Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 315 vom 13. November 1997
Inhalt
HAITI
KUBA
GUATEMALA
NICARAGUA
VENEZUELA
URUGUAY
LATEINAMERIKA
CHILE
HONDURAS
HAITI
UNO-Präsenz möglicherweise bald beendet
(Port-au-Prince, November 1997, haiti info-Poonal).- Eine Verlängerung des am 30. November auslaufenden UNO-Mandats für Haiti ist derzeit unwahrscheinlich. Noch im September erklärte der US-Botschafter, dies hinge von der haitianischen Bevölkerung ab, doch er selbst sprach sich mit seiner nicht unwichtigen Meinung eindeutung für einen Verbleib der UNO-Truppen aus. Es sei unvernünftig, von einem erst seit drei Jahren bestehenden Polizeiapparat die volle Sicherheit zu erwarten. Die jungen Polizisten benötigten noch mehr Ausbildung. Wenige Wochen danach kündigte zuerst die UNO, dann während eines Haiti-Besuches die US- Außenministerin Madeleine Albright den vollständigen Abzug der Truppen für Anfang Dezember an.
Bernard Millet, Vize-Generalsekretär der Vereinten Nationen, zog am 15. Oktober eine positive Bilanz der UNO-Präsenz auf Haiti. Die Situation habe sich normalisiert, im Bereich der Menschenrechte seien große Fortschritte erzielt worden und die Gefahr eines Putsches sei nun endgültig gebannt. Die Institutionalisierung der Demokratie sei auf einem schwierigen aber sicheren Weg, so Millet. Bezüglich der mangelhaften Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen verteidigte er das Verhalten der UNO-Truppen. Die Entwaffnung habe nicht zum Mandat gehört. Aus diesem Grunde könne man den Vereinten Nationen nichts vorwerfen. Auch das Mandat der Internationalen BeobachterInnenkommission für Menschenrechte auf Haiti läuft in Kürze – am 31. Dezember – aus. Einen eventuellen Verlängerungsantrag müßte die haitianische Regierung bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) stellen.
Privatisierung von Mehlfabrik umstritten
(Port-au-Prince, November 1997, haiti info-Poonal).- Wenige Tage vor seinem endgültigen Rücktritt am 20. Oktober unterschrieb der kommissarisch amtierende Premierminister Rosny Smarth noch einen Privatisierungsvertrag. Verkauft wird eine seit fünf Jahren stillstehende Mehlfabrik. Ein haitianisch-amerikanisches Konsortium erwarb 70 Prozent der Aktien in einem Wert von 9 Millionen Dollar. Der haitianische Staat behält 30 Prozent des Aktienpakets. Bei dem Abschluß des Geschäftes wurden ein weiteres Mal die unterschiedlichen Positionen zum künftigen Weg Haitis deutlich. Rosny Smarth bezeichnete das Privatisierungsprogramm als unaufhaltsam. Wer es stoppen wolle, rufe den Tod Haitis herbei. Ebenso begrüßten der US-Botschafter und die Vertreterin der Weltbank die Vertragsunterzeichnung mit großer Genugtuung. Die Gewerkschaft der Mehlfabrik verweigerte den neuen Besitzern dagegen ihre Zusammenarbeit – in neun Monaten soll die Fabrik wieder vollkommen betriebsfertig sein. COREGA, eine politische Gruppierung aus dem Süden des Landes, gab ihrer Verwunderung Ausdruck, daß ein so wichtiger Vertrag von einer scheidenden Regierung abgeschlossen werde. Auch der anti-neoliberale Block im Parlament kritisierte Rosny Smarth für sein Verhalten. Der Block möchte den Verkauf weiterer Staatsbetriebe verhindern. Médard Joseph, Senatskandidat der Politischen Organisation Lavalas (OPL) forderte die Regierung auf, das bisherige Wirtschaftsprogramm zu stoppen. Es sei unter anderem für die aktuelle Wirtschaftskrise verantwortlich.
KUBA
Auseinandersetzungen um den Fall Van Der Veer
(Havanna, 11. November 1997, pl-Poonal).- Kuba wehrt sich gegen die Darstellung von US-Seite zum Terrorismus-Prozeß gegen den nordamerikanischen Bürger Walter Van Der Veer. Dem Parteiorgan „Granma“ fiel die Aufgabe zu, entsprechende Erklärungen des Büros für die US-Interessenvertretung auf Kuba als „ungenau und falsch“ zurückzuweisen. Das Büro versuche, die Transparenz des Gerichtsverfahrens in Zweifel zu ziehen. „Granma“ versichert, in dem Prozeß geegen Van Der Veer, der der Verwicklung in „subversive Aktivitäten“ angeklagt ist, seien „alle Verfahrensgarantien sichergestellt“. Der aus Miami kommende 46jährige Van Der Veer war am 21. August 1996 auf Kuba festgenommen worden. Am 6. November dieses Jahres fand hinter für die Öffentlichkeit verschlossenen Türen der Prozeß statt. Die Staatsanwaltschaft hat 20 Jahr Haft für den angeklagten US-Bürger und drei Jahre Haft für den Mitangeklagten Kubaner Eduardo Morgado gefordert. Die offizielle Urteilsverkündung steht noch aus.
Anläßlich des Verfahrens gab die US-Interessenvertretung eine Mitteilung heraus, in der sie von einem „besonderen Grund zur Besorgnis“ sprach und einen gerechten Prozeß anzweifelte. Außerdem hießt es: „Die Unterordnung der Gerichte unter die kubanische Regierung und die Kommunistische Partei beeinträchtigt die Unabhängigkeit der kubanischen Justiz“. „Granma“ verweist dagegen auf den Umstand, daß Familienangehörige von Morgado bei dem Prozeß sowohl als Zeug*innen wie auch als Verteidiger teilnahmen, ein US- Diplomat dem Verfahren beiwohnte und außerdem der US-Anwalt Dominick Salfi als Beobachter anwesend war. Entgegen der US- Version habe Van Der Veer fünfmal mit seiner Verteidigerin Jola Alfonso Kontakt gehabt und die Verteidigungsstrategie absprechen können. Beobachter Salfi selbst habe die „leidenschaftliche Verteidigung“ des Angeklagten durch die kubanische Anwältin anerkannt. Die Zeitung erwähnt ebenso das Geständnis Van Der Veers, das die Vorbereitung terroristischer Aktivitäten einschließe. Diese habe er nicht ausführen können, weil er vorher verhaftet worden sei.
GUATEMALA
Spionage in Friedenszeiten
(Guatemala-Stadt, 4. November 1997, cerigua-Poonal).- Die Enthüllungen einer Tageszeitung über die Spionagetätigkeiten des militärischen Geheimdienstes haben in Guatemala Unruhe ausgelöst. Die Zeitung berichtet über das Dokument „Übergang zum Frieden '97“, in dem der Geheimdienst seine Agent*innen anleitet, wie sie sich in die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG), die Katholische Kirche und Volksbewegungen infiltrieren können. Raquel Zelaya, Leiterin der Friedensbehörde (SEPAZ) nannte es besorgniserregend, wenn dieses Dokument durch die Streitkräfte in die Praxis umgesetzt würde. Solche Verfahrensweisen seien mit dem Ende des bewaffneten Konfliktes nicht vereinbar. Vicente Bamaca, Rechtsberater der Gewerkschaftseinheit der Arbeiter*innen Guatemalas (UNSITRAGUA), wies darauf hin, die Spionageaktivitäten der Militärs verstießen gegen den Inhalt der Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla. Bamaca befürchtet negative Auswirkungen auf die BürgerInnenbeteiligung bei verschiedenen Aspekten des nationalen Lebens. Konkret erwähnte er die ZeugInnenaussagen vor der sogenannten Wahrheitskommission, die die Kriegsverbrechen aufklären soll.
Wieder Verbindungen von Militärs zu Kidnappern aufgedeckt
(Guatemala-Stadt, 5. November 1997, cerigua-Poonal).- Der guatemaltekischen Polizei ist ein Schlag gegen einen der mächtigsten Entführungsringe im Land gelungen. Sie verhafteten 21 Verdächtige, von denen die Mehrheit – laut Bundesstaatsanwalt Hector Pérez Aguilera 90 Prozent – ehemalige Mitglieder der Streitkräfte sind. Die Operation begann am 31. Oktober. Sie richtete sich vor allem gegen die mutmaßlichen Täter bei der Entführung und Ermordung der 22jährigen Beverly Sandoval Richardson vor einem Jahr und gegen die Verantwortlichen für weitere 12 Entführungen. Die Fahnder gingen in fünf Provinzen und der Hauptstadt gleichzeitig vor. Kreise der Staatsanwaltschaft erklärten gegenüber der Tageszeitung „El Periodico“, wegen der möglichen Verbindung mit den Verbrechen werde gegen den General im Ruhestand José Horacio Soto Salan, den früheren Finanzminister Hugo Tulio Bucaro sowie den früheren Abgeordneten der heutigen Regierungspartei PAN, Gonzalo Roberto Salguero Escamilla, ermittelt. Mehrere Zeitungen zitierten zudem Quellen aus dem militärischen Geheimdienst. Danach sollen ebenfalls der pensionierte General Manuel Antonio Callejas y Callejas sowie der Oberst im Ruhestand, José Luis Fernandez Ligorria, Teil des Kidnapperringes sein.
Die Verhaftungen bestätigen ein offenes Geheimnis in Guatemala: Ehemalige und noch aktive Militärs spielen eine Schlüsselrolle im Entführungsgeschäft. Die Zeitung „Prensa Libre“ kommentierte erst kürzlich: „Für die Unterwelt ist es die ideale Kombination. Ruheständler (der Armee) agieren unter dem Schutz öffentlicher Posten. Die Verdächtigen entkommen, weil sie frühzeitig von den Aktionen der Sicherheitskräfte erfahren.“ Die Zeitung verweist auf die Tage der staatlichen Repression, „als die Regierung der Haupt- Kidnapper war“ und macht diese Periode für die Schaffung „dieses zweiköpfigen Monsters“ verantwortlich. Das Monster könne nicht vernichtet werden, weil es der Regierung an Willen fehle, gegen so eine mächtige Institution wie die Streitkräfte vorzugehen, schließt der Kommentar. Andere Beobachter*innen weisen darauf hin, daß die Regierung den entlassenen Soldaten und den aufgelösten paramilitärischen Gruppen nach dem Ende des internen Krieges nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Belgische Delegation will die Wahrheit wissen
(Guatemala-Stadt, 30. Oktober 1997, cerigua-Poonal).- Familienangehörige von vier während des Krieges in Guatemala umgebrachten Belgiern kamen in das mittelamerikanische Land, um von der Wahrheitskommission eine Untersuchung über die Todesfälle zu erbitten. Bei allen vier Ermordeten handelte es sich um Priester. Walter Vordeckers wurde 1979 umgebracht. Sein Schicksal erlitten wenige Jahre später Serge Berten (1981), Ward Capiau (1982) und 1994 Alfonso Stessel. Nach Aldo Morales von der Nationalen Menschenrechtskoordination Guateamalas (CONADEHGUA) wurden sowohl Vordeckers wie auch Berten und Capiau entführt und danach wahrscheinlich außergerichtlich hingerichtet. Stessel wurde nach einer Weihnachtsprozeßion in seiner Gemeinde in einem Armenviertel nahe der Hauptstadt geschlagen und anschließend erschossen. Die Polizei machte eine Jugendbande für das Verbrechen verantwortlich und verhaftete einen jungen Mann. Menschenrechtsgruppen gehen von einem politischen Mord aus und forderten eine Untersuchung. Aldo Morales hat erklärt, sein Gruppe verfüge über Hinweise und Zeugenaussagen, die in allen vier Fällen auf die Beteiligung der Streitkräfte deuten. Nur im Mord an Stessel gibt es jedoch bisher ein gerichtliches Untersuchungsverfahren.
NICARAGUA
Die Prioritäten von Alemán
Von Eduardo Tamayo G.
(Managua, Oktober 1997, alai-Poonal).- Sieben von zehn Nicaraguaner*innen leben in Armut. Aber das scheint die liberale Regierung von Arnoldo Alemán nicht zu kümmern. Eifriger ist er damit beschäftigt, die Schulen und Studienzentren, die die Namen sandinistischer Helden und Führer*innen tragen, umzutaufen sowie der Familie Somoza ihren alten Besitz wieder zu verschaffen. Bei der ersten Aktion geschieht dies auf einer symbolischen Ebene: Es ist der Versuch, aus der kollektiven Erinnerung die Bilder derjenigen zu streichen, die gegen den Somozismus kämpften. So verfügte das Bildungsministerium beispielsweise, das Institut Duglas Sequeira – der Name geht auf einen Jugendlichen zurück, der von der somozistischen Nationalgarde massakriert wurde – in Institut Cornelio Hueeck umzubennen. Hueeck war einer der Abgeordneten von Somoza und ließ Campesinos vertreiben, um sich deren Land anzueignen. Bis zum 15. Oktober sollten mehrerer solcher Namenswechsel stattfinden, aber Schüler*innen und deren Eltern protestierten dagegen. Sie bewerteten die Maßnahme teilweise als „Infamie, eine Kränkung und ein fehlender Respekt gegenüber den Müttern derer, die ihr Leben in dem ehrenvollen Kampf gegen die Diktatur opferten“.
Die Eigentumsdiskussion wird auf dem Feld des neoliberalen Pragmatismus ausgetragen. Schon in seiner ersten Rede bei seinem offiziellen Amtsantritt am 10. Januar 1997 versprach der Präsident, die Eigentumsfrage, „die die Entwicklung Nicaragua gebremst hat“, zu lösen. In den 80er Jahren beschlagnahmte die sandinistische Regierung den Besitz der Familie Somoza. Im Rahmen der Agrar- und Stadtreform wurde ein Teil dieses Besitzes an Campesinos und städtische Siedler*innen übergeben. Davon konnten 140.000 Menschen in den Städten und mehrere zehntausend Familien auf dem Land profitieren. An sie verteilte die Regierung insgesamt 2,5 Millionen Hektar Grund und Boden. Heute wird dieses Land von der Somoza-Familie und ihren Verbündeten – Militärs und ehemaligen Funktionär*innen – zurückgefordert. Seit 1990 haben sie 6.000 Anträge gestellt, in denen sie die Rückgabe von 13.000 Grundstücken verlangen. Die Somozas wollen vor Gericht 340 Vermögenseinrichtungen erstreiten, neben Land auch Unternehmen, Schiffsgesellschaften und Residenzen. Der Gesamtwert wird auf 250 Millionen Dollar geschätzt. Unter der Regierung von Violeta Chamorro (1990-96) gab es ein Gesetz, um den Besitzkonflikt zu lösen, doch es wurde niemals angewendet. Das Steckenpferd der Regierung ist es, daß bestimmte beschlagnahmte Besitztümer in die Hände einiger Mitglieder der sandinistischen Führung gelangen. Diese fragwürdige im Volksmund „la piñata“ genannte Aktion ist unbestritten. Sie kann jedoch nicht den Versuch verdecken, die ökonomische Macht der Erb*innen Somoza zu restaurieren.
„Eine Provokation“
Für die Ex-Kommandantin Dora María Téllez, heute stellvertretende Vorsitzende der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) „ist es eine Provokation von der Rückgabe von Besitztümern an die Familie Somoza zu sprechen, denn das ist eine unmoralische Sache“. Téllez fügt hinzu: „Ich glaube, mit der größte Konsens unter der Nicaraguaner*innen besteht darin, daß die Familie Somoza ihr Kapital auf Kosten des Landes zusammenbrachte, d.h. Geld raubte. Das Kapital der Somozos war ein Produkt der Regierungskorruption während der Diktatur. Vorzuschlagen, die Güter der Familie Somoza zurückzugeben, ist daher völlig unmoralisch. Außerdem ein Raubakt, ein Raub an Campesinos, ein Raub an verschiedenen Eigentürmer*innen, die dem Staat das Land abgekauft haben. Das bringt viel Instabilität für Campesinos, Unternehmer*innen und für Arbeiter*innen, die zu Eigentümer*innen des Besitzes geworden sind, den sich früher die Familie Somoza angeeignet hatte.“ Die MRS- Politikerin klagt die Regierung an, die Besitzübergabe nicht zu garantieren. „Bei vielen armen Leuten mit wenig Einkommen, bei Campesinos und Eigentümer*innen von kleinen Grundstücken oder Häuschen besteht Unsicherheit.“
„Das Problem sind nicht die Gesetze“
Während der Amtszeit von Arnoldo Alemán ist das Eigentumsthema Gegenstand von Konfrontationen und Verhandlungen zwischen der Regierung und der Nationalen Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), der wichtigsten Oppositionskraft und größten Oppositionsfraktion im Parlament gewesen. Mitte Oktober gründete sich eine Sonderkommission der Nationalversammlung, der drei Abgeordnete der regierenden Liberalen Allianz und zwei Abgeordnete der FSLN angehören. Die Kommission soll eine Lösung bezüglich der beschlagnahmten Güter finden. Mit dieser parlamentarischen Initiative sollen die städtischen Ansiedlungen legalisiert werden, mit Grundbucheintragungen für die durch die sandinistische Revolution Begünstigten (allein 50.000 Siedler*innen in der Hauptstadt Managua). Eingeschlossen werden sollen, so die Idee, auch die Arbeiter*innen, die 1993 Kaufverträge für privatisierte Unternehmen unterschrieben (um sie in Eigenregie zu führen; die Red.). Aber das Eigentumsproblem ist spitzfindig und komplex, es entzieht sich einfachen Lösungen. Zur selben Zeit, in der das Parlament einen neuen Entwurf für ein Eigentumsgesetz diskutierte, erklärte FSLN-Chef Daniela Ortega auf einer Veranstaltung zum 20. Jahrestag des Sturms und der Zerstörung der Kaserne der Nationalgarde in San Carlos durch 26 sandinistische Guerrilleros: „Die Arbeiter*innen haben auch das Recht und die Möglichkeit, sich zu bewaffnen, um ihr Eigentum zu verteidigen, Land, Grundstücke und Häuser inbegriffen, da das Regime die bestehenden und vollständig gültigen Gesetze nicht respektiert.“ Der Sandinistenführer weiter: „Es werden nicht mehr Gesetze benötigt, denn in den derzeitigen sind die Rechte der Arbeiter*innen, der Siedler*innen und Campesinos auf ihren Besitz festgelegt. Aber die Regierung versteift sich auf ihren Versuchen, den ehemaligen Besitzer*innen zu erlauben, erneut den Besitz zu rauben, den sie auf üble Weise erlangt haben.“
Katholiken fordern bessere Sozialpolitik
(Managua, 31. Oktober 1997, alc-Poonal).- Die Erste Synode der Erzdiözese von Managua verabschiedete ein Dokument, in dem Regierung und Gesellschaft aufgefordert werden, über das dringende Problem von mehr Gerechtigkeit für die Arbeiter*innen nachzudenken. Kardinal Miguel Obando y Bravo verlangte im Sinne des Dokumentes eine Reforma der Sozialversicherung, damit die Renten erhöht werden. Derzeit schwanken sie zwischen 30 und 50 Dollar monatlich. Die Synode weist auf die Armut vieler nicaraguanischer Familien hin. Nach Meinung der katholischen Kirche ist der Mindestlohn, den die Mehrheit der Bevölkerung erhält, unzureichend zum Überleben. Auf dem Land beträgt dieser Lohn 30 Dollar im Monat, in der Stadt zwischen 50 und 100 Dollar.
Gesetze mit Folgen
(Managua, 30. Oktober 1997, pulsar-Poonal).- Im Rahmen ihrer Bemühungen, den Markt über die Geschicke des Landes entscheiden zu lassen, setzte sich die Regierung im Parlament zweimal durch. Eine Abgeordnetenmehrheit von den Regierungsparteien und ihren Verbündeten setzten eine Rechtsverfügung von 1996 außer Kraft, die die Ausbeutung von Naturschätzen und die Landübergabe an Privatunternehmen einschränkte. Damit ist der Weg für den Verkauf den letzten übriggebliebenen nicaraguanischen Naturschätze frei. Zu den am stärksten von dem neuen Gesetz betroffenen Regionen wird die Atlantikküste gehören. Dort befinden sich 42 Prozent des Waldbestandes des Landes. Die Zone wird als wichtigste ökologische Reserve Nicaraguas betrachtet. Antonio Guzmán, der Vorsitzende der Indigenistischen Bewegung Nicaraguas protestierte gegen das Gesetz. Die Bewohner*innen der Atlantikküste seien von den Abgeordneten niemals um ihre Meinung gefragt worden. Mit der Reform seien die koreanischen, kandanadischen und US- amerikanischen Unternehmen die großen Nutznießer. Sie hätten nun grünes Licht, um Minen- und Waldvorkommen auszubeuten. Eine weitere Entscheidung zugunsten der Privatwirtschaft bedeutet die Zustimmung des Parlaments zum Verkauf der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft. Der Staat wird allerdings weiterhin über das Stromnetz verfügen und Einfluß auf die Tarife haben. Vorgesehen ist die Teilung des Unternehmens in mehrere kleine Stromfirmen. Das verabschiedete Gesetz enthält einen Passus, der alle Personen und Institutionen, die bis maximal 200 Kilowatt Strom im Monat verbrauchen, keine Grundgebühr Stromgebühren bezahlen müssen.
VENEZUELA
Schnelles Gipfelende
Von Andrés Cañizales
(Isla Margarita, 8. November 1997, npl).- Präsidenten haben nicht viel Zeit, nicht einmal für Gipfeltreffen in der Karibik. Die Mandatsträger aus Brasilien, Peru, Paraguay und Uruguay verließen das Stelldichein der spanischen, portugiesischen und der 21 lateinamerikanischen Regierungen schon nach 24 Stunden. Deswegen unterzeichneten sie die Abschlußerklärung schon am Samstag abend, ohne den Text jedoch zu veröeffentlichen.
Moralischer Verlierer des siebten Iberoamerikanischen Gipfels ist der venezolanische Gastgeber Rafael Caldera. Er hatte in Vorfeld dafür geworben, ein „Recht auf wahrheitsgemäße Berichterstattung“ im Abschlußdokument festzuschreiben. Journalistenverbände kritisierten diesen Vorschlag als Eingriff in die Pressefreiheit, da er ihrer Meinung nach darauf zielte, Recherchen über Korruption und Enthüllungsstories zu kriminalisieren. Der jetzt erstrittene Kompromiß betont laut Diplomaten „das Recht der Bürger auf freie und wahrheitsgemäße Information ohne Zensur und Restriktionen“. Zudem verurteilt der Text Angriffe und Drohungen jeder Art gegen Medien.
Von Calderas Ansinnen, rechtliche Schritte gegen Berichte zu empfehlen, deren Wahrheitsgehalt nicht eindeutig erwiesen sei, ist demnach nicht viel übrig geblieben. Öffentliche Unterstützung hatte er lediglich seitens der Präsidenten von Guatemala (Alvaro Arzú) und Costa Rica (José María Figueres) erhalten, die große Mehrheit der auf der Karibikinsel Margarita anwesenden Staatschefs zog es vor, zu diesem Thema zu schweigen.
Einen Achtungserfolg konnten die rund hundert anwesenden Nicht- Regierungs-Organisationen (NRO) in Sachen Menschenrechte erzielen. Ihr Sprecher Juan Navarette betonte, daß die im Entwurf vorgesehene Unterscheidung in politisch-zivile Menschenrechte einerseits und ökonomisch-soziale-kulturelle Bürgerrechte andererseits darauf hinausliefe, die Verantwortung der Staaten für Wohlergehen und die Ausbildung der Armen zu untergraben. Diese von einigen Präsidenten unterstützte Kritik fand Eingang in das Abschlußdokument: Die Regierungen betonen nun „die Aufgabe des Staates, die Gültigkeit aller Rechte der Bürger zu garantieren“. Die Menschen- sowie wirtschaftliche Rechte seien universell. Daß diese Gipfelerklärung kaum mehr als ein Lippenbekenntnis ist, zeigt freilich das Sammelsurium guter Absichten. Die Abschaffung von Armut und der Benachteiligung der Frauen und Indígenas in den eigenen Ländern wird ebenso betont wie die Verurteilung von Antipersonenminen, der Besetzung Osttimors und der britischen Präsenz auf den Malvinen und Gibraltar.
Stadtgründung mit Hintergedanken
(Caracas, 30. Oktober 1997, pulsar-Poonal).- Im Grenzbundesstaat Apure, 800 Kilometer im Südwesten der Hauptstadt Caracas, ist mit der ersten Bauetappe für die Stadt Sucre abgeschlossen worden. Das Stadtprojekt an der Grenze zu Kolumbien wurde von Venezuelas Präsident Rafael Caldera eingeweiht. Die Grundinfrastruktur an Strom, Wasser- und Abwasserleitungen sowie eine Schule und 200 Häuser für die zukünftigen Einwohner*innen sind fertiggestellt. Nach und nach soll Sucre besiedelt werden. Die ersten 210 Familien kommen in Kürze, 1998 soll die Stadt auf etwa 1.000 Familien anwachsen. Die Besiedlung ist Teil der venezolanischen Politik, die Grenze zu Kolumbien zu militarisieren und neu zu bevölkern. In den vergangenen Jahren kam es häufig zu Grenzüberschreitungen von kolumbianischer Seite durch Guerillaeinheiten, Drogenhändler und Kidnapper. Der Vorsitzende der Verteidigungskomission im Parlament, Luis Manuel Esculpi, hat die Entwicklung im Grenzgebiet als notwendig bezeichnet, die Stadtgründung ist in diesem Kontext zu verstehen. Alfredo Ruíz, Repräsentant des Unterstützungsnetzes für Gerechtigkeit und Frieden, befürchtet im Zuge des Baus von Sucre mehr Militäraktionen. Dabei seien die Zivilist*innen immer auf der Verliererseite.
URUGUAY
Der Krieg
Von Eduardo Galeano
Ich lernte den spanischen Bürgerkrieg zwanzig Jahre nach der Niederlage, in Montevideo, kennen: in den Weinstuben, wo die Besiegten sich umarmend ihre Lieder aus den Schützengräben sangen und in den Cafés, wo sie sich stritten als ob der Krieg gerade stattfände.
Einer der Exilierten, Abraham Guillén, erzählte mir den Krieg in seinem Haus, zur Frühstückszeit. Er sprach mit mir über den geopolitischen Kontext sowie die taktischen und strategischen Widersprüchen des republikanischen Bündnisses. Danach wurden die Schlachten auf der Tischdecke geschlagen.
Die kleinen Löffel, das Zuckertöpfchen und die Tassen für den Milchkaffee kennzeichneten die Stellungen der Milizen und der Franco-Truppen. Ein Messer biegend feuerte Abraham und der Kanonenschuß warf den blutroten Marmeladentopf um. Die Panzer, das heißt die Gläser, rückten vor, umstellten und erdrückten das Toastbrot. Die Toastschnitten knirschten. Hitlers Flugzeuge warfen Orangen und Brote ab, die den Tisch erschütterten und unter den Zahnstochern, der Infanterie, eine schreckliche Verwüstung anrichteten. Ich hörte das Explodieren der Bomben, die Maschinengewehrsalven und die Aufschreie der Opfer.
In der Küchentür stehend, trocknete sich die Frau von Abraham ihre Hände mit einem Lappen ab. Auf diesen mit Kadavern übersähten Tisch sehend, schüttelte sie den Kopf und murmelte: „Arme Irre, arme Irre.“
LATEINAMERIKA
Spanische Justiz ermittelt gegen südamerikanische Militärs –
Menschenrechtsorganisationen kritisieren Vorgehen der Regierungen
Von Carlos Casares
(Montevideo, 11. November 1997, comcosur-npl).- Mit dem Völkermord-Prozeß der spanischen Justitz gegen Mitglieder der früheren Militärdiktaturen im südlichen Lateinamerika wird sich bald auch Interpol beschäftigen müssen. Das zuständige spanische Gericht hat nach so eindringlichen wie erfolglosen Auslieferungsgesuchen an die Regierungen Argentiniens und Uruguays damit gedroht, internationale Haftbefehle bei der länderübergreifenden Polizeibehörde zu beantragen.
Die gerichtlichen Ermittlungen gelten dem Schicksal rund 600 spanischer Staatsbürger, die während der Diktaturen verschleppt und – vermutlich – ermordet wurden. Stand zunächst nur Argentinien im Mittelpunkt der gerichtlichen Untersuchungen, so brachten weitere Nachforschungen den Nachweis einer Zusammenarbeit der Geheimdienste Argentiniens und Uruguays im Kampf gegen unliebsame Regimegegner. Auch in Deutschland erwägen Rechtsanwälte, in naher Zukunft gegen verantwortliche Militärs im Zusammenhang mit dem Verschwinden deutscher Staatsbürger während der Diktatur in Argentinien vor Gericht zu gehen.
Nach Informationen von Menschenrechtlern versucht die argentinische Regierung, die Ermittlungen des zuständigen Richters Baltasar Garzón massiv zu behindern. Dabei seien ihr von „gezielter Desinformierung spanischer Medien bis zur versuchten Einflußnahme auf die spanische Justiz“ alle Mittel recht, erklärte die Vereinigung der Familienangehörigen von Häftlingen und Verschwundenen Anfang November in Buenos Aires.
Der größte Widerstand gegen eine Überprüfung der Vergangenheit kommt vom argentinischen Präsidenten Carlos Menem. Er hat die Bitten der spanischen Justiz nach Informationen kontinuierlich ignoriert. Außerdem soll, so die argentinischen Menschenrechtsgruppe, seine Regierung versucht haben, Garzón unter Druck zu setzen, um den Haftbefehl gegen den reuigen argentinischen Ex-Marineoffizier Adolfo Scilingo zu verhindern.
Scilingo hatte sich Anfang Oktober den spanischen Behörden gestellt und mit seinem Geständnis, an den berüchtigten „Todesflügen“ der argentinischen Luftwaffe während der Militärdiktatur 1976 bis 1983 teilgenommen zu haben, den Ermittlern erste substantielle Beweise an die Hand gegeben. Seinen Aussagen zufolge wurden mindestens 4.400 Menschen getötet, darunter auch Spanier, indem man sie lebendig aus großen Höhen aus Hubschraubern und Flugzeugen in den Atlantischen Ozean geworfen habe. Er gab zu, selbst mindestens 30 Menschen auf diese Art getötet zu haben.
Der geständige Ex-Offizier war bereits 1995 mit brisanten Enthüllungen an die argentinische Öffentlichkeit getreten und hatte in Folge zusammen mit Menschrechtsorganisationen versucht, den vollen Umfang der Exekutionen und die Identität der Opfer publik zu machen. Damit wurde erstmals das Schweigen der Täter aus den Reihen des Militärs durchbrochen und zugegeben, daß es solch massive Menschrechtsverletzungen überhaupt gegeben hat.
In Argentinien muß Scilingo keinerlei Strafverfolgung fürchten, da auch hier, wie in vielen Ländern Lateinamerikas, ein Amnestiegesetz die Täter der Militärdiktatur vor Strafverfolgung schützt. Dennoch zog er es vor, sich der spanischen Justiz zu stellen, wo ihn womöglich eine längere Haftstrafe erwartet, da er sich in seinem Heimatland nicht mehr sicher fühlt. Bereits 1995 wurde er kurz nach Bekanntwerden seiner Aussagen in einem dubiosen Prozeß wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und seines Offizierrangs enthoben. Nach seiner Freilassung in diesem Jahr wurde er im vergangenen September von zwei Unbekannten in Buenos Aires auf offener Straße entführt und mehrere Stunden in einem Auto festgehalten. Man gab ihm zu verstehen, daß es für ihn ernste Konsequenzen haben könnte, wenn er nicht von diesem sensiblen Teil der argentinischen Vergangenheit ablasse und ritzte ihm als Wahnung die Buchstaben MGV auf die Stirn – die Anfangsbuchstaben der Journalisten, die sein Geständnis 1995 publik gemacht hatten.
Solche Versuche, eine öffentliche Vergangenheitsbewältigung bereits im Keim zu ersticken, vermitteln den Eindruck, daß hier eine reaktionäre Kaste des Militärs sich mit allen Mitteln gegen eine Entwicklung stemmt, die unter Umständen ihr Ende bedeuten könnte: Die Rufe in der argentinischen Gesellschaft nach konsequenter Verfolgung der verantwortlichen Militärs werden lauter und schon längst lassen sich die Angehörigen der während der Diktatur Verschwundenen nicht mehr durch Drohgebärden oder das konsequente Totschweigen von Greueltaten beschwichtigen. Immer vehementer fordern sie eine lückenlose Aufklärung über das Schicksal der während der Militärherrschaft Verschleppten und erhalten dabei Unterstützung von seiten der argentinischen Medien, denen die Aufdeckung vieler schmutziger Details der Diktatur zu verdanken ist.
Insofern hatten die Aussagen Adolfo Scilingo eine Signalwirkung auf die Betroffenen, daß ihre Forderungen nach Aufklärung nicht vollends vergeblich sind. Sogar der Generalstabschef der Luftwaffe, Martín Balza, gab mittlerweile zu, daß die Streitkräfte für mindestens zehntausend Morde verantwortlich seien, die während des „schmutzigen Krieges“ von 1976 bis 1983 in Argentinien begangen wurden.
Im Zusammenhang mit den Aussagen Scilingos vor dem spanischen Gericht richtete die Justiz Ende Oktober erneut ihre Bitte an die Regierung Uruguays, die Verantwortlichen für die während der Diktatur begangenen Verbrechen befragen zu dürfen. Vorgeladen werden sollen zahlreiche Militärs und ein Polizist, die der Menschenrechtsverletzung verdächtigt werden. Allerdings wird auch in diesem Fall nicht damit gerechnet, daß sich Präsident Julio María Sanguinetti auf eine Zusammenarbeit mit der spanischen Justiz einläßt und die betreffenden Personen an die ermittelnden Behörden übergibt.
Bemerkenswert sind die nach wie vor engen Bande zwischen den heute regierenden Politiker und den Beschuldigten der früheren Diktaturen. So bleibt fraglich, ob die mögliche Ausstellung von internationalen Haftbefehlen durch Interpol ausreicht, die uneinsichtigen Regierungen in den beiden südamerikanischen Ländern zu mehr Kooperation zu bewegen.
Moralische Unterstützung erhielten die Ermittler zuletzt von amnesty international. Am Montag letzter Woche erklärte die Menschenrechtsorganisation in London, die „fortdauernde Straffreiheit von Verbrechen während der Militärdiktaturen ist nicht zu tolerieren“. Die damals in Argentinien und Chile begangenen Menschenrechtsverletzungen seien internationalem Recht zufolge Verbrechen gegen die Menschheit.
Ohne Bildung, ohne Hoffnung – Lateinamerika verspielt die Zukufnt
(Teil 2)
(Lima, Oktober 1997, noticias aliadas-Poonal).- Auch wenn der Titel der Serie etwas anderes vermuten läßt, so befaßt sich der zweite Teil der Bildungsserie mit einem positiven Beispiel. Elsa Chanduvo berichtet über ein lateinamerikanisches Programm, das von Argentinien aus arbeitet:
Für die Aktion zusammenwachsen
Die Realität durch Änderung in Angriff nehmen – das lernen die Student*innen eines innovativen Bildungsprogramms aus dem Bereich der Umweltwissenschaften.Architekt*innen, die zerstörte städtische Gebiete wiederherstellen wollen, Geolog*innen, die mit einem geschützen oder ungeschützten Naturareal zu tun haben und Lehrer*innen, die Bildungsprogramme zur ökologischen Bewußtseinsbildung planen, sind die typischen Student*innen einer innovativen Bildungserfahrung. In der Lateinamerikanischen Fakultät für Umweltwissenschaften (FLACAM) – mit dem Hauptsitz in der argentinischen Stadt La Plata – werden weder Forscher*innen ausgebildet, die Projekte im klassischen Stil von „Hypothese und wissenschaftlichem Beweis“ durchführen, noch Akademiker*innen für den universitären Bereich. „Wir formen Gestalter*innen, Leute, die aus verschiedenen Disziplinen heraus die Realität zu verstehen und zu gestalten wissen, um sie zu verändern. Das ist das Neue an unserem Bildungsvorschlag“, sagt Anna Zuccetti, Biologin und Koordinatorin der FLACAM in Peru.
Die vor knapp zehn Jahren gegründete FLACAM bildet ein lateinamerikanisches Netz von Einrichtungen aus 12 Ländern der Region und Spanien, die in der Ausbildung von „Gestalter*innen“ und Führungspersönlichkeiten für Umweltfragen aktiv sind. „Ich habe mich bei der FLACAM beworben, da mir der Vorschlag interessant erschien, ein Projekte auf integrale und interdisziplinäre Art und Weise anzugehen“, sagt Herless Alvarez, ehemaliger Student der Fakultät, der im Tourismus in der Zone Pisco-Paracas, einem Naturschutzgebiet im Süden Limas arbeitet. Die Student*innen nehmen an einem Programm teil, das einen Postgraduiertenkurs zur Umweltbildung darstellt. Es besteht aus intensiven Workshops, in denen die Teilnehmer*innen sehr theoretische Aspekte der Umweltfrage lernen oder diskutieren, dem jedoch gleich ein Praktikum im jeweiligen Herkunftsland folgt. Dort führen sie ein Ökologieprojekt durch, das von einer örtlichen – öffentlichen oder privaten – Institution betreut wird. Das ist auch der Fall bei Alvarez, der nach wie vor in dem mit dem Nationalen Umweltinstitut (INRENA) koordinierten Projekt arbeitet, für welches ihn die FLACAM ausgesucht hat. Momentan versucht das Projekt, das er in Paracas entwickelt, nach seinen Worten, „qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, die im Umweltbereich wirken können und auch die einheimische Beteiligung durch kleine lokale Tourismusunternehmen zu fördern.“
Die Teilnehmer*innen des FLACAM-Programms kommen zu sechs Seminaren im Laufe von eineinhalb Jahren zusammen, jeweils drei in Argentinien und drei in ihrem Herkunftsland. Dabei wird viel Zeit darauf verwendet, die Projekte zu diskutieren, unter Supervision einer Gruppe aus Dozent*innen und Fachleuten, die die Realität der Länder kennen und ebenfalls Projekterfahrung haben. „Viele Projekte schreiten beispielsweise weniger in der konkreten Arbeit voran, sondern werden vielmehr neu definiert, konzeptualisiert und entwickeln sich in ihrer finanziellen und institutionellen Verwaltung. Zahlreiche Projekte werden gerade deshalb geändert, weil die Student*innen lernen, die Realität mit anderen Instrumenten in Angriff zu nehmen als die FLACAM ihnen gibt“, erklärt Zuccetti.
Die Fakultät bereitet bereits ihren neunten Jahrgang für den Kurs 1998/99 vor. „Jedes Jahr bewerben sich etwa 80 Student*innen und bisher haben 250 ihren Abschluß erhalten, 20 Prozent davon sind Argentinier*innen. In jüngster Zeit haben sich Mexiko, Kolumbien und Spanien angeschlossen“, erklärt die argentinische Geologin Lucía Pesci, Geschäftsführerin der FALCAM. „Was mich zur FLACAM gebracht hat, war genau die Perspektive meine Disziplin, die Archälologie, in eine nachhaltige Entwicklung einzufügen, denn die Archäologie in Peru bildet dich nicht zum Entwicklungsförderer aus“, sagt Luisa Díaz, die ihr Umweltprojekt im Archäologischen Schutzgebiet von Pachacssmac, einem religiösen Komplex aus der Zeit vor den Inkas im Süden von Lima, durchführt. Díaz erzählt, daß sie jahrelang in Bibliotheken recherchiert und Ausgrabungen gemacht hat und sich immer die Frage stellte: „Was kann ich als Archäologin tun, um die Gesellschaft und die Bevölkerung zu unterstützen?“ Sie meint: „Einen archäologischen Ort zu bewahren, heißt, ihn in die Stadt einzubringen und das kann man nicht ohne die Beteiligung de r Bevölkerung machen.“
In der FLACAM treffen sich Student*innen verschiedenster Disziplinen. Es gibt Umweltprojekt, die praktisch von jeder wissenschaftlichen Disziplin aus angegangen werden. Ein Beispiel ist der Nutzungsplan des Wasserbecken des Romac-Flusses. Der Romac durchquert Lima und es geht um die Handhabung der Konflikte, die wegen der Wassernutzung entstehen. Davon ausgehend sind weitere Ideen entstanden, die Stadt- und Landschaftsverbesserung sowie die Umweltsanierung in mehreren jungen Siedlungen und städtischen Zentren entlang des Wasserbeckesn einschliessen. Inzwischen ist die Vereinigung „Pro Romac“ entstanden, die 20 Nicht- Regierungsorganisationen umfaßt. Vorher arbeiteten sie ohne große Kommunikation untereinander in einer Art Nischendasein an verschieden Orten des Romac-Beckens. Im Kontext des Projekt haben auch die Anliegerkommunen eine Instanz gebildet, um ihre Nutzungspolitik bezüglich des Romac abzustimmen.
Eine ähnliche Erfahrung existiert in Paraguay. In einem Abkommen mit der Stadtverwaltung von Asunción wurde 1993 das Ziel gesetzt, den Uferstreifen der Hauptstadt zum Paraguay-Fluß hin zu retten. Dort treten regelmässige Überschwemmungen auf. Betroffen waren immer auch die 55.000 Bewohner*innen, die sich unter ärmlichen am Ufer angesiedelt haben. Nach einem Jahr erfolgreicher Arbeit wurde der Plan auf ein Umweltprojekt für die ganze Stadt ausgeweitet. “ Anna Zucchetti glaubt: „In Ländern wie den unseren, in denen wichtige Veränderungen zum Nutzen der Gesellschaft nötig sind, werden Expert*innen gebraucht, die nicht nur nachdenken und philosophieren können, sondern in der Lage sind, von einer Nicht- Regierungsorganisation, einer Kommune, einer Regierungseinrichtung aus aktiv zu werden.“
CHILE
Frei versucht Stärke gegenüber Streitkräften
(Santiago/Montevideo, 7. November 1997, comcosur-Poonal).- In einer gewagten und überraschenden Entscheidung legte der chilenische Präsident Eduardo Frei sein Veto gegen die Beförderung des Brigadiers Jaime Lepe zum General ein. Der Militär wird mit dem Mord an der spanischen Bürgerin Carmelo Soria im Jahr 1976 in Verbindung gebracht. Soria war damals UNO-Funktionärin. Sie wurde verhaftet, gefoltert und ermordet. Das Veto von Frei geschah wenige Tage, nachdem der Präsident den General Ricardo Izurieta als Nachfolger (ab März 1998) von Augusto Pinochet an der Armeespitze bestimmt und dabei andere dem Ex-Diktator näherstehende Aspiranten außer Acht gelassen hatte. In dieser deutlichen Weise hat sich Frei bisher noch nicht gegen die dem Militärregime verbundenen Kräfte in den Streitkräften gestellt. Entsprechend hatte trotz zahlreicher öffentlicher Proteste gegen die vorgesehene Beförderung des Brigadiers niemand erwartet, daß der Präsident tatsächlich sein Veto ein legen würde.
HONDURAS
Demokratie total – Hunde dürfen wählen
(Tegucigalpa/Montevideo, 7. November 1997, comcosur-Poonal).- In Honduras sind bei der möglichen Beteiligung an den kommenden Wahlen alle bisher bekannten Grenzen überschritten worden. Mehrere Hunde wurden ganz legal als Menschen ins Wahlregister eingeschrieben. Das Unternehmen GBM, mit der Ausarbeitung der Wahlausweise beauftragt, mußte den Fehler zugeben, daß sein Personal mehrere der Vierbeiner einschrieb. Die Öffentlichkeitswirkung war groß, nachdem Journalist*innen den Wahlausweis von Pedro Francisco Martínez Hernández in die Hände bekamen. Auf dem Ausweisfoto war das Gesicht einer Schäferhündin zu sehen. Der Ausweis war ordnungsgemäß unterschrieben und von den Autoritäten des Nationalen Wahlgerichtes und des Nationalen Personenregisters abgestempelt. Nachdem das Vorkommnis bekannt wurde, riefen zahllose Personen bei den Behörden an, um zu fragen, wo sie ihre Papageien, Hühner, Schweine, Pferde, Kühe und andere Tiere einschreiben könnten. Die Wahlen sollen am 30. November stattfinden und dieser ganz besondere Zwischenfall summiert sich zu zahlreichen Unregelmässigkeiten, die bei der Ausgabe der Wahldokumente bemängelt worden sind. Nicht einmal die Tierschützer*innen hatten einen solchen Erfolg erwartet.
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