(Berlin, 25. Oktober 2018, npl).- In Honduras werden indigene Gemeinschaften meistens nicht gebührend in Entscheidungsprozesse über Projekte auf ihren Territorien eingebunden. Der honduranische Staat will diese Prozesse mit einem neuen Konsultationsgesetz regeln. Allerdings fühlen sich indigene Gemeinschaften von den bislang kursierenden Gesetzentwürfen eher bedroht als gestärkt.
Kraftwerk ohne Zustimmung
Seit Juli wird an der Karibikküste zwischen den Garífuna-Gemeinden Sambo Creek und Corozal ein Schwerölkraftwerk gebaut, ohne Zustimmung der indigenen Anlieger*innen. Erst nachdem die Umweltlizenz schon vergeben und die ersten Arbeiten begonnen hatten, wurde eine Art Bürger*innenbeteiligung inszeniert. Für Aurelia Arzú von der Garífuna-Organisation OFRANEH (Organisazión Fraternal Negra Hondureña) ist dies ein typisches Beispiel dafür, wie der Staat mit dem Konsultationsrecht für Indigene umgeht. „Wirkliche Konsultationen – also Befragungen im Vorfeld von Entscheidungen – hat es bisher für kein Projekt gegeben, das auf dem Gebiet der Garífuna realisiert wurde. Sie eignen sich unsere Ländereien mit Hilfe von Drohungen an. So wie in Corozal oder Sambo Creek, wo ein Kraftwerk gebaut wird, trotz unserer Proteste und unseres Widerstands“, erklärt die Vize-Koordinatorin von OFRANEH. Da mächtige Gruppen an dem Kraftwerksbau interessiert seien, würden die Garífuna nicht befragt und somit ihre Rechte verletzt. Das Recht auf vorherige, freie und informierte Zustimmung garantiert ihnen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Honduras hat die Konvention im Jahr 1995 ratifiziert.
ILO-Konvention 169 wird missachtet
Die Garífuna sind Nachfahren von Arawak-Indigenen und von versklavten Menschen, die aus Afrika verschleppt wurden. Seit 220 Jahren bewohnen sie die Atlantikküste zwischen Nicaragua und Belize. In Honduras gibt es sieben Gemeinden entlang der Küste. Dort versuchen Tourismus-, Bergbau oder Energieunternehmen rücksichtslos ihre Interessen durchzusetzen. Unermüdlich protestieren die Afroindigenen gegen ihre Vertreibung. Im Fall von Vertreibungen von ihren angestammten Territorien in den Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra haben sie vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen. Doch ohne jegliche Konsequenzen. Der honduranische Staat ignoriert die Entscheidungen internationaler Gerichte.
Seit 2015 versucht der honduranische Staat hingegen, die ILO-Konvention 169 in nationale Gesetzgebung zu überführen. Der Text ist in Arbeit, aber noch nicht vom Parlament verabschiedet worden. Arzú befürchtet allerdings, dass das Konsultationsgesetz vor allem dazu dienen wird, die Rechte der Indigenen auszuhebeln. Es würde den bisherigen legitimen Protest für den Erhalt der Naturgüter unterbinden, glaubt Arzú: „Wir würden in Honduras quasi ohne Rechte dastehen. Daher ist unsere Organisation strikt dagegen. Wir werden nicht aufhören gegen dieses Vorhaben zu protestieren. Denn wir haben sehr wohl das Recht, hier in Würde zu leben.“
Der Streit ums Veto
Honduras ist nicht das einzige Land, in dem ein Konsultationsgesetz in Arbeit ist. Hauptstreitpunkt in Honduras wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern ist die Frage, ob die Konvention 169 ein Vetorecht für die betroffenen Gruppen beinhalten soll oder nicht. Für den guatemaltekischen Juristen Miguel Urbina ist Text der ILO an dieser Stelle sehr deutlich formuliert: „Der Artikel 6 Absatz 2 besagt ganz klar, dass das Ziel der Konsultation darin besteht, zu einer Einigung oder Zustimmung zu gelangen. Wenn keine Einigung erzielt wird, wenn es keine Zustimmung gibt, ist jede weitere Entscheidung des Staates über die Nutzung der natürlichen Ressourcen illegal.“
Der honduranische Gesetzesentwurf sieht das ganz anders. Hier heißt es in Artikel 2, dass die Konsultation kein Vetorecht impliziere. Indigene Organisationen, wie die der Garifuna (OFRANEH) und der Indigenenrat COPINH verweigern eine Mitarbeit bei dem Gesetzgebungsprozess, da sie grundsätzlich anderer Auffassung sind als die Regierung. Zudem sind Mitglieder der Organisationen von permanenten Menschenrechtsverletzungen betroffen und der Staat tut nichts, um sie zu schützen. Es herrscht absolut kein Vertrauen, um mit ihm über ein Konsultationsgesetz zu verhandeln.
Auch die Frage, wie mit den indigenen Gemeinschaften zusammen ein Gesetz erarbeitet werden kann, erfordert große Sensibilität. Der Jurist Urbina erklärt: „Die Konvention 169 legt fest, dass auch der Ablauf der Konsultation mit den indigenen Gruppen besprochen werden muss. Doch die Staaten machen ihre Gesetze im Alleingang – natürlich im eigenen Interesse.“ Was eigentlich ein Zusammenspiel von staatlichen Akteur*innen und den betroffenen Gemeinden oder Gruppen sein sollte, wird von den Vorgaben und Interessen der Regierungen dominiert .
Bedingung für die Mittelvergabe
Auffällig ist, dass aktuell immer mehr Länder versuchen, die ILO-Konvention in nationales Recht zu überführen oder dies bereits getan haben, etwa Peru, Ecuador, Mexiko, Guatemala oder Honduras. Viele Länder haben die Konvention vor über 20 Jahren ratifiziert und zuvor keine Notwendigkeit einer nationalen Gesetzgebung gesehen. Die Konsultation der Betroffenen finde in immer mehr internationalen Standards Aufnahme, erklärt Ricarda Flemmer, die am GIGA-Institut in Hamburg zu Konsultationsprozessen in Lateinamerika forscht. Die Konsultationsrechte und auch das Recht auf vorherige Zustimmung in den Standards der UN, spiegele sich heute in den Weltbankstandards und in Entwicklungsprojekten. Damit wird die Konsultation auch zur Bedingung für die Mittelvergabe. „Auf der Kehrseite haben die indigenen Organisationen, die dieses Recht ja schon lange einfordern, selber angefangen, Konsultationsprozesse zu implementieren“, sagt Flemmer. So wurden etwa in indigenen Gemeinden in Guatemala Referenden über Bergbau – ja oder nein – abgehalten. Der Staat wolle den Prozess daher wieder reglementieren, so Flemmer.
Juristisch unnötig
Für Miguel Urbina sind die Gesetzesinitiativen ein Versuch von Wirtschaft und Politik, die Konvention neu auszulegen. Das Infragestellen des geltenden Rechts würde auch dazu führen, dass das Gewaltniveau hoch bliebe. Aus juristischer Perspektive seien die Initiativen überflüssig: „Die Reichweite der Konvention 169 ist sehr klar, daher bedarf es keiner weiteren legislativen Projekte“, sagt Urbina.
Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsprozesses in Honduras ist derweil unklar, denn wie üblich herrscht Intransparenz. Wann mit einem Konsultationsgesetz zu rechnen ist, und wie der endgültige Inhalt aussehen wird, können die Indigenen-Organisationen nicht sagen.
Den Radiobeitrag zu diesem Artikel findet ihr hier.
Recht auf Zustimmung oder Vetorecht? – Der Streit um ein Konsultationsgesetz in Honduras von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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