(Berlin, 25. Dezember 2017, npl). Der Staat, private Unternehmen und internationale Konzerne – sie alle fördern seit Jahrzehnten Erdöl im peruanischen Amazonasgebiet. Dabei kommt es immer wieder zu schweren Umweltverschmutzungen und zu Konflikten mit den dort lebenden Indigenen. Für viele der Ölaustritte ist eine Pipeline verantwortlich, die von den Ölfeldern im Amazonasgebiet bis zu den Häfen an der Küste führt. Die Pipeline „Oleoducto Norperuano“ gehört der staatlichen Erdölgesellschaft Petroperú. Sie wurde vor über 40 Jahren gebaut und ist inzwischen verrostet und marode. Immer wieder kommt es zu schweren Verschmutzungen in dem sensiblen Ökosystem.
Ende Juni 2014 wurde der Fluss Cuninico in der Amazonasprovinz Loreto großflächig verseucht. Der Cuninico fließt in den Marañón, einen wichtigen Quellfluss des Amazonas. Aus dem Leck in der Pipeline sind mindestens zehntausende Liter Erdöl ausgelaufen. Die in der Gemeinde Cuninico lebenden indigenen Kukama waren die ersten, die die Ölverschmutzung bemerkten und die Konzernleitung informierten.
Das Wasser vergiftet, die Fische verseucht
Petroperú hatte versprochen, alles zu reinigen und die Natur wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Doch der Boden wurde nur oberflächlich gereinigt und die Ölklumpen einfach vergraben. Seitdem kommt in jeder Regenzeit wieder Altöl zum Vorschein und verseucht weiter den Marañón. Tonnenweise ist Fisch verendet, und die überlebenden Fische sind mit Schwermetallen belastet. Verkaufen können die Kukama diesen Fisch nun nicht mehr. “Wir sind Kukama, wir sprechen Kukama und seit jeher sind wir Fischer”, berichtet Gemeindevorsteher Watson Trujillo. “Jetzt hat die Verschmutzung die Fische verseucht, die unsere Lebensgrundlage sind. Seit der Ölverschmutzung sind Krankheiten aufgetreten, die wir vorher nie hatten. Die ganze Natur nimmt durch das Öl schweren Schaden, das ist eine echte Katastrophe!”
Wegen des Mangels an Trinkwasser haben die Behörden mehrfach den sanitären Notstand ausgerufen, denn dass das Flusswasser nicht mehr trinkbar ist, hat die Kontrollbehörde OEFA amtlich festgestellt, die dem Umweltministerium untersteht. Eine Untersuchung von 129 Anwohner*innen hat auch ergeben, dass die meisten von ihnen erhöhte Mengen von Quecksilber, Kadmium und Blei im Blut haben. Nach Jahrhunderten können die Kukama kein Flusswasser mehr konsumieren und müssen deshalb schon seit über drei Jahren Regenwasser sammeln. Hugo Arido, Vorsteher der Nachbargemeinde San Francisco, ist verzweifelt: “Der Marañón ist mit Erdöl verseucht und dem Staat scheint das egal zu sein. Er versorgt uns nicht mal mit Wasser! Was bringt uns denn das Erdöl? Welchen Fortschritt haben wir denn in diesen vier Jahrzehnten gehabt, seitdem Petroperú hier im Amazonasgebiet Erdöl fördert? Es hat uns nichts gebracht, im Gegenteil: Es hat unserer Ernährung und unserer Gesundheit geschadet.”
“Was bringt uns das Erdöl?”
Tatsächlich hat sich der Staat bisher nicht für die Katastrophe verantwortlich gefühlt. Expert*innen sind gekommen, haben Untersuchungen angestellt und sind wieder verschwunden. Eine Wasseraufbereitungsanlage wurde versprochen, passiert ist bisher nichts. Die nächste Krankenstation liegt anderthalb Flussstunden entfernt. Die Kukama wollten und konnten nicht weiter hilflos zusehen, wie die Umwelt verseucht und sie krank werden. Also wurden sie selbst aktiv und fanden Beistand bei dem renommierten Anwaltsverein IDL (Instituto de Defensa Legal) in Lima. Der IDL hatte im April 2017 vor Gericht einen Aufsehen erregenden Erfolg erreicht. Seine Mandanten, die indigenen Awajún und Wampis, die etwas weiter nordwestlich an der Grenze zu Ecuador leben, hatten vor Gericht gefordert, dass sich ein Erdölunternehmen aus ihrem Gebiet zurückziehen muss – und zur allgemeinen Überraschung bekamen sie Recht.
In diesem Fall ging es um das Ölfeld Nummer 116, das im Cenepa-Gebiet an der Grenze zu Ecuador liegt. 2006 hat das peruanische Energieministerium den beiden Unternehmen Maurel et Prom und Pacific Rubiales eine Bohrlizenz erteilt, ohne die dort lebenden Indigenen der Awajún und Wampis zu befragen. Diese klagten mit Hilfe des IDL und der zuständige Richter Macedo vom Vierten Verfassungsgerichtshof gab ihnen Recht: “Die Klage ist rechtmäßig, das Recht auf Befragung wurde verletzt, und deshalb ist die Bohrlizenz nichtig und die Umweltverträglichkeitsstudie auch”, freut sich Rechtsanwalt Juan Carlos Ruíz Molleda vom IDL.
Indigene berufen sich auf vorhergehende Befragung
Diese vorhergehende Befragung indigener Völker ist seit Jahren ein Dauerbrenner, auf den sich Indigene in ganz Lateinamerika immer wieder berufen. Es beruht auf dem Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, das auch Peru ratifiziert hat. “Das entsprechende Gesetz gibt es zwar erst seit 2011; aber eine vorhergehende Befragung ist bereits seit 1995 verpflichtend”, erklärt der engagierte Rechtsanwalt Ruiz Molleda.
Wenn das Urteil einer Revision Stand hält, müssen sich die Unternehmen aus dem Ölfeld 116 komplett zurückziehen. “Wir kennen unsere Rechte”, gibt sich Zebelio Kayap von den Awajún kämpferisch. “Wir können nicht einfach etwas zulassen, das uns dann umbringt oder vertreibt. Unsere Waffe ist die vorhergehende Befragung nach dem Abkommen 169.” Und Wrays Pérez, Präsident des autonomen Schutzgebietes der Wampis, ergänzt: “Wir glauben, dass wir gewinnen werden. Wir glauben auch daran, dass es in Peru noch Richter gibt, die an die indigenen Rechte und an die Umwelt denken. Für uns ist klar, dass wir alle für die Umwelt kämpfen müssen.”
Für Anwalt Ruíz Molleda hat das Urteil die indigenen Wampís und Awajún hörbar gemacht und ihnen eine Stimme gegeben: “Diese Klage hat erreicht, dass sich die indigenen Völker selbst nicht mehr als Opfer wahrnehmen, sondern als Handelnde. Sie haben gesagt: Wir fordern keine Almosen; wir fordern unser Recht!”
Gesundheitsministerium verurteilt, Geldbußen gegen Petroperú
Zurück nach Cuninico. 1976, als dort die Pipeline gebaut wurde, gab es kein Gesetz auf vorhergehende Befragung und kein Abkommen 169. “Damals hatten die Gemeinden keine Ahnung und diese Leute sind einfach in unser Gebiet gekommen und haben die Pipeline gebaut”, erinnert sich César Mozombique aus Cuninico. “Und obwohl wir dort leben, hat niemand gesagt, dass die Pipeline Petroperú gehört. Wir haben für die praktisch gar nicht existiert. Deswegen haben uns zusammen getan und Klage eingereicht. Wir werden Petroperú vor Gericht bringen.”
Für diesen Prozess haben auch die Kukama die Hilfe des IDL in Anspruch genommen. Ein erstes Urteil im September haben sie schon gewonnen. Ein Gericht in Nauta hat das Gesundheitsministerium dazu verdonnert, sofort einen gesundheitlichen Notfallplan für die betroffenen Gemeinden aufzustellen. Doch der Rechtsstreit läuft weiter, denn das Gesundheitsministerium hat sich für nicht verantwortlich erklärt. Im Dezember hat sich auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH eingeschaltet und vom peruanischen Staat verlangt, Sofortmaßnahmen für das Leben und die Unversehrtheit der Menschen von Cuninico und den angrenzenden Gemeinden sicherzustellen.
Auf Nachfrage wollte sich der staatliche Ölkonzern Petroperú nicht äußern, aber vielleicht hat er auch andere Sorgen: 2016 hat Petroperú 224 Millionen Euro verloren, zum großen Teil wegen der Folgen der Ölaustritte. Dazu kam noch eine Geldbuße von weiteren zwölf Milionen Euro, auferlegt von der Behörde OEFA. Und die Pipeline bleibt auch weiterhin löchrig: Erst Anfang November ist in Loreto wieder Erdöl ausgetreten. Und die Indigenen müssen auch um Wiedergutmachung für die schweren Umweltschäden kämpfen, die andere Ölkonzerne, wie zum Beispiel Pluspetrol, ebenfalls in Loreto angerichtet haben.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag bei Radio onda, den ihr hier anhören könnt.
„Uns bringt das Erdöl gar nichts!“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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