(Montevideo, 21. Juni 2023, El Salto).- Die Nationale Kommission für Wasser und Leben in Uruguay stellt sich die Frage, wie die Privatisierung des Wassers gestoppt werden kann. Die Antworten darauf müssen von sozialer Ökologie und Umweltgerechtigkeit begleitet werden.
Im Großraum Montevideo gibt es seit mehr als einem Monat kein Trinkwasser mehr. Am vergangenen Montag, dem 19. Juni, gab der Regierungspräsident Luis Lacalle Pou auf einer Pressekonferenz neue Maßnahmen bekannt, mit denen der Wassernotstand offiziell ausgerufen wurde. Der wichtigste Beschluss ist die Befreiung von der Steuer auf den Verkauf von Wasserflaschen und der Bau eines neuen Stausees am Fluss San José. In Ermangelung von Regen und zur Vermeidung von Engpässen wird der Natrium- und Chloridgehalt erhöht, „soweit es die Messwerte zulassen, so dass das Wasser trinkbar ist“, wie der Präsident sagte. In Wirklichkeit liegen die Werte bereits über den von den Gesundheitsbehörden empfohlenen Werten.
„Das Wasser geht verloren weil es keine Investitionen gibt“
In einer der schlimmsten Dürreperioden, die die Region je erlebt hat, steht das Land vor einer noch nie dagewesenen Krise. Federico Kriemerman ist Präsident der FFOSE, der Gewerkschaft des uruguayischen Staatsunternehmen, das für die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung im ganzen Land zuständig ist. Er machte bei einem runden Tisch an der Fakultät für Sozialwissenschaften in Montevideo auf der Suche nach Lösungen deutlich, dass „die Wasserkrise ein Unternehmen trifft, das in Bezug auf Infrastruktur und Personal unvorbereitet ist“. Es hätte keine öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur gegeben und es gibt immer weniger Arbeitskräfte: „Das Wasser geht verloren, weil es keine Investitionen gibt“.
Das Wasserdefizit ist schon seit Jahren offensichtlich. Konkret hat INUMET [Uruguayisches Institut für Meteorologie] seit mehr als drei Jahren Dürrealarm gegeben. Auch der Landwirtschaftssektor fordert seit einiger Zeit Steuerbeihilfen. Es handelt sich um eine Krise mit Präzedenzfällen, denn die Maßnahmen, die man hätte ergreifen können, wurden nicht ergriffen. Wie Kriemerman anprangert, „gibt es keine Politik, die der menschlichen Nutzung des Wassers Vorrang vor den Interessen des Kapitals einräumt“.
Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht, kein Privileg
Die Steuerbefreiung für Abfüller wird den Wasserpreis senken, aber die Kosten für die Bevölkerung bleiben hoch. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung hat Zugang zu zwei Litern kostenlosem Wasser pro Tag als Teil der Sozialleistungen. Artikel 47 der Verfassung erlaubt im Bedarfsfall die Intervention oder Enteignung von Abfüllbetrieben, da Wasser als Gemeingut betrachtet wird. Die großen Wasserabfüller, die im Lande tätig sind, sind keine Uruguayer. Das hindert sie jedoch nicht daran, Grundwasser aus ihren eigenen Brunnen zu entnehmen. Aus diesem Grund argumentieren Bürgerbewegungen, Aktivist*innen und kritische Wissenschaftler*innen, dass die Lösung nicht in einer Senkung des Wasserpreises liegt, sondern in der Einsicht, dass der Zugang zu Wasser ein Recht und kein wirtschaftliches Privileg sein sollte.
Die Nationale Kommission für Wasser und Leben stellt die Frage, wie die Privatisierung von Wasser gestoppt werden kann. Und die Antworten müssen von sozialer Ökologie und Umweltgerechtigkeit begleitet werden. Wasser ist lebensnotwendig, und deshalb war Uruguay das erste Land, das es als Menschenrecht anerkannt hat. Diego Castro, Soziologe und Mitglied der Gruppe Politische Ökologie des Wassers, macht deutlich, dass „wenn das Ökosystem geschädigt wird, dann auch das Leben, unser Leben“. Wir haben es jedoch mit einer jahrzehntelangen systemischen Schädigung zu tun, bei der alle Maßnahmen ohne echte soziale Beteiligung festgelegt wurden. Castro prangert an, dass „es eine Allianz zwischen Staaten und Privatunternehmen mit dem Konsens des Extraktivismus und der Enteignung gibt“, und schlägt angesichts dessen vor, diese Allianz „zutiefst zu hinterfragen und zu brechen“. Ein Fluss ist nicht nur Trinkwasser, er ist auch ein Partner, er ist auch Arbeit. Castro schlägt zwei Lösungen vor, entweder Enteignung der Unternehmen oder Regulierung, da „es Sache des uruguayischen Staates ist, die Abfüllbetriebe zu regulieren“.
Industrie ist der größter Wasserverbraucher
Am gleichen Tisch wurde ein zentrales Anliegen deutlich: der Vorrang des Sozialen vor dem Wirtschaftlichen, die Notwendigkeit von Partizipationsräumen und einer Wassersouveränität, die es der Bevölkerung erlaubt, über die Lösungen zu entscheiden. Ungleichheiten bestehen bereits, und die Wasserkrise verschärft sie noch. Martín Sanguinetti, Wirtschaftswissenschaftler und Dozent an der Fakultät für Wirtschaft und Verwaltung, zeigt auf, dass Studien zum Wasserfußabdruck zeigen, dass der größte Wasserverbraucher die Fleischindustrie ist, gefolgt von der Sojaplantagen- und Zelluloseindustrie und schließlich der Reisindustrie. Trinkwasser liegt beim Verbrauch weit hinten. Darüber hinaus erklärt er, dass „die Umweltsteuerlösungen die Kosten auf die Opfer abwälzen“, als ob es sich um „eine neue Art des Kolonialismus durch extraktivistische Ausbeutung“ handele.
Es ist kein Zufall, dass eine der größten Zellstofffabriken der Welt zu einer Zeit eröffnet wird, in der die Wasserversorgung am schlechtesten ist. UPM2 wird zu Beginn des Monats in Fray Bentos eingeweiht. „An einem Tag verbraucht sie das Wasser von 120 Montevideos“, erklärt Kriemerman. Andererseits haben die bisher vorgestellten Entsalzungspläne nicht die Kapazität, um Montevideo zu versorgen. Das ist eine Hilfe, aber keine Lösung. Auch das angeprangerte und umstrittene Neptuno-Projekt ist keine Lösung, da es sich um ein Wasserreinigungsprojekt handelt, das Frischwasser benötigt, welches wiederum nicht zur Verfügung steht.
Die Wasserkrise ist auch eine soziale Krise und eine Gesundheitskrise
Während der Stausee von San José gebaut wird, die Preise für abgefülltes Wasser gesenkt werden und diese Diskussionen in immer weniger institutionellen Räumen stattfinden, wird die Qualität des Wassers immer schlechter und die Kosten immer höher. Und das zu Beginn eines kalten Winters, in dem die Warmwasserbereiter aufgrund der Zusammensetzung des Wassers immer schlechter werden. Heute können wir es nicht regnen lassen, aber wir können die Auswirkungen abmildern und die Grundrechte der Bevölkerung garantieren. Carla Kruk, Forscherin an der Fakultät für Naturwissenschaften und am CURE (Centro Universitario Regional del Este), betont die zentrale Bedeutung der Gesundheit, denn „Wasser ist Leben und wir müssen es in den Mittelpunkt stellen“. Es handelt sich nicht nur um eine Wasserkrise oder eine soziale Krise, sondern auch um eine Gesundheitskrise, bei der „das Gesundheitsmodell die Umweltprobleme nicht einbezieht“ und „die zentrale Rolle des Ministeriums für öffentliche Gesundheit vergessen wird“.
Daniel Pena zählte am selben runden Tisch die Anzahl der Tage ohne Trinkwasser. Und mit ihnen die Zahl der Demonstrationen, Straßenblockaden, Bürger*innenversammlungen, Konzerte und eine Reihe anderer Aktionen, denn: „als das Salz unsere Zunge berührte, haben wir mobilisiert“, da „es eine Grenze [ist], die unsere Wasserhähne berührt“. Gegen die Privatisierung wird mobilisiert, um daran zu erinnern, dass es Wasser gibt, dass es aber monopolisiert wird, weil es Teil der Kapitalakkumulation ist. Die „Coordinadora por el agua“ ruft jeden Tag in der Woche zu einer Aktion auf, um die Bevölkerung in diese kollektive Verteidigung einzubeziehen. Carmen Sosa von der Versammlung zur Verteidigung des Wassers schlägt vor, „den Körper in Aktion zu setzen, denn Wasser ist Leben“.
Wassernotstand in Montevideo ausgerufen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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