von Wilfredo Ardito Vega*
(Fortaleza, 09. Juli 2012, adital).- Tausende von Menschen in und außerhalb von Peru waren erschüttert über das Video, in dem Marco Arana auf der Plaza de Armas in Cajamarca festgehalten und brutal geschlagen wird. Nicht ohne Grund haben sich viele gefragt: Wenn die Polizei an einem öffentlichen Ort, vor den Fernsehkamaras und gegen eine Person, die im Ausland Auszeichnungen erhalten hat, so handelt – was würde sie dann mit jenen tun, die weniger bekannt sind? Und wie verhält sie sich, wenn keine Presse in der Nähe ist?
Die Antwort könnte der Wachdienst der Gemeinde Espinar geben. Es scheint, als wären die Männer von der Polizei auf dem Gelände des Unternehmens Xstrata gefoltert worden. Unter Zwang sollten sie aussagen, dass der Bürgermeister Oscar Mollohuanca ihnen befohlen hätte, den Demonstrant*innen im Gemeindefahrzeug Molotow-Cocktails zu bringen.
Polizei tötet DemonstrantInnen
Die brutale Festnahme von Marco Arana war einer der vielen schmerzhaften Momente in der bislang tödlichsten Woche der Regierung Ollanta Humalas. Am Dienstag, den 3. Juli, stürmte eine Gruppe aufgebrachter Bauarbeiter gewaltsam die Gemeindeverwaltung von Celendín. Die gnadenlose Antwort der Polizei führte zum Tod von Eleuterio García Rojas, José Faustino Silva Sánchez, José Antonio Sánchez Huamán und dem nur 16-jährigen César Medina. Als es am folgenden 4. Juli zu neuen Protesten in Bambamarca kam, tötete die Polizei Joselito Vásquez Jambo.
Jeder Staat hat das Recht und die Pflicht für die Ordnung und Achtung des öffentlichen und privaten Eigentums zu sorgen. Unter der Regierung Humalas wurde es jedoch zur Regel, auf protestierende Bürger*innen zu schiessen. So geschah es in Cusco, Cañete, Puerto Maldonado, Sechura und Paita und zwar so wahllos, dass unter den Todesopfern viele Menschen waren, die an den Demonstrationen gar nicht teilgenommen hatten. In nur elf Monaten hat das exzessive Vorgehen der Polizei bereits mehr Tote gefordert als während der fünf Jahre der Regierung Toledos.
Skrupelloses Vorgehen zum Schutz der Bergbauunternehmen
In Cajamarca handeln die Sicherheitskräfte zudem so, als wären alle Bürger*innen ihre Feinde. Dies geschah bereits in den 1980er Jahren in Ayacucho und erneut in den Jahren 2002 unter der Regierung Toledos in Arequipa und 2009, während der Regierung Garcías in Bagua. Die Polizei bezeichnet die Menschen Cajamarcas als Hunde, zielt auf jene, die sich in ihren Häusern befinden, wirft Töpfe mit Essen auf den Boden, schießt auf unbewaffnete Jugendliche, zieht Journalisten die Kleider aus, unterbricht eine Beerdigung… Ergebnis dessen ist, dass die Bevölkerung nicht nur [den Minenbetreiber] Yanacocha ablehnt, sondern auch die Regierung selbst. Das ist weder Fujimori, noch Toledo, noch García passiert. Diese mieden es, dem Unternehmen so offensichtlich und brutal den Rücken zu stärken.
In Cajamarca, aber auch in Espinar, scheinen die Beamten alle Skrupel zu verlieren: wiederholte Folterpraktiken, das Streuen von Beweismitteln gegen das Vikariat Sicuani und die Gemeinde Espinar, die Schläge gegen Genoveva Gómez – Anwältin der Ombudsstelle im selben Komissariat, in dem Marco Arana geschlagen wurde -, das Zurückhalten öffentlicher Gelder, die Durchführung von Gerichtsverfahren an entfernten Orten. In der Hauptstadt Lima dagegen leugnen die Minister und der President die Verbrechen und diffamieren die Opfer. Dies entspricht wahrhaft dem Verhalten der peruanischen Machthabenden in den 1980er Jahren angesichts der damaligen Menschenrechtsverletzungen. Heute jedoch dienen die Übergriffe dazu, die privaten Unternehmen wie Newmont oder Xstrata zu unterstützen. Diese fühlen sich dadurch absolut ermutigt.
Gleichzeitig haben viele der Bewohner*innen Limas den Eindruck, die Protestierenden seien eine Bedrohung für ihr Wohlbefinden und rechtfertigen jedes repressive Vorgehen. Dabei ist es nicht einmal so, als würden sie Gleichgültigkeit gegenüber den leidenden Opfern zeigen. Vielmehr scheinen Sie davon überzeugt zu sein, dass sich in Peru die einen damit abfinden sollten zu leiden, damit es den anderen gut gehen kann. Es ist traurig, aber genau dies ist die Mentalität, die während des bewaffneten Konflikts herrschte.
Fragwürdige Rolle der Medien
Am Tag nach den Todesfällen in Espinar machte sich die Unterhaltungssendung eines Radios in Lima über die Geschehnisse lustig, wobei sie den Anden-Akzent und die Unwissenheit der Landbewohner*innen nachahmte.
Der Großteil der Medien in Lima spielt eine perverse Rolle. Sie zeigen nur die gewalttätigen Proteste und entziehen ihnen jede rationale Begründung. Oft geben die Medien an, die Proteste würden „Tote verursachen“, obwohl es die Polizei war, die für alle bisherigen Todesfälle verantwortlich ist. Sogar Marco Arana, der den Nationalen Menschenrechtspreis, sowie eine Auszeichnung als Umweltheld der Zeitschrift Time und den Internationalen Friedenspreis von Aachen erhielt, wird als gewaltbereiter Unruhestifter dargestellt.
Die wirtschaftlich mächtigen Gruppen und ihre Anhänger*innen in Presse und Regierung scheinen davon überzeugt zu sein, dass noch mehr Unterdrückung nötig ist, um Investitionen zu fördern. Kann es sein, dass die Gewalt der jetzigen Regierung gerade erst ihren Anfang nimmt? Oder ist es noch möglich, alles zu überdenken und sich für die Verteidigung des Lebens zu entscheiden?
Ich hoffe, letzteres wird geschehen. Allerdings weiss ich, dass nichts das begangene Unrecht an den vielen Familien wieder gutmachen kann, die ihre Angehörigen verloren haben. Diese Menschen haben vor einem Jahr Ollanta Humala gewählt. Genau wie ich.
*Der Autor Wilfredo Ardito Vega hat einen Master in Internationalem Menschenrecht und ist Doktor der Rechtswissenschaften, Universitätsprofessor und Menschenrechtsaktivist.
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