Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 317 vom 27. November 1997
Inhalt
KUBA
HONDURAS
EL SALVADOR
PANAMA
GUATAMELA
BRASILIEN
ECUADOR
VENEZUELA
MEXIKO
LATEINAMERIKA
Lehrstuhl für Kunstgeschichte
KUBA
Beziehung USA-Kuba vor Gericht
Von Claude Hackin
(Havanna, 25. November 1997, npl).- Der Streit zwischen Havanna und Washington hat eine neue Arena gefunden: den Gerichtssaal. Kuba prozessiert gegen zwei Ausländer, die im Auftrag antikubanischer Gruppen in den USA Attentate auf der Karibikinsel verübt haben sollen, in Miami wird die sozialistische Regierung von Fidel Castro wegen des Abschusses zweier Flugzeuge angeklagt. Hinzu kommt, daß der US-Kongreß kürzlich die Blockade-Politik gegen den ungeliebten Nachbarn erneut verschärfte: Kuba wird in der nach dem demokratischen Senator Robert Graham benannten Entschließung als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ bezeichnet.
Im August vergangenen Jahres verhaftete die kubanische Polizei den US-Bürger Walter Van der Veer. Ihm werden „bewaffnete Aktionen gegen Kuba“ vorgeworfen, sowie Mitgliedschaft bei zwei in Miami ansässigen antikubanischen Gruppen. Nach kubanischem Recht werden diese Delikte mit dem Tod bestraft.
Die beiden Gruppen, so die kubanische Sichtweise, seien „Instrumente der Mafia, die die Souveränität Kubas nicht anerkennen“, und arbeiteten eng mit der „Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung“ (FNCA) zusammen. Deren langjähriger Führer, Jorge Mas Canosa, war am Sonntag (23.11.) in Miami im Alter von 58 Jahren gestorben. Die 50.000 Mitglieder starke Organisation verlor mit Canosa ihren wichtigsten Repräsentanten, seine guten Kontakte zu Politikern aller US-Parteien nutzte er mehrfach, um die Blockade-Politik gegen Havanna zu verschärfen.
Im Prozeß gegen Van der Veer gelang es der kubanischen Pflichtverteidigerin, die Anklage auf „feindliche Propaganda“ zu beschränken. Damit droht dem Angeklagten noch eine 20jährige Haftstrafe, über die jetzt der Oberste Gerichtshof befinden muß.
Der Prozeß konnte erst im November beginnen, damit der US-Anwalt Dominick Salfi als Beobachter teilnehmen konnte. Die unübliche Teilnahme ausländischer Juristen an Gerichtsverhandlungen in Kuba wurde auch einem Vertreter der US-Interessensvertretung in Havanna angeboten. Obwohl sich Salfi zufrieden über die Prozeßführung der Verteidigung äußerte, wiederholte Washington seine Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens. „Seit langem sind wir über das Vorgehen der kubanischen Justiz äußerst besorgt,“ erklärte der Sprecher des US-Außenamtes, James Foley.
Ein weiterer Hochverratsprozeß steht dem salvadorianischen Staatsbürger Raul Ernesto Cruz Leon bevor. Er ging den kubanischen Behörden im September ins Netz und gestand, Bomben in sechs Hotels der kubanischen Hauptstadt gelegt zu haben. Die Anschläge kosteten im Sommer dieses Jahres einem Italiener das Leben, mehrere Menschen wurden verletzt.
Cruz Leon sagte aus, er sei von einer zur FNCA gehörende Gruppe für die Attentate bezahlt worden. Diese von Washington bezweifelte Version bestätigte jüngst der konservative „Miami Herald“. Das US- Blatt schrieb am 16. November, eine Gruppe Salvarorianer sei für die insgesamt 11 Anschläge verantwortlich. Sie habe im Auftrag eines 30jährigen Exilkubaners gehandelt, der bereits an mehreren gegen Kuba gerichteten „Operationen“ in anderen Ländern Lateinamerikas beteiligt gewesen sein soll.
Die Exilkubaner ziehen nun ihrerseits vor Gericht. Sie klagen gegen die kubanische Regierung wegen des Abschusses zweier Kleinflugzeuge im Februar 1996, bei dem die vier Insassen ums Leben kamen. Während Havanna behauptet, die Maschinen hätten kubanischen Luftraum verletzt, gehen die Kläger von einem vorsätzlichen Abschuß über internationalen Gewässern aus. Die Angehörigen der Opfer fordern umgerechnet knapp 140 Millionen Mark Entschädigung.
Der am 13. November begonnene Prozeß ist der erste gegen eine ausländische Regierung, nachdem ein Gesetz in vergangenen Jahr US- Bürgern das Recht einräumt, im eigenen Land gegen Staaten zu klagen, die von Washington als „Förderer des Terrorismus“ eingestuft werden. Kuba spricht dem Gericht in Miami die Zuständigkeit ab, befürchtet aber, das symbolische Verfahren werde die gespannten Beziehungen weiter belasten. Es wird erwartet, daß das Gericht der Clinton-Regierung empfehlen wird, die Entschädigung aus den seit bald 40 Jahren eingefrorenen kubanischen Guthaben in den USA zu zahlen. Schon im vergangenen Jahr hatte Clinton genehmigt, aus diesen Guthaben die Angehörigen mit rund 500.000 Mark zu entschädigen. Der juristische Schlagabtausch zeigt, daß auf absehbare Zeit keine Annäherung zwischen den beiden Ländern zu erwarten ist, die geographisch keine 100 Kilometer karibisches Meer voneinander trennt. Im Gegenteil: Sollte Clinton demnächst den Graham-Beschluß unterzeichnen, wäre er verpflichtet, regelmäßig Berichte über die Gefährlichkeit der isolierten Insel verfassen zu lassen. Sollte darin stehen, die „unkontrollierte Flucht von Kubanern bedrohe die US-Sicherheit“, wäre dies, wie bei der Intervention auf Haiti 1994, ein Anlaß zur militärischen Eskalation. Nichts käme Clinton ungelegener als ein solcher Zugzwang, den die Exilkubaner mit ihren immer neuen Gesetzesinitiativen erzwingen wollen.
HONDURAS
Präsidentschaftswahl: Eine neue Politik kandidiert nicht.
Von Juan Jose Dalton
(Tegucigalpa, 26. November, 1997).- Mehr als zwei Millionen Honduraner bereiten sich darauf vor, am kommenden Sonntag (30.11.) einen neuen Präsidenten zu wählen. Sie können sich zwischen fünf Kandidaten entscheiden, darunter – erstmals in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes – eine Frau. Umfragen geben nur den Vertretern der beiden traditionellen Parteien eine Chance, die Nachfolge des jetzigen Präsidenten Carlos Roberto Reina anzutreten.
Aus der Wahl wird der fünfte zivile Präsident in der Geschichte des Landes hervorgehen. Erst 1982 gaben die Militärs nach fast 20 Jahren de-facto-Diktatur die Macht ab.
Nicht zur Wahl steht die politische Ausrichtung. Die beiden wichtigsten Kandidaten versprechen die Fortführung des 1990 eingeführten neoliberalen Modells, daß nach Meinung vieler Ökonomen, der Gewerkschaften und der katholischen Kirche für die zunehmende Verarmung des Landes mit verantwortlich ist. 80 Prozent der 5,8 Millionen Honduraner leben in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Carlos Flores ist der Kandidat der konservativen Liberalen Partei (PL), die bislang die Regierung stellt. Mit vorausgesagten 48 Prozent der Stimmen liegt er im Rennen um das höchste Amt im Staat vorn. Der 47jährige Ingenieur ist derzeit Vorsitzender der Kongresses.
Seine unmittelbare Konkurrentin ist Nora Gunera de Melgar. Sie tritt für die ebenfalls konservative Nationale Partei (PN) an. Die 58jährige Politikerin ist Witwe des Generals Juan Melgar, der nach einem Staatsstreich 1975 vier Jahre lang das Land regierte.
Obwohl sich Melgar selbst als „Populistin“ bezeichnet, will sie die Rolle des Staates weiter zurückdrängen und sämtliche Unternehmen privatisieren. Dadurch, versichert Melgar, werde „die Armut besiegt“ werden. Eine Wahlstudie der US-Firma CID-Gallup sieht sie in der Gunst von 31 Prozent der Wahlberechtigten.
Im Vorfeld des Urnengangs gab es Streit um Registrierung der Wähler. Die Ausgabe neuer Wahlausweise führte nach Angaben der Meldebehörde dazu, daß rund 250.000 Honduraner nicht registriert sind. Den Vorschlag seitens der Regierungspartei, auch Wähler mit alten Ausweisen teilnehmen zu lassen, wies Melgar als Versuch des Wahlbetrugs zurück. Ihre Boykottdrohung nahm sie erst nach Intervention des Präsidenten zurück. Reina versprach öffentlich die „saubersten Wahlen in der Geschichte“.
Für ein Land wie Honduras, das zu den Ärmsten des Kontinents zählt, waren die Wahlkampfausgaben horrend hoch. PL und PN gaben zusammen umgerechnet rund 25 Millionen Mark aus. Und es wird gemunkelt, daß die Drogenmafia einige Dollar beigesteuert hat.
Dies bereitet vor allem den USA Sorgen, die in Honduras stets einen engen Verbündeten hatten. Mittelamerika gilt heute als sicheres Gebiet für Drogenhändler und für unauffällige Geldwäsche: „Auf halbem Weg zwischen den Produzenten und den Konsumenten der Rauschmittel,“ charakterisierte kürzlich der US-Funktionär Manuel Godinez die strategisch günstige Lage des kleinen Landes.
Waffendepot bei ehemaligen Armeechef ausgehoben
(San Pedro Sula, 19. November 1997, pulsar-Poonal).- Im Haus von General Humberto Regalado, dem ehemaligen Streitkräftechef, wurden 160 Schußwaffen beschlagnahmt. Stunden später bekam er sie unter Entschuldigungen zurück. Mitglieder der polizeilichen Behörde für Verbrechensbekämpfung kamen zum Haus des Generals, um dort seinen Sohn Kevin zu suchen. Dieser ist angeklagt, einen Taxifahrer ermordet zu haben. Als die Fahnder Kevin nicht antrafen, verhafteten sie seinen Bruder und nahmen die gefundenen Waffen mit. Als Staatsanwalt Juan Carlos Díaz von der Polizeiaktion erfuhr, ordnete er die sofortige Freilassung des Verhafteten an. Er bot eine Entschuldigung für das Vorgehen an, das er als Amtsmißbrauch ansah. Zudem erklärte er, General Humberto Regalado als Militärautorität habe das Recht, soviele Waffen zu besitzen, wie er wolle. Die Vorliebe für Waffen hat auch Regalados Sohn Kevin. Mit einer von ihnen brachte er offenbar einen Taxifahrer um. Tage zuvor hatte im die Polizei bereits mehrere Waffen schweren Kalibers abgenommen. Der amtierende Chef der Streitkräfte, General Mario Raúl Hung Pacheco, unterstützte seinen Kollegen. Die Fahnder seien sehr „unreif“ gewesen und hätten wohl deswegen das Haus des ehemaligen Militärchefs durchsucht.
EL SALVADOR
Ex-Guerilla-Kommandant entwirft sozialdemokratischen Programm
Von Juan José Dalton
(San Salvador, 24. November 1997, npl).- Im November vor acht Jahren saß Facundo Guardado auf dem Bürgersteig in einem Vorort San Salvadors und gab eine Presseerklärung ab, die um die Welt ging. Er verkündete den baldigen Sieg der Aufständischen in dem kleinen mittelamerikanischen Land. Die größte Offensive des Guerillaverbandes FMLN in den fast 20 Jahren ihres Bestehens werde bald zur Machtübernahme führen. Nur Stunden später stoppte die salvadorianische Armee den Vormarsch der Rebellen mit Bombenabwürfen über den von der Guerilla kontrollierten Stadtteilen und ließ Terror walten: Sie ließ sechs jesuitische Priester und zwei Hausangestellte der Zentralamerikanischen Universität (UCA) ermorden – die Geistlichen galten als Anhänger der Befreiungstheologie.
Heute, in zivil gekleidet, trägt Facundo noch seinen Vollbart. Aber seine Waffen haben sich in Dekoration verwandelt. Eine Panzerabwehrrekete vom Typ RPG-7 dient als Lampenständer in seinem Wohnzimmer. Er hat keine akademische Ausbildung, ist aber ein alter Fuchs in der Politik. Seinem Sternzeichen „Schütze“ macht er alle Ehre: Von niemandem läßt er sich einschüchtern, und immer hat er recht. Seinen Optimismus stellt er jetzt in den Dienst des politischen Kampfes, um „die Nation zu einen“. Nach Abschluß des Friedensabkommens mit der Regierung 1992 agiert er nur noch im Rahmen der Verfassung. „Der bewaffnete Kampf hat in El Salvador keine Existenzberechtigung mehr,“ sagt Ex-Kommandant „Esteban“ – sein Deckname, seit er der wichtigsten und radikalsten Guerillagruppe FPL beitrat.
Der 43jährige Guardado leitet die sogenannte „Neue Linke“, eine moderate und auf Modernisierung ausgerichtete Strömung innerhalb des FMLN, die 1994 erstmals als Partei an den Wahlen teilnahm. Die „Neue Linke“ versteht sich als sozialdemokratisch. „Unser Land hat sich verändert, vor allem in der Politik. Ein Beispiel ist die interne Aussöhnug, oder daß die Armee der zivilen Macht gehorcht und die Menschenrechte achtet,“ sagt Guardado, der im Dezember aussichtsreicher Kandidat bei der Wahl des FMLN-Parteichefs ist. Sein wichtigstes Anliegen: Die Basis von der Notwendigkeit einer moderaten Linie gegenüber der radikalen seitens des kommunistisch orientierten Flügels zu überzeugen. Sein schärfster Konkurrent um das Amt ist der veterane Kommunist Shafick Handal.
Guardado leitete die Wahlkampagne des FMLN im März dieses Jahres. Es gelang den ehemaligen Rebellen, bis auf einen Parlamentssitz mit der konservativen Regierungspartei gleichzuziehen. Seine Idee war es, in den größten Städten des Landes Kandidaten aufzustellen, die großes Prestige genießen, aber nicht dem FMLN angehören. Jetzt ist Hector Silva Bürgermeister der Hauptstadt und wird inzwischen als Präsidentschaftskandidat der Linken bei der Wahl 1999 gehandelt.
Wirtschaftspolitisch setzt die „Neue Linke“ auf die Modernisierung des Staates. Archaischen Strukturen, die Vetternwirtschaft und Bürokratie befördern, sagt sie den Kampf an. Insbesondre der traditionelle Finanzsektor ist Guardado ein Dorn im Auge, die übermäßige Bereicherung einer kleinen Gruppe von Bankiers stehe dem allgemeinen Wohlstand in Weg. Neuen UN-Angaben zufolge leben über die Hälfte der Salvadorianer in Armut. Ihr Land hat zusammen mit Haiti die schwersten ökologischen Schäden auf dem Kontinent, weltweit ist El Salvador aufgrund der hohen Kriminalitätsrate das drittgefährlichste Land.
Der FMLN hat gute Aussichten, in naher Zukunft wieder die Bedeutung zu erlangen, die er im vergangenen Jahrzeht innehatte. Er galt als wichtigste bewaffnete Bewegung ganz Lateinamerikas. Die Guerillastreitkraft bestand aus 7.000 Kämpfern, die schwere Waffen bis hin zu Luftabwehrraketen bedienten. Auf politischer Ebene hat der FMLN eine breite Massenbewegung organisiert und war diplomatisch bei weitem aktiver als die Regierung selbst. „Die Linke muß eine Mehrheit gewinnen, damit der demokratische Versuch in unserem Land gelingt,“ faßt Guardado zusammen. „Wir brauchen einen modernen Staat, der Steuern erhebt und umverteilt, der effizient kontrolliert und ein soziales Netz aufbaut.“ Daß viele Unternehmer weiterhin auf Kosten das Staates Geschäfte machten, müsse verhindert werden. Es sei Aufgabe der Linken, „eine fortschrittliche Unternehmerschaft mit Weitblick und Visionen zu unterstützen,“ sagt der frühere Rebellenchef, dessen Organisation einst für die Abschaffung des Privateigentums kämpfte.
Menschenrechtsbeauftragte mit dem Tod bedroht
Von Juan José Dalton
(San Salvador, 17. November 1997, Poonal).- María Victoria de Avilés, Beauftragte für die Verteidigung der Menschenrechte in El Salvador, berichtet über vermehrte Todesdrohungen gegen sie in den zurückliegenden Tagen. Einschüchterungen gebe es auch gegen ihre Familienangehörigen und das Personal ihrer Behörde, der sie seit dem März 1995 vorsteht. „Ich werde nicht von meinem Amt zurücktreten, bevor mein Mandat im Februar 1998 ausläuft“, erklärt die Frau, die sich durch ihre Arbeit großen Respekt in der Bevölkerung erworben hat. Sie beeindruckt durch ihre Art, wie sie die Personen verteidigt, die Opfer von Behördenwillkür geworden sind. Derzeit sind es vor allem die staatlichen Sicherheitskräfte, denen Menschenrechtsverletztungen vorgeworfen werden. Offizielle Quellen geben zu, daß sowohl die Menschenrechtsbeauftragte wie auch der Generaldirektor der Zivilen Nationalpolizei die am meisten bedrohten politischen Persönlichkeiten in dem aktuellen demokratischen Übergangsprozeß sind, den das mittelamerikanische Land durchmacht. Avilés sagt, die meisten der Drohungen gegen sie werden über das Telefon ausgesprochen. „Wir haben es auf ihr Leben abgesehen“, heißt es dann für gewöhnlich. Am 14. November erhielt sie gleich drei solcher Anrufe in ihrem Büro. Zuvor gab es bereits drei weitere Anrufe im selben drohenden Ton. Offenbar handelte es sich um dieselbe männliche Stimme. Eine ihrer Töchter ist nach Avilés Angaben von einem Auto ohne Kennzeichen und mit verdunkelten Scheiben verfolgt worden. Ein charakteristisches Vorgehen der Todesschwadronen.
Das Menschenrechtsbüro ist eine relativ neue Institution. Es wurde vom Staat aus einer Verpflichtung heraus geschaffen, die aus den Friedensabkommen herrührt, die im Januar 1992 Regierung und Guerilla abschlossen, um den Bürgerkrieg zu beenden, in dessen zwölfjärigem Verlauf 75.000 Menschen starben. Die bisher amtierenden zwei Menschenrechtsbeauftragten sind bei ihrer Amtsführung ständigen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Zentrales Problem der unsicheren Lage ist die Straffreiheit, die politischen Gewalttäter müssen kaum mit Sanktionen durch die Justiz rechnen. Die Drohungen gegen die aktuelle Menschenrechtsbeauftragte haben nach den Worten ihres offiziellen Sprechers David Rivas zugenommen, nachdem gerichtliche und polizeiliche Untersuchungen ihren Ehemann, einen bekannten Anwalt, in den Fall einer Beurkundung für ein Grundstück verwickelten, auf dem kürzlich ein „geheimes Gefängnis“ entdeckt wurde, in dem angebliche Ex-Guerrilleros mehrere Unternehmer im Zeitraum 1991 und 1992 festhielten, um Lösegeld zu erpressen.
Der Polizeidirektor hat versprochen, die Sicherheit für Avilés zu verstärken und ihre Eskorte verdoppelt. Es gab allerdings ebenso Versionen, nach denen die Regierung die Absicht hatte, ihr den Schutz für ihre Wohnung zu entziehen. Als Reaktion auf die Drohungen hat die Funktionärin nationale und internationale Rückendeckung erhalten. Der Zentralamerikanische Rat der Menschenrechtsbeauftragten, der am 15. und 16. November in San Salvador tagte, verabschiedete eine energische Erklärung. Der spanische Menschenrechtsbeauftragte Antonio Rovira solidarisierte sich während eines Besuchs in El Salvador ebenfalls mit seiner Kollegin. Die Botschafter aus Dänemark, Norwegen, den Niederlanden, Schweden, Kanada und den USA verlangten von der Regierung einen wirksamen Schutz und angemessene finanzielle Unterstützung für die Menschenrechtseinrichtung.
Am Abend des 15. November fand unter freiem Himmel auf dem Gelände der Zentralamerikanischen Universität (UCA) eine Messe statt, in der des achten Jahrestages der Ermordung der von sechs jesuitischen Priestern durch das Militär gedacht wurde. Vor mehreren tausend Gläubigen, die ihr applaudierten, versicherte María Victoria de Avilés erneut, sie werde ihre Aufgabe erfüllen, einen Beitrag dazu zu leisten, das Übel zu verjagen, das den Salvadoreaner*innen soviel Leid zugefügt habe: die Straffreiheit.
PANAMA
Präsident läßt Verfassung für seine Wiederwahl ändern
(Panama-Stadt, 21. November 1997, pulsar-Poonal).- Ernesto Pérez Balladares hat die erste Schlacht gewonnen. Die Legislative hat die zweite Debatte über die Verfassungsreformen begonnen, die die direkte Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen sollen. Bereits in der ersten Debatte wurde die Entwürfe für geänderte Verfassungsartikel gebilligt. Für die Reformen stimmte eine Regierungsmehrheit von 38 Stimmen. Aus der Opposition kamen 16 Gegenstimmen. Faktisch ist klar, daß Balladares sich nun als Kandidat für die kommenden Präsidentschaftswahlen aufstellen lassen kann.
GUATAMELA
Verteidigungsminister Celada: „Wir waren nie Freunde der Diktatur“
(Guatemala-Stadt, 13. November 1997, cerigua-Poonal).- Laut General Hector Barrios Celada passen der Frieden und die guatemaltekischen Streitkräfte gut zusammen. „Die Institution ist vorbereitet, den zivilen Autoritäten zu gehorchen, die ihr Schicksal in der Zukunft leiten werden und ist froh, daß die Jahrzehnte der diktatorischen Regierungszeit vorbei sind“, sagt der Verteidigungsminister. Aber während Barrios erklärt, die Armee habe sich den neuen Zeiten angepaßt, scheinen die Militärs immer noch unwillig, ihre Vergangenheit zu akzeptieren. „In jedem Konflikt, in jedem Krieg, werden Fehler begangen. Und die völlige Verantwortung in einem Konflikt zu übernehmen, in dem es viele Akteure gab. Ich glaube es wäre besser, darauf hinzuweisen, wer all diese Akteure sind, die erst den Stein werfen und dann ihre Hand verstecken“, meint Barrios in einem Gespräch mit dem ausländischen Presseclub.
„Vergessen Sie nicht, daß Guatemala 1954 ein demokratisches Land war und sie uns die Demokratie nicht weiterführen lassen wollten. Ich glaube, eine Menge Länder in der Welt teilen die Verantwortung dafür, nicht nur die Streitkräfte oder die Revolutionaere Nationale Einheit Guatemalas (URNG).“ Der erst kürzlich ernannte Minister preist die Qualitäten der Demokratischen Revolution von 1944, die zehn Jahre später von US-gestützten Kräften gestürzt wurde. Und anderem wurden damals ein demokratischer Sozialstaat eingeführt und eine Landreform durchgeführt. „Wir waren nie Freunde der Diktatur“, sagt Barrios. „1960 (als der Bürgerkrieg begann) war ich zwölf Jahre alt und 36 Jahre später schauen wir jetzt auf die Vergangenheit zurück.“ Teil dieser Vergangenheit sind etwa 440 von der Armee dem Erdboden gleichgemachte Dörfer in den frühen 80er Jahren, mehr als 100.000 getötete Zivilist*innen und nahezu eine Million interner Vertriebener.
Als das schlimmste Blutvergießen geschah, war Barrios Hauptmann, bis 1991 hatte er es zum Leiter der militärischen Operationen gebracht. Doch der General hält die Zeit noch nicht für reif, über die Rolle zu urteilen, die die Streitkräfte in dem Massenmord spielten. „Die Zeit kennt die Antwort. Wir lassen die Kommission für Historische Aufklärung (die sogenannte Wahrheitskommission) ihre Arbeit tun, lassen alle Seiten ihre Versionen präsentieren und davon ausgehend werden wir gute Schlußfolgerungen ziehen“, ist der Verteidigungsminister überzeugt. Die Armee werde ihre offizielle Darstellung dieser Geschichte der Kommission im Dezember übergeben. Während das Urteil über die Vergangenheit noch aussteht, sind die Militärs nach Barrios Aussagen damit beschäftigt ihren in den Friedensabkommen festgelegten Verpflichtungen nachzukommen. Die Hauptfortschritte, so der General, seien die Demobilisierung der paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC), der Militärkommissare und eines Teil der Mobilen Militärpolizei (PMA). Er nennt ebenfalls Fortschritte bei der Diskussion den Zivildienst als Alternative zur Wehrpflicht einzuführen sowie die Übergabe verschiedener Militäreinrichtungen in zivile Hände und die Verkleinerung der Truppenstärke um bisher schätzungsweise 20 Prozent.
Trotz dieser und weiterer noch ausstehender Veränderungen, hat die Armee Guatemalas Straßen noch nicht verlassen. Tatsache ist, daß das Militär seit dem Friedensabkommen seine Beteiligung in Angelegenheiten der inneren Sicherheit verstärkt hat. Kombinierte Polizei- und Militärkräfte patrouillieren die Hauptstadt in Armeefahrzeugen, während in den Städten auf dem Land die Soldaten diese Aufgabe alleine ausführen. Die Regierung hat die Mitarbeit der Streitkräfte damit gerechtfertigt, daß diese notwendig ist solange die alte Polizei Kraft noch nicht vollständig in die neue Zivile Nationalpolizei umgewandelt ist. Sogar die bevorstehende Verfassungsreform, mit der die Pflichten der Armee entsprechend den Friedensabkommen ausschließlich auf die „Verteidigung der staatlichen Souveränität und der Integrität seines Territoriums“ neu definiert werden, bedeutet nicht zwingend das Ende der Militärpatrouillen. „Unter der Verfassungsreform kann die Armee vom Präsidenten immer dann gerufen werden, wenn die Polizei überfordert ist. Das heißt, die Möglichkeit bleibt offen. Wenn er es für notwendig hält, kann er die Streitkräfte rufen“, erklärt der Verteidigungsminister. Er fügt hinzu: „Aber jetzt wird das eine politische Entscheidung sein“. Dem Zeitplan nach wird die neue Polizeikraft nicht vor dem Jahr 2000 ihre volle Stärke erreichen.
BRASILIEN
Bürgermeister verbietet Verhütungsmittel
(Curitiba, 21. November 1997, alc-Poonal).- Besorgt wegen des Bevölkerungsrückganges um zwei Drittel in den vergangenen 20 Jahren, hat der Bürgermeister des Landkreises Bocaiuva do Sul zu einem drastischen Mittel gegriffen. Per Dekret verbot er den Verkauf von Kondomen und Anti-Babybillen in seinem Zuständigkeitsbereich. Bocaiuva do Sul liegt im Randbereich von Curitiba, der Hauptstadt des Bundesstaates Parana im Süden des Landes. Der Bürgermeister gehört der Brasilianischen Arbeiterpartei (PTB, nicht zu verwechseln mit der PT; die Red,) an. Vor 20 Jahren lebten 25.000 Menschen in dem Distrikt. Die Zahl sank auf 12.000 im Jahr 1991. Heute sind nur 8.500 Bewohner*innen geblieben. Landflucht und besonders der Weggang der Jugendlichen, die in den großen Städten Arbeit suchen, sind die Gründe. Berti hat erklärt, mit seiner Maßnahme die Bevölkerung von Bocaiuva innerhalb von vier Jahren um 4.000 Personen erhöhen zu wollen.
Ein treibendes Motiv für seine Entscheidung dürfte Geldnot sein. Aufgrund der verringerten Bevölkerungszahlen erhält der Landkreis weniger Mittel aus dem Fonds für Kommunale Beteiligung. Die monatliche Zuweisung wird ab kommendem Januar auf 72.000 Reales (65.000 US-Dollar) sinken. Derzeit bekommt Bocaiuva noch 120.000 Reales (109.000 US-Dollar). Es handelt sich um die Haupteinnahmequelle für die Kommune. Der Bürgermeister macht bei einer Maßnahme nicht halt. Er verfügte außerdem, neue Motels im Landkreis für fünf Jahre von Steuern zu befreien. „Wir wollen Bocaiuva do Sul in den Landkreis der Liebe umwandeln“, erklärte er. Gefragt, ob sich nicht die Geschlechtskrankheiten erhöhen würden, wenn es keine Kondome gebe, antwortete er, er rechne mit erhöhter ehelicher Treue durch sein Verfügungen. Die beispiellose Entscheidung von Bürgermeister Berti hat Bocaiuva in alle Medien gebracht, aber auch Gegenreaktionen im Landkreis hervorgebracht. Die Ärztin Helena Tomo, Leiterin der örtlichen Gesundheitsbehörde sprach sich gegen den Beschluß aus und erklärte, der Bürgermeister habe ihre Meinung nicht gehört. Und die bundesstaatliche Gesundheitsbehörde von Parana hat das Dekret bereits als verfassungswidrig bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat eine gerichtliche Aktion angekündigt, damit das Verbot, Verhütungsmittel zu verkaufen, nicht durchgesetzt werden kann.
ECUADOR
Proteste gegen Pinochet-Besuch
(Quito, 21. November 1997, alc-Poonal). Die Ökumenische Menschenrechtskommission Ecuadors hat ein energisches Protestschreiben verfaßt. Darin wendet sie sich gegen den angekündigten Besuch des ehemaligen chilenischen Diktators General Augusto Pinochet. Die Kommission erinnert an die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch Pinochets Regime nach dem Staatstreich von 1973. Sie weist darauf hin, daß ganz offiziell die außergerichtliche Hinrichtung von 2.095 Oppositionellen durch das Militärregime erwiesen ist und nach dem Bericht der chilenischen Wahrheits- und Versöhnungskommission 1.102 von den Sicherheitskräften Verhaftete verschwanden. Alles weise darauf hin, daß diese Menschen gefoltert und ermordet wurden. Die ökumenische Organisation erwähnt ebenso die nach tausenden zählenden Chilen*innen, die ins Exil flüchten mußten, um ihr Leben zu retten. „Darum“, so heißt es in der Erklärung, „und weil wir konsequent sind mit dem Gedächtnis des lateinamerikanischen Volkes, und weil wir das Leben lieben und seine Würde gegenüber seinen Verleumdern verteidigen, weil wir von der Utopie der Hoffnung, der Freiheit und der Gerechtigkeit für alle träumen, erklären wir, daß der General des Todes in unserem Land niemals willkommen sein wird.“
Indígenas und Volksorganisationen rufen zu Nationalstreik auf
(Quito, 21. November 1997, pulsar-Poonal).- Das „Patriotische Bündnis“, ein breiter Zusammenschluß von Indígena- und Volksorganisationen hat für den 26. November zu einem Nationalstreik aufgerufen. Ziel der Proteste sind die Privatisierungsabsichten, die Regierung und Parlament verfolgen. Der Tropfen der das Faß zum überlaufen brachte, war der Beschluß der Abgeordneten, die Verfassung zu ändern, um den Verkauf von der staatlichen Energie- und Telekommunikationsunternehmen zu erleichtern. Diese Entscheidung findet wenige Tage vor dem Datum statt, an dem die Bevölkerung die Mitglieder der Nationalversammlung wählt. Einziger Zweck der Versammlung sollte es sein, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Die Parlamentsmehrheit möchte offensichtlich vorher vollendete Tatsachen schaffen. Sie vereinbarte auch, Arbeitsniederlegungen und Streiks im Gesundheits- und Bildungswesen zukünftig als Delikte einzustufen.
Dieses Vorgehen verhalf dem Patriotischen Bündnis, das maßgeblich zum Sturz des Ex-Präsidenten Abdalá Bucaram beitrug, zu einer Wiedergeburt. Im Bündnis sind die meisten der Indígena-und Campesinogruppen zusammengeschlossen. Ebenso die Lehrer*innen, die Erdöl- und Fabrikarbeiter*innen. Die führende Rolle beim Streik wird die Konföderation der Indígena-Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) spielen. Antonio Vargas, ihr Vorsitzender, erklärt, daß die landesweite Mobilisierung am 26. November 24 Stunden dauern soll: „Es ist eine vorbeugende Mobilisierung. Sie kann sich verlängern oder zeitweise ausgesetzt werden. Das hängt davon ab, was im Parlament passiert.“ Die Führer*innen der sozialen Bewegungen denken, es sei an der Zeit, den Präsidenten der Republik und das Parlament daran zu erinnern, daß es nicht die Politiker*innen waren, die Abdalá Bucaram absetzen. Dies habe das in den Straßen mobilisierte Volk getan.
VENEZUELA
Staat soll Auslandsschulden nicht zurückzahlen
(Caracas, 19. November 1997, pulsar-Poonal).- Der Vorsitzender der Finanzkommission des venezolanischen Senats hat überraschend vorgeschlagen, die Hälfte der jährlichen Schuldenzahlungen an das Ausland besser für Sozialausgaben zu verwenden. Venezuela gibt jährlich etwa 4 Milliarden Dollar für die Zahlung der Auslandsschuld aus. Nach dem Vorschlag von Edgar Flores würden demnach etwa zwei Milliarden für den Bau von Krankenhäuseern, Schulen, Wasserleitungen sowie die Verbesserung der staatlichen Dienstleistungen verwendet. Ein Teil des Geldes soll zudem an die Kommunen und Provinzregierungen fließen. Die Mitglieder der Finanzkommission brachten den Vorschlag zur Diskussion in ihre Parteien ein. Die Demokratische Aktion (AD) bat bereits um längere Bedenkzeit für eine Entscheidung. Sollte die Initiative angenommen werden, wäre dies ein wichtiges Beispiel für andere lateinamerikanische Länder. Die internationalen Banken haben sich – kaum überraschend – gegen den Vorschlag ausgesprochen und versuchen, die Abgeordneten zu überzeugen, ihm nicht zuzustimmen. Bankenvertreter*innen sprachen von einem „wahrhaft schlechten Beispiel“ für alle Länder, die Schulden zahlen müßten.
MEXIKO
Neuer Dachverband will gelben Gewerkschaften Konkurrenz machen
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 24. November 1997, npl).- Die ebenso einflußreiche wie regierungstreue Arbeitervertretung CT (Kongreß der Arbeit) bekommt Konkurrenz. Am Freitag (28.11.) wird in der mexikanischen Hauptstadt der alternative Gewerkschaftsdachverband „Nationale Union der Arbeiter“ (UNT) gründen.
Es handelt sich um den ersten realistischen Versuch der vergangenen 60 Jahre, den offiziellen Gewerkschaften ihre Monopolstellung streitig zu machen. Die Initiatoren gehen davon aus, daß sich dem neuen Verband Einzel- und Branchengewerkschaften mit einer Mitgliederstärke von insgesamt anderthalb Millionen Beschäftigten anschließen werden.
Trotz der beherrschenden Stellung der im CT zusammengeschlossenen Gewerkschaften mit angeblich mehr als zehn Millionen Mitgliedern, allen voran der „Bund der Arbeiter Mexikos“ (CTM), hat es immer schon kleine unabhängige Gewerkschaften in Mexiko gegeben. Ohne Lobby und einheitliche Organisation konnten sie aber nur selten die Interessen ihrer Mitglieder zur Geltung bringen.
Jetzt brechen neue Zeiten an. Erleichtert wird die Gründung des neuen Dachverbandes durch geänderte politische Rahmenbedingungen: Die seit Jahrzehnten regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) hat durch Wahlerfolge der Opposition ihren Status einer de facto Staatspartei verloren. Und die Anfang der 90er Jahre eingeleitete Modernisierung des politischen Systems hat auch die institutionelle Kopplung des CT an die PRI in Frage gestellt.
Hinzu kommt der Tod von CTM-Führer Fidel Velazquez im Frühjahr dieses Jahres. Velazquez kontrollierte 60 Jahre lang im Dienste der PRI den überwältigenden Teil der mexikanischen Arbeiterbewegung . Seitdem er 97jährig starb, befindet sich die CTM in einer Krise.
Für viele zögernde Einzelgewerkschaften ist der Moment gekommen, mehr Unabhängigkeit zu wagen. Die UNT wird nach Angaben eines Sprechers allein mit 350.000 Mitgliedern unter den Beschäftigen des staatlichen Sozialversicherungsinstituts rechnen können. Weitere 100.000 Gewerkschafter sollen aus dem Bereich der Universitätsangestellten kommen. Auch mehrere regionale Bauernverbände wollen sich anschließen.
Der neue Verband gibt sich moderat und hält sich mit Kritik an Kollegen, die den traditionellen Vertretungen treu bleiben, zurück. Die mißliche Lage vieler Beschäftigten, so die Devise der UNT, sei ein trauriger wie sicherer Grund für den Erfolg der neuen Initiative. Die Reallöhne der Arbeiter sind in den vergangenen Jahren ständig gesunken. Die CTM begehrte zwar rethorisch gegen diese Entwicklung auf, knickte letztendlich aber immer wieder gegenüber den Wünschen von Regierung und Unternehmerschaft ein. AnGelegenheiten für die UNT, ihre Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen, wird es nicht fehlen.
Interview mit Bertha Lujan, Sprecherin des „Authentischen
Arbeitsbündnis“ (FAT, Frente Autentico de Trabajo)
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 22.November 1997, npl).- Macht es Sinn, einen neuen Gewerkschaftsdachverband wie die UNT zu gründen?
Es ist eine große Chance, die unabhängigen Gewerkschaften zu vereinen, und denjenigen, die sich im staatlichen Dachverband CT (Kongreß der Arbeit) nicht mehr vertreten fühlen, eine Alternative zu bieten. In der gegenwärtigen Konjunktur ist dies sehr wichtig, da die Beschäftigen der Umstrukturierung der mexikanischen Wirtschaft oft hilflos zusehen müssen und viele schon ihren Job verloren haben.
Wird sich Ihre Organisation, der FAT, an der neuen Initiative beteiligen?
Nicht der FAT selbst, wohl aber unsere Mitgliedsgewerkschaften. Ich glaube, daß sich viele FAT-Gewerkschaften nach und nach eingliedern werden. Der FAT als solches wird nicht mitmachen, denn wir sind als Bündnis aus der Praxis entstanden, ohne im juristischen Sinne registriert zu sein. Aus formalen Gründen könnten wir nicht als FAT in die UNT eintreten.
Besteht nicht die Gefahr, daß der neue Dachverband am Ende doch wieder von der Regierung vereinnahmt wird?
Das ist sicher eines der Hauptprobleme, denen sich die UNT stellen muß. Die Präsenz mehrerer Gewerkschaftsführer in UNT-Gremien, die lange Jahre dem CT angehörten, hat schon zu heftigen Debatten geführt. Dennoch glaube ich, das das Statut der UNT verhindern wird, daß eine dieser alten Führungspersönlichkeiten sich des neuen Einheitsprojektes bemächtigt. Es gibt eine kollektive Führung und diese wird in regelmäßigen Abständen neu gewählt. In dem Maße, in dem diese transparenten, demokratischen Regeln angewandt werden, wird ein Gegengewicht zu Versuchen der Regierung geschaffen, Einfluß auf das neue Projekt zu nehmen.
Kann dieser neuer Gewerkschaftsverband wirklich ins tarifliche oder politische Geschehen eingreifen?
Auf alle Fälle ist die UNT eine interessante Alternative für die unabhängigen Gewerkschaften, die über das ganze Land verstreut sind. Zugegeben, das Projekt erlitt großen Schaden, als sich wichtige Vertretungen wie die Bildungsgewerkschaft abspalteten. Sie engagierten sich in der Gründungsphase, wollten aber schließlich nicht in die UNT sondern im CT bleiben.
Aber wenn die UNT sich als demokratische, einsatzbereite Instanz konsolidiert, die wirklich die Interessen der Arbeitenden repräsentiert, werden sich ihr weitere Gruppen anschließen. Meine Erwartungen sind durchaus optimistisch: Sobald diese Alternative erst einmal besteht, werden viele CT-Mitglieder zur UNT überlaufen.
Sollte die UNT nicht auch mit den offiziellen Gewerkschaften in Verhandlung treten, beispielsweise mit dem neuen Vorsitzenden der CTM, dem größten Verband des CT?
Ich sehe da keine Möglichkeiten. Der neue Chef Rodriguez Alcaine repräsentiert den rückständigsten Teil der CTM. Er gehört zu den sogenannten Dinosauriern, die immer schon gedacht haben, ein unabhängiger Gewerkschaftssektor bedeute Unheil: eine Gefahr für die „institutionalisierte Revolution“ und damit für die eigenen Pfründe. Solange über seine führende Position noch nicht entschieden war, gab es eine Annäherung. Sogar eine gemeinsame Plattform war im Gespräch.
Glauben Sie, die UNT kann tatsächlich eine Konkurrenz zum CTM sein?
Die CTM ist der wichtigste Machtfaktor in der mexikanischen Arbeitswelt. Sie arbeitet für die Regierung und soll das Projekt der Modernisierung, der Flexibilisierung der Arbeit den Beschäftigten schmackhaft machen. Die großen Unternehmen, die Teilfertigungsindustrien an der Grenze zu den USA und ausländische Firmen, die in Mexiko investieren, sehen in ihm nach wie vor die beste Option, die Arbeiter zu kontrollieren. Die Führungskrise nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden Fidel Velazquez kann aber zu internen Brüchen führen. Dann hätten wir nicht eine, sondern mehrere CTM. Der Verband wäre geschwächt und ließe mehr Platz für das Erstarken gewerkschaftlicher Alternativen.
LATEINAMERIKA
Ohne Bildung, ohne Hoffnung – Lateinamerika verspielt die Zukunft
(Teil4)
(Lima, Oktober 1997, noticias aliadas-Poonal).- Paul Jeffrey berichtet in Teil 4 der Bildungsserie aus Nicaraguas Hauptstadt Managua über den Streit um die Universitäten. Neue Privatuniversitäten versuchen den Bedarf an höherer Bildung zu befriedigen.
Nach den blutigen Schlachten zwischen Student*innen und Polizist*innen Anfang des Jahres ließ Präsident Arnoldo Alemán die Straßen rund um die Zentralamerikanische Universität (UCA) in Managua asphaltieren. Der Asphalt über den Pflastersteinen, die zuvor von den Student*innen zum Bau von Barrikaden aus dem Boden gerissen wurden, hat höchstens die Form des Kampfes geändert, ein Ende der Auseinandersetzungen ist jedoch nicht in Sicht. Die Gewalt auf der Straße kann nur beendet werden, wenn Alemán den Universitäten – die von Jesuiten geleitete UCA eingeschlossen – die verfassungsmäßig garantierten 6 Prozent des nationalen Haushalts tatsächlich zugesteht. Ähnlich wie viele andere Dinge während der Nachkriegszeit in Nicaragua hat der Konflikt polarisiert: linke Sandinist*innen stehen dem rechten Verwaltungsapparat Alemáns gegenüber.
Nach dem Triumph der Sandinistischen Revolution 1979 sind tausende arme Student*innen, vom Bildungsversprechen der Regierung angetrieben, in die Universitäten eingetreten. Gleichzeitig begannen zahlreiche der qualifiziertesten Hochschullehrer*innen für die Regierung zu arbeiten. „Die Universität wurde als Teil des Volksprojektes begriffen. Das was gut, da die Universität der Gesellschaft diente. Mit derartiger Popularität verlor die Universität jedoch auch an akademischer Qualität“, sagt Juan Bautista Arreon. Er ist der in Nicaragua verantwortliche Koordinator des UNO-Programms zur Förderung der Bildungsreform in Lateinamerika. Pablo Anonio Cuadra, Rektor der vor vier Jahren gegründeten Katholischen Universität Nicaraguas (UNICA), ist der Meinung, daß die Regierung in den 80er Jahren weniger an Bildung, sondern vielmehr an Politisierung interessiert war. Arreon, während des sandinistischen Regimes Planungsdirektor des Bildungsministeriums, widerspricht dieser Einschätzung nicht. „Es gab ein hohes Ausmaß an politischen Verpflichtungen, Verteidigungsaufgaben, Kaffee-Ernten und Organisierung. Eine Versammlung war wichtiger als der Unterricht. Das hat die Universitäten geschwächt“, gibt er zu. Die Universitäten waren weder auf die Wahlniederlage der Sandinist*innen 1990 noch auf die darauf folgenden ökonomischen Veränderungen vorbereitet. „Die Universitäten wurden massiv vom Globalisierungsprozeß erschüttert, auf den sie nicht vorbereitet waren“, fügt Arreon hinzu.
Seit die sandinistischen Gesetzgeber, die universitäre Autonomie garantierten, bevor sie 1990 ihre Ämter niederlegten, haben die Rektor*innen versucht, an Spielraum zu gewinnen. 1993 wurden grundlegende Reformen durchgeführt, um Qualität und Effizienz zu steigern. Dazu trug das Parlament bei, das 1994 den Universitäten 6 Prozent des Staatsbudgets zubilligte. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen vom Juli waren die Antwort auf die Entscheidung Alemáns, das Gesetz zu mißachten. Alemán sprach sich zwar zunächst für die 6 Prozent aus. Doch er wollte ein Gutscheinsystem einführen, die Student*innen sollten die Coupons in einer Universität ihrer Wahl einlösen können. Sergio Dennis García, Rektor der von Baptist*innen geleiteten Politechnischen Universität Nicaraguas, bezeichnet das Zertifakationssystem „als Plan, diejenigen Universitäten zu zerstören, die von der Regierung als Überbleibsel des Sandinismus angehen werden.“ Die Verfassung legt fest, daß die 6 Prozent vom Nationalrat der Universitäten verwaltet werden. Wobei die zehn Universitäten, die den Rat bilden, nur 12.000 Student*innen jährlich zulassen dürfen. Resultat ist, daß jedes Semester neue Universitäten eröffnet werden. 1989 gab es acht Universitäten in Nicaragua, heute sind es bereits 26. Nach Aussage von García sind viele der neuen Institutionen schlichtweg Kapitalinvestitionen, Produkt einer „marktorientierten Sichtweise der Bildung.“ Aufgrund der hohen Nachfrage haben die neuen Unversitäten keine Probleme, Student*innen zu finden. In einigen von ihnen ist das einzige Zulassungskriterium die Zahlung von monatlich 200 US-Dollar. Ein Beitrag, den die meisten nicaraguanischen Familien nicht aufbringen können. Als Gegenleisten finden die Student*innen ein „friedliches“ Klima vor, in dem der Unterricht nicht wegen Streiks ausfällt. „Für viele ist Stabilität wichtiger als Qualität. Die Leute sind bereit, für die Stabilität zu bezahlen. Manchmal zahlen sie jedoch für eine Bildung von schlechter Qualität. Dies werden die Student*innen später in der Wettbewerbsgesellschaft merken“, betont Arreon.
Zahlreiche der neuen Einrichtungen wurden aber auch als Antwort auf die Forderungen der marginalisierten Gruppen ins Leben gerufen. Zwei der neuen Universitäten befinden sich beispielsweise an der Atlantikküste, wo viele indigene und schwarze Nicaraguaner*innen unterrrichten. Die Evangelische Universität Nicaraguas (UENIC) wurde 1995 von 27 evangelischen Glaubenskongregationen gegründet, die weder mit den säkularen noch den katholischen Universitäten zufrieden waren. Nach Angaben der UENIC-Rektorin Edytha Cruz bringt die Hochschule den Student*innen moralische Werte nahe, damit sie nicht nur das Getriebe des Systems bildeten.
Anderen neuen Universitäten liegen politische Motive zugrunde. Eine der konservativsten Institutionen ist die UNICA, die 1993 vom Erzbischof Managuas, Kardinal Obando y Bravo, auf einem von der Regierung gestifteten Grundstück eingeweiht wurde. Während die UNICA die politische Rechte repräsentiert, ist die Volksuniversität Nicaraguas (UPONIC) der Linken zuzuordnen. Sie ist eine „Mitglieder-Universität“ mit dem Ziel, „dem Kontinuität zu verleihen, was die Revolution in der Bildung erreicht hat“, folgt man ihrem Rektor, dem auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt Adrián Meza. Die UPONIC hat sehr ernsthaft Dezentralisierung betrieben und in acht ländlichen Gebieten Sitze eröffnet, die sich selbst finanzieren. Die Universität bietet ein Programm an, das in acht Jahren aus Analphabeten auf dem Land Anwälte macht. „Wozu muß man 20 Jahre studieren, um Anwalt zu werden? In diesem Land können wir nicht so lange warten“, sagt Meza.
Lehrstuhl für Kunstgeschichte
Von Eduardo Galeano
In der Tiefe einer Höhle des Flusses Pinturas stempelte ein Jäger seine mit Blut beschmierte Hand auf den Stein. Er ließ seine Hand dort, in irgendeiner kurzen Ruhepause zwischen der Dringlichkeit zu töten und der Panik zu sterben. Und einige Zeit später drückte ein anderer Jäger neben dieser Hand seine eigene mit Ruß geschwärzte Hand auf. Und später hinterließen andere Jäger auf dem Stein Spuren ihrer Hände, die sie in Farben eingetaucht hatten, die von Blut und Asche, von der Erde und den Blumen herrührten.
13.000 Jahre später, nahe dem Fluß Pinturas, in der Stadt Perito Moreno, schreibt jemand an die Wand: „Ich war hier.“
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