Vor einigen Tagen stand eine Frau aus Kolumbien auf der Bühne des prächtig geschmückten Festsaals des Wiesbadener Landtags: Jani Silva, 64-jährige Kleinbäuerin, Menschenrechts- und Umweltaktivisten aus dem Putumayo, einer Amazonasregion an der Grenze zu Ecuador. Jani Silva ist das, was man in Kolumbien eine „Lider social“ nennt, eine Führungspersönlichkeit ihrer Gemeinde, die sich für ein besseres Leben und gegen Gewalt und die Zerstörung der Umwelt in ihren Regionen einsetzt. David Graaf sprach mit ihr.
Worin besteht die Arbeit der Organisation ADISPA?
Adispa fördert und setzt alles das um, was mit der Verbesserung der Lebensbedingungen der Kleinbauernfamilien in unserer Region Putumayo zu tun hat. Dabei berücksichtigen wir Bildung, Kultur, Sport, ökologischer Landbau und vor allem auch Biodiversität. Dadurch fördern wir die kleinbäuerliche Selbstverwaltung. Wir wollen den Familien letztlich ihre Rechte, aber auch ihre Verantwortung gegenüber der Natur und ihrer Umwelt bewusst machen.
Wie gestaltet sich eure Arbeit konkret?
Wir führen Workshops durch, aber dabei geht es nicht darum, einseitig Wissen zu vermitteln, sondern es praktisch umzusetzen, um gezielt Probleme zu lösen. Also vielmehr darum, Wissen weiterzugeben und auszutauschen.
Ein Beispiel: Wenn wir über vom Aussterben bedrohte, einheimische Baumarten sprechen, dann fragen wir: Warum sind sie wichtig, welche Bedeutung haben sie, wo in unserer Region gibt es sie und wo nicht? Wie ist ihr wissenschaftlicher Name? Aber auch: Wie werden sie von den Menschen im Alltag bezeichnet? Und dann kommen wir zur Praxis: Wir schauen, wo es Samen gibt, wo wir sie keimen lassen können, wie zum Beispiel in unserer Baumschule, und wer sie aussäen möchte, um die sogenannten Bio-Korridore zwischen den einzelnen Siedlungen zu bepflanzen, die gerade angelegt werden, und so weiter.
Ein weiteres Beispiel wäre eine Zusammenkunft, um über Ernährungssouveränität und Solidarwirtschaft zu sprechen. Dabei geht es dann darum, ob die jeweiligen Familien einen Gemüsegarten haben, und wenn nicht, was sie für dessen Bau noch brauchen. Dann suchen wir von der Organisation aus nach Möglichkeiten, die benötigten Materialien zu beschaffen und wir organisieren den Austausch von Samen bestimmter Pflanzen und Baumarten.
Ein anderes Thema ist das der Wiederaufforstung. Dabei geht es nicht nur allgemein um die Bekämpfung der globalen Erwärmung oder der weltweiten Situation, sondern eben konkret um die Schaffung besagter Biokorridore, in denen wir ein Monitoring der Fauna und Flora machen, um herauszufinden, welche Arten es gibt und welche nicht, und was wir machen müssen, damit diese Arten sich wieder ansiedeln.
Seit 2020 ist euer Gebiet im kolumbianischen Amazonas als sogenannte kleinbäuerliche Schutzzone anerkannt, als Zona de Reserva Campesina. Das bedeutet, dass kleinbäuerliche Lebensweise hier besonders geschützt und staatlich gefördert werden muss. Großgrundbesitz ist untersagt und Bergbau oder Erdölförderung soll unterbunden werden. Vor welchen Herausforderungen stehen die Kleinbauern in dieser Schutzzone?
Du hast es schon gesagt, es gibt große Probleme. Es ist nicht nur der Mangel an Investitionen seitens der Regierung, sondern auch mangelhafte Planung bei Projekten, die eine Lösung für die Familien und für das Gebiet sein könnten. Es wird nicht berücksichtigt, dass unser Gebiet als Teil der Amazonasregion sehr verletzlich ist, denn es werden Konzessionen an Öl- und sogar Bergbauunternehmen vergeben die Ausbeutung dieser Vorkommen erlaubt. Aber es gibt auch das Problem des Kokaanbaus. Für das es eigentlich keinen Willen zu einer echten und wirksamen Lösung gibt. So ist unsere Region ständig einem gewissen Risiko ausgesetzt.
Welches sind die Probleme, die der Kokaanbau in der Region Putumayo verursacht?
Koka sorgt für wirtschaftliche Instabilität und verschmutzt und zerstört die unmittelbare natürliche Umgebung. Weil der Kokahandel kein geregelter, legaler Wirtschaftszweig ist, sondern ein illegalisierter, existieren für die Bäuer*innen keine Sicherheiten. Der Markt ist sehr volatil. Wir Kleinbäuer*innen pflanzen nicht gerne Koka an, aber realistisch betrachtet gibt es in unserer Region keine andere Anbaumöglichkeit, die wirklich rentabel ist und den Bedarf der Familien deckt. Ein weiterer Punkt ist außerdem, dass die Bekämpfung des Kokaanbaus die Abholzung der Wälder noch befördert. Denn wenn Polizei oder Militär in einem Gebiet Pflanzungen besprühen oder ausreißen, dann bauen die Bauern die Sträucher an einem anderen Ort wieder an, wofür auch erst wieder Regenwald gerodet werden muss, und immer so weiter. Das heißt, es gibt keinen Ansatz, der die Probleme vollständig lösen kann und die nicht noch mehr Schaden anrichtet, als sie es ohnehin schon tut.
Hier in Deutschland gab es in den letzten Wochen und Monaten Nachrichten über das Aufflammen der Gewalt in Kolumbien, über Attentate, Bomben, Vertreibungen und Zusammenstöße zwischen der Armee und bewaffneten Gruppen. Man hat den Eindruck, dass Kolumbien wieder instabil wird und die Gewalt wieder zunimmt. Wie äußert sich das derzeit in Ihrem Gebiet?
Die Gewalt hat nach dem Friedensabkommen mit den den FARC 2016 nie wirklich aufgehört. Sie hat nur für kurze Zeit nachgelassen, aber sie geht weiter. Solange es wirtschaftliche Probleme gibt, solange es wirtschaftliche Interessen an unserer Region gibt, wird es immer die eine oder andere Gruppe geben, die Druck auf unsere Region ausübt. Das ist einfach der Dynamik geschuldet, die sich aus den wirtschaftlichen Interessen ergibt, also vor allem Kokananbau und Bergbau.
Welche Auswirkungen hat der bewaffnete Konflikt und die prekäre Sicherheitslage auf die Arbeit der Organisation Adispa?
Das äußert sich in gezielten Morden, in bewaffneten Zusammenstößen, in der Präsenz bewaffneter Gruppen, die um die Gebietskontrolle kämpfen, im Kokainhandel, dass der Verkauf unserer Produkte manchmal möglich ist und manchmal nicht, im eingeschränkten Zugang zu Bildung der Kinder und Jugendlichen. Derzeit beispielsweise gibt es eine Möglichkeit, dass die Jugendlichen eine Bildungseinrichtung in der Stadt besuchen können, aber es müssen mehr Mittel bereitgestellt werden, damit die Eltern sich den Transport oder eine Unterkunft für ihre Kinder leisten können. Kurzum: Es gibt für die Bedürfnisse von Menschen, die in kleinbäuerlichen Verhältnissen leben, keine Ansätze, die Ihre alltäglichen Probleme und Herausforderungen lösen und zur Verbesserung ihrer Lebensumstände beitragen würden.
Als ich Ende 2015, Anfang 2016 bei euch vor Ort war, standen wir kurz vor dem Abschluss der Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla. Damals sagtest du, dass nach der Demobilisierung der FARC die sozialen Organisationen die Geschicke ihrer Regionen in die eigene Hand nehmen könnten. Heute lebst du Jani unter Polizeischutz und dir wird Personenschutz und Internationale Freiwillige zur Seite gestellt, weil du mehrfach mit dem Tode bedroht worden bist. Ist der Friedensprozess aus deiner Sicht gescheitert?
Es gab keine Garantien, keinen Willen seitens der damaligen Regierung, diese Vereinbarungen umzusetzen. In der entscheidenden Regierungszeit, der von Iván Duque von 2018 bis 2022, gab es diese Garantien nicht nur für die ehemaligen Kämpfer nicht, die das Friedensabkommen unterzeichnet hatten und vielfach ermordet wurden. Sondern es fand auch keine wirkliche Umsetzung der Vereinbarungen über die Substituion des Kokananbaus statt. Unter anderem deshalb, weil die versprochenen Hilfen für die Bauern nicht ankamen und die Maßnahmen für alternative Produkte nur unzureichend umgesetzt wurden.
Hinzu kam, dass es erneut zu Todesfällen kam, zu mehr Drohungen gegen die lideres sociales, die Führungsfiguren verschiedener Gemeinden und comunidades. Der Tod wichtiger Anführer vieler Bauernorganisationen hat diese zerschlagen hat. Menschenrechtsorganisationen oder die Regierung sollten einmal einen Zensus machen, wie viele kleinbäuerliche Organisationen es vor und wie viele es nach dem Friedensabkommen gab. Einige wenige von uns konnten sich behaupten. Aber welche Garantien gibt es für die Führungskräfte der Organisationen?
Im Zuge der Preisverleihung in Wiesbaden wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass in Kolumbien sehr viele Umweltaktivisten getötet werden. So viele wie in keinem anderen Land der Welt. Warum ist Kolumbien für Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten nach wie vor so gefährlich?
Nein, ich glaube, es steht mir nicht zu, diese Frage zu beantworten. Aber meiner Meinung nach wird diese Situation andauern, solange wirtschaftliche Interessen in bestimmten Sektoren bestehen, solange der Krieg wirtschaftlich rentabel ist… Denn seien wir ehrlich, der Krieg ist für einige von Vorteil. Solange es also Gruppen gibt, die von diesen Kriegspraktiken profitieren, glaube ich, dass es schwierig ist, Frieden zu erreichen. Es gibt in der Öffentlichkeit sehr präsente Führungspersönlichkeiten; aber auch viele lideres sociales, die außerhalb ihrer Regionen nicht so stark wahrgenommen werden und sich für ihre Gemeinden einsetzen. Wir haben uns mit all unseren Kräften für das Substitutionsabkommen eingesetzt. Es gibt Genossen, die weiterkämpfen, die weiter existieren, ohne dass wir gehört werden, wenn es um die Durchsetzung eines Abkommens zur Substitution von Koka geht. Die lideres sociales sind also da, aber sie werden nicht anerkannt und sie werden nicht einbezogen. Dadurch fehlt auch die Möglichkeit, gemeinsam mit der Regierung und den zuständigen Stellen nach einer Lösung zu suchen.
Und eine letzte Frage: Was bedeutet dir persönlich die Auszeichnung mit dem Hessischen Friedenspreis und wie wird er sich auf die zukünftige Arbeit ihrer Organisation auswirken?
Der Preis ist vor allem eine Anerkennung unserer Arbeit über viele viele Jahre, nicht nur meiner Arbeit, die ich seit über 40 Jahren auf verschiedenen Ebenen Gemeindearbeit geleistet habe, sondern auch eine Anerkennung der Arbeit der Organisation.
Das sorgt für Sichtbarkeit, besonders all der weiblichen „lideres sociales“. Er zeigt, dass auch wir Frauen Einfluss auf gesellschaftliche Veränderung nehmen können. Es ist die Verantwortung aller, für die Region Amazonia zu kämpfen, sie zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen, oder besser gesagt, es ist eine große Verpflichtung. Alle Bewohner der Region sollten Teil dieses Prozess zum Erhalt und zum Schutz des Gebiets sein.
Stimme des Putumayo: Jani Silva kämpft für Land, Leben und Umwelt von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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