(Berlin, 25. Februar 2024, npla).- Honduras war 2012 das erste Land weltweit, das die Errichtung von unternehmensgeführten Privatstädten mit weitgehendem Autonomiestatus ermöglichte. Nach jahrelangen Protesten der Bevölkerung und dem Regierungswechsel im Jahr 2022 wurde mit der Rückabwicklung dieser Privatstädte begonnen. Doch real existieren sie immer noch und auch der Widerstand dagegen erstarkt wieder. Gentherapeutische Versuche in einer der Privatstädte zeigen derweil, warum die autonomen Enklaven gerade das Interesse der Biotechnologiebranche geweckt haben.
Ein Dokumentarfilm von Ford Fischer aus dem Jahr 2023 zeigt, wie sechs junge Menschen sich auf der hondiranischen Karibikinsel Roatán freiwillig einer experimentellen Gentherapie des Unternehmens Minicircle unterziehen. Die Proband*innen geben an, sich durch die Therapie eine bessere Fitness, mehr Muskelmasse und weniger Fett und vielleicht sogar ein längeres Leben versprechen. Unumwunden erklären die Gründer von Minicircle in der Dokumentation, dass sie das Experiment auf Roatán durchführen, weil sie von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA keine Genehmigung dafür erhalten würden.
Genetische Experimente ohne Kontrolle
Wie der honduranische Aktivist Christopher Castillo erklärt, sind die Privatstädte oder Zonen für Entwicklung und
Beschäftigung (ZEDE) nicht an internationale Verträge gebunden, daher könne dort jegliches Medikament eingesetzt werden. „In Próspera schreitet man mit der Entwicklung von Gentherapien und genetischen Experimenten voran, um zu erreichen, dass die Menschen 150 Jahre und älter werden können,“ beschreibt der Koordinator der Gemeinde- und Umweltbewegung ARCAH, was in der ZEDE Próspera auf der Karibikinsel derzeit vor sich geht.
Próspera wird von einem Unternehmen geführt, das auch die Gesetze für diese Privatstadt – deren Charta – festschreibt. Dies alles ermöglichte das 2012 verabschiedete Gesetz über die Sonderzonen für Entwicklung und Beschäftigung. Ob die ZEDE überhaupt noch existieren, darüber herrschen jedoch gegenläufige Auffassungen bei den ZEDE-Unternehmer*innen und der Bevölkerung. Und damit auch darüber, ob sich diese Gebiete an die im übrigen Land geltenden Gesetze halten müssen. Das honduranische Parlament beschloss am 22. April 2022 die Abschaffung der ZEDE. Das Betreiberunternehmen von Próspera ließ sich dadurch jedoch nicht bremsen.
ZEDE Próspera hat Expansionspläne
Venessa Cárdenas ist ehrenamtliche Gemeinderätin von Crawfish Rock, einem Fischerdorf mit 600 Einwohner*innen. Es grenzt unmittelbar an die ZEDE Próspera. Dort wird gerade ein 14-stöckiges Hochhaus errichtet, obwohl auf Roatán eigentlich kein Gebäude mehr als vier Stockwerke haben darf. Die ZEDE-Betreiber machten, was sie wollten, meint Cárdenas. „Und ich möchte betonen, dass sie mit dem Bau begonnen haben, nachdem die Regierung die ZEDE abgeschafft hatte.“ Auf einer öffentlichen Veranstaltung zeigt sie das digitale Modell von Próspera, das die ZEDE-Betreiber erstellt haben. „Hier ist meine Gemeinde schon verschwunden“, kommentiert sie.
Kein Wunder, dass die Einwohner*innen von Crawfish Rock Angst vor ihrem finanzkräftigen Nachbarn haben. Daher schlossen sie sich mit vielen anderen Initiativen landesweit zum Protest zusammen, darunter ARCAH. 71 Gemeinden lehnten in Bürgerversammlungen die ZEDE auf ihren Gebieten ab. Die ZEDE waren in der Bevölkerung dermaßen unbeliebt, dass sich Xiomara Castro, die Ende Januar 2022 das Präsidentenamt antrat, zügig bemühte, die Unternehmerstädte wieder loszuwerden.
Die Hürden bei der Abschaffung der ZEDE
Aber rechtlich ist das nicht ganz einfach. Um die ZEDE ins Leben zu rufen, wurde im Jahr 2012 die Verfassung geändert. Eine juristische Auffassung ist, dass schon die damalige Verfassungsänderung illegal war. Die Regierung entschied sich aber zunächst für den legislativen Weg, indem sie die von der Vorgängerregierung beschlossenen ZEDE-Gesetze annullierte. Doch da für die Schaffung der ZEDE eine Verfassungsänderung notwendig war, gilt das auch für deren Abschaffung. Es reicht nicht der einmalige Parlamentsbeschluss, dieser muss in der darauffolgenden Legislaturperiode ratifiziert werden. Und diese endete am 31. Oktober 2023, wie Christopher Castillo erklärt. „Deswegen muss der gesamte Prozess wiederholt werden. Eine zweite Option wäre, dass der Oberste Gerichtshof auf eine der Verfassungsklagen reagiert, die noch anhängig sind und die ZEDE-Gesetzgebung erneut analysiert um sie für ungültig zu erklären.“
Erschwerend kommt hinzu, dass das Betreiberunternehmen von Próspera das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten der Weltbank angerufen hat. Die Klage des Investors gegen den Staat fußt auf dem Freihandelsabkommen zwischen der Dominikanischen Republik, Zentralamerika und den Vereinigten Staaten, DR-CAFTA. Próspera macht dabei geltend, bereits Millionen investiert zu haben. Die Schadensersatzforderung des Unternehmens beläuft sich sogar auf über zehn Milliarden Dollar.
Die Regierung hat ihre Versprechen nicht erfüllt
Für Christopher Castillo und Venessa Cárdenas sind die schleppenden politischen und juristischen Prozesse vor allem ein Signal, dass der Widerstand aus der Bevölkerung wieder erstarken muss. „Nach der Annullierung haben viele darauf vertraut und wir haben gedacht, dass sich alles ändern würde“, sagt Cárdenas. Aber die Regierung habe nicht getan, was notwendig gewesen wäre. Und so würde derzeit der Widerstand gegen die ZEDE reaktiviert.
„Wenn dieses Projekt in Honduras voranschreitet, dann wird dasselbe im restlichen Zentral- und Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt geschehen“, befürchtet Castillo. Deswegen gehe es bei dem Kampf gegen die ZEDE um mehr als darum, Honduras zu retten. Castillo sieht die Privatstadtbewegung insgesamt Ideen von Entmenschlichung und Individualisierung propagieren.
Auf Roatán hat unter dem Namen „Vitalia“ im Januar ein mehrmonatiges Treffen der Langlebigkeitsbewegung begonnen. Das sind Menschen, die nicht abgeneigt sind, auch an ihrem eigenen Körper zu experimentieren. „Unser Ziel ist es, den Tod nur noch zu einer freiwilligen Option zu machen“, träumt Vitalia-Initiator Laurence Ion in einer öffentlichen Rede. Auch er erwähnt den möglichst liberalen Rechtsrahmen, der für die zügige Umsetzung von Experimenten nötig ist.
Für Venessa Cárdenas und die Einwohner*innen von Crawfish Rock bedeuten derartige Veranstaltungen noch mehr Druck auf ihre kleine Gemeinde. Aber gleichzeitig mobilisiert sich der Protest. Ab dem 24. Februar wollen sich auch die gegen die ZEDE aktiven Organisationen aus Honduras in der Gemeinde Crawfish Rock treffen.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Podcast bei Radio onda.
Privatstädte als Experimentierfelder von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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