von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
(Berlin, 27. August 2008, npl).- Mexikos ehemalige Quasi-Staatspartei, die Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI), ist seit ein paar Tagen sozialdemokratisch. Die PRI nahm am vergangenen Wochenende auf ihrem in der Stadt Aguascalientes abgehaltenen 20. Bundesparteitag auch offiziell Abschied von ihrer in der Praxis seit Jahrzehnten widerlegten alten Prinzipienerklärung, die sich noch auf die mexikanische Revolution (1910-1917) als Hauptquell der Parteiideologie stützte. Nach den Worten der Parteivorsitzenden Beatriz Paredes will die PRI zukünftig für die „Freiheit des Marktes mit verantwortlicher Ausübung des Sozial- und Rechtsstaates“ sowie die „nationale Souveränität“ eintreten. Auf dem Parteitag gab es ein Bekenntnis zur „sozialdemokratischen Strömung der zeitgenössischen politischen Parteien“.
Die Abstimmung über den ideologischen Kurswechsel erinnerte an die sieben Jahrzehnte (1929-2000), in denen die PRI nahezu unumschränkt das Land beherrschte und bei Regionalwahlen manches Mal wesentlich mehr Stimmen verbuchte als potentielle Urnengänger im Wahlregister eingetragen waren. Mehr als 4000 Delegierte votierten ohne jegliche Diskussion in einer 25-minütigen Prozedur einstimmig dafür, die zum Teil radikale Terminologie aus den Zeiten der mexikanischen Revolution hinter sich zu lassen. In einem zweimonatigen Vorbereitungsprozess auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten hatte die Parteiführung den Parteitag perfekt vorbereitet. Beobachter werten den reibungslosen Ablauf als großen Sieg für die Vorsitzende Paredes, die bisher nicht über eine nennenswerte eigene Hausmacht in der Partei verfügte.
Die Entscheidung und ihr Zeitpunkt sind strategisch gut gewählt. Bei den umstrittenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von 2006 landete die PRI hinter der regierenden konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der linksmoderaten Partei der Revolution (PRD) nur noch auf dem dritten Platz der Wählergunst. Nun wittert die Partei die Chance zur baldigen Rückkehr an die Macht. Nachdem die PRI lange Zeit als Synonym für Korruption und – Prinzipien hin, Prinzipien her – die Unterdrückung oppositioneller Bestrebungen vor allem von links stand, versucht sie nun ein neues Image aufzubauen. Sie will sich als vernünftige und verantwortungsbewusste – sprich verhandlungsbereit gegenüber der konservativen Regierung – Opposition präsentieren.
Das Kalkül ist klar: Die Massenmobilisierungen und Straßenblockaden der PRD gegen die Wahlmanipulationen in 2006 haben einen Teil der mexikanischen Mittelschicht verschreckt. Die Gräben innerhalb der PRD zwischen den Anhänger*innen des damaligen Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador und den gegenüber der Rechten wesentlich konfliktscheueren Parteisektoren vertiefen sich zusehends. Das hat in den vergangenen Monaten eine fatale Außenwirkung gehabt. Auf der anderen Seite erschöpfen sich die Law-and-Order-Politik und der neoliberale Kurs der PAN-Regierung zusehends, weil die Erfolge im krassen Gegensatz zum schönfärbenden Diskurs stehen. So könnte PRI tatsächlich der große Profiteur sein. Nahziel sind die Parlamentszwischenwahlen im kommenden Jahr, mittelfristig wird nach zwölf Jahren Abstinenz die erneute Regierungsübernahme in 2012 angestrebt. Dann endet die sechsjährige Amtszeit von Präsident Felipe Calderón.
Allerdings sind die Widersprüche in der PRI selbst nicht klein. Trotz der offiziellen ideologischen Abwendung von der mexikanischen Revolution, verfolgen Diskurs und politische Linie von Paredes paradoxerweise einer Kurs, der von den immer mehr zum Neoliberalismus konvertierten Vorgänger-Parteiführungen abweicht. Die meisten politischen Schwergewichte in der PRI dürften aber wirtschaftspolitisch der PAN nahe stehen. Beispielsweise in Bezug auf die schleichende Privatisierung des staatlichen Ölsektors. Ein Widerspruch zur Linie der sozialdemokratischen „zeitgenössischen Parteien“ wäre jedoch auch dies nicht.
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