(Berlin, 15. Dezember 2018, npl).- Sie finden sich in deutschen Vorgärten ebenso wie auf großen Baumwollplantagen und Sojafeldern von Indien bis Argentinien: Pestizide. Die deutsche Bezeichnung Pflanzenschutzmittel klingt erst mal harmlos, doch tatsächlich schützen sie nur bestimmte Pflanzen, indem sie unliebsame Unkräuter zerstören, sie schädigen die Umwelt und verseuchen Boden und Grundwasser. Trotz dieser besorgniserregenden Erkenntnisse werden jedes Jahr weltweit Millionen Liter auf die Äcker gesprüht. Tendenz steigend. Auch deutsche Unternehmen mischen mit. Bayer und BASF gehören zu den weltweit führenden Pestizid-Herstellern. Um Absatzmärkte zu sichern und auszubauen setzen sie auf fragwürdige Methoden. Die schiere Übermacht der Industrie bleibt jedoch nicht unwidersprochen. Auf juristischer und zivilgesellschaftlicher Ebene formiert sich Widerstand.
Konzerne setzen auf rechtliche Doppelstandards
Die Pestizid-Industrie befindet sich auf dem Vormarsch – auf der ganzen Welt steigt der Verbrauch der Ackergifte, mit ihrem Versprechen schnell und billig für mehr Ertrag in der Landwirtschaft zu sorgen. Nur einige wenige Konzerne haben den globalen Pestizidmarkt in ihrer Hand und die geplante Übernahme von Monsanto durch den deutschen Chemieriesen Bayer wird die Marktmacht Weniger weiter konzentrieren. Hinzu kommt: Pestizide, die in Europa und Amerika schon längst keine Verwendung mehr finden, werden nach wie vor ins Ausland exportiert.
Zum Beispiel nach Mexiko. Der Toxikologe und Mexikoaktivist Peter Clausing fand heraus, dass viele Pestizide, die in Europa als gesundheitsgefährdend ausgewiesen werden müssen, in Mexiko nicht derart gekennzeichnet sind. Der Etikettenschwindel ist möglich aufgrund von rechtlichen Doppelstandards: Globale Unternehmen operieren in der Regel mit einer lokalen Tochtergesellschaft – Bayer Mexiko etwa – und unter der jeweiligen nationalen Gesetzgebung. Und die ist in Mexiko deutlich laxer als in Europa und den USA.
Bewusste Fehlinformation als Unternehmensstrategie
Das Land ist kein Einzelfall. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) aus Berlin hat in Untersuchungen zur Pestizidanwendung in Indien und auf den Philippinen herausgefunden, dass auch hier deutsche Unternehmen Sorgfaltspflichten verletzen: „Bei der Vermarktung der Pestizide gibt es große Unterschiede im Vergleich zur EU,“ fasst Carolijn Terwindt, Juristin beim ECCHR, die Rechercheergebnisse in Indien zusammen. In der EU etwa dürften Pestizide nur mit einer speziellen Ausbildung und Lizenz erworben werden. In Indien könne jede*r in den Laden gehen und Pestizide kaufen – sogar Kinder. „Die Ausbildung zum Umgang mit Pestiziden ist mangelhaft und häufig haben die Anwender*innen auch keinen Zugang zu Schutzkleidung.“
Mythos „Safe Use“
Und auch in Indien gibt es viele Probleme mit der Etikettierung der Acker-Gifte: die Symbole sind unverständlich, die Nutzungs- und Gefahrenhinweise in unbekannten Sprachen formuliert und zu klein gedruckt. Die Konzerne verweisen zwar auf den „Safe Use“, also das Versprechen, dass wenn die Pestizide den Hinweisen entsprechend verwendet würden, diese unschädlich für den Menschen seien. Doch das sei schwierig umzusetzen, so Juristin Terwindt, wenn die Hinweise nicht gelesen werden könnten. Hinzu kämen Zweifel an der Generalisierbarkeit von Untersuchungen der Unternehmen, die für die Definition von Warnhinweisen ausschlaggebend sind. Carolijn Terwindt verweist darauf, dass Untersuchungen über die möglichen gesundheitlichen Folgen von Pestiziden meist an weißen Männern durchgeführt würden, Frauen aber anders reagierten – erst recht, wenn sie schwanger seien.
Mit juristischen Mitteln gegen Pestizid-Konzerne
Unternehmen für ihr Handeln zu belangen ist kompliziert und langwierig, im Normalfall werden maximal kleine Erfolge gegen die Übermacht der Konzerne erstritten. Trotzdem versuchte das ECCHR gemeinsam mit indischen Aktivist*innen rechtliche Verfahren anzustrengen. In ihren Untersuchungen hat die Organisation festgestellt, dass es bei dem Pestizid Nativo von Bayer zu falschen Etikettierungen gekommen ist. In Deutschland ist das Acker-Gift als gefährlich für das Kind im Mutterleib deklariert, in Indien nicht. Besonders pikant: Das Mittel wird in Deutschland hergestellt und dann exportiert, bei Herstellung und Export greifen also eigentlich deutsche Gesetze.
Das Verfahren wurde letztendlich mit der Begründung eingestellt, dass die Pestizide aus Deutschland in großen Säcken exportiert würden, worauf sich die notwendigen Warnhinweise fänden. In Indien findet der Verkauf der Pestizide aber traditionell in kleinen Mengen statt. Das Problem bleibt also, in Deutschland fühlt sich allerdings keine Behörde zuständig. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten, die Verantwortung von Unternehmen juristisch eindeutig nachzuvollziehen.
Mobilisierung gegen Pestizide: Auch ein Kampf gegen Gentechnik
Nicht nur auf juristischer, auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene wird gegen den Einsatz von Pestiziden und seine Folgen mobilisiert. Die brasilianische Wissenschaftlerin Renata Campos Motta von der FU Berlin hat Proteste in Brasilien und Argentinien untersucht. Die Proteste gingen oft mit dem Kampf gegen Gentechnik einher, die in Argentinien und Brasilien stark verbreitet sei. „Die Debatten können nicht getrennt werden,“ stellt Motta zusammenfassend fest. Denn der Anbau von genetisch modifiziertem Saatgut stehe in direkter Verbindung mit immer höherem Einsatz von Pestiziden, der durch Resistenzenbildung von Unkräutern notwendig werde.
In Argentinien wurde 1996 der Anbau von genetisch modifizierten Pflanzen still und heimlich als Verwaltungsakt zugelassen. Hier ist es den Betroffenen, Umweltorganisationen und kritischen Wissenschaftler*innen zu verdanken, dass die Gefahren und Folgen von Gentechnik und Pestiziden heute breiter diskutiert werden. In Brasilien wurde auf Initiative von Umweltorganisationen Ende der 90er Jahre ein Moratorium durchgesetzt, das den Anbau von Gentechnik verbot. Inzwischen wurde das Moratorium gekippt und genetisch modifizierte Ackerpflanzen sind auch hier auf dem Vormarsch. Brasilien hat sich gar zu einem Vorreiter in der Zulassung neuer gentechnischer Verfahren für die Landwirtschaft entwickelt. 2017 wurden die Weichen dafür gestellt, Pflanzen im Freiland anzubauen, die mit hoch umstrittenen Techniken die DNA modifizieren – über die Auswirkungen ist bisher wenig bekannt. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene gehen die kritischen Debatten aber unvermindert weiter.
Der Kampf gegen Pestizide geht weiter
Mindestens dort, wo Gentechnik die Landwirtschaft bestimmt, muss der Kampf also an zwei Fronten geführt werden. Aber auch auf Europas Feldern, wo bislang keine Gentechnik zugelassen ist, wird immer mehr gesprüht. Begründet wird dies hier wie dort mit steigender Effizienz und Kostenersparnis. Toxikologe Peter Clausing kennt die Argumente der Chemie- und Saatgutindustrie, dass etwa durch agrarindustrielle Methoden teure Arbeitskräfte eingespart würden.
Die Kosten scheinen aber nur deshalb niedrig, weil die gesundheitlichen Folgen und ökologischen Auswirkungen nicht in der Rechnung auftauchen: Im besten Fall werden sie vom öffentlichen Gesundheitssystem getragen. In Ländern ohne ausreichende soziale Sicherungssysteme bleiben die Betroffenen damit allein.
Zu diesem Artikel haben wir auch einen Audio-Beitrag bei Radio onda.
Pestizide: Gifte für Lateinamerika und die Welt von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Das ist moralisch verkommen!!!!
Und was ist mit den anhägigen Prozessen in Amerika gegen Monsato? In der Öffentlichkeit ist schon seit geraumer Zeit nichts mehr davon zu hören! Ist da etwa Schweigegeld geflossen? Ein „Schelm“ der Böses dabei denkt!