Nach den Wahlen: Ein kaum vertrauenswürdiges Parlament

von Susan Abad

(Lima, 28. März 2014, noticias aliadas).- Mit einer Wahlenthaltung von 57 Prozent – addiert man leere und ungültige Stimmen hinzu, sind es sogar 67 Prozent, haben die kolumbianischen Wähler*innen bei den letzten Parlamentswahlen gezeigt, dass sie gegenüber einer politischen Klasse, die jeden Tag mit mehr Korruption durchsetzt ist, deutlich auf Distanz gehen.

Nur 18,7 Millionen der insgesamt 32,8 Millionen registrierten Wahlberechtigten haben sich am vergangenen 9. März an der Wahl der 102 Senator*innen, 166 Abgeordneten und fünf Mitglieder des Parlamento Andino beteiligt, dessen Amtszeit für die Legislaturperiode 2014-2018 am 20. Juli dieses Jahres beginnen wird.

Aufstieg des Centro Democrático

Die Wahl des so genannten „Friedenskongresses“ (Congreso para la Paz), jener Instanz, die die möglichen Vereinbarungen zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) bei den seit November 2012 in Havanna (Kuba) stattfindenden Friedensgesprächen gegenzeichnet oder nicht, hat zwar die politische Landschaft in Kolumbien verändert, aber zugleich auch deutlich gemacht, dass paramilitärische Gruppen in einigen Regionen noch immer ein Machtfaktor sind.

„Der Aufstieg des Centro Democrático als radikale Rechte ist in der politischen Landschaft Kolumbiens eine Neuheit“, erklärt Jorge Restrepo, Leiter des Zentrums für Konfliktanalyse CERAC (Centro de Recursos para el Análisis del Conflicto) in Bezug auf die ca. 3,5 Mio. Wählerstimmen, die die Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002-2010) erhielt. Sie ist somit zweitstärkste politische Kraft im Kongress und wird mit 19 Senator*innen und 12 Mitgliedern im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Stärkste Kraft ist die U-Partei (Partido de la U) von Präsident Juan Manuel Santos mit 21 Senator*innen und 37 Abgeordneten.

Die größte Überraschung der Wahlen ist die Konservative Partei (Partido Conservador), die 19 Parlamentssitze im Senat erhielt und 27 Sitze im Abgeordnetenhaus, wodurch es wahrscheinlich wird, dass diese Partei bei kommenden Gesetzgebungsprozessen das Zünglein an der Waage werden könnte.

Der Linken ist es auch nicht schlecht ergangen. Das Linksbündnis PDA (Polo Democrático Alternativo) behielt die acht Kongresssitze (fünf Senator*innen und drei Abgeordnete), während die Grüne Allianz (Alianza Verde) drei Sitze dazu gewann und auf insgesamt elf Sitze kam (fünf Senator*innen und sechs Abgeordnete).

Die Parapolitik

Wie erwartet, fanden mit der Wahl auch 69 Politiker*innen Zugang zur Legislative, die in Verbindung mit paramilitärischen Gruppen stehen. Laut Angaben der Stiftung Frieden und Versöhnung (Fundación Paz y Reconciliación) sind diese Politiker*innen mehrheitlich in den Reihen der regierenden U-Partei, der Partei Radikaler Wandel (Cambio Radical) und der Liberalen Partei zu finden, die die Santos-Regierung unterstützen, sowie einige beim uribistischen Centro Democrático. „Sie wurden bei dieser Wahl von anderen verkörpert. Sie wurden gewählt in Gestalt ihrer Söhne, ihrer Ehefrauen und anderen Familienmitgliedern“, berichtet León Valencia, Leiter der Stiftung.

„Von den 48 Kandidaten für den Senat haben 33 Parlamentssitze erhalten, mehrere von ihnen mit sehr großen Stimmenanteilen. Zum Beispiel Andrés Felipe García Zuccardi, Sohn von Juan José García, verurteilt wegen Unterschlagung im Amt, und Sohn von Piedad Zuccardi, vor Gericht zitiert wegen Beziehungen zu paramilitärischen Gruppen. Er erhielt mehr als 50.000 Stimmen in der U-Partei. Seine Tante Teresita García wurde ebenfalls gewählt und ist Erbin der Stimmen ihres Bruders Álvaro García, verurteilt zu 40 Jahren Gefängnis wegen des Macayepo-Massakers, das im Jahr 2000 begangen wurde. Auch Mauricio Aguilar, Sohn des Parapolitikers Hugo Aguilar, erzielte eines der Spitzenergebnisse“, so die Stiftung.

„Im Abgeordnetenhaus haben 36 der 83 strafrechtlich belangten Kandidat*innen einen Sitz erhalten. So zum Beispiel Antenor Durán, Erbe des kriminellen Netzwerks von Kiko Gómez. Er übernahm die Kontrolle über eine der zwei Kammern im Bundesbezirk La Guajira. In Sucre sieht es ähnlich aus, wo der Wahlsieg an der Partei 100 Prozent Kolumbien (Cien por Ciento Colombia) des umstrittenen Politikers Yair Acuña ging, der nun zwei der drei Kammern des Bundesbezirks kontrolliert.“

Für Jorge Restrepo ist die neue Sitzverteilung im Senat und im Abgeordnetenhaus „ohne Zweifel in wichtigen Fragen bestimmend für den Frieden. Ich glaube, dass die rechten Gruppierungen die Interessen jener einzubringen suchen, die sie bei den Friedensgesprächen in Havanna vertreten. Wie zum Beispiel der Umgang mit Militärs, die grausamer Verbrechen beschuldigt werden“. Und Restrepo fügt die Frage hinzu: „Bis zu welchem Punkt werden Centro Democrático und Teile des konservativen Sektors es schaffen, die Regierungsarbeit zu blockieren oder erschweren?“

Regierungskoalition auf drei Parteien zusammengeschrumpft

Die Antwort auf diese Frage fällt bei vielen Analyst*innen ähnlich aus. Die gewisse Einigkeit, auf die Santos bei den Parteien bauen konnte, die 2010 gemeinsam die Allianz der nationalen Einheit (Alianza de Unidad Nacional) formierten (die U-Partei, die Konservative Partei, die Liberale Partei und der Radikale Wandel), sicherte ihm den Erfolg seiner wichtigsten Reform- und Gesetzesvorhaben.

Heute ist die Regierungskoalition auf drei Parteien zusammengeschrumpft, nachdem die Konservative Partei sich dazu entschlossen hat, mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten zur Wahl anzutreten. Die neue Sitzverteilung der Regierung, die insgesamt 47 Senator*innen und 92 Abgeordnete umfasst, kommt nicht auf eine Mehrheit von 51 Prozent, die dem Präsidenten die Regierungsfähigkeit für eine mögliche zweite Amtszeit sichern würde.

Außerdem weist Restrepo daraufhin, dass „es nicht nur um die vom Kongress abzusegnenden Übereinkünfte geht [die in den Verhandlungen mit den FARC beschlossen werden], sondern auch um die Gesetzesvorhaben, die jene Übereinkünfte umsetzen sollen. Dazu zählen zum Beispiel das Gesetz zur Bodenreform, zur Entwicklung ländlicher Gebiete; der Staatshaushalt, der die Kosten beinhalten muss, mit denen für die Übereinkünfte aufgekommen werden soll. Bei diesen Fragen ist die Opposition in der Lage, ein Veto einzulegen.“

Bezüglich dieser Frage versichert der wiedergewählte Senator Iván Cepeda vom Linksbündnis PDA, dass es deshalb „notwendig sein wird, Koalitionen und entschlossene Debatten zur politischen Kontrolle voranzutreiben, um die Ultrarechte und jene Leute zu bezwingen, die in den Kongress gekommen sind, und unter schwerwiegendem Verdacht der Parapolitik stehen.“ Laut Valencia handelt es sich dabei um dieselben korrupten und mit Paramilitärs verbandelten Politiker*innen, die Uribe halfen „mit nicht weniger als zwei Millionen Stimmen in den Jahren 2002 und 2006 die Präsidentschaft zu erlangen.“

Präsidentschaftswahlen

Trotz der Tatsache, dass der Frieden weiterhin das übergreifende Thema der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai sein wird, werden die neuen Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht entscheidend für diejenigen sein, die Santos ersetzen und eine weitere Amtszeit von vier Jahren verhindern wollen.

Der Präsident des Kongresses, Juan Fernando Cristo, hat im Gespräch mit der Agentur Noticias Aliadas erklärt, „bei dieser Wahl sind Parteien, die das Friedensangebot unterstützen und Parteien, die gegen diesen Vorschlag sind, klar voneinander zu unterscheiden“. In diesem Sinne könnte Ex-Präsident Uribe – jener Oppositionspolitiker, der mit Santos am härtesten ins Gericht geht und Hauptkritiker der Verhandlungen mit den FARC ist – trotz hoher Stimmenanteile bei den Parlamentswahlen diesen Rückhalt nicht auf seinen Kandidaten Oscar Iván Zuluaga übertragen, der laut letzter Umfrage des Unternehmens Ipsos-Napoleón Franco vom 20. März weiterhin mit einem Stimmenanteil von 9 Prozent auf dem zweiten Platz verweilt, weit abgeschlagen hinter Santos, den 24 Prozent der Kolumbianer*innen wählen würden.

„Uribe ist Uribe, und Zuluaga ist Zuluaga. Das ist nicht dasselbe “, sagt Cristo.

Dass die Parlaments- und die Präsidentschaftswahlen in keinem wechselseitigen Verhältnis stehen, ist auch anhand der Partei Alianza Verde zu beobachten. Trotz der geringen Anzahl von Sitzen, die die Grüne Partei erhalten hat, überraschte deren Präsidentschaftskandidat, der Ex-Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa in der Woche nach der Wahl mit Umfragewerten von 17 Prozent, und galt als Kandidat mit den meisten Aussichten auf eine Stichwahl gegen Santos im Juni – doch in der darauf folgenden Umfrage erreichte er lediglich noch acht Prozent.

Linkes Bündnis für die Präsidentschaftswahlen im Juni

Und im Kontrast zu dem sehr guten Abschneiden der Konservativen Partei bei den Parlamentswahlen ist deren Anwärterin auf die Präsidentschaft, die ehemalige Verteidigungsministerin Martha Lucía Ramírez, nicht nur mit einem Umfrageergebnis von vier Prozent weit abgeschlagen; ihre Kandidatur ist auch in der eigenen Partei umstritten.

Obwohl die Kandidat*innen für das Präsidentschaftsamt in Kolumbien sich nicht auf den Einfluss, den ihre neuen Parlamentsabgeordneten beim Wahlvolk haben mögen, verlassen können, so können sie doch aus ihren Wahlergebnissen etwas lernen. Zu diesem Schluss sind die linken Kräfte PDA sowie die Unión Patriótica gekommen.

Letztere konnte keinen einzigen ihrer Kandidaten bzw. keine einzige Kandidatin ins Parlament bringen. Die beiden linken Parteien lassen ihre jeweiligen Kandidat*innen nun gemeinsam antreten: mit Clara López für die Präsidentschaft, und Aída Abella für den Vizeposten. Diese Strategie hat López neben Zuluaga bei den Umfragen auf den zweiten Platz, mit jeweils neun Prozent gebracht.

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