Nicaragua verspielt sein Trinkwasser

von José Adán Silva – IPS

(Lima, 20. August 2013, servindi).- Der Lago Cocibolca, auch bekannt als Nicaraguasee, ist der größte See Zentralamerikas und mit einer Fläche von 8.264 km² sogar der zweitgrößte ganz Lateinamerikas. Die Regierung Nicaraguas hat nun ein neues Gesetz erlassen, um ein chinesisches Unternehmen mit dem Bau und der Verwaltung des geplanten interozeanischen Kanals zu beauftragen. Dieses Gesetz Nr. 840 hebt den gesetzlichen Rahmen auf, der es möglich machte, den Nicaraguasee und seine Neben- und Zuflüsse sowie die angrenzenden Flussbecken zu schützen.

Die nichtstaatlichen Organisationen Nicaraguanische Allianz gegen den Klimawandel (Alianza Nicaragüense Ante el Cambio Climático) sowie die landesweite Versammlung zum Risikomanagement (Mesa Nacional para la Gestión de Riesgo), welche 20 Naturschutzvereine des Landes repräsentieren, schlugen angesichts des neuen Gesetzes Alarm. Dieses wurde vergangenen Juni von der Nationalversammlung mit den Stimmen der Regierungspartei Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) beschlossen. Die Initiative für den Erlass der neuen Richtlinie stammte vom derzeitigen und ehemaligen Präsidenten Daniel Ortega (seit 2007).

Der offizielle Titel der Richtlinie lautet Spezialgesetz für den Fortschritt der nicaraguanischen Infrastruktur und des Transportwesens bezüglich des Kanals, der Freihandelszone und die damit verbundenen Infrastrukturen. Dieser Name lässt auf die mit der Regelung verfolgten Ziele schließen, die Medien tauften das Gesetz 840 einfach: „Gesetz des großen interozeanischen Kanals“.

Bisherige Richtlinien null und nichtig

Unter welchem Namen auch immer, dieses Gesetz bietet die juristische Grundlage für eine Schifffahrtsroute, welche den atlantischen mit dem pazifischen Ozean verbinden und etwa viermal so lang wie der nahegelegene Panamakanal sein soll. Nach Beendigung des geplanten Nicaraguakanals wird voraussichtlich ein heftiger Wettbewerb um Handelsschiffe, vor allem solche mit viel Tiefgang, entbrennen.

Die Genehmigung, den Bau zu realisieren und den Kanal für die nächsten 50 Jahre mit der Option auf weitere fünf Jahrzehnte zu verwalten, erhielt die HK Nicaragua Canal Development Group (HKND) des chinesischen Unternehmers Wang Jing. Die Gesamtkosten des Projektes werden auf etwa 40 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Laut der landesweiten Versammlung zum Risikomanagement wurden durch das im Juni erlassene Gesetz alle juristischen Wege, die natürlichen Ressourcen und Wasservorkommen Nicaraguas zu bewahren, versperrt. Die zu diesem Thema gültigen Richtlinien werden in einem juristischen Leitfaden zu Trinkwasser und Abwasserentsorgung zusammengefasst. Der Leitfaden, der 2011 durch die nicaraguanische Kommission Trinkwasser und Kanalisationssysteme entwickelt wurde, beinhaltet 85 Gesetze, Dekrete, Gemeindevorschriften, verfassungsrechtliche Bestimmungen, internationale Verträge und Verwaltungsvorschriften, die die Wasservorkommen des Landes schützen.

Unternehmen bekommt Freifahrtschein

Eine Vereinbarung zur Erlassung und dem Inkrafttreten des Kanalgesetzes legt fest, dass der Staat dem Auftragnehmer den „Zugang und das Recht zur Schifffahrt auf Flüssen, Seen, Meeren und allen anderen Gewässern Nicaraguas und das Recht die Gewässer zu erweitern, auszubaggern, umzuleiten oder zu verkleinern“ garantieren muss. Zudem verzichtet der Staat darauf, die Investoren wegen jeglichen entstehenden Umweltschäden durch Untersuchungen, Konstruktion und Ausführung des Projekts vor nationalen Gerichten zu verklagen.

Auch die Gültigkeit des allgemeinen Gesetzes zu nationalen Gewässern, das besagt, der Cocibolca sei „ein nationales Trinkwasserreservoir, welches von größtem Interesse und Wichtigkeit für die nationale Sicherheit ist“, wurde durch das Gesetz 840 aufgehoben.

David Quintana von der Nicaraguanischen Stiftung für nachhaltige Entwicklung befürchtet, das mit dem Gesetz 840 dem ausländischen Unternehmen eine Art Freifahrtschein für die Ausbeutung der nationalen Gewässer, die mit dem Cocibolca in Verbindung stehen, ausgestellt wurde. In dem See, den Nicaragua nun der chinesischen Firma überlassen will, laufen mehr als 16 Flussläufe zusammen. In der Umgebung des Sees befinden sich um die 15 Naturschutzgebiete, die ein Viertel des nicaraguanischen Regenwaldes beheimaten, so Quintana. Diese Flächen, die in der als Ramsar-Konvention bekannten Übereinkunft über Feuchtbiotope von internationaler Wichtigkeit aufgelistet sind, sind Heimat von Hunderten von Pflanzenarten, Vögeln, Säugetieren, Reptilien, Fischen, Amphibien sowie Weich- und Krebstieren.

Trinkwasserreservoir für immer gefährdet

Für Víctor Campos, den Vizedirektor des Humboldt-Zentrums, zerstört das Kanalprojekt die Möglichkeit, den Nicaraguasee in Zukunft als eine Trinkwasserquelle für ganz Zentralamerika zu nutzen. „Der Bau eines Kanals und die Nutzung des Wassers durch den Menschen schließen sich gegenseitig aus. Entweder hat man einen Kanal, oder man hat ein Wasserreservoir für die Bevölkerung.“, sagte Campos der Nachrichtenagentur Tierramérica. Der Biologe Salvador Montenegro, Direktor des Wasserforschungszentrums der nicaraguanischen autonomen Universität in León UNAN (Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua), erklärte laut Tierramérica, dass durch die geplanten Arbeiten im See enorme Mengen an Sedimenten entstehen würden. Das Wasser würde sich dadurch stark eintrüben und den Großteil der Lebewesen im Nicaraguasee ersticken.

Die Wasserstraße zur Verbindung der beiden Ozeane soll laut HKND Group 286 Kilometer lang, 520 Meter breit und 27,6 Meter tief werden, damit auch Schiffe mit viel Tiefgang ungehindert passieren können. Für Salvador Montenegro sind diese Planungen das schlimmste Szenario für den See und seine Zuflüsse. „Ein kleiner Unfall bei dem Kohlenwasserstoff frei wird, ein Erdbeben oder die starken Winde, die über die betroffene Zone wehen, könnten eine Umweltkatastrophe verursachen, die das Potenzial des Sees als Wasserversorger für die Bevölkerung für immer zerstören würde.“, warnte Montenegro.

Auch Jaime Incer Barquero, der als Umweltberater für Daniel Ortega arbeitet, teilt diese Befürchtungen. „Jetzt ist die Zeit, um noch etwas zu ändern und nicht einen Riesenfehler zu begehen, mit dem wir das größte Wasservorkommen Zentralamerikas gefährden. Kein Kanal ist so viel Wert wie dieser See.“, sagte Barquero gegenüber Tierramérica.

Behörden betonen die wirtschaftlichen Vorteile

Angesichts der enormen Kritik ließ der Staatschef wissen, dass die Untersuchungen zu den Auswirkungen des Projektes auf die Umwelt dessen Verlauf und Zukunft bestimmen würden. Die zuständigen technischen und Umweltbehörden äußerten sich dagegen nicht zu den Diskussionen über das angebliche Umweltrisiko. Sie beschränkten sich darauf, die wirtschaftlichen Vorteile zu benennen, die Nicaragua durch den Kanal gewinnen würde.

Der Sprecher von HKND, Ronald MacLean, wiederholte in verschiedenen Mitteilungen, dass die britische Umweltberatungsfirma Environmental Resources Management eine professionelle Untersuchung durchführen werde, um die Auswirkungen auf die Natur festzustellen, die auf der geplanten Kanalroute zu erwarten seien. „Selbstverständlich müssen wir uns auch mit dem Thema Umwelt beschäftigen. Es gilt die Folgen des Baus zu erkennen um schätzen zu können, wie viel ein Sanierungsprojekt kosten würde. Die Rechnung muss am Ende ein positives Ergebnis haben.“, so McLean in einigen Emails, die seine Öffentlichkeitsabteilung in Managua Anfang August verschickte.

Umweltorganisationen, Unternehmensgruppen und andere Gegner des Projektes sowie indigene Gemeinden, die ihr Land und den Zugang zu Wasser in Gefahr sehen, bereiten unterdessen juristisches Maßnahmen vor, um gegen den geplanten Kanal vorzugehen.

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