und Amtsmissbrauch.

All dies scheint Fujimori jedoch kaum zu behelligen. Im Gegenteil: Sein Sprecher Carlos Raffo kündigte vergangene Woche an, Fujimori wolle bei den Wahlen im Jahr 2006 erneut kandidieren. Diese Neuigkeit kommentierte Perus Außenminister mit dem Hinweis, Fujimori würde schon am Flughafen festgenommen werden und wie Montesinos ins Gefängnis gebracht.

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COSTA RICA

Sekte spaltet Indígena-Gemeinde

(San Jose, 23.Juli 20002, alai-poonal).- Mitte Juni begannen Abgesandte der religiösen Organisation Globales Land des Weltfriedens (País Global de la Paz Mundial -PGPM), verschiedene Orte in Costa Rica anzupeilen. Seitdem sind in den indianischen Gemeinden des mittelamerikanischen Landes Diskussionen um die neue Religion an der Tagesordnung. Diese haben in einigen Fällen sogar zu Spaltungen der Gemeinden und gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt.

Die PGPM stammt aus Indien, hat sich aber unter holländischem Recht konstituiert. Hauptziel der Organisation ist die Errichtung eines „Weltlandes“, in dem es eine einzige Währung geben soll, ein einziges Gedankengut und einen einzigen Herrscher: den König Maharishi Maesh Yoghi.

In Costa Rica begann die PGPM mit einem Projekt in der indianischen Zone Talamanca. Die Indígenas wurden von der Sekte mit Versprechungen von besseren Häusern, Schulen, Ausbildungsplätzen und gut bezahlter, sicherer Arbeit geködert. Resultat ist eine Spaltung quer durch die Gemeinden Bribrí und Cabécar.

Die Sekte hat den indianischen Heiler Lisandro Méndez als König ernannt. Er soll die Region unabhängig von ihrer nationalen Regierung und Gesetzgebung regieren. Der „König“ führte bereits die Währung „Raam“ ein, die zu einem Wechselkurs von 10 US-Dollar gerechnet wird. Der „König“ von Rika Shanti Rastra, wie Costa Rica nun heißt, erhielt 4 Millionen US-Dollar von der Zentrale in Holland. Mit dem Geld soll er sein Königreich aufbauen und verwalten. Die frisch gekürten Minister des Reiches erhalten einen Monatslohn von umgerechnet tausend US-Dollar.

Diese Situation brachte die anderen Indígenas der Region und ihre Organisationen auf den Plan. Sie verurteilten den mangelnden Respekt für ihre Sitten und Gebräuche sowie die totale Ignoranz bezüglich der Realität des Landes. Die Gemeinden gingen aufeinander los – einige für, andere gegen die Sekte. Grund für die jüngste Auseinandersetzung war die Nachricht, dass die PGPM 7.000 Hektar Land erwerben wollte, um dort Biobananen anzubauen, die in die USA verkauft werden sollten. Auf weiteren achttausend Hektar Land sollte die neue Hauptstadt des Globalen Landes entstehen – alles auf Land der indianischen Gemeinden.

Die Regierung von Präsident Abel Pacheco ignoriert nun schon seit über einem Monat die Klagen der indianischen Gemeinden. Gehör fand erst eine Beschwerde der katholischen Kirche gegen die Sekte. Daraufhin orderte Pacheco beim Geheimdienst Costa Ricas eine Untersuchung der Sekte. Diese bestätigt nun, dass die PGPM eine Gefährdung der sozialen Ruhe Costa Ricas darstelle und ein Staat im Staat indiskutabel sei.

Alejandro Swaby Rodríguez, Vorsitzender der Vereinigung zum Schutz der indigenen Völker Costa Ricas, bezeichnete die Sekte als pervers, da sie auf dem Weg zum Frieden Gewalt unter den indigenen Gemeinden säe und sie dabei in ein religiöses und ideologisches Spiel verwickele. Er führte aus, dass seine Organisation unter keinen Umständen eine Zerstörung durch die Sekte zulassen werde und erinnerte daran, dass die indigenen Gemeinden bereits 500 Jahre Erfahrung im Widerstand gegen die Vereinnahmung ihrer Kultur hätten.

Eine Delegation der Indígenas von Bribrí und Cabécar reisten in die Hauptstadt San José, um dort die Abgeordneten dazu aufzufordern, sie im Kampf gegen die ausländische Intervention in Gestalt der PGPM zu unterstützen.

Unter dem Druck rief der Präsident Costa Ricas die Mitglieder der Sekte dazu auf, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Bislang sind ist die PGPM der „Einladung“ noch nicht gefolgt, da sie noch Dinge zu erledigen hätten. Die Indígenas bleiben weiter wachsam.

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HAITI

Bauern nach Protesten auf Orangenplantage verhaftet

(Port-au-Prince, 15.Juli 2002, na-poonal).- Trotz der Proteste verschiedener Organisationen weigerten sich die Behörden, neun Personen freizulassen, die am 27. Mai bei einem Zwischenfall auf einer Orangenpflanzung verhaftet worden waren. Bei dem Ereignis in der Nähe des Orts San Rafael im Norden des Landes wurden zwei Bauern brutal ermordet.

Elf Personen wurden auf der Plantage, die der Firma Produits Agricoles Guacimal gehört, geschlagen und verhaftet und danach in illegaler Weise mit dem Hubschrauber in Gefängnisse in Port-au-Prince verbracht. Keine von ihnen wurde formell angeklagt. Zwei der Verhafteten, beides Journalisten, wurden am 8. Juni aufgrund des internationalen Drucks freigelassen.

Anlass der Verhaftungen war der Versuch mehrerer Dutzend Bauernfamilien, die Erde unter den Orangenbäumen zu bepflanzen. Die Firma Guacimal, die Orangenextrakt für europäische Getränke- und Schnapshersteller produziert, kaufte in den Jahren 1957 und 1958 den Vorfahren der Bauern den größten Teil des Landes ab. Bis zum vergangenen Jahr hatten die Familien die Erlaubnis von Guacimal, zwischen den Ernten die Erde unter den Bäumen zu bepflanzen.

Nun aber verweigerte das Unternehmen den Familien den Zugang zu ihrem Grundstück, weil viele einer Gewerkschaft angehörten, die von der Firma Lohnerhöhungen für die Pflücker und die Einhaltung der Arbeitsgesetze verlangte. Der Konflikt führte dazu, dass das französische Unternehmen Rémy Cointreau, der Hauptabnehmer, die Geschäftsbeziehungen mit Guacimal beendete.

Am 27. Mai warteten örtliche Beamte und ihre Schläger, von denen einige bewaffnet waren, auf eine Abordnung der Bauernfamilien, die von Mitgliedern der Gewerkschaft Batay Ouvriye (Arbeiterkampf) und zwei Journalisten begleitet wurde. Die Bauern wurden angegriffen, als sie das Firmengelände betraten. Zwei Bauern wurden mit Machetenhieben ermordet, ein Beamter von einer Kugel verletzt. Die Regierung weigert sich, den Protesten von Menschenrechtsorganisationen Gehör zu schenken und bezeichnet die Bauern als „schwer bewaffnete … Terroristen“.

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Entführter Journalist lebend gefunden

(Port-au-Prince, 17. Juli 2002, alterpresse).- Die haitianische Presse und die verschiedenen Gruppen zur Verteidigung der Menschenrechte haben an diesem 17. Juli einen Schrei der Erleichterung ausgestoßen, als sie von der Freilassung von Israel Jacky Cantave, Journalist des Radio Caraibes, und seines Cousins Frantz Ambroise am Abend des Vortages erfahren haben.

24 Stunden zuvor im Viertel von Delmas, im Südosten der Haptstadt entführt, wurden sie am Petite Place Cazeau, am östlichen Rand von Port-au-Prince, gefesselt und mit verbundenen Augen ausgesetzt. Dort wurden sie nach den von einem Journalisten gelieferten Augenzeugenberichten von einem Passanten entdeckt und zum Kommissariat von Delmas gebracht. Israel Jacky Cantave und Frantz Ambroise wurden danach von ihren Angehörigen in ein Krankenhaus gebracht, in dem sie medizinisch behandelt werden.

Der Journalist hat am Morgen in seinem Krankenhauszimmer die Presse empfangen und berichtet, wie er und sein Begleiter verfolgt, gefangen und unter der Androhung der Verwendung von Waffen in einem Fahrzeug in eine ihnen unbekannte Richtung gefahren wurden. Cantave gab an, dass er und sein Cousin von den Entführern geschlagen worden sei. Er berichtete, dass die Entführer darauf verzichtet hätten, sie zu exekutieren, „um der Regierung nicht noch mehr Schaden zuzufügen.“

Die Entführung von Jacky Cantave und Frantz Ambroise hatte eine grosse Mobilisierung in der haitianischen Gesellschaft ausgelöst. Jacky Cantave freute sich über die Solidarität, die seine Berufskollegen und -kolleginnen gezeigt haben und bedankte sich bei den übrigen Gruppen der Gesellschaft für ihre unentwegte Unterstützung. Die Reaktionen der Erleichterung haben sich nach der Ankündigung der Freilassung der beiden Entführten vervielfacht.

Die Vereinigung der haitianischen Journalisten (l'Association des Journalistes Haitiens, AJH) hat die Entführung von Jacky Cantave und Frantz Ambroise als eine politisch-motivierte Tat bezeichnet auf den allgemeinen Zustand der Straffreiheit hingewiesen, die die Verletzung der Pressefreiheit begünstige. Die nationale Vereinigung der haitianischen Medien (l'Association Nationale des Médias Haitiens, ANMH) hat eine ernsthafte Untersuchung darüber gefordert, was vorgefallen ist.

Die Plattform der haitianischen Organisationen der Verteidigung der Menschenrechte (la Plate-forme des Organismes Haitiens de Défense des Droits Humains, POHDH) hat sich gegen eine Banalisierung dieser Taten ausgesprochen, die das allgemeine Klima der Straffreiheit ausweite. Die internationale Vereinigung der Verteidigung der Menschenrechte, Amnesty International, hat zu einer Briefkampagne an die haitianischen Behörden aufgerufen, um der Sorge um die Sicherheit der Journalisten und der Menschenrechtsaktivisten in Haiti Ausdruck zu verleihen.

Weniger als 24 Stunden nach der Entführung von Jacky Cantave und Frantz Ambroise wurde das Haus des Direktors des ökumenischen Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte Jean-Claude Bajeux, in der östlichen Vorstadt der Hauptstadt gelegen, von bewaffneten Männern angegriffen. Sie haben seine Frau tätlich angegriffen und drei seiner Hausangestellten misshandelt.

Die Polizei hat heute, am 17. Juli bekannt gegeben, dass sie zwei Personen, die in Verbindung mit der Entführung von Jacky Cantave und Frantz Ambroise stehen, festgenommen hat. Sie hat jedoch die Namen der beiden Personen nicht an die Presse weitergegeben. Der Kultur- und Kommunikationsminister Lilas Desquiron kündigte an, dass die sich im Gange befindliche Untersuchung „Überraschungen“ enthüllen könnte.

Mehrere Regierungsmitglieder, darunter der Premierminister Yvon Neptune, haben Israel Cantave an seinem Krankenbett besucht. Neptune hat erklärt, dass die Regierung an der Respektierung der Pressefreiheit festhalte. Man hat Angst um die Sicherheit der beiden Opfer. Einige Pressemitglieder sind der Ansicht, dass die von der Polizei ergriffenen Sicherheitsmassnahmen unzureichend wären.

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